Archiv:1032 RAH Dom Gualdo an Dom Praiodar
Erlauchter hochwohlgeborener Graf, freundlicher und günstiger hoher Herr, Dom Praiodar. Eurer erlauchten und hochwohlgeborenen Gnaden seien meine willigen, aber geringen Dienste und mein treuer Gehorsam nach meinem besten Vermögen stets und jederzeit versichert.
[…] Erlaubt mir im Folgenden in aller Länge und Ausführlichkeit eine Begebenheit zu Sherbeth zu erläutern, dessen Tragweite und Bedeutung sich Euer Hochwohlgeboren trotz ihrer scheinbaren Nichtigkeit sogleich erschließen werden. Dieser Umstand gebot es mir Euer Hochwohlgeboren mit meinem einfachen, groben und geringen Schreiben zu besuchen und Euer Hochwohlgeboren mit einer scheinbar unwichtigen Frage und Bitte zu molestieren. Euer Hochwohlgeboren seien im Voraus meiner Treue und meines steten willigen Gehorsams auf alle Zeit versichert und über meine feste und unverbrüchliche Treue unterrichtet, die mich Euer Hochwohlgeboren stetes Bestes mit meinen bescheidenen und schwachen Kräften suchen lässt und mich nach Euer Hochwohlgeboren Wunsch und Willen in Euer Hochwohlgeboren Märkten in der mittleren Talschaft walten lässt.
Vorigen Windstag, am Tag des Festes des Heiligen Udolfo, wurde mir von Euer Hochwohlgeboren Secretario zu Ratzingen, Enzo Sgirro, zugetragen, dass Euer Hochwohlgeboren Garde-Capitanya zu Sherbeth, Balbea Albina de San Telo genannt zum Weinhof, zwei Tage zuvor just zu Sherbeth am Gräflichen Marktgericht auf das Wohl „Ihro Kais. Maj. der Kaiserin und Leuin zu Gareth“ getrunken habe. Flugs nachdem Herr Enzo Sgirro von Sherbeth nach Ratzingen zurückgekehrt war, setzte er mich hiervon in Kenntnis.
Tags darauf bin ich eilends nach Sherbeth gereist, teils weil es an der Zeit war, das dortige Gericht zu visitieren, teils weil mich jene Begebenheit wünschen ließ, des Herrn Praios' Licht nach Sherbeth zu tragen und die Hintergründe sowie den Hergang dieses Ereignisses zu ergründen. Kaum in Sherbeth angekommen ließ ich Euer Hochwohlgeboren Capitanya zu mir kommen und habe sie gütlich befragt. Den Umstand, dass sie auf das Wohl der Schwester Seiner Allerzwölfgöttlichsten Majestät unter dem Titel einer kaiserl. Maj. getrunken hätte, hat sie nicht zu leugnen gesucht, sondern dies gleich heraus frank und frei gestanden und mir erklärt, dass sie an oben genanntem Tage in einem Kreise von drei Personen, bestehend aus dem bereits benannten Secretario Enzo Sgirro sowie dem jungen Dom Erlando Ordelassio, ihren Weinbecher auf das Wohl Ihrer Kaiserlichen Hoheit erhoben und selbige Kaiserliche Hoheit hierbei als „Kaiserliche Majestät“ benannt habe.
Überdies hat Euer Hochwohlgeboren Garde-Capitanya zu Sherbeth die beiden Herren, mit denen sie sprach und trank, aufgefordert, es ihr gleich zu tun und auch auf das Wohl Ihrer Kaiserlichen Hoheit unter angemaßtem und falschem Titel zu trinken. Zunächst wollte ich dies Euer Hochwohlgeboren Garde-Capitanya nur für einen Fehler aus Unkenntnis und Unwissenheit anrechnen und habe sie daher ernstlich und feierlich gefragt, ob sie wisse, was es mit dem Titel einer Kaiserlichen Majestät für eine Bewandtnis habe und wer des Raulschen Reiches rechter und gekrönter Kaiser sei.
Darauf hat mir Euer Hochwohlgeboren Garde-Capitanya, Balbea Albina de San Telo, geantwortet, dass sie selbiges wohl wisse und dass sie davon wohl unterrichtet sei: Ihre Kaiserliche Hoheit sei rechtens und von Praios eingesetzte Kaiserin des gesamten und ungeteilten Raulschen Reiches – hiervon sei sie von einigen Reisenden getreulich und gut unterrichtet worden; diese hätten ihr auch einige Schriften vorlegen können, worin davon die Rede gewesen sei, dass das rechte Kaisertum Ihrer Kaiserlichen Hoheit nichts als die Wahrheit und von allen Zwölfen, insonderheit Praios, so gewollt sei.
