Chronik.Ereignis1033 Feldzug Transbosquirien 02
In Zul'Djerim, 3. Rondra 1033 BF
Auf dem Castillo Blutfels
3. Rondra, im Morgengrauen
Autor: von Scheffelstein
Aureolus wischte sich den Schweiß von der Stirn und schloss für einen Moment die Augen. Er war müde, seine Knie schmerzten und seine Finger waren bereits wund. 'Diese verfluchte Hexe!', dachte er hasserfüllt.
Mordaza Maraneta hatte den Dämon beschworen und ihm Aureolus' Wünsche aufgetragen - Aureolus hatte genau darauf geachtet, dass sie dem Wesen nicht irgendwelche Schlupflöcher ließ, um ihn um die Briefe zu betrügen oder ihm oder seiner Mutter anderweitig Schaden zuzufügen.
Als der Dämon verschwunden war aber, hatte Mordaza Aureolus befohlen, sich nützlich zu machen, bis Shiaz-Yol-Zobatai zurückkehrte. Schließlich habe ihr Schüler lange genug seine Pflichten vernachlässigt. Wenn er wolle, dass der Dämon ihm nur die Briefe überbringe, ohne dass sie ihm weitere Befehle erteile, hatte sie unheilvoll verkündet, erwarte sie, dass das Laboratorium bis dahin aufgeräumt und der Boden geputzt sei.
Aureolus knirschte mit den Zähnen und setzte die mühselige Arbeit fort, schrubbte mit der Bürste über die Steinplatten, wieder und wieder, doch die Flecken wurden nicht weniger. Sein Blick wanderte über die Käfige, die nun im Fackellicht deutlich zu erkennen waren. Mordaza hatte ihn die Käfige ausmisten lassen, dabei hatten sie nicht ausgesehen, als würde das Schicksal der Kreaturen Mordaza im Mindesten bekümmern. Das Gefieder des Lämmergeiers war fast weiß von seinem eigenen Kot, in einer Wunde, die sich eine Ziege an den rostigen Stäben ihres Käfigs zugezogen hatte, wanden sich Maden, und der abgemagerte Gepard hatte Aureolus fast die Hand abgerissen, als er sich mit dem Besen seinem Käfig genähert hatte.
Am meisten aber störte den jungen Magier das heisere Krächzen der Ferkinafrau, die seit sicher einer halben Stunde wie wahnsinnig an ihrer Käfigtür rüttelte und ihre Götzen anrief.
"Schweig, du Hündin!", fuhr er sie in ihrer Sprache an, aber sie machte einfach weiter. Aureolus fühlte sich versucht, seinen Zorn auf Modaza an ihr auszulassen, aber er war zu müde, um seine Kraft auf sie zu verschwenden. Sollte sie an ihrem eigenen Geifer ersticken!
Wütend pfefferte Aureolus die Bürste an die Wand, stand auf und klopfte sich den Schmutz von den Kleidern. Das würde Mordaza ihm büßen! Vielleicht sollte er einfach in den Nachbarraum gehen und die unheiligen Kreaturen freilassen, die sie erschaffen hatte und die einen nicht ganz so vernachlässigten Eindruck machten wie ihre Ausgangsgeschöpfe. Vielleicht sollte er die Biester auch einfach töten. Oder Mordaza um weitere Tränke oder gar Artefakte erleichtern.
Doch er wagte es nicht. Sie hatte sein Blut. Und sie hatte nur zu deutlich gemacht, dass seine Schonzeit vorbei war, dass er nach dem Tod seines Vaters nicht länger ihr Mündel war, der Sohn ihres gefürchteten Lehrmeisters. Nein, vielmehr war ihm, als genieße sie es, an ihm Rache zu üben für die Überlegenheit seines Vaters, als setze sie ein Machtspiel fort, bei dem nun sie die besseren Karten auf der Hand hatte und bei dem er mitzuspielen hatte, ob er wollte oder nicht.
"Nennt er das arbeiten?"
Aureolus fuhr herum. Mordaza stieß sich von der Wand ab und trat aus dem Schatten auf ihn zu. Wie lange hatte sie dort gestanden? Hatte sie ihm etwa die ganze Zeit über zugesehen? Nein, das konnte nicht sein. Vermutlich war sie eben erst hereingekommen. Aber er hatte sie nicht gehört. Nicht einmal – gerochen. Obwohl, wie ihm jetzt auffiel, der penetrante Rosenduft, der sie einhüllte, fast ebenso ekelerregend war wie ihr eigener Verwesungsgestank.
"Wo bleibt Euer Dämon?", fragte Aureolus. "Die Nacht ist bald um."
Mordaza lachte, als habe er einen amüsanten Scherz gemacht, tänzelte heran und legte ihm lächelnd die Hand um den Nacken – eine beinahe zärtliche Berührung, die Aureolus feine Haare an seinem Hals sich dennoch aufrichten ließen. Plötzlich bohrten sich ihre Krallen in seine Haut, und sie fletschte die Zähne, die ebenso unnatürlich makellos waren wie der Rest ihres falschen Körpers.
"Sei froh", zischte sie, "dass er noch nicht hier ist, denn hier sieht es noch immer aus wie in einem Schweinestall."
'Ach!', dachte Aureolus. 'Ob das vielleicht daran liegt, dass so eine Sau wie Ihr sich hier mit ihren stinkenden Kreaturen paart? Nein – ich nehme es zurück: Die Kreaturen verbreiten einen Wohlgeruch, verglichen mit Euch. Und dass es hier aussieht wie Sau, liegt allein an Euch. An dir, Schlampe. Schlampe! Drecksau! Eines Tages ...' Er hasste sich dafür, dass er nicht wagte, seine Gedanken auszusprechen.
"Was wolltest du sagen?", fragte Mordaza lauernd, und der Blick ihrer rotglühenden Augen ging dem jungen Zauberer durch Mark und Bein. Ihre Finger streichelten seinen Hals, doch es war die Berührung eines Skorpions, das leichte Kitzeln auf der Haut, das bei der leisesten Bewegung in einen letzten tödlichen Stich überginge ...
"Ihr seid ... so ... schön ...", stieß er hervor und legte alle Ehrfurcht in seine Stimme, die er aufzubringen vermochte.
Mordazas Finger krallten sich tiefer in sein Fleisch, während sie ihn misstrauisch betrachtete, nach dem kleinsten Anzeichen einer Lüge forschend. Ihr Gesicht näherte sich dem seinen, doch Aureolus fürchtete nicht, dass sie ihn küssen könnte, er fürchtete, dass sich ihr makelloser Mund in einen zahnbewehrten Abgrund verwandeln und ihn verschlingen würde. Mit klopfendem Herzen hielt er still, zwang sich zu einem bewundernden Lächeln, sah durch sie hindurch und dachte an Romina, um seine Täuschung glaubwürdig erscheinen zu lassen. Wo sie jetzt wohl war? Ob sie schlief? Noch immer – von ihm träumte?
Ein Fauchen entrang sich Mordazas Kehle und riss Aureolus aus seinen Gedanken. Dann aber wandte sie ruckartig den Kopf nach rechts, und Aureolus folgte ihrem Blick zu dem aus Kreide und Tierblut auf den Boden gezeichneten Heptagramm. Schwefelgeruch mischte sich in den Gestank der Käfige, und die Luft über dem Heptagramm begann – einer plötzlichen Kälte zum Trotz – zu flimmern.
Kurz darauf erschien Shiaz-Yol-Zobatai, der Dämon, den Mordaza auf die Suche geschickt hatte. Das Fackellicht spiegelte sich in den schmutzig-gelb-grünen Schuppen, die seinen gedrungenen Leib bedeckten, den verwachsenen Rippenkäfig, aus dem vorne zwei beinahe menschenartige, klauenbesetzte Arme hervorgingen, hinten zwei viergeteilte dunkle Fledermausflügel, unten zwei übergroße Sprungbeine aus rohem Muskelfleisch und ein Rattenschwanz, dessen Ende scharfkantig war wie die Spitze einer Pike. Am Befremdlichsten aber war der Kopf, nicht Käfer, nicht Fisch, nicht Echse, nach hinten in einen langen Hornkamm auslaufend, mit flossenartigen Fortsätzen an den Seiten, grünen, tödlich spitzen, gedrehten Hörnern und schräg gestellten, roten Augen. Schwefeldampf stieg aus dem kurzen, nach unten gebogenen Rüssel. In seinen Klauen hielt das Wesen blutbeflecktes Papier.
Shiaz-Yol-Zobatai machte einen Satz vorwärts und prallte in der Luft gegen eine unsichtbare Barriere. Blaue Funken knisterten, und die Luft war erfüllt von einem metallisch-stechenden Geruch, als hätte ein Blitz in der Nähe eingeschlagen. Das Wesen gab einen Laut von sich, so schrill und hoch, dass er kaum hörbar war, nur ein reißender, kaum erträglicher Schmerz in den Ohren. Es schlug mit dem hornbewehrten Schwanz um sich, wieder stoben Funken, Blitze tanzten um das Heptagramm.
"Lass die Briefe fallen und verschwinde!", befahl Mordaza schneidend. "Dein Auftrag ist erfüllt."
Shiaz-Yol-Zobotai ließ das Papier achtlos zu Boden fallen und warf sich erneut gegen den unsichtbaren Käfig aus astralen Fäden, der ihn daran hinderte, den um das Heptagramm gezeichneten Kreis zu verlassen. Noch einmal zuckte Aureolus unter seinem underischen Schrei zusammen, dann war es fort, und nichts als der Schwefelgeruch erinnerte an die Anwesenheit des Wesens.
Mordaza wandte sich Aureolus mit höhnischen Grinsen zu. "Siehst du nun, wie närrisch du warst, dem Dämon befehlen zu wollen, dir die Briefe zu bringen?"
Aureolus runzelte die Stirn.
Mordazas Lippen kräuselten sich. "Hier vermag er nur innerhalb des Schutzkreises aufzutauchen. Draußen aber hätte er dir die Briefe gebracht und dich anschließend zerrissen, denn dich zu schonen gehörte nicht zu seinem Auftrag."
"Er hätte mich nicht zerrissen", erwiderte Aureolus ärgerlich.
"Nein?", fragte Mordaza, und neuerlich schnellte ihr Arm vor, tentakelartig, schlang sich um seinen Hals, drückte ihn mit übermenschlicher Kraft zu Boden, sein Gesicht fingernah über den Steinplatten. "Du bist ein Nichts, kleiner Ramin", sagte sie, "ein widerlich einfältiger Niemand." Sie kniete neben ihm nieder, während er noch immer unfähig war, sich zu rühren, ihr scheinbar knochenloser Arm ihn würgte. Sanft strich sie über sein Haar, sein Gesicht. "Mein armer, kleiner Ramin", flötete sie mitleidig. "Wie gut, dass er so eine liebevolle Herrin hat, die ihn – so weise! – ein wenig arbeiten lässt, wo er sicher ist vor seiner eigenen Dummheit."
"Ihr seid ... nicht ... meine ... Herrin!", stieß Aureolus atemlos hervor.
"Nein?", fragte Mordaza wieder, während ihr Arm ihm stärker die Luft abdrückte und ihre krallenscharfen Fingernägel ihm zärtlich über die Wimpern, die Nase, die Lippen strichen, kaum wahrnehmbar und doch eine schaurige Drohung. "Was bin ich denn? Seine Geliebte? Die er anbetet, verehrt? Weil er sie so ... schön ... findet", äffte sie ihn nach und kicherte. "Sag schon, kleiner Ramin", hauchte sie, während sie sich erstaunlich gelenkig zu ihm herunterbeugte, ohne ihn aus dem Würgegriff zu entlassen, "sag schon, mein süßer, kleiner Ramin", sagte sie, während ihre roten Augen kaum eine Handbreit vor den seinen schwebten und ihre Hörner seine Stirn berührten, "wer ist es, den du begehrst? Mich?"
'Ganz bestimmt nicht', dachte Aureolus, dem fast schon übel war vor Schmerz und Atemnot. Nichts hatte dieses Monster, was er begehrte, nicht einmal, wenn sie in Wahrheit so schön wäre, wie sie sich den Anschein gab, hätte sie im Mindesten mit der Comtessa, der lieblichen Romina ...
Eine plötzliche Ahnung kreischte in seinem Kopf, riss seine Gedanken fort von der Comtessa wie von einer noch heißen Feuerstelle. Sie war in seinen Gedanken, Mordaza, sie versuchte, in ihm zu lesen! Er durfte nicht, er durfte nicht, er durfte nicht, er durfte nicht an sie denken! Irgendwer anders, irgendwer anders, schnell, schnell, wer? Die Scheffelsteinerin! Schön genug, glaubwürdig! Er beschwor das Bild der Frau herauf, als er sie geheilt hatte, vor Tagen auf dem Plateau über dem Lager der Bâni Khadr, als er seine Hände auf ihre Brust gelegt hatte, um sie zu heilen, damit sie dem Shâr begehrenswert erschiene. Begehrenswert. Begehrenswert, ja! Er stellte sich vor, wie er sie küsste. Er hätte es tun können, hätte alles tun können, sie war ihm ausgeliefert gewesen - so wie er nun Mordaza, dachte er bitter - begehrenswert. Begehrenswert ... Luft! Luft! Schmerzen! Luft, bitte!
Mordaza ließ ihn los und stand auf, blickte mit zusammengekniffenen Augen auf ihn herab, während er am Boden lag und seine Lungen sich schmerzhaft nach der fauligen Luft verzehrten, nach Schwefel, Rosen, Schweiß und Blut, nach Kot, Urin und Staub, egal: Luft, Luft, Luft!
"Besser, er holt nun seine Briefe und tut, was ihm aufgetragen wurde!", zischte Mordaza und versetzte ihm einen Tritt.
Aureolus kroch auf das Heptagramm zu. - Was hatte sie gesehen? Was ahnte sie? - Auf allen Vieren blieb er vor dem Schutzkreis stehen, die Briefe waren nur eine Armlänge entfernt. Was, wenn es eine Falle war? Wenn sie ihm zürnte, ihn vernichten wollte? Was, wenn der Dämon zurückkehrte?
"Die Briefe scheinen ihm nicht wichtig zu sein? Hat er mich deshalb all diese Mühen auf mich nehmen lassen?", fragte Mordaza hinter ihm, und der junge Zauberer war sich nicht sicher, ob es Hohn war oder Wut, Spott oder eine Drohung, die aus ihren Worten sprach.
'Ich bin der Goldene, Sohn des Schwarzen', redete er sich ein, während er über den Kreidekreis langte, sorgsam darauf bedacht, ihn nicht zu verwischen und die Linien des Heptagramms nicht zu berühren. Er nahm die Briefe an sich.
Nichts geschah.
Aureolus schob sich die Briefe unter das Gewand und richtete sich auf.
"Ich werde Euch die Thesis besorgen", sagte er, da er es plötzlich eilig hatte, von hier fortzukommen.
"Das wird er", sagte Mordaza, an der nichts als die Hörner an ihrer Stirn daran erinnerten, dass sie eben wie etwas Anderes als eine wunderschöne Frau gewirkt hatte. "Er wird mir den Cantus seines Vaters bringen, seines Vaters Erbe, denn er weiß um die Macht des Blutes, die Verbundenheit zu seiner Lehrmeisterin." Sie lächelte, und hätte Aureolus sie nicht besser gekannt, sie wäre ihm wie eine freundliche Tante erschienen.
"Es wird aber nicht einfach werden", wandte Aureolus ein, der wieder etwas Mut fasste. "Es wird schneller gehen, wenn Ihr mir vielleicht ... noch einen ... Astraltrank ... geben könntet?"
"Sei nur unbesorgt, mein kleiner Ramin", sagte Mordaza freundlich, "ich habe es nicht eilig. Ich kann warten." Sie lächelte und zwinkerte ihm zu. "Wenn ich den Cantus erst habe, gehört mir alle Zeit der Welt. Und bis dahin warte ich geduldig und lasse meinem lieben Schüler alle Zeit, die er braucht, denn ich weiß, dass die treue Seele zu mir zurückkehrt."
Aureolus wusste nichts zu erwidern. Er nahm seinen Stab, der neben der Treppe lehnte. Einen Moment lang zog er in Erwägung, zu Fuß zu gehen, um seine Kräfte zu schonen. Doch der Weg durch die transbosquirischen Wälder war gefährlich, und er hatte es eilig, nach Hause zu kommen. Sehr eilig. Also verschränkte er die Arme vor der Brust und kehrte zurück nach Albacim, der weißen Brünne, über der soeben die Sonne aufging.
- Die Geschichte um Domnito Aureolus wird hier fortgesetzt: Schauplatz: Selaque, Teil 23.
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