Chronik.Ereignis1035 Wiedersehen in Ragath 02
Reichstadt Ragath, während des Grafenturniers zu Ragath 1035 BF
Autor: dalias
Yppolita di Dalias y las Dardas trat in den Schankraum des von Amaros genannten kleinen Gasthauses. Fast hätte sie es nicht gefunden, da sie sich vor Aufregung den Namen nicht richtig gemerkt hatte. Der Weg von ihrer eigenen Herberge hierher war ihr wie eine halbe Ewigkeit vorgekommen. Die eine Hälfte dieser halben Ewigkeit hatte sie in einer schmalen Straße auf ihrem Ross sitzend, wartend hinter einem Karren verbracht, der nicht in eine zu enge Hofeinfahrt kam. Zweimal war sie kurz davor gewesen, zu wenden und einen anderen Weg zu nehmen. Und just in diesen Augenblicken, als sie dies erwog, sah es jedes Mal so aus, als hätte es der Fuhrmann nun endlich geschafft...
Die Caballera blickte sich im Schankraum um. Von Amaros von Lindholz war nichts zu sehen. Die Clientel war gut gemischt. An einem Tisch saß ein älteres Paar aus der ragatischen Nobleza, dem von eigenen Dienern aufgewartet wurde. Angeregt unterhielten sie sich über Rösser, Rüstungen und Ritter. An zwei anderen Tischen saßen ein paar tintenklecksende Amtleute der Stadt, der Vogtin oder des Grafen. Ein vierter Tisch schien ein paar Pfeife schmauchenden und Würfel spielenden Gecken vorbehalten zu sein.
Ein kleiner Tisch in einer Nische war noch frei. Yppolita nahm Platz und zog behutsam ihren pfauenfedergeschmückten Caldabreser vom Haupt. Ihre Handschuhe legte sie neben sich auf den Tisch. Verstohlen nestelte sie an den gepufften Ärmeln ihres samtenen, blauen Wamses und ordnete den Kragen ihres weißen Seidenhemdes. Das Dekolleté ihres Wamses und ihres Hemdes waren gut geschnitten und erlaubten gewisse Einblicke. Auf ihrer Brust ruhte jener weiße, von Silber umfasste Stein, den sie heute Morgen als Unterpfand von Amaros erhalten hatte.
Die Zeit verstrich.
Mit einem freundlichen Lächeln und mit nur schwer verständlichen bosquirischen Segensworten stellte ihr der Wirt einen Becher guten Weines auf den Tisch. Yppolita dankte ihm knapp mit einem Kopfnicken. Der drollig aussehende Wirt mit roten Backen und beachtlichem Schmerbauch machte sich daran, wieder zum Ausschank zurückzukehren, als ein „Ach, eine Frage, Maestro!“ der Caballera ihn zum Innehalten zwang.
„Ja, d’Domna wündschen?“, gurgelte der Wirt in seinem Dialect.
„Ist hier ein Dom Amaros von Lindholz zu Gast?“, murmelte die Caballera leise, um zu verhindern, dass die anderen Gäste ihr Anliegen in Erfahrung bringen könnten.
„Eind wer, d’Domna?“
„A m a r o s v o n L i n d h o l z!“, wiederholte Yppolita gleichermaßen leise, aber wesentlich deutlicher den Namen des Erwarteten.
„Ja, g‘wiss, d’Dom isd hier Gasd!“
Yppolita ließ den Wirt zu seiner Arbeit zurückkehren.
Autor: lindholz
Yppolita wartete schon eine ganze Weile, als ein junger Mann an ihren Tisch trat. "Entschuldigt, Herrin, seid Ihr Ihre Wohlgeboren, die Caballera Yppolita di Dalias?"
Der Mann, der sie angesprochen hatte, war hochgewachsen und schlank wie Amaros, doch waren seine Augen von tiefem Honiggelb. Schwarzes Haar umrahmte sein helles, bartloses Gesicht und fiel auf ein weinrotes Leinenhemd, welches weit über die Brust aufgeknöpft war um den Blick auf einen bronzen Anhänger freizugeben, der die Form einer üppigen Traube Weinbeeren besaß. Die Züge des Jünglings waren weich, seine Lippen allerdings kräftig und formten einen Mund, der wie fürs Lachen gemacht zu sein schien. Jetzt jedoch blieb er ernst, während er ihre Antwort erwartete.
Autor: dalias
„Ja, genau, die bin ich.“ Die Caballera straffte sich und blickte ihn aus müden, dunklen Augen an, „hat Er eine Nachricht von Dom Amaros für mich?“
Autor: lindholz
Der Schwarzhaarige beugte sich nach vorne, um ihr ein kleines, gefaltetes Papier zu übergeben. Dabei enthüllte das verrutschende Haar schwach ausgeprägte Spitzen an den Ohren des Mannes.
"Hoch geschätzte Domna Yppolita", konnte die Caballera lesen, als sie das Blatt auseinander gefaltet hatte, "es bekümmert mich sehr, doch werde ich nicht zu unserem vereinbarten Treffen in persona erscheinen können. Meine Blutsverwandte Domna Saria ist leider während des heutigen Turniertages schwer verletzt worden. So Peraine mit uns ist, werden keine bleibenden Schäden entstehen, doch wage ich es nicht, von ihrer Seite zu weichen. Ich vertraue auf Eurer Verständnis und verbleibe in tiefer Verehrung. Amaros von Lindholz."
Autor: dalias
Yppolita faltete die Nachricht wieder zusammen. Für einige Herzschläge starrte sie vor sich auf den fast leeren Weinbecher. Sie begann heftig zu schlucken. Feuchte Schleier legten sich über ihre Augen. Fest kniff sie ihre Augen zusammen. Sie konnte und wollte ganz gewiss vor Amaros‘ Lakai keine Schwäche zeigen. Sie räusperte sich.
„Er kann gehen!“, herrschte sie den jungen Mann im Befehlston an.
Sie legte einen Silbertaler auf den Tisch, legte Hut und Handschuhe an, erhob sich und schritt hinaus, ohne die anderen Gäste, deren Blicke und Gespräche ihr folgten, weiter zu beachten.
Autor: lindholz
Der Blick honiggelber Augen folgte der Caballera, als sie fluchtartig die kleine Herberge verließ.
"Wolld's nicht Platz nehm' und was trink'n?" fragte der rundliche Wirt freundlich, doch der schwarzhaarige Mann lehnte kurz angebunden ab. Er durchquerte den Gastraum, öffnete die gut geölte, aber alternde Holztür und trat auf eine der schmalen Straßen Ragaths. Hinter der gegenüberliegenden Häuserzeile ragte die Stadtmauer der Grafenstadt hoch auf. Ihr Schatten fiel auf die Dachziegeln der angrenzenden Gebäude, doch erreichte er nicht das unebene Straßenpflaster, das in das schwere, orange Licht der untergehenden Sonne getaucht wurde.
Der junge Mann wandte sich nach links. Eine Bürgerliche schenkte ihm ein anzügliches Lächeln, doch er gönnte den Glutaugen keinerlei Aufmerksamkeit. Stattdessen bog er gen Firun auf eine Straße, die ihm zum Haus des Fuchses führen würde, wenn er ihr weiterfolgte, was er aber nicht tat. Gedankenverloren wandte er sich erneut nach Osten. Die für ihre Begierden berüchtigte Domna Yppolita war wohl des Interesses am schnellen Vergnügen verlustig gegangen. Ja, die Nachricht, die er ihr überbracht hatte, schien sie ernstlich getroffen zu haben. Seine Hand wanderte zu dem bronzenen Zeichen der Rahja auf seiner Brust, doch der Anhänger konnte das Schuldgefühl nicht vertreiben, das sich in seinem Magen festgesetzt hatte. Hätte er das Stück Papier doch niemals überreicht!
So wenig Interesse, wie der Mann mit den Elbenaugen seiner Umgebung schenkte, kam es fast einem Wunder gleich, dass er den Weg zu seinem Ziel ohne weitere Zwischenfälle fand. Er bemerkte den Tempel der Schönen Göttin erst, als er vor dem Portal mit den geflügelten Rössern Sulva und Tharvun stand. Durch einen Nebeneingang, nahe den Stallungen, betrat er den Trakt des Göttinnenhauses, der den Akoluthen und Novizen vorbehalten war.
