Chronik.Ereignis1036 Besuch im Vanyadâl 08

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Mark Ragathsquell, 1. Tsa 1036 BF

Auf den Ländereien des Klosters La Dimenzia

Autor: von Scheffelstein

Richeza von Scheffelstein y da Vanya hatte das Pferd zur Eile angetrieben, als sei ein Dämon des Namenlosen Gottes hinter ihr her. Erst, als sie den verwitterten Grenzstein nach Ragathsquell passiert hatten, ließ sie das Tier wieder in leichten Trab fallen. Nun ritten sie zwischen verschneiten Feldern hindurch, aus denen kahle Pfirsichbäume geisterhaft ihre Äste in den Himmel reckten. Am Horizont nahmen der schlanke Glocken- und der trutzige Galgenturm des Klosters La Dimenzia Gestalt an. Dunkel hob sich der kleinere der Türme vor den weißbeladenen Ästen des dahinterliegenden Waldstücks ab.

Sie waren nicht die Einzigen, die auf das Noionitenkloster zuhielten. Vor ihnen auf dem Weg waren Reiter unterwegs. Es könnten Belisetha und ihre Gardereiterinnen sein, mutmaßte Rifada. Richeza nickte stumm. Je näher sie dem Kloster kamen, desto langsamer wurde sie. Auch die Reiterinnen hatten angehalten. Eine von ihnen kam zurückgeritten - und wirklich: Sie trug Da-Vanya-Farben.

"Es geht nicht!", sagte Richeza plötzlich und ließ das Pferd stillstehen. "Ich muss umkehren! Sie haben mein Ross! Was soll ich mit diesem verfluchten Gaul hier? Leyenda ist nicht irgendein Tier, ich kann sie nicht diesem Hofjunker oder dem Caballero überlassen."

Sie wendete das Pferd, bis es seitlich neben dem ihrer Tante stand. "Geht mit Belisetha nach Quazzano. Ich werde morgen Abend dort sein. Lasst mich allein reiten", fügte sie schnell hinzu, "Euch will die Vogtin schaden, und wer weiß, wen sie jetzt auf Euch ansetzt, nun, da ihre Mirhamionetten sie sicherlich warnen werden. Mir kann sie nichts, und keine Sorge: Ich gebe schon auf mich Acht!"


Autor: SteveT

Rifada wendete ihr Pferd ebenfalls auf der Stelle, auch wenn sie dafür verständnislose Blicke von der in einiger Entfernung wartenden Belisetha und ihren Reiterinnen erntete. Sie ritt so schnell, dass sie schnurstracks wieder zu Richeza aufgeschlossen hatte und fasste dann deren Pferd am Zügel. "He! Hoooh!", rief sie, worauf beide Rösser langsamer wurden und stehenbleiben. "Bist du verrückt geworden?", blickte sie Richeza vorwurfsvoll an. "Was meinst du mit: 'Dir kann sie nichts?' Seit wir ihr vor ein paar Jahren Schaden zugefügt haben, wie sie auch uns, will dich Praiosmin tot sehen - fast ebenso sehr, wie sie Belisetha oder mich tot sehen will! Und das alles willst du riskieren, nur wegen einem Gaul? Ich weiß, ich weiß, wir sind Almadanerinnen, und ich würde meinen Badajoz" - sie tätschelte ihrem kräftigen Rappen den Hals - "gegen kein anderes Tier eintauschen wollen. Aber ich würde nicht nur wegen ihm meine Gefangennahme riskieren!"

Ihr Blick wanderte auf Richezas Bauch, wo zum Glück noch kein nennenswerter Zuwachs zu sehen war. "Natürlich könnten wir beide diesen zwei jungen Galgenvögeln unter normalen Umständen problemlos das Fell über die Ohren ziehen. Aber bedenke, dass du jetzt nicht mehr nur für dich alleine verantwortlich bist, sondern auch - so Rondra will - für das Leben deiner Tochter! Deshalb: Lass dein Pferd, wo es ist, es wird ihm ja sicher kein Haar gekrümmt, da dieser Hofjunker bestimmt auch seinen Wert erkennen kann. Wenn wir Belisetha sicher auf Quazzano abgeliefert haben, besorgen wir dir bei der Gräflichen Zucht in Ragath ein neues Pferd - vielleicht sogar eine Blutsverwandte deiner Leyenda. Für heute", sie deutete auf die Silhouette des boronischen Klosters, "sollten wir über Nacht in La Dimenzia Zuflucht suchen, denn das Wetter verschlechtert sich, und es wird früh dunkel dieser Tage!"