Daraufhin habe ich Euer Hochwohlgeboren Garde-Capitanya schwer getadelt und ihr gesagt, dass dies falsch, unwahr und wider Praios' Gebote gesprochen und gehandelt sei; ob sie nicht erkennen könne, dass die heilige Raulsche Reichskrone nur von Männern aus dem Kaiserstamme getragen werden könne, wie dies der Reichsgründer Kaiser Raulus Magnus als ein unumstößliches Fundamentalgesetz des Raulschen Reiches festgeschrieben habe; ob sie glaube, dass ein Haus bestehen könne, dem das Fundament genommen würde, auf dem es steht und begründet worden war; ob sie erklären könne, wie eine derartige Nachfolgeordnung – wie jene vom Hoftage von 1014 – gültig sein könne (nur unter dem Vorbehalt, dass ein solches Fundamentalgesetz des Raulschen Reiches überhaupt verändert werden könne, ohne das Reich als solches zu beendigen), ohne dass eine solche Nachfolgeordnung von einem gekrönten und gesalbten Kaiser des Raulschen Reiches in den Rang eines Gesetzes erhoben worden sei; ob es als rechtmäßig und gerecht anzusehen sei, dass der nach zwölfgöttlichem Ratschluss in Purpur und als Kron- und Erbprinz anno 1011 geborenen Allerzwölfgöttlichsten Majestät ohne dessen eigenes Verschulden, Versehen oder Verbrechen Thron und Krone willkürlich entzogen werden sollte; ob es nicht wahr sei, zu sagen, dass sich also gleichsam die Frauen und Männer von 1014 gegen das heilige Geburts- und Geblütsrecht, wie dies vom Herrn Praios und den anderen elf unsterblichen Zwölfgöttern gefügt und befohlen worden war, versündigt hätten und sie das geheiligte Raulsche Reich durch diesen treulosen versuchten Rechtsbruch des zwölfgöttlichen Schirms und Schutzes vor namenlosen und dämonischen Mächten, welche in dem darauf folgenden Jahrzwölft das Reich über alle Maßen straften und peinigten, entblößt hätten.
Auf meine scharfen Worte hin wurde Euer Hochwohlgeboren Garde-Capitanya still und sprach keine Silbe mehr; auch zu einer Abbitte für ihr Vergehen konnte ich sie nicht bewegen. Daher ersuche ich nun Euer Hochwohlgeboren um gnädige Weisung, wie in diesem Falle zu verfahren ist, da ich wohl weiß, dass ich in Euer Hochwohlgeboren Namen hier zu Sherbeth handle und ein falsches Handeln oder ein schlecht gewähltes Wort meinerseits in diesem Falle Euer Hochwohlgeboren Reputatio und Ansehen bei Hofe wohl ganz schädlich sein könnte.
Nichts wäre mir abscheulicher und widriger als entgegen Euer Hochwohlgeboren politische Intentiones zu handeln und als Euer Hochwohlgeboren Castellan Euer Hochwohlgeboren durch zu rasches oder gar falsches Handeln zu präjudizieren. Demütigst bitte ich Euer Hochwohlgeboren daher mir Weisung zukommen zu lassen, wie ich mich in diesem schwierigen Amte zu verhalten habe, damit ich Euer Hochwohlgeboren so würdig und gut hier vor Ort vertreten kann, wie mir dies möglich ist.
Demütigst bitte ich Euer Hochwohlgeboren um Verzeihung, dass ich Euer Hochwohlgeboren mit diesem langen Schreiben beschwert und molestiert habe und Euer Hochwohlgeboren durch dieses grobe und ungenügende Schreiben zu viel der Zeit geraubt habe.
[…] Den Segen der Zwölfgötter auf Euer Hochwohlgeboren und Euer Hochwohlgeboren Familia erbittend verbleibe ich stets
Euer Hochwohlgeboren treuer, demütiger und diensteifriger Diener,
[Zeichen und Siegel des Gualdo di Dalias]
Castellan etc. pp.-Brief des Gualdo di Dalias y Gurnabán an seinen Herrn, den Grafen Praiodar von Streitzig ä. H.