Chronik.Ereignis1041 Die Erben des Almadin 01
Garnison der Schlachtreiter, 1041 BF
Autor: Jott
“Wie können sie uns dermaßen unverschämt ins Gesicht spucken und sich dann auch noch wagen ihre verachtenswürdigen Übereinkünfte als Triumph anzupreisen?” Wutentbrannt knallte Farfanya Merita von Taladur die Zeitung auf den Tisch in der Stube ihres Bruders Laurentio.
Der junge Fähnrich ging zum offenen Fenster seines Zimmers und schloss es, bevor sie ihre Worte mit allen hier stationierten Schlachtreitern teilen würde. Die brachten seiner hübschen Schwester ohnehin schon zu viel Aufmerksamkeit entgegen, wann immer sie bei ihm zu Besuch war.
“ ‘Zwölf göttergefällige Passus’ ? GÖTTERGEFÄLLIG? WELCHEN?” Die Wut in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Laurentio blickte seine Schwester eindringlich an. “Fanya, ich hab es auch gelesen und ich verstehe deinen Unmut, aber bitte sprich leise!”
"Unmut?" Sie nahm ein Pergament zur Hand und las vor: “ ‘5. passus Alleinige Anerkennung des Puniner Boronritus' - aber Anhänger des Al'Anfaner Ritus können ihren Glauben frei leben.’ Dem Götterfürsten ist es also gefällig, wenn er von jedem, dem es beliebt, frei heraus als Boron untertan betrachtet werden kann? Und Glauben frei leben? Wenn die Ketzer also einfach mal jemanden von einem unserer Streittürme schubsen, weil sie in ihrem Rauschkraut umnebelten Köpfen beschlossen haben, dass es ihrem Gott so gefällt, schließlich tut es das in der Pestbeule des Südens ja auch, dann ist das also göttergefällig? Da hat doch diese alte al’anfanische Hexe ihre Hände im Spiel gehabt! Warum treten wir nicht gleich dem Rabenpakt bei? Vernebeln wir uns doch alle die Sinne mit Rauschkraut, dann fällt es uns als Rechtgläubigen vielleicht auch leichter zuzuschauen, beifällig zu nicken und uns ob der Weisheit Ihrer kaiserlichen Majestät und ihrer Berater zu freuen, die diese wundervolle Freiheit für alle beschlossen haben! Die scheinen auch schon ordentlich davon gekostet zu haben!”
“Fanya! Still!” herrschte Laurentio erschrocken seine Schwester an, trat dann zur Türe seiner Stube und blickte vorsichtig auf den Flur hinaus. Erleichtert stellte er fest, dass niemand in Hörweite gewesen war. Niemand der die gefährlichen Worte seiner kleinen Schwester gehört haben konnte. Schnell schloss er wieder die Türe wieder und trat zu ihr.
“Nichts still! Alle sind immer still! Aber ich will nicht schweigend zugucken, wie unser Land immer mehr vor die Hunde geht, weil es denen so gefällt! Zusehen, wie unser Glaube ausgehöhlt wird, weil sie Konflikte fürchten und sich lieber gutfreund machen mit Heiden und Häretikern, statt sie zu bekämpfen! Sie per Gesetz zu einem geschützten Teil unserer Gesellschaft zu machen! Sogar den Novadiabschaum, der sich für almadanisch hält! Vater muss sich im Grabe umdrehen!!!” Ihre Faust umschloss den Almadinring, den sie von ihrem Vater geerbt hatte und den sie seither an einer Kette um den Hals trug.
“Es ist wirklich schade für die Anhänger des Dämonenmeisters, dass sie keinen Fürsprecher am Hof hatten, sonst hätten sie ja vielleicht auch ihren Glauben und ihre Ansichten zukünftig frei leben können. Offensichtlich hört man dort ja auf alle Einflüsterungen! Die Novadya hat es ja offensichtlich auch vollbracht den Beratern ihre angeblich abgelegten Ketzereien ins Ohr zu säuseln. Auf dass sie gemerkt haben, wie harmlos sie ja sind. Ich kann ihre Stimmen förmlich hören: ‘Sie hat Recht, was soll schon passieren… Unsere Ahnen haben ihre Werte und ihren Glauben verteidigt, aber das erfordert Aufopferung und Hingabe… lasst uns doch lieber Toleranz üben, soll zukünftig die Götter verehren, wer will. Und wie er will. Was kümmern uns die Götter, solange unsere Kaiserin mit uns zufrieden ist.’ Aber haben die klugen Auftraggeber dieses Triumphes sich mal gefragt, wer ihren Anspruch auf den Thron besiegelt? Wieviel denen, denen sie jetzt freien Glauben zugestehen, ein vor dem Götterfürsten gesalbter Herrscher wohl bedeuten mag? Und der durch die Götter - unsere Götter - erwählte Adel? Wieviel ihnen die Gesetze bedeuten mögen, die in den Werten unserer Kirchen Legitimation finden?”