Autor: von Scheffelstein

"Ich will nicht irgendein blutsverwandtes Ross!", schimpfte Richeza trotzig. "Ich habe schon einmal ein Pferd verloren, das mir geschenkt wurde und dieses …" Sie riss Rifada die Zügel aus der Hand, wendete abermals ihr Pferd, zog sich die Kapuze ihres Mantels ins Gesicht und ließ das Tier rasch auf das Kloster zutraben, vorbei an der erstaunten Gardereiterin, vorbei an der ihr verständnislos hinterher schauenden Belisetha. Sie trieb dem Tier die Hacken in die Seiten, den Kopf gesenkt, damit niemand bemerkte, wie ihr die Tränen über die Wangen strömten, während sie auf das Boronkloster zuhielt und den schweigenden Wald, durch den sie vor wenigen Monden noch lachend und hoffnungsfroh gelaufen war, dessen Anblick schmerzhaft Erinnerungen mit sich brachte, die nunmehr für immer der Vergangenheit angehörten, die bald verblassen und nie wiederholt werden würden.


Derweil im Galgenturm des Klosters La Dimenzia

Autor: von Scheffelstein

"Was soll das heißen: Sie ist tot?", fragte Morena von Harmamund entrüstet, gerade so, als sei ihre Vorfahrin nur deshalb verstorben, um ihren Zielen im Wege zu stehen.

"Sie war eine alte Frau, Eure Wohlgeboren", sagte der Geweihte. "Über hundert Jahre, als sie starb."

Morena schnaufte verärgert. "Wie lange ist das her?"

"Sieben Jahre." "Und ihr Nachlass? Ihr habt doch sicher alles aufgehoben?"

Der Priester überhörte den drohenden Unterton. "Ihre Besitztümer wurden vor einigen Jahren von einer … Freundin abgeholt. Einiges ging auch an ihren Sohn."

"Einer Freundin?" Morena ballte die Faust. Bestimmt steckten die da Vanyas dahinter! Dann runzelte sie die Stirn. "Was für ein Sohn? Ihr Sohn ist seit über dreißig Jahren tot! Und meine Großmutter und ihre Schwester, die Fürstin, ebenfalls."

Der Geweihte schwieg. Seinen dunklen Augen war nicht anzusehen, was er dachte. Das bleiche Gesicht mit dem dunklen Schnauzer und der hohen, kahlen Stirn, war reglos wie eine Maske.

"Antwortet!", hieß ihn Morena. "Was für ein Sohn?"

"Sie hatte einen Sohn, Eure Wohlgeboren." Der Priester schützte die Kerze mit einer Hand. Durch das schmale, vergitterte Fenster unter der Decke wehte es kalt herein. Vereinzelte Schneeflocken fielen auf die Bettstatt, vor der ein dicker Teppich ausgebreitet war. Bis auf eine Truhe, einen Tisch und einen Stuhl war der Raum leer. Die dunklen Wände wirkten abweisend und kalt. Kaum vorstellbar, dass eine Hundertjährige hier gelebt hatte. Die Kammer war ein Gefängnis, nichts anderes! Ahumeda da Vanya hatte fast ihr ganzes Leben hier verbracht. 67 Jahre! Morena schauderte. Unwillkürlich verschränkte sie die Arme vor der Brust.

"Hatte sie meinen Urgroßvater betrogen? Bevor sie verrückt wurde? Der Junge wird wohl kaum innerhalb dieser Mauern geboren worden sein!"

Der Geweihte sah sie nur unbewegt an.

"Ich bin immerhin Ahumeda da Vanyas Urenkelin", erklärte Morena. "Ich habe ein Recht darauf, mehr über meine Ahnin zu erfahren. Also, sagt schon … Euer Gnaden: Wer ist der Junge? Wer war sein Vater? Und lebt er noch? Der … Bastard?"

