Chronik.Ereignis1043 Selkethaler Pferderennen zu Ehren der schönen Göttin 1043 BF 41
Edlengut Selkethal, 24. Rahja 1043 BF
Vormittags nach dem 1.Rennen
Autorin: Jott
Wütend warf Farfanya ihre Reithandschuhe in die Ecke des Verschlags, in dem ihre Stute untergebracht war. Nicht einmal unter den ersten Zehn! Sie schlug zornig mit der Reitgerte gegen die Bretterwand. Ein Glück hatte sie den Kranz nicht übergeben müssen. Sie hatte sich gerade genug zurückhalten können, der Gewinnerin mit einem Lächeln zu gratulieren. Doch hatte sich ihr Lächeln selten so falsch angefühlt. Aber Domna Verema war zu diesem Zeitpunkt von so vielen Gratulanten umringt gewesen, dass dies kaum jemanden aufgefallen sein dürfte.
Mit einem wütenden Schrei schlug Farfanya noch einmal mit der Gerte gegen die Wand. Dann hörte sie hinter sich ein Räuspern. “Da ist wohl jemand unzufrieden mit dem Ausgang des Rennens… Was missfällt dir, kleine Schwester? Du hast doch gegen mich gewonnen.“ Laurentio war zu ihr in den Verschlag getreten und lächelte sie an. Es war wahrscheinlich aufmunternd gemeint, doch verfehlte die Geste ihre Wirkung. Zu tief saß die Enttäuschung. Mit ärgerlicher Miene schaute sie ihn an. Doch wollte Laurentio anscheinend noch nicht aufgeben.
„Gegen Ta'iro hast du doch auch gewonnen.“ Als wenn das etwas ändern würde! „Ta'iro ist aber nicht das Maß aller Dinge.“, gab sie patzig zurück. Laurentio hob erstaunt die Brauen. „Und das aus deinem Munde? In was denn bitte nicht?“ „Du meinst abgesehen vom Reiten? Hast du ihn mal lesen hören, mein lieber Bruder? Ich glaube selbst Honoria liest besser!“ Laurentio lachte. Und widerwillig musste Farfanya bei diesem Gedanken ebenfalls schmunzeln, nur um sogleich wieder wütend die Fäuste zu ballen. Laurentio deutete hinter sich. „Du hast übrigens dein Pferd im Stallgang vergessen.“ „Sehr lustig! Kannst du dir vorstellen, wie sie sich benimmt, wenn ich mich jetzt um sie kümmere?“ „Ja, lebhaft.“ Sie schwiegen einen Moment.
Laurentio betrachtete seine Schwester mitfühlend. „Ist es weil die Nordmärkerin gewonnen hat oder weil du es nicht hast?“ „Die Nordmärkerin ist eigentlich eine Almadanerin.“ „Na, das müsste dir dann doch gut gefallen“ Farfanya schnaubte verächtlich. „Wenn sie nicht Almada den Rücken gekehrt hätte, um woanders die Zucht zu verbessern, dann würde es das vielleicht auch.“ Laurentio blickte sie forschend an. „Also liegt es daran und nicht daran, dass sie besser war?“ „Das ist es ja gerade! Ich glaube gar nicht, dass sie besser war! Ihr Pferd war halt...“ „Besser?“, schlug Lauretio vor. Farfanya erdolchte ihn mit ihren Blicken. „Schneller.“ „Wundert dich das? Als Zuchtmeisterin des Herzöglichen Gestüts war doch zu erwarten, dass sie mit wirklich guten Tieren antritt, wenn sie schon den langen Weg hierher auf sich nimmt.
