Chronik.Ereignis1043 Die einsame Rose von Culming 07
Edlengut Selkethal, 30. Ingerimm 1043 BF
Auf der Hacienda del Valle im Edlengut Selkethal
Es war noch kühl so früh am Morgen. Die Praiosscheibe hatte es noch nicht geschafft über die Bergkuppen im Rahja zu steigen und das Tal zu erwärmen. Die Luft war frisch und klar.
Perfekte Bedingungen für einen frühen Start in den Tag, dachte sich Algerio da Selaque von Culming, der Edle von Selkethal, und trat hinaus, auf seine Veranda. Der Anblick, der sich ihm bot, konnte ihn noch immer in Staunen versetzen. Das Lehen – sein Lehen – lag zwar wirklich etwas abseits und war eher bescheiden, aber wenn er den Blick schweifen ließ musste er gestehen, dass es einer der schönsten Flecken Deres war, die er je zu Gesicht bekommen hatte. Unberührt. Irgendwie noch… naturbelassen. Frei. Ja, hier ließ es sich durchaus leben, schoss es ihm durch den Kopf. Er lächelte. Dann wandte sich Dom Algerio nach links, zur zur hölzernen Bank, die auf seiner Veranda stand und von der aus man einen so wunderbare Sicht hinab ins Tal hatte. Er setzte sich, legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und atmete tief ein.
Ja, die Götter hatten es bislang gut mit ihm gemeint.
Vor seinem inneren Auge malte sich Dom Algerio aus, wie es wohl sein würde, wenn hier in wenigen Tagen die Pferde entlang preschten um den besten Reiter und das schnellste Ross zu bestimmen. Er konnte fast hören, wie ihre schweren Hufe im unverkennbaren Rhythmus eines gestreckten Galopps auf den lehmigen Boden schlugen. Er stellte sich die Reiter vor, die ihren Tieren Kommandos ins Ohr brüllten, das Publikum, das frenetisch jubelte, seine Favoriten anfeuerte, sich vielleicht ärgerte, weil es sein Geld auf das falsche Tier gesetzt hatte. Ja, er konnte sich gut vorstellen, wie es werden würde. Und diese Vorstellung ließ ihn glücklich lächeln.
„Ihr seht aus, als wärt Ihr sehr zufrieden Herr“, hörte Dom Algerio seinen Pagen sagen. Er öffnete die Augen. Vor ihm stand Answin und grinste frech, wie es eben so seine Art war. In der einen Hand hielt er einen hölzernen Schild, in der anderen ihre Übungssäbel. Der Junge kannte die Tagesabläufe seines Herrn mittlerweile nur allzu gut. Er wusste, nach dem Aufstehen und vor dem Frühstück war es Zeit für Leibesertüchtigung, um Körper und Geist zu stählen. So hatte es ihn Algerio gelehrt.
„Das bin ich, Answin. Sehr sogar. Und warum auch nicht? Die Routen für das Langstrecken- und das Kurzstreckenrennen sind bereits abgesteckt, und auch für die Fuchsjagd ist alles vorbereitet. Die Anzeige ist aufgegeben, die Einladungen sind verschickt, erste Rückmeldungen klingen sehr positiv. Alles geht gut und überraschend reibungslos voran. Wenn jetzt noch die Preise rechtzeitig fertig werden, kann ich eigentlich die Füße hochlegen und warten“, scherzte er. „Wir sind gut vorbereitet.“ Dom Algerio lächelte. Dann erhob er sich und deutete auf das Übungsgerät: „Und wie ich sehe, trifft das auch auf dich zu.“
„Stets und jederzeit, Herr“, gab Answin an. Gemeinsam gingen sie lachend zum Übungsplatz.
„Tu mir einen Gefallen, Answin, räum das Zeug da beiseite und bring mir einen Schluck Wasser“, keuchte Algerio von Culming, als sie mit ihren Übungen fertig waren und er sich ins kniehohe Gras fallen ließ. Die Praiosscheibe hatte sich mittlerweile über die Berghänge gewagt und für einen deutlichen Wärmeanstieg gesorgt.
Das machte die Übungen gleich noch anstrengender.