Abt Marbodans Augen wanderten über das karge Bett, die ordentlich zusammengefaltete, staubige Decke, dann sah er Morena an. "Was dem Herrn Boron anvertraut wurde, darüber haben die Sterblichen zu schweigen, Eure Wohlgeboren." Er hielt ihr die schwere, eisenbeschlagene Tür auf. "Es beginnt zu dunkeln. Wir werden Euch und den Euren Zimmer im Westflügel richten lassen, wenn Ihr zu bleiben wünscht."

Morena von Harmamund widerstand dem Drang, ihren Dolch zu ziehen und all seine kleinen Geheimnisse aus dem Boroni herauszukitzeln. Noch war ihre ihr durch Ras'Ragh verliehene Macht nicht groß genug, als dass sie einen Priester der Zwölfe herausfordern dürfte. Zudem erreichte man mitunter mehr, wenn man seinen Zorn zügelte und besonnen vorging. Sie würde ihrem Bruder schreiben, dem nichtsnutzigen Boroni, der in Khahirios seinen Tempeldienst versah. Einstmals hatte das Königslehen ihren Vorfahren gehört, die als Barone über das Land geherrscht hatten. Doch nachdem die Fürstin den Heldentod gestorben und ihr Urgroßvater in Ungnade gefallen und hingerichtet worden war, war der Stern des Hauses Harmamund gesunken, man hatte die Familie enterbt und das Lehen in ein Königliches Eigengut verwandelt. Mit ihr aber, und unter der Herrschaft ihres Onkels, des Fürsten Almadas, würden die Harmamunds erneut zu Macht gelangen, schwor sich Morena.


Autor: SteveT

"Was ist nur los mit dem Kind?", fragte Belisetha da Vanya ihre Nichte Rifada, als deren Ross zu ihrem aufgeschlossen hatte. Ihre Frage galt Richeza, die einige Schritt vor ihnen her auf das Klostergut zuritt.

"Kannst du dir das nicht denken?", fragte Rifada und verdrehte dabei die Augen und kräuselte die Stirn. "Dein Gefühl hat dich nicht betrogen. Unter gewissen Umständen ändert sich die Gefühlswelt von uns Weibern eben grundlegend!"

"Soll das etwa heißen", ruckte Belisethas Kopf in ungläubigem Staunen zu ihr herum, "dass sie in guter Hoffnung ist? Sie erwartet ein Kind, einen Erben unseres Hauses?"

"Schhhht! Ja doch, das heißt es!", antwortete Rifada flüsternd und legte einen Finger auf den Mund. "Aber in g-u-t-e-r Hoffnung ist sie deswegen noch lange nicht, ebenso wenig wie ich es seinerzeit bei Moritatio oder bei Gujadanya war. Ich fürchte, das Kind wird ein Bastard, sie schweigt über den Namen des Vaters – und du wirst deswegen genauso wenig in sie dringen, wie ich ... Du wirst sie überhaupt nicht auf das Kind ansprechen! Aber früher oder später hättest du es ja ohnehin bemerkt!"

Belisetha wollte sichtlich erst zu einem Protest ansetzen – als Soberana der Familia in Abwesenheit ihres Bruders hatte ihr Rifada sicher nicht vorzuschreiben, was sie zu tun und zu lassen hatte – aber dann sah sie ein, dass sie in diesem Punkt vielleicht recht hatte. Nichtsdestotrotz breitete sich eine große Freude in ihr aus, sodass sie den Rest des Weges bis zu den Mauern des Klosters mit einem glücksseligen Lächeln ritt. Ihr Haus war möglicherweise doch nicht dem Aussterben geweiht, wie sie gestern noch schwarzgemalt hatte.

"Boron zum Gruße!", neigte Rifada vor dem am Tor der etwa zweieinhalb Schritt hohen Klostermauern auf sie wartenden Ordensmitglied das Haupt, ohne dazu aus dem Sattel zu steigen. "Ich bin Rifada da Vanya, eine persönliche Bekannte von Abt Marbodano, und dies hier sind meine Muhme Belisetha da Vanya, eine langjährige Gönnerin dieses Klosters, und meine Nichte Richeza von Scheffelstein y da Vanya. Wir sind auf dem Weg zu unserer Besitzung Quazzano, fünfzehn Meilen efferdwärts von hier. Da aber bereits die Nacht graut, möchten wir hier um Quartier bitten, um unseren Weg morgen früh nach Sonnenaufgang fortsetzen zu können. Meldet bitte Hochwürden Marbodano unsere Ankunft!"

