Chronik.Ereignis1043 Ein Almadaner im Kressenburger Neujahrsstechen 02
Kressenburg, 3. Praios 1043 BF
Auf Stadt Kressenburg (abends)
„Hier, bitte, Herr!“
Algerio nahm von seinem Pagen das Tuch entgegen und setzte sich ans Feuer, während er sich den Schweiß abtrocknete. Er spürte jeden Muskel. Wie jeden Tag hatte er mit Ta'iro, seinem treuen Gefährten, an seiner Fechtkunst gefeilt. Und heute war es ungleich schwerer gewesen als sonst gegen seinen Übungspartner zu bestehen, denn Algerio wollte den anderen Turnierteilnehmern, die teilweise heimlich, teilweise offen bei seinen Übungen zusahen, nicht sein ganzes Können offenbaren… Nicht bevor er morgen seinen ersten Kampf haben würde.
Und einhändig hatte er gegen den mit zwei Säbeln kämpfenden Zahori wahrlich kaum eine Chance.
Er rieb sich den schmerzenden Oberarm, wo ihn Ta'iro hart getroffen hatte. Kämpfe mit Zuschauern schienen seinen Freund immer besonders anzuspornen – besonders wenn viele Damen darunter waren… und das waren sie eigentlich immer.
Sein Reisebegleiter schien die neugierigen Blicke ebenfalls bemerkt zu haben, denn obwohl er sich sonst immer beschwerte, wie firunskalt die Abende hier im Norden doch seien - selbst im Sommer – schien ihm doch nicht zu kalt zu sein, sich das Hemd auszuziehen und sich den Schweiß der Übungseinheit abzuwaschen. Wohl gemerkt, vor seinem Wagen stehend, nicht im Wagen.
Algerio schüttelte belustigt seinen Kopf. Er war schon ein Pfau… aber ein erfolgreicher, wenn man sich seine Kinderschar ansah.
Wie um diesen Gedanken zu bestätigen, fing sein Freund an, mit seinen Kindern zu üben - allerdings nicht die hohe Kunst des Fechtens, sondern das Tanzen. Wobei Algerio immer wieder feststellte, dass sich beides, Tanz wie Kampf, bei seinem Freund sehr ähnelte. Aber er hatte es oft genug gesehen: Allen Zahoris schien die Musik und der Tanz im Blute zu liegen, daher war es wohl kein Wunder, dass man gerade einem Hazaqi seine langjährigen Tanzübungen beim Kämpfen anmerkte. Und auch Persönlichkeit und Kampfstil ähnelten sich oft, schoss es Algerio durch den Kopf. Spielerisch neckend, leicht, ausweichend und unbeschwert, wie Ta'iro. Oder direkt und aufbrausend, wie sein ehemaliger Knappe, Hartmann. Oder eher zurückhaltend und auf Sicherheit bedacht. Was anderen sein eigener Kampfstil wohl über ihn selbst verriet, überlegte Algerio. Was sagt er über mich aus? Ihm selbst hatte er dereinst geholfen, wieder zu sich selbst zu finden.
Versonnen blickte er ins Feuer, bis ihn Answin mit einer Schale Eintopf aus den Gedanken riss.
„Hier, bitte, Herr.“ Der Page reichte ihm die Schüssel und Algerio begann zu essen… schaute dann zu Answin, der neben ihm stehen geblieben war und mit gesenktem Kopf mit seinem Fuß im Sand scharrte. Er musste lächeln. Er wusste genau, was Answin wollte.
„Ich brauche dich heute Abend nicht mehr Answin. Du kannst gehen“, grinste er. Und mit einem „Danke, Herr“ stürmte der Junge breit grinsend davon.
Algerio widmete sich wieder seinem Essen und nachdem er damit fertig war, fing er an seinen Säbel zu putzen. Das war zwar eigentlich nicht nötig, schließlich hatte er dafür ja seinen Pagen, und der war auch recht gründlich mit seiner Arbeit, aber es war ihm eine liebgewordene Tradition aus der Zeit, bevor er Answin in Gareth aufgelesen hatte. Es ließ sich gut nachdenken dabei.
So saß er am Feuer, mit sich und der Welt im reinen, und malte sich mögliche Abläufe des morgigen Kampfes aus... bis ihn ein rhythmisches „Klacken“ wieder aufschauen ließ. Metall auf hartem Holz. Der – natürlich – noch immer obenrum unbekleidete Zahori hatte mit seinem ältesten Sohn das Dach seines Wagens erklettert und seine Lehrstunde dorthin verlegt.
„Jetzt auch noch wieder auf dem Dach… pffftt…so ein Angeber!“ Answin trat wieder an die Feuerstelle heran und bedachte Ta'iro mit einem leicht säuertöpfischen Blick.
„Na, du bist aber schnell zurück“, wunderte sich Algerio.
Der Page überging seine Feststellung und setzte sich. „Das macht der doch nur, damit sie ihn alle sehen können. Sehen und hören…“
„…und anschmachten. Vergiss das Anschmachten nicht, das ist der wichtigste Teil“, feixte Algerio mit einem breiten Lachen im Gesicht.
„Hoffentlich erkältet er sich!!!“
Algerio schaute Answin mitleidig an. Da hatte wohl jemand ein enttäuschendes Zusammentreffen gehabt. Er schaute sich um - vielleicht eine von den Knappinnen, die mehr oder minder auffällig zusahen? „Hoffentlich erkältet er sich so richtig und kann dann tagelang nicht aus dem Bett!“
Algerio grinste. „Das würde ihm wahrscheinlich sogar noch gefallen. Ich nehme an, es würden sich mehrere willige Pflegerinnen finden…“ Sein Blick wanderte zu den Knappinnen und Ritterinnen, die von den anderen Lagern herüberschauten. Ja, es war nicht leicht die Aufmerksamkeit des anderen Geschlechts zu bekommen, wenn Ta'iro in der Nähe war.
„Willst du wissen, warum er sagt, dass er das wirklich macht?“, fragte Algerio.
Answin schaute ihn argwöhnisch an. „Ihr habt ihn danach gefragt? – ist doch eindeutig warum…?“
Algerio schüttelte den Kopf. „Ich war auch immer davon ausgegangen, dass Ta'iro versucht damit nur aufzuschneiden. Aber dann, eines Tages, waren wir irgendwann auf einer Lichtung, mitten im Nirgendwo, und er stieg aufs Dach seines Wagens um zu tanzen… und außer mir war keiner da. Da habe ich ihn einfach gefragt, warum er das macht. Und seine Antwort war recht simpel. ‚Wenn ich falle, tut es richtig weh‘, hat er gesagt.“
Answin schaute fragend und Algerio fuhr fort: „Nun, er kennt seine Tänze im Schlaf. Aber das Dach zwingt ihn jeden Schritt mit Bedacht zu setzten, zumal der Untergrund durch die Wölbung auch schwieriger zu begehen ist. Er ist gezwungen, sich höchstgradig auf das zu konzentrieren, was er tut. Nicht darauf, wer dabei zusieht.“ Er machte eine kurze Pause, damit der Page über das gehörte nachdenken konnte. Dann fuhrt er fort: „Wenn du in etwas gut bist, wirklich gut, dann musst du irgendwann die Schwierigkeit erhöhen, Answin. Damit es eine Herausforderung bleibt. Nur so kannst du besser werden.“
„Ich glaube, er hält sich schon für den besten“, schnaubte der Page.
„Vielleicht. Und vielleicht hat er damit sogar Recht. Vielleicht auch nicht. Aber selbst, wenn er der Beste wäre, es spräche für ihn, sich weiter verbessern zu wollen, anstatt sich einfach auf dem Erreichten auszuruhen, findest du nicht?“
Dem musste Answin, wenn auch widerwillig, zustimmen.
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