Während der Page davoneilte, streckte Dom Algerio für einen Moment die Beine aus und lehnte sich zurück, das Gesicht zur Sonne gewandt. Er lauschte dem Wind, der durch die Bäume zog und ihr Blattwerk rascheln ließ.
Doch lange hielt er es nicht aus, einfach nur im Gras zu sitzen und nichts zu tun. Also raffte er sich auf und ging Answin entgegen.
„Bitte sehr“, sagte dieser, als er seinem Herrn einen Becher gut gefüllt mit Wasser aus dem Brunnen reichte. Algerio nahm ihn entgegen, leerte ihn in einem Zug. „Danke.“
„Soll ich das Frühstück auf der Veranda servieren, Herr?“
„Als würdest du meine Gedanken lesen“, grinste Algerio.
„Vielleicht tue ich das ja tatsächlich“, erwiderte der Junge schelmisch, doch bevor er den Witz fortführen und seine Gedankenlesefertigkeiten zum Besten geben konnte, hielten beide plötzlich inne. In der Ferne war das Geräusch von Pferdehufen zu hören, die sich mit hoher Geschwindigkeit näherten. Wie es aussieht, ist es jetzt mit der Ruhe vorbei, dachte Dom Algerio, dann wandte er sich wieder an seinen Pagen. „Geh unserem Gast ein Stück entgegen, Answin, und bringe ihn in meinem Arbeitszimmer. Ich komme dann hinzu, sobald ich mich ein wenig gewaschen habe.“
Answin nickte. „Sehr wohl, Herr.“ Dann eilte er davon.
Dom Algerio machte sich auf den Weg zurück zur Hacienda del Valle. In seinen Gemächern angekommen wusch er sich zunächst den Schweiß der morgendlichen Übungen ab, legte dann ein frisches Hemd und seine Lieblingshose an. Für einen Moment überlegte er, ob er auch den Säbel umgurten sollte, entschied sich dann aber dagegen und griff nur den Dolch, ehe er sich aufmachte zum Arbeitszimmer. Answin wartete bereits auf seinen Herrn. Neben ihm stand ein Bote, der sich tief verneigte, als Dom Algerio eintrat. Dieser musterte den jungen Mann flüchtig. „Guten Morgen und Aves zum Gruße… was kann ich für Euch tun?“
„Euer Wohlgeboren, entschuldigt die unangekündigte Störung am frühen Morgen.“ Auf ein Zeichen Dom Algerios hin richtete er sich wieder auf, fuhr währenddessen fort: „Ich habe eine Lieferung für Euch! Einen Brief und eine Zeitung.“ Answin nahm beides entgegen und legte es auf den Schreibtisch, während Dom Algerio diesen umrundete und in seinem Sessel Platz nahm. „Setzt Euch doch!“, bedeutete er dem Boten. „Kann ich Euch etwas anbieten?“
„Das ist sehr großzügig, Euer Wohlgeboren, aber ich muss leider sobald als möglich wieder aufbrechen, es warten noch weitere Lieferungen auf mich. Wenn Ihr nur kurz den Empfang quittieren würdet?“
Dom Algerio nahm das Quittungsschreiben entgegen und legte es vor sich auf den Tisch. Dann warf er einen Blick auf die Lieferung. Ein Brief, adressiert an ihn persönlich, gesiegelt mit rotem Wachs und darin eingeprägt ein goldener Streitturm, dem Wappen derer von Taladur. Bei der Zeitung handelte es sich um die neueste Ausgabe des Yaquirblicks. „Answin, kümmere dich darum, dass unser Gast hier noch etwas zu Essen und zu Trinken bekommt, ehe er wieder aufbricht. Und weise Miguel an, dass er auch sein Pferd gut versorgen soll.“
„Sehr wohl, Herr.“ Der Page verneigte sich kurz, warf noch einen Blick auf den Boten und verließ dann das Arbeitszimmer.