Der Noionit nickte mit unbewegtem Antlitz, stieß nun jedoch auch den zweiten Flügel des eisenbeschlagenen Klostertores weit auf und machte eine einladende Handbewegung nach innen in den weitläufigen Hof und hieß sie zu passieren. "Willkommen auf La Dimenzia zu Ragathsquell!", sagte er leise.

"Haha! Das gefällt mir, wie er das sagt", raunte Rifada Richeza zu, während sie durch den bereits von vielen Pferdehufen und Radspuren zerpflügten Schneematsch des Hofes ritten. "Obwohl wir hier eigentlich auf dem Grund und Boden der verfluchten Harmamunds sind, betont er schön das Ragathsquell, die der ganzen Gemarkung ringsumher ihren Namen übergestülpt haben. Dein Großvater hätte gestrahlt, wenn er das gerade gehört hätte."

Vor dem reich verzierten Hauptgebäude des wohlhabenden Klosters wurden gerade prall gefüllte Säcke abgeladen, vermutlich enthielten sie Korn, doch Rifadas Aufmerksamkeit wurde schlagartig von einer schlanken, dunkelhaarigen Frau in teurer Gewandung im Landsknechtsstil in Anspruch genommen, die gerade mit verkniffener Miene und gefolgt von zwei bewaffneten Männern aus dem Portal des Refektoriums trat. "Ich will verdammt sein!", deutete Rifada mit ungläubigem Blick auf sie: "Morena von Harmamund!"

Auch die Besagte war mitten in der Bewegung wie angewurzelt stehengeblieben, als sie der drei da Vanyas ansichtig wurde. "Was zum ...?", stieß sie hervor. "Die da Vanyas! Der elende Mönch hat uns in eine Falle gelockt!" Sie zog sofort ihr Rapier, ihre Begleiter folgten ihrem Beispiel.

Auch Rifada zog ihr Schwert – diese Canaille hatte Guyadanya während der Blutfehde ernsthaft verwundet, hatte einen Heerhaufen Praiosmins angeführt, dem vielleicht auch Moritatios Tod geschuldet war. Sie glitt aus dem Sattel und schlug ihrem Pferd auf den Hintern, dass es einige Schritte zur Seite weg stob. Sie wollte sich später nicht des Vorwurfs erwehren müssen, ihrer Feindin in einem unehrenhaften Gefecht begegnet zu sein.


Autor: von Scheffelstein

"Rifada!", hob Belisetha da Vanya mahnend die Stimme, doch die Junkerin vom Vanyadâl ließ nur die Waffe um ihre Hand kreisen.

Richeza hob den Kopf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Die Harmamund hatte ihr gerade noch gefehlt! Sie trug die Fehde mit ebensolcher Verbissenheit aus wie ihre Tante, war dabei aber, hatte Richeza den Eindruck, weitaus hinterhältiger. Keineswegs durfte Rifada hier im Kloster als Erste die Waffe schwingen, andernfalls würde man es zu ihrem Schaden auslegen!

Sie sah sich nach den Geweihten um, aber die Klosterwache hatte das Tor hinter ihnen geschlossen, und auf dem Hof waren nur die Bauern zu sehen, die den Karren abluden und sich just gegenseitig auf das dräuende Unheil aufmerksam machten. Die da Vanyas waren der Harmamunderin und ihren Leuten fünf zu drei überlegen, wenn man Belisetha nicht mitrechnete, aber wer wusste, wie viele sich hier noch versteckten und wie lange das so bleiben würde?

Im Geiste hörte sie schon die wütenden Stimmen der Magnatenschaft: Die Nichte des Fürsten niedergemetzelt! Im Boronkloster! Von den Da-Vanya-Weibern! Schlimmstenfalls würde man sie selbst vors Hofgericht zerren. Doch auch, wenn man sie frei spräche: Wie durfte sie dann noch die leiseste Hoffnung hegen, ihr Liebster werde sie je wieder beachten? Er, dem die Ehre und der Ruf seiner Familia so offenkundig wichtiger war als seine viel beschworene Liebe? Wenn man jedoch Rifada da Vanya für alles die Schuld gäbe, wäre es nicht besser: Man würde sie richten, dafür würden die Harmamunds und Elentas schon sorgen! Das durfte nicht geschehen! Alleine würde sie nicht durchstehen, was sie erwartete, dachte Richeza verzweifelt.

So trieb sie ihr Pferd an, sich der mahnenden Worte ihres besonnenen Großvaters erinnernd, die sie stets verspottet hatte: Diplomatie, Richeza, ist die Kunst, den anderen das tun zu lassen, was man möchte und ihm dabei das Gefühl zu geben, es freiwillig und zum eigenen Nutzen zu tun!

"Auch Euch einen wunderschönen Abend, Domna Morena!", rief sie, während sie das Pferd über das vereiste Pflaster lenkte, zwischen die Kontrahentinnen. "Habt Ihr Euch auch in die Stille dieses heiligen Ortes zurückgezogen, um unserer gemeinsamer Ahnen zu …"

In diesem Moment aber glitt das Ross des Dubianers auf dem rutschigen Boden aus, fiel auf die Seite, und Richeza wurde zwei Schritt weit von seinem Rücken geschleudert und schlitterte auf dem Pflaster bis vor die Füße eines der Harmamunder Schergen.


Autor: SteveT

Der Harmamunder Scherge, Giordan Cronbiegler mit Namen und einem der vornehmsten Ragather Patriziergeschlechter entstammend, ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, packte die ihm zu Füßen geschleuderte Richeza bei den Haaren und setzte ihr seine Rapierklinge auf den Hals. "Die Waffe nieder!", befahl er in Richtung Rifada und nickte seiner Dienstherrin Morena verschwörerisch mit gebleckten Zähnen zu.

Rifada stieß einen Fluch aus, der auf diesem heiligen Areal gewiss noch nicht oft zu hören gewesen war und warf den Kopf in den Nacken. Sie blickte einen Moment lang flehentlich in den wolkenverhangenen, langsam dunkel werdenden Himmel. Was hatte sie den guten Göttern angetan, dass sie sie immer wieder so straften? Sie schüttelte den Kopf – dümmer und törichter als Richeza konnte man seinen bekannten Blutfeinden wohl kaum gegenüber treten. Sie schüttelte weiter den Kopf, leistete der anmaßenden Aufforderung des Harmamunder Lakaien aber keine Folge, sondern kam im Gegenteil sogar mit drohend senkrecht vor sich erhobener Schwertklinge zwei Schritt näher an ihre Antagonisten heran.

"Das geht nur uns beide etwas an, Domnatella Morena!" Sie gebrauchte extra die eigentlich gar nicht mehr für deren Alter angemessene Anrede, um ihr klarzumachen, dass sie sie nach wie vor nur als weisungsgebundenes Kind ihrer verschlagenen Mutter Aldea ansah - der eigentlichen Quelle aller Harmamunder Infamien. "Das ist eine Edle aus Kornhammer - sie hat mit unserer Querella nichts zu schaffen! Also kommt näher, wenn ihr Weib genug seid! Von Eurer Begegnung mit meiner Tochter in Schrotenstein ist wohl noch eine Rechnung offen geblieben, die ich gerne begleichen will!"


Autor: von Scheffelstein

"Nur eine Edle aus Kornhammer?", wiederholte Morena von Harmamund spöttisch und gab ihrem Schergen einen Wink, Richeza auf die Füße zu zerren. "Wie mir zu Ohren kam, trägt sie seit geraumer Zeit stolz ihren Mutternamen." Morenas Augen funkelten böse. "Aber wenn sie nur eine Edle aus Kornhammer ist, die nichts mit unserer Querella zu tun hat, so werdet Ihr gewiss nichts dagegen haben, wenn sie eine Weile zu Gast auf unserem Castillo ist. – Domna Richeza!", wandte sie sich an diese, die, die Klinge am Hals, stumm geradeaus starrte, "Ihr seid von Herzen eingeladen. Du da!", rief sie alsdann einem der Bauern zu, die sich vorsichtig nah ihrem Karren herumdrückten. "Lass' unsere Pferde holen, aber rapido!"