“Fanya, die Kirchen waren daran beteiligt.”, entgegnete Laurentio, wohl wissend, dass dieser Einwurf seine Schwester keinesfalls besänftigen würde.
“Das macht es ja so schlimm! Aber willst du mir sagen, dass du nur einen Moment daran glaubst, dass das der Wille der Götter und nicht der ihrer fehlbaren Diener ist, die sich alle etwas davon versprechen? Ich jedenfalls glaube nicht, dass es der Wille der Götter ist! Und auch nicht der der Gläubigen! Der wahrlich Gläubigen, die nicht nur persönliche Vorteile und den einfachen Weg suchen. Die bereit sind, Opfer für ihre Überzeugungen zu bringen! Aber wenigstens scheint nicht jeder Almadaner inzwischen Duckmäuser oder Ketzer zu sein.” Farfanya blätterte im Yaquirblick und deutete dann auf einen Artikel.
Laurentio warf einen kurzen Blick auf die Zeitung. “Der Meeltheuer?”, seine Stimme klang kritisch. “Nun, er hat Recht! Es ist ein Angriff auf unsere Traditionen und unsere Ahnen! Und es tut gut zu sehen, dass wenigstens einer nicht still bleibt.” Farfanya lächelte. “Seine Worte gefallen mir! Ich will ihn kennenlernen! Ich glaube, ich werde ihm schreiben.” Laurentio runzelte die Stirn. Er hatte Geschichten vom Baron gehört, die ihm nicht zur Ehre gereichten. Doch wollte er seiner Schwester diesen kleinen Trost nicht nehmen. Und vielleicht waren es ja wirklich nur Geschichten.
Dennoch sah Laurentio seine Schwester mit Besorgnis an: “Wozu? Willst du dich mit dem Baron zusammentun, die Säbel ergreifen und in die Schlacht ziehen?”
Mit einem wütenden Schrei warf Farfanya die Zeitung nach ihrem Bruder. “Ich weiß, dass der einzige Wert, den Mutter mich hat erreichen lassen, meine Hand ist! Daran brauchst du mich nicht zu erinnern! Und dass auch dieser Wert fallen wird, wenn unser geliebter Soberan mal nicht mehr sein sollte, ist mir auch schmerzhaft bewusst!
Ich weiß, dass ich für einen wirklichen Kampf unbrauchbar bin! Das alles, was sich ein Mann von mir erwarten kann und wird, ein hübsches Äußeres ist und das, was zwischen meinen Schenkeln liegt. DAS WEISS ICH!”
Laurentio sah seine Schwester bestürzt an. “Das hab ich gar nicht sagen wollen!”
Farfanya zuckte mit den Schultern. “Aber dann muss ich halt das einsetzen… das und meinen Verstand. Dieses Land ist unser Erbe! Es ist das Erbe der almadanischen Familias! Altehrwürdiger Familias der unseren! Götterfürchtiger Familias! Und wir sollen nun zusehen, wie die Garether hieraus einen Schmelztiegel für Heiden und Herätiker machen? Nachdem sie uns bereits Teile unseres Landes aberkannt haben und uns eine angeblich konvertierte Heidin als Fürstin vorsetzten? Was muss denn noch geschehen? Reicht es nicht, dass sie Land, das einst den unsrigen gehörte, an jene verschenkten, die dort nun Sklaverei betreiben? Dass auf diesem einstmals den Zwölfen gefälligen Land Heidentum praktiziert wird und die Gläubigen geknechtet werden? Reicht es nicht, dass sie damals jede einzelne Tochter Almadas beleidigten, als sie befanden, dass die Hand einer gemeinen Heidin mehr Wert hat? Ist das damals niemandem außer Vater aufgefallen oder hat das inzwischen jeder vergessen?”