“
„Und wo sind unsere großen Gestüte? Warum lassen wir uns hier bei einem Rennen auf unserem Grund und Boden von Nordmärkern vorführen? Wieso halten die unser Rennen für wichtig genug, dass sie ihre herzögliche Zuchtmeisterin höchstpersönlich kommen lassen, aber wir… wir schicken einzig die Cordellesa ins Rennen? Würde doch nur Dajon noch leben!“
Ja, Cousin Dajon, der Erzzuchtmeister und Leiter des kaiserlichen Marstalls und der kaiserlichen Hofreitschule zu Punin gewesen war. Der in früheren Zeiten so wundervoll gewesene Dajon! Er hätte den Pferden des Marstalls der Artigas wohl wirklich etwas entgegenzusetzen gehabt. Aber er war nun schon so viele Jahre tot. Und seine große Zeit nur noch Erinnerung. Immerhin war mit dem alten Mateo Setti einer seiner besten Ausbilder nach dem Tode Dajons in die Dienste seines Vaters getreten und überwachte nun Zucht und Ausbildung für seine Schwester.
„Aber zumindest hat der Cordellesa doch überzeugend den zweiten Platz erreicht. Also könntest du dich doch immerhin über den zweiten Platz für einen Taladuri freuen!“ Laurentio brauchte kein Menschenkenner sein, um in ihrem Ausdruck lesen zu können, dass er dem wahren Grund für den Ärger seiner Schwester näher gekommen war. „Nimmst du ihm übel, dass er nicht gewonnen hat oder dass du nicht an seiner Stelle warst?“
Farfanya blickte ihn eine Weile schweigend an, bevor sie ihn zögerlich fragte: „Findest du ihre Pferde besser?“ „Was?“ Laurentio schüttelte den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Aber sie sind hierfür einfach besser geeignet. Honoria ist ein unglaubliches Pferd. Vater hat mit seiner Zucht wie so oft ein glückliches Händchen bewiesen. Und ihr beide habt sie hervorragend ausgebildet. Aber sie ist nun einmal kein Rennpferd. Ich wette, keiner der Nordmärker könnte es mit ihr im Kunstreiten aufnehmen. Und auch der Cordellesa Hengst gewiss nicht.“ Farfanya nickte zögerlich. „Wieso in aller Welt, Schwester, hast du denn nicht eins von deinen anderen Pferden genommen? Du hast doch geschrieben, dass sich Vengado zu einem ungewöhnlich schnellen Pferd entwickelt hat. Gut, als Streitross wahrscheinlich immer noch nicht so schnell wie ein ausgebildetes Rennpferd, aber doch schneller als Honoria. Wieso also,…“ Laurentio sah ein feuchtes Glitzern in ihren Augenwinkeln. Und dann verstand er. „Du wolltest mit ihm zusammen gewinnen, richtig? Vater sollte Anteil daran haben. Es sollte sein Pferd sein.“ Sie nickte und lächelte traurig. „Ist das denn so falsch?“ „Nein, Kleines.“ Er legte ihr einen Arm um die Schultern. “Das ist es ganz und gar nicht.” Und wieder einmal wurde ihm bewusst, wie sehr es ihm vor dem Tag graute, an dem Honoria ihren letzten Atemzug tun würde.
Farfanya lehnte ihren Kopf an seine Schulter. „Mutter wollte mir für das Rennen ein Pferd von den Cordellesa kaufen.“ Laurentio konnte es kaum glauben. Wie alles, das mit Pferden zu tun hatte, hatte ihre Mutter dieses Rennen doch kein bisschen interessiert. Und dann wollte sie ein Rennpferd kaufen? Was sie sich wohl davon versprochen hatte? „Wollte? Heißt das du hast abgelehnt? Das sieht dir aber nicht wirklich ähnlich!“ „Sie wollte mir ein ‚gutes‘ Pferd kaufen. Als wären meine Pferde irgendwelche Schindmähren. Als könnte ich nicht… als wäre Honoria…“ Sie brach ab und Laurentio sah, wie die Wut erneut in ihr emporstieg. Seine Mutter konnte glücklich sein, dass sie Teil der Familie war. Dafür hätte seine Schwester sie sonst zweifellos gefordert. Und er hätte es mit Freude für sie ausgetragen.