Autor: SteveT

"Arbeite weiter!", befahl nun Rifada in ihrer keinen Widerspruch duldenden Donnerstimme dem armen Bauern, der sich gerade auf den Weg machen wollte. "Sie brauchen ihre Pferde nicht!"

Sie kam bedrohlich noch einige Schritte näher an Morena und ihre beiden Schergen heran. "Ihr verkennt den Ernst der Lage, Rinderzüchterin! Sie geht nirgendwo hin und Ihr selbst noch viel weniger - es sei denn, Ihr werdet vom Hof getragen!"

"Rifada! Domna Morena!", rief nun Belisetha aus dem Hintergrund mit ihrer dünnen, aber doch klar verständlichen Stimme dazwischen. "Können wir diese unselige Fehde zwischen unseren beiden Häusern, die schon so viel Leid über uns alle gebracht hat, nicht wie moderne und kultivierte Menschen im Gespräch in ein Einvernehmen und eine beiderseitige Anerkennung der Besitzungen des anderen verwandeln? Muss denn noch mehr Blut vergossen werden, nur um eines alten Zerwürfnisses willen?"


Autor: von Scheffelstein

"Die Pferde! Oder du hast die längste Zeit Harmamunder Land bestellt!", herrschte Morena den Landmann an, der Hals über Kopf in den Stall flüchtete. "Und Ihr: Nur einen Schritt noch, Vanyadâlerin, und Ihr könnt dem alten Kornhammer Vogt erklären, warum sein liebstes Enkeltöchterlein in einer Querella starb, die sie doch ach so wenig betraf!"

Wie, um die Worte seiner Herrin zu unterstreichen, drückte der Soldat das Rapier fester gegen Richezas Kehle, die Haut riss, und ein Blutstropfen rann aus dem feinen Schnitt über ihren Hals und in den Kragen des Wamses.

Der Bauer kehrte mit einer Stallmagd und drei Pferden zurück, die sie auf einen Wink der Harmamund hin zum Tor führten. Morena und ihr zweiter Soldat saßen auf, während Giordan Cronbiegler ihnen langsam folgte, die Klinge an Richezas Hals und immer in sicherem Abstand zu Rifada, die er nicht aus den Augen ließ.

Belisetha folgte dem Geschehen mit weit aufgerissenen Augen und vor Anspannung zitternden Händen. "Ich beschwöre Euch, Domna Morena", rief sie, als der Bauer das Tor aufzog, "lasst meine … Domna Richeza hier, sie hat Euch nichts getan! Lasst sie hier, Domna Morena, oder es wird Tote geben, auf beiden Seiten! Seid doch vernünftig! Ihr kennt meine Nichte nicht, Ihr würdet keine drei Meilen weit kommen, sie würde Euch unerbittlich jagen, was für ein sinnloses Gemetzel das wäre, Domna, ich appelliere an Eure Klugheit: Lasst es sein, bei Boron, bei unseren gemeinsamen Ahnen, die sich im Grabe umdrehten, wenn sie uns heute sähen!"

Morena starrte die alte Junkerin aus kalten Augen an, wechselte dann einen Blick mit Cronbiegler, dem sie unmerklich zunickte. In dem Augenblick, in dem er nach dem Zügel seines Pferdes griff und für einen Moment die Klinge sich von Richezas Hals löste, schnellte die Vanyadâlerin vor, doch der Soldat, mehr als zwanzig Jahre jünger als Rifada da Vanya, sprang beiseite, Richezas Schulter noch immer umklammert, und der Hieb, der einem Langsameren den Schädel zertrümmert hätte, ging ins Leere.

Cronbiegler stieß Richeza der Vanyadâlerin entgegen, sprang in den Sattel, und noch während Richeza sich taumelnd am Arm ihrer Tante festzuhalten versuchte, waren die Reiter zum Tor hinaus.

"Gnade uns Boron!", rief Belisetha bebend aus. "Kind, bist du verletzt?"

Richeza legte die Hand an ihre Kehle, über die noch immer ihr Blut rann, und starrte, schreckensstarr und bleich auf die dunkle Toröffnung, durch die im Licht der Laterne Schnee herein wirbelte, während die Hufschläge auf dem Karrenweg rasch verklangen.