Derweil griff Dom Algerio zu einer Feder, tunkte sie in ein Fässchen schwarzer Tinte und unterzeichnete die Quittung. Mit etwas Löschbims beschleunigte er den Trocknungsvorgang, ehe er das Dokument zurückgab. „Ich danke Euch!“, fügte er hinzu, als der Bote das Schriftstück entgegen nahm. „Ach, und noch etwas…“ Der Cavallero öffnete eine kleine Schatulle auf seinem Schreibtisch, griff hinein und reichte dem Boten einen blank polierten Silbertaler. „Für Eure Mühen.“
„Das… das ist sehr großzügig, Euer Wohlgeboren“, erwiderte dieser und steckte das Geldstück ein.
„Nicht der Rede wert“, befand hingegen Dom Algerio und winkte ab. „Ich wünsche Euch eine gute weitere Reise und Aves Schutz auf all Euren Wegen.“
„Habt Dank!“ Der Boten verneigte sich abermals, dann verließ auch er den Raum.
Dom Algerio war wieder allein. Er nahm den Brief und löste das Siegel vorsichtig mit der Spitze seines Dolches, ehe er zu lesen begann. Der Brief lautete:
Mein lieber Freund,
ich hoffe meine Zeilen erreichen Euch in bester Stimmung und Gesundheit. Seid Ihr auch schon so voll der Vorfreude, wie ich es bin? Ich zähle bereits ungeduldig die Tage bis zu meinem Aufbruch in Richtung Selkethal! Dabei beginne ich doch gerade erst wieder mich in Taladur einzuleben und so etwas wie einen Alltag zu entwickeln.
Die meiste Zeit meines Tages entfällt hierbei wieder – sehr zum Unmut meiner Mutter - wie vor meinem Weggang, auf die Arbeit mit den Tieren. Es ist eine so große Freude mich ihren endlich wieder selbst widmen zu können!
Aber ich muss zugeben, Benito hat in meiner Abwesenheit seine Sache wirklich gut gemacht! So konnte ich mich bei meiner Rückkehr über drei neue Fohlen und einen Wurf Wehrheimer freuen. Und die Jährlinge haben auch gute Fortschritte gemacht! Ich gestehe, ich hatte bereits Sorge, ob meine Mutter während meiner Abwesenheit nicht doch versucht sein würde zumindest einen Teil unserer Yaquirtaler zu verkaufen. Aber ich nehme an, meine liebe Cousine hat in meinem Sinne auf sie eingewirkt.
Solltet Ihr in nächster Zeit wieder einen Handelszug nach Aranien schicken oder gar selbst begleiten, dann schaut doch bitte einmal, ob ihr mir nicht von dort zwei nicht verwandte Paare Aranische Löwen mitbringen könnt. Zwar ist der Bedarf für zur Löwenjagd geeignete Hunde hierzulange wahrscheinlich nicht so groß, aber ich will sehen, ob sie sich nicht ebenfalls zum Schutzhund erziehen lassen.
Doch lasst mich zum eigentlichen Grund meines Briefes kommen. Ich freue mich sehr Euch heute berichten zu können, dass die Vorbereitungen für das Rennen, die in meiner Hand lagen, nun abgeschlossen sind.
Die Silberschmiede haben die Trophäen gestern vollendet. Sie sind so schön geworden, dass ich beschlossen habe mindestens eines der Rennen für mich zu entscheiden!
Auch die Rosenblattkränze sind von hervorragender Handwerksqualität – nicht, dass das bei den Schmieden unserer Stadt unerwartet wäre. Und doch freut es mich. Ich habe einen bereits probegetragen. Er passte so gut, als wäre dies ein Zeichen Rahjas.
Da ich annehme, dass Ihr in der Einöde, in die Euch Aves geführt hat wohl nicht so ohne weiteres an einen Yaquirblick kommt, schicke ich Euch einen mit dem Boten mit, damit Ihr unsere Annonce selbst in Augenschein nehmen könnt. Und die Anzeige drei Seiten weiter hinten wird Euch wohl auch interessieren. Meine Mutter jedenfalls hat sie sehr interessiert. Und auf eine Idee gebracht, von der ich noch nicht so recht weiß, wie ich sie finden soll. Obwohl – wenn ich darüber nachdenke, dann hatte sie die Idee wahrscheinlich bereits vorher und fand nun den geeigneten Anlass. Aber davon berichte ich Euch lieber persönlich.
