Chronik.Ereignis1035 Flucht aus der Heimat 03

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Vinsalt, Rahja 1035 BF

Alt-Bosparan

Autor: Lindholz

Der Estrich war nicht so dunkel, wie Lucio angenommen hatte. Zahlreiche Dachschindeln fehlten, sodass das nächtliche Sternenlicht ins Innere fallen konnte. Regenwasser schimmerte dort, wo sich die Feuchtigkeit in das Holz gegraben hatte. Zur Rechten und Linken konnte er die kümmerlichen Überreste von Nachtlagern erkennen, deren verfaulendes Stroh ihm sofort in die Nase stieg. Weiter hinten waren die Überreste von zerstörten Kisten, verrostete Eisenhaken und andere Dinge zu erahnen, deren genauer Zweck sich ihm entzog. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich eine Dachluke, durch die früher Waren vom Steg direkt in das Obergeschoss verbracht wurden. Der rechte Laden hing nur noch schräg in den Angeln. Vorsichtig schob sich der verängstigte Schmuggler in die Mitte, wo er den stabilen Stützbalken vermutete, den er von unten gesehen hatte. Das letzte, was er jetzt gebrauchen konnte war, in den unter ihm liegenden Raum durchzubrechen.

Dort war es inzwischen Stille eingekehrt. Kurz drang noch ein schmerzerfülltest Stöhnen hinauf, dem jedoch schnell ein Ende mit blankem Stahl bereitet wurde. Der Schmuggler verharrte, bemüht jedes Geräusch zu vermeiden, an seiner Position, als unten die Tür zum Lagerraum aufgestoßen wurde. Selbst zu atmen wagte er kaum. Lucio fühlte Feuchtigkeit, die sich an seinem rechten Oberschenkel ausbreitete. Sein Selbstwertgefühl nahm dankbar zur Kenntnis, dass er jedoch lediglich auf einer Pfütze zum Liegen gekommen war.

Mit zielgerichteten, resoluten Schritten, durchquerten zwei Leute den Lagerraum. Etwas leiser folgte eine dritte Person. Diese trug leichteres Schuhwerk und hätte Lucio nicht die Ohren aufs Äußerste gespitzt, wären ihm die kaum hörbaren Schritte mit Sicherheit entgangen. Einige Herzschläge war kein Laut zu vernehmen, dann hörte der Schmuggler in seinem Versteck das gedämpfte Klacken, als ein hölzerner Gegenstand abgelegt wurde. Rascheln war zu hören und ein ungutes Gefühl breitete sich in Lucios Magengegend aus. Dann verkündete eine unbekannte, raue, aber eindeutig weibliche Stimme: „Eines der Fläschchen fehlt.“ Das Gefühl flammte zu einem schrecklichen Verdacht auf. Mit zittrigen Händen tastete Lucio nach seiner Westentasche und hätte am liebsten seinen Schädel gegen die morschen Dielen gehämmert: Er hatte das Flakon eingesteckt als er an der Tür gelauscht hatte!

Lucio konnte vernehmen, wie die Aktivität unten deutlich zunahm. Kisten wurden unwirsch durchsucht, unter lautem Kratzen verschoben und bollernd umgestoßen. Offensichtlich wollten die Unbekannten das fehlende Kästchen auf jeden Fall wieder in ihren Besitz bringen und früher oder später würden sie den Speicher entdecken. Und dann saß er hier oben in der Falle! Er war verloren! Die Panik drohte ihn zu übermannen, als sein Blick erneut auf den schmalen Streifen des nächtlichen, wolkenverhangenen Firmaments fiel, der sich durch die Luke am Ende des Dachbodens abzeichnete.

Wie ein Licht der Hoffnung erschien ihm das finstere Grau und seine Gedanken klärten sich, richteten sich ganz auf ihr Ziel aus, als er begann, behutsam vorwärts zu robben. Zwar veranstalteten die Männer und Frauen ein ziemliches lautstarkes Durcheinander, aber immer wieder kehrte auch völlig überraschend Ruhe ein, wenn Sie den Inhalt eines Behälters genauer in Augenschein nahmen. So bemühte Lucio sich, sein Gewicht gleichmäßig auf das Jahrzehnte alte Holz zu verteilen, um nicht zu einem ungünstigen Zeitpunkt… ein lautes Knarzen zerschlug den dünnen Hoffnungsfaden, an den sich der Handelsmann geklammert hatte.

Lucio stieß einen üblen Gossenfluch aus, als er sich aufrappelte und – alle Heimlichkeit vergessend – auf die beiden in den Angeln hängenden Läden zustürmte.

Mit einem lauten Bersten gab das morsche Holz nach, als er sich dagegen warf und kurz darauf auf den Bohlen des Steges landete. Diese erwiesen sich bei diesem zweiten Sprung als weniger gnädig und verweigerten Lucio einen sicheren Halt. Mit einem brennenden Schmerz protestierte sein völlig überdehnter linker Fuß, während der Fliehende der Länge nach hinfiel und auf den nassen, verschlammten Weghölzern aufschlug. Gehetzt warf sich der Schmuggler einen weiteren Schritt nach vorne und griff nach dem Tau, das seinen Nachen mit dem Steg verband.

Seine zittrigen Hände mussten zweimal ansetzen und für Lucio fühlte es sich nach einer Ewigkeit an, bis er endlich das Seil von dem Stützpfahl löste. In Wahrheit mussten nur wenige Herzschläge vergangen sein, denn erst jetzt stürzten die ersten Mannen durch die Tür der ehemaligen Abdeckerei. Lucio machte sich nicht die Mühe nach hinten zu blicken. Er rappelte sich auf, sprang in den treibenden Kahn und griff nach der Stackstange. Mit einem geübt kräftigen Stoß rammte er den langen Stab in den nachgiebigen Boden und beförderte das flache Boot hinaus auf das dunkle Wasser, dass schon so viele Leben genommen hatte und seines heute retten konnte. Erst jetzt wagte es der Schmuggler, die Augen dem Steg zuzuwenden, wo seine Verfolger standen und ihm Tod und Dämonen an den Hals wünschten. Einer von ihnen spannte eine schwere Armbrust, doch als diese endlich einsatzbereit war, hatte sich Lucio längst hinter der ersten Insel aus grünbraunem Riet in Sicherheit gebracht. Dieses Mal war er entkommen!

Chronik:1035
Flucht aus der Heimat
Teil 03