"Nun, das hat ja nicht sehr lange gedauert", kommentierte ein hübscher Mann mit nussbraunem Haar, als er sich von seinem weichen Bett erhob. Die Kammer war klein, aber liebevoll eingerichtet. Eine Erinnerung von Lavendel und Sandelholz mischte sich mit dem Duft nach frischem Stroh und der herben Note von Pferdegeruch. Amaros nickte schwermütig und ließ den Zauber fallen. Das Antlitz des Halbelfen löste sich in Nichts auf und ließ nur die Züge des jungen Adligen zurück. Der Lindholzer begann damit, die Kleidung abzulegen. Das war schon das zweite Mal, dass er die Gewänder eines anderen trug, während er die Daliaser Caballera traf. Er fragte sich, ob es so weiter gehen würde. Würde es überhaupt weitergehen? Er war so ein Narr!
Sanft schlossen sich von hinten die Arme des Dieners der Göttin um ihn und tatsächlich spendete ihm die Geste einen gewissen Trost. "Ihr seht unglücklich aus. Ist nicht das passiert, was Ihr wolltet?" fragte eine Stimme nahe an seinem Ohr.
"Doch. Nein! Ach, ich kann es nicht sagen." Verärgert über sich selbst, löste Amaros sich aus der Umarmung, nur um dann leise und geschlagen hinzuzusetzen: "Ich habe einen Fehler begangen."
"Manchmal muss man Fehler begehen, um den richtigen Weg zu finden. Gebt Euch ein wenig Zeit, Euer Wohlgeboren."
"Mögen die Götter geben, dass Er recht behält", seufzte Amaros und drehte sich zu dem Akoluthen um, "Er ist wahrlich in die Dienste der rechten Gottheit getreten. Vielleicht wäre gar die Weihe etwas für Ihn?"
"Oh nein!", lachend hob der braunhaarige Mann seine Hände, "Ich liebe all die schönen Gaben der Göttin, die uns Wohlgefallen und Freude sind. Doch begehrt mein Herz noch zu viel mehr, als dass ich es alleine der Göttin verschreiben könnte."
"Das verstehe ich wohl", pflichtete der adlige Illusionist bei, "doch etwas anderes erschließt sich mir noch nicht. Verstehe Er mich nicht falsch: Ich bin Ihm wirklich dankbar, dass er mir sein Ohr lieh und seine Kleidung, jedoch...", sein Blick glitt über den unbedeckten Leib seines Gegenübers, "...besitzt er denn kein zweites Gewand?"
Der Göttinnendiener grinste schelmisch: "Ich habe gedacht, dass Ihr vielleicht des Trostes bedarft, wenn Ihr zurückkehrt. Oder der Göttin Eure Verbundenheit auszudrücken gedenkt."
Tasächlich rang die Dreistigkeit des Mannes Amaros ein Lächeln ab und er lohnte es ihm mit einem Kuss auf die Wange, bevor er erwiderte: "Ich befürchte, mir ist nicht nach Dererlei. Ich werde der Göttin auf anderem Wege meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen müssen. Wie ich hörte hat der junge von Rosenteich seine Teilnahme am Turnier damit verbunden, einige Handelswagen bester Duftöle nach Ragath zu eskortieren. Ich werde der Kirche eine angemessene Spende zukommen lassen."
Der Akoluth neigte das Haupt in einer Geste des Dankes. Er beobachtete den Adligen eine Weile, während dieser in seine eigene, edle Gewandung schlüpfte. "Es ist doch immer bittersüß, wenn zwei Herzen sich Rahjas Schwester zuwenden", merkte er schließlich sinnierend an, als Amaros den letzten beinernen Knopf seines Hemdes schloss, "Aber solange Harmonie und Leidenschaft erhalten bleiben, ist jedem der Segen der Liebholden sicher."
Travia? Amaros schwirrte der Kopf bei dem Gedanken. Konnte es wirklich sein, dass es ihm so ernst war?
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