„Wie hätte ich das annehmen können?“ „Das konntest du nicht!“ Er verstand sie sehr gut. „Mach dir nichts daraus, Fanya, sie weiß nicht, wovon sie redet!” Er nahm sie bei den Schultern und sah ihr tief in die Augen. ”Du bildest hervorragende Streitrösser aus. Pferde, die Kämpfern im Krieg helfen. Ich würde mich glücklich schätzen, eines von deinen Pferden zu reiten. Und Vater hätte sie auch mit Stolz geritten. Aber davon versteht sie nichts. Ein Rennen kann sie noch gerade so verstehen. Wer als erster durch das Ziel kommt, muss am besten sein. Aber im echten Leben, was taugen da Rennpferde? Sie taugen nur dazu, schnell Abstand zwischen sich und den Krieg zu bringen. Wie hätte Vater gesagt? ‚Nordmärker eben‘“ Farfanya lächelte. Dann wurde ihre Miene wieder ernst. „Sie soll die nächsten Rennen nicht auch noch gewinnen! Die Nordmärker dürfen nicht alles gewinnen!“
„Willst du die Cordellesa fragen, was sie für ihre Pferde haben wollen?“ „Damit Mutter recht hat? Niemals! Entweder ich gewinne mit Honoria, oder gar nicht!“ Farfanya blickte ihm trotzig in die Augen. Also waren ihr Stolz und die Loyalität zu ihrem Vater wichtiger, als der Ruhm der almadanischen Pferdezucht und ihr eigener… arme Fanya, manchmal stand sie sich mit ihrem Wunsch, das Andenken ihres Vaters hochzuhalten, selbst im Wege.
Aber wenn sie nicht wollte, dann würde er sehen, ob er ihren Wunsch, einen Almadaner als Sieger zu sehen, nicht irgendwie greifbarer machen könnte. Vielleicht sollte er heute Abend einfach mal auf einen Wein bei den Cordellesa vorbeischauen und Dom Raulo zu seinem zweiten Platz gratulieren. Immerhin war Dom Raulo nicht für die Langstrecke gelistet. Und ihm dürfte es ja auch nicht gefallen, wenn die almadanische Nordmärkerin mit ihren Pferden hier konkurrenzlos siegen würde.
Aber zunächst einmal musste er seine kleine Schwester etwas aufmuntern. Und er hatte genau die richtige Idee, wie. Kaum etwas half so gut gegen Wut und Kummer, wie in einer Schlachtreihe von Trallopern Gegner niederzureiten - selbst wenn es nur Strohgarben waren. Und Ganador und Raposo mussten heute sowieso noch bewegt werden.
Er trat zu ihr. „So, lange genug Trübsal geblasen, jetzt kannst du mir und Vincente helfen.“ Er griff sie um die Hüfte und warf sie sich über die Schulter. „He, lass mich sofort wieder runter!“ Unter Farfanyas lautem Protest verließ er den Verschlag und ging durch den Stallgang zum Ausgang. Hier kam ihnen der Stallknecht entgegen, der bei dem Rennen mitgemacht hatte. „He, du, guter Ritt! Dein Herr ist bestimmt sehr beeindruckt. Sei so gut und kümmer dich um die Stute meiner Schwester.“ “Danke Herr”, nickte der so angesprochene, “sehr… sehr wohl, Herr.” „Bist du von Sinnen? Ausgerechnet ihn soll ich an Honoria lassen?“, fuhr Farfanya ihren Bruder an. Aber er ließ sich nicht beirren und verließ den Stall. Farfanya erging sich derweil in einer Reihe wüster Beschimpfungen. Zumindest vermutete Laurentio das, denn seine Schwester hatte eine Vorliebe für Flüche in der Sprache der Angroschim, seit sie als Kind drei Zwerge, die in den Diensten ihrer Familie standen, hatte streiten hören. Danach hatte es nur noch einiger aus dem Streitturm geschmuggelter Fässchen Ferdoker und etwas Überredungskunst bedurft und Farfanya hatte einen schier endlos scheinenden Vorrat an Flüchen gehabt, die ihre Mutter nicht verstand. Laurentio lachte. „Denk an die Worte unseres verehrten Soberans: Würde und Contenance, liebe Schwester!