Ich freue mich schon sehr auf unser baldiges Wiedersehen! Mögen die Zwölfe bis dahin ihre Hände schützend über Euch halten,
Eure liebe Freundin Farfanya
-Brief Domna Farfanyas an Dom Algerio, 1043 BF
Dom Algerio musste schmunzeln. Er schätzte seine liebe Freundin sehr und der Brief war Zeugnis all dessen, was er an ihr bewunderte. Allerdings plagte ihn auch die Neugier, nun, da er den Brief zuende gelesen hatte.
Was für eine Anzeige meinte Domnatella Farfanya?
Mit der Linken legte er das Schriftstück beiseite, während er mit der Rechten nach der Ausgabe des Yaquirblick griff. Die Einladung zum ersten Selkethaler Pferderennen zu Ehren der schönen Göttin war schnell gefunden, immerhin hatten sie erneut eine ganze Seite bedrucken lassen.
Dom Algerio überflog die Anzeige – mittlerweile konnte er jedes Wort auswendig, so oft hatte er sie gegengelesen. Aber er war zufrieden und überzeugt, dass die Veranstaltung ein Erfolg werden würde.
Dann blätterte er weiter, drei Seiten. Kleinanzeigen. Flüchtig überflog er die ersten Absätze, ehe sein Blick an einem Namen hängen blieb.
'Die Familia von Culming, vertreten durch Domna Madalena von Culming, Junkerin von Blumenau, sucht nach einer geeigneten Partie für die Edle Domnatella Usanza von Culming...'
Und direkt darunter eine weitere Anzeige, verfasst von Usanza selbst als Replik auf den Aufruf ihrer Schwester. Ihrer beider Schwester.
Algerio musste grinsen. 'Ach, Sanza…', schoss es ihm durch den Kopf. 'Du kleine, liebe und doch so herrlich unschuldige Sanza… Das sieht dir so ähnlich… Wahrscheinlich bist du dir nicht einmal bewusst, welche Botschaft du mit deinen so aufrichtigen, herzlichen, freundlichen Worten sendest.'
Er las die Anzeige noch einmal, zweimal, dreimal. Dann saß er eine Weile einfach nur da, starrte auf die Anzeige und hing seinen Gedanken nach. 'Sollte es jetzt wirklich soweit sein, dass auch meine kleine, liebe Schwester einen Ehemann erhält? Dass du den Bund fürs Leben eingehst und Blumenau verlässt, Sanza?' Er versuchte sich seine kleine Schwester im Kleid einer Braut vorzustellen, glücklich am Altar stehend vor dem Traviapriester, Hand in Hand mit… ja mit wem eigentlich? So richtig konnte er sich nicht an den Gedanken gewöhnen. Ihm wollte niemand einfallen, dem er die Hand seiner Schwester anvertraut hätte. Niemand, der seiner Meinung nach ihrer würdig gewesen wäre. 'Doch so wie es aussieht, sehnst du dich sehr danach, hab ich Recht?', wandte er sich in Gedanken an seine längst erwachsene, doch für ihn immer noch kleine Schwester. Er seufzte.
Vielleicht würde Algerio sich selbst umhören müssen. Sich auf die Suche machen müssen, selbst einen geeigneten Kandidaten finden. 'Hilf dir selbst...' Dom Algerio stand auf, ließ nach seinem Pagen schicken, der auch kurz darauf in der Tür stand.
„Answin, bring mir die Liste der bisher angemeldeten Teilnehmer des Rennens. Wir werden ein paar Nachforschungen anstellen müssen… wer von ihnen noch ledig ist oder ledige nahe Verwandte hat.“
„Oh, das freut mich, Herr, Ihr gedenkt Euch zu vermählen?“
Algerio schaute überrascht, da ihm ersten Moment nicht bewusst war, wie missverständlich seine Anweisung gewesen war. Doch als er begriff, worauf sich sein Page bezog, musste er lachen. „Nein, Answin, es geht nicht um mich… Ich suche einen geeigneten Mann für meine Schwester!“ Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Um meine Familienplanungen kümmern wir uns ein andermal...“
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