Laurentio hatte es nicht vergessen. Obwohl er damals erst fünf Jahre alt gewesen war, erinnerte er sich noch genau an den Tag, als es bekannt geworden war, dass der Großfürst Almadas eine nur zu diesem Zwecke konvertierende Heidin zur Frau nehmen sollte. Ihr Vater, der sonst stets recht besonnen gewesen war, hatte damals in Rage die Hälfte der Spiegel des Salons, in dem er die Nachricht erfahren hatte, zertrümmert. Er selbst hatte sich mit seiner weinenden Schwester im Arm unter einem Tisch versteckt und versucht sie zu beruhigen, bis sein Vater in seiner Wut ihr Weinen bemerkte, zu ihnen gekommen war und sie auf seinen Arm genommen hatte.
“Sie ist immerhin die Tochter des Kalifen, Fanya.”
Farfanya schnaubte verächtlich. “Und doch ist sie damit nur die Tochter eines Gemeinen! Eines reichen Gemeinen, eines mächtigen Gemeinen, aber eines Gemeinen! Denn wie könnte sie von Stand sein? Ohne den Götterfürsten gibt es keinen rechtmäßigen Adel! Und so eine zogen sie vor!”
“Das ist so lange her…”, versuchte ihr Bruder zu beschwichtigen, doch Farfanya schüttelte vehement den Kopf. “Es war eine Beleidigung die man nicht vergessen sollte! Und glaubst du denn ernsthaft, Bruder, dass es heute anders wäre? Und außerdem ist sie ist noch immer hier und arbeitet dem verfluchten Aramyaabschaum zu, damit alle übersehen, dass sie keinen Deut besser sind, als die Novadis. Eigentlich sind sie sogar schlimmer, denn bei den Novadihunden vergisst wenigstens keiner, dass sie nicht hierher gehören! Und keiner würde ihnen einen Tempel für ihre götterlästerliche Ketzerei errichten! Ich schwöre dir, bei meiner Liebe zu Vater, wenn je ein Gebetshaus für Aramyas in Taladur erbaut wird, dann reiße ich es mit meinen eigenen Händen nieder.” Laurentio versuchte seine Schwester zu beruhigen: “Fanya, niemand hat vor ein Gebetshaus in Taladur errichten!” “Aber dürften sie es nicht? Müssten wir nicht zusehen…" Laurentio schüttelte den Kopf. “Da hätte der Rat wohl auch noch etwas mitzureden!” “Die!”, Farfanya lachte verächtlich. “Die verkaufen doch ihre Seelen, wenn sie sich dafür versprechen besser da zu stehen, als die anderen Familias!”
Einen Moment schwieg Farfanya und betrachtete den Ring mit dem Almadin, den ihr Vater ihr vererbt hatte. “Es ist unsere Verantwortung, unser einst stolzes Land wieder zu dem zu machen, für das unsere Vorfahren gelebt und gekämpft haben… und zu so vielen gestorben sind! Sie haben uns eine Pflicht hinterlassen. Denn wir sind die Erben Almadas! Und es ist an uns, sich dieses Erbes würdig zu zeigen, auf dass eines Tages unsere Erben mit Stolz auf uns zurückblicken mögen! Sollen die Garether all die anderen folgsamen Schafe des Mittelreichs mit ihren frevlerischen Edikten schänden, wie sie wollen. Aber nicht immer wieder unser Almada! Nicht unser Erbe!”
“Und nun willst du Gleichgesinnte sammeln und dich offen gegen das Kaiserhaus und ihre Getreuen stellen?” Besorgnis lag in Laurentios Stimme.
“Gleichgesinnte sammeln? Ja, Bruder, denn ohne wird es nicht gehen. Aber sich offen gegen sie stellen? Nein. Wir werden ihre Verbündeten werden. Ihre Freunde und Vertrauten. Ihre Gemahlinnen. Die Mütter ihrer Kinder… wir werden ihre Gedanken lenken und Ansichten formen… und eines Tages…” Farfanya zuckte mit den Schultern und lächelte. “Der Widerstand beginnt nicht in der Klinge, er beginnt in den Gedanken!”
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