“ „Ich geb‘ dir Contenance!“ „Au!“ Ein plötzlicher Schmerz an seinem Gesäß machte Laurentio bewusst, dass es ein Fehler gewesen war, seiner Schwester nicht ihre Reitgerte abgenommen zu haben. Und so unterstrich sie jeden ihrer Flüche mit einem Hieb. „Kann bitte irgendjemand diese holde Maid entwaffnen? Machst du das etwa, damit ich morgen nicht richtig reiten kann und nochmal gegen dich verliere, Schwester? Aua! Herrje, seit wann kannst du denn so doll zu hauen?“
Autor: BBB
War Algerio eben in Gedanken noch beim Rennen und seiner eigenen, eher bescheidenen Leistung gewesen, riss ihn das Schauspiel, dass sich ihm nun, da er vom Marktplatz kommend in Richtung der Stallungen schwenkte, vollkommen unerwartet und ohne jegliche Vorwarnung bot, schlagartig aus der Trübsal. War das nicht Dom Laurentio, der aus den Stallungen kam, ihm entgegen? Und das dort, über seiner Schulter… war das wirklich Domnatella Farfanya, fluchend wie ein enthemmter Zwerg beim Versuch ein Pferderennen zu gewinnen?
Sein Pferd am Zügel führend konnte Dom Algerio nicht anders… er lachte, lauthals, aufs höchste amüsiert.
“Verzeiht, verzeiht!”, brachte unter Lachen hervor, als er den Blick der beiden sah, “ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich wusste nicht, dass wir eine vierte Disziplin planen!”
Autorin: Jott
“Wenn ihr noch einen weiteren störrischen Esel auftreiben könnt, Dom Algerio, dann können wir gerne ein Wettrennen daraus machen. Jetzt lass mich endlich runter!” Sie hieb nochmal zu. “Au!” Laurentio blickte zu Dom Algerio. “Wisst ihr, der Trick mit kleinen Schwestern ist es, sich nicht anmerken zu lassen, wenn es weh tut! Würde es Euch wohl etwas ausmachen, meiner Schwester die Gerte abzunehmen? Mein Gesäß wäre Euch sehr verbunden!”
Autor: BBB
“Ha, und riskieren ihren Zorn auf mich zu ziehen? Ich fürchte, Eurem Gesäß fehlen die Argumente, mich zu so einer Leichtsinnigkeit zu veranlassen”, entgegnete Dom Algerio noch immer grinsend.
Dann wandte er sich an die kopfüber hängende Domnatella Farfanya: “Wäre mein Knappe nicht schon längst zum Ritter geschlagen, hätte ich ja gesagt, ich könne mit einem Esel aufwarten, dessen Störrischkeit die des Euren in den Schatten stellt… aber so, fürchte ich, muss ich passen!”
Autorin: Jott
Farfanya grinste. “Weise Entscheidung, Dom Algerio! Meinen Zorn wollt ihr nicht.” Wie um ihre Worte zu beweisen, ließ sie ein weiteres Mal die Gerte niedergehen. “Füg dich in dein Schicksal und gib auf, Bruder, niemand wird dich retten.” “Gegen dich klein beigeben? Kommt nicht in Frage!”
Autor: BBB
“Darf man Wetten annehmen, wer von Euch sich letztlich durchsetzen wird?”, fragte Algerio noch immer grinsend.
Autorin: Jott
“So kenne ich Euch, Dom Algerio! Stets die Gelegenheit nutzend!”, lachte Farfanya. “Ihr dürft, wenn Ihr mich beteiligt.” Laurentio stimmte in ihr Lachen ein. “Wen seht ihr denn als Favoriten dieses Duells? Die kampfgestählte Kehrseite eines Schlachtreiters oder die zarte Hand meiner lieblichen Schwester?”