Chronik.Ereignis1033 Feldzug Selaque 27
In Kaiserlich Selaque, 4. Rondra 1033 BF
Auf der Straße von Schrotenstein nach Selaque
4. Rondra, bei Sonnenaufgang
Autor: SteveT
"Domnas! Seht Euch das an!"
Der überrascht klingende Ausruf von einem der beiden Knappen des alten Caballeros von Wetterwacht ließ Gujadanya und Jelissa aufsehen, denen eine leichte Müdigkeit ob des nächtlichen Aufbruchs aus Schrotenstein in den Gliedern steckte. Die beiden Achmad'sunni folgten dem Fingerzeig des Domnitos, der etwas abseits der durch vertrocknete Felder führenden Straße auf einen Hain oder ein kleines Wäldchen deutete, an dessen Rand eine große Gruppe von Menschen lagerte. Auch einige Pferde stapften grasend um sie herum, und das erste Licht des im Osten hinter den gigantischen Gipfeln des Raschtulswalls aufgehenden Praiosrunds offenbarte, dass nicht wenige dieser Menschen Panzer und Waffen trugen - eigentlich sogar fast alle.
Gujadanya hielt Jelissa auffordernd ihre leere, ausgestreckte Hand entgegen und ohne dass sie ein Wort sagen musste, zog die alte Seneschallin der Keshal Rondra ein kostbares tulamidisches Fernrohr aus ihrer Satteltasche und legte es in die Hand ihrer einstigen Schwertknappin.
Gujadanya zog den wertvollen Ordensbesitz achtsam auseinander, kniff ihr linkes Auge zu und hielt sich das Fernrohr vor das rechte. Langsam ließ sie ihr nunmehr kreisrundes Blickfeld über die Gesichter der einzelnen Männer und Frauen wandern, die sich dort - vielleicht eine halbe Meile entfernt - gerade schwerfällig vom Feldboden erhoben, der ihnen als Nachtlager gedient hatte. Einige klopften sich Erde und Grasbüschel von der Gewandung, andere versetzten den offenbar noch Schlafenden leichte Tritte, damit diese ebenfalls auf die Beine kamen.
Es waren insgesamt sicher dreißig oder vierzig Männer und Frauen, und einige Visagen kamen Gujadanya durchaus vertraut vor. Es waren Selaquer, wie sie selbst, - allerdings keine Vanyadaler oder Elenter, sondern größtenteils Bewohner des Marktes und Vogtsitzes Selaque selbst - somit halbfreie Untertanen und Hörige von Praiosmin! Was hatten diese Städter hier an der Grenze zu Schrotenstein, fernab der Heimat zu suchen? Das grün-weiße Banner Selaques mit dem Marmorblock wehte provokativ neben ihnen, an einer Lanze, die neben dem Feldlager in den Boden gerammt war.
Irgendein junger, recht gutaussehender Bursche, der noch besser als alle anderen gepanzert war, klatschte gerade in die Hände und schien den Leuten Beine zu machen, auch wenn Gujadanya nur seinen sich öffnenden und schließenden Mund sah - zu hören oder gar zu verstehen war auf diese Entfernung natürlich nichts.
"Was ist das für ein Pack, das sich da breitmacht?", ritt die schöne Delicia von Sebeloh an ihre Seite und streckte auffordernd die Hand nach dem Fernrohr aus.
"Selaquer!", antwortete Gujadanya knapp. "Bewaffnet, als ob sie in den Krieg ziehen würden!" Sie schüttelte den Kopf und gab das Fernrohr an Jelissa zurück, die ebenfalls einen Blick hindurch warf und es dann wieder zusammenschob und in ihre Satteltasche steckte.
Hätte Gujadanya nur einen Augenblick länger durch das Fernrohr geschaut, so hätte sie Morena von Harmamund und deren Waffenknecht Berengar erkannt, die ebenfalls am Rande des Selaquer Aufgebots gelagert hatten. So aber entgingen diese beiden ihrem Blick.
"Ihr habt gehört, was ich heute Nacht zu Euch gesagt habe", wiederholte Domna Delicia nochmals ihre Worte: "Wenn wir auf Praiosmins Schergen treffen, so greifen wir an und schleichen uns nicht wie feige Weiber um sie herum!"
Gujadanya nickte bedächtig. Wären es Gemeine aus Elenta oder gar aus Vanyadâl gewesen, so wäre ihre Entscheidung vielleicht eine andere gewesen - aber für die Bewohner Selaques empfand sie keinerlei Sympathie oder Mitleid. "Das fette Goldfass hat diese Leute ausgeschickt, um Schrotenstein oder Wildenfest anzugreifen! Sie will uns nicht nur die Stammburg nehmen, sondern offenbar all unsere Burgen."
Sie knotete ihr langes schwarzes Haar zu einem festen Zopf und stülpte sich dann den Rossschweif-geschmückten Amazonenhelm aufs Haupt. "Wir sind nur einundzwanzig - sie sind doppelt so viele! Aber dafür weiß jede und jeder von uns, wie man kämpft, und sie sind nur Bauern, Ziegenhirten und Steinklopfer! Zeigen wir ihnen, dass sie hier nichts verloren haben und dass es für sie nichts zu gewinnen gibt, außer den Tod! Wer von ihnen heimwärts flieht, den lassen wir laufen - wer aber den Kampf sucht, der soll ihn auch bekommen! Vorwärts! Wir geben ihnen keinen Schritt Boden preis!"
"Wohl gesprochen, Frouwe Gujadanya!", pflichtete ihr Ritter Giromo bei und legte in großer Geste eine Hand auf die Brust. "Das erinnert mich an die Losung Escaladas der Eisernen weiland im 305er Jahr! Lasst nun unsre Schwertersingen - säuselnd wie des Todes Schwingen - unsrer Feinde vergebenes Ringen - ihr Untergang ward prophezeit!"
Gujadanya verdrehte die Augen und zog ihren Säbel. "Los! Wir greifen sie an, ehe sie richtig auf den Beinen sind! Hühaaaa!"
Sie trieb ihr Pferd mit einem Schenkeldruck vorwärts, und auch alle anderen Berittenen an ihrer Seite taten es ihr gleich. Die Wildenfester Fußsoldaten verfielen in Laufschritt. Einzig Ritter Giromo und seine beiden Knappen blieben noch zurück.
"Reich mir die Lanze, Padro!", befahl der alte Caballero von Wetterwacht feierlich. "Und dann gebt fein acht, ihr Buben! Ihr werdet nun Zeuge von einem meiner berühmten Sturmantritte, vor denen noch immer den Briganten und Schurken nah und fern die Knie schlottern!"
"Ähm, Ihr solltet Euch besser eilen, Herr!", deutete Alessio ganz sachlich den bereits fünfzig Schritt entfernten Amazonen hinterher. "Wenn Ihr mit Rondrinante jetzt nicht auf der Stelle losreitet, ist das Scharmützel vorüber, bis Ihr überhaupt dort unten angekommen seid!"
Autor: SteveT
Missmutig blickte sich Azzato von San Owilmar im provisorischen Feldlager des Selaquer Aufgebots um. Er war gerade erst vor Kurzem von seinem in jeder Hinsicht unbefriedigenden nächtlichen Ausflug nach Carano hierher zurückgekehrt. Jetzt würde er sich diese falsche Schlange von Harmamund einmal gehörig vorknüpfen und ihren Rattenschwanz, diesen Berengar, ebenfalls, der schon auf dem Marsch hierher mit allerlei besserwisserischen Kommandos seine Autorität vor den Landwehrsoldaten untergraben hatte. Solche Giftzungen konnte er bei seinem Aufgebot nicht gebrauchen!
Er trat zu Alrigo und zehn weiteren Bauern hin, die sich gerade gegenseitig halfen, ihre Kurbule und Kettenhemden wieder anzulegen, die sie alle gestern zum ersten Mal in ihrem Leben getragen hatten, was ihnen auch deutlich anzusehen war. "Auf! Auf, Leute! Wir ziehen zeitig weiter an den Schwarzen See und holen uns diese Aufrührerin da Vanya, wie es uns die Reichsvogtin befohlen hat! Zuvor jedoch will ich, dass ihr mir helft, uns zweier Personen zu entledigen, die unseren Auftrag heimlich sabotieren wollen, die in Wahrheit Feinde Selaques und unserer guten Frau Vogtin sind!"
Er zog sein Schwert und deutete damit auf Berengar und Morena von Harmamund, die am äußersten Rand des Aufgebots ihr Nachtlager gefunden hatten. "Domna Morena und der Landsknecht Berengar sind Verräter! Packt sie und bindet sie an die Bäume da drüben! Sie bleiben hier zurück, während wir weiterziehen! Für ihren Verrat sollen sie meinetwegen den Wilden in die Hände fallen, das ist ein Schicksal, wie es Verrätern gebührt!"
Die umstehenden Bauern glotzten ihn verdutzt an, aber da er so laut gesprochen hatte, dass es auch die weiter entfernt Stehenden mitbekommen hatten, griffen sich tatsächlich etwa ein halbes Dutzend Milizionäre ihre Waffen, die neben ihren Schlafplätzen am Boden gelegen hatten, und kamen drohend auf Morena und Berengar zu.
Der Ziegenhirte Tomaso, der Dom Azzatos Rede als Einziger verpasst hatte, da er gerade aus dem kleinen Wäldchen zurückkehrte, in dem er einem dringenden morgendlichen Bedürfnis nachgegangen war, ließ seinen Blick weit über die trockenen Felder der Umgebung schweifen und bemerkte so auch die neun Reiter und zwölf Fußsoldaten die sich im Galopp respektive im Laufschritt von Westen her auf sie zubewegten.
"Holla! Der Tag beginnt ja gut! Ist das Verstärkung, die dort anrückt?", rief er zu den anderen hinüber.
Der schöne Caballero von San Owilmar, der gerade mit gezückter Klinge an der Spitze von acht aufgebrachten Bauern auf die beiden Unruhestifter in seinem Aufgebot zumarschierte, sah überrascht zu ihm hinüber und dann in die Richtung, in die Tomasos ausgestreckter Arm wies.
Die beiden Reiterinnen, die vorneweg ritten, waren offenbar Amazonenweiber aus dem Raschtulswall - aber die Reiter und Fußsoldaten die ihnen mit geringem Abstand hintendrein folgten, trugen zum Großteil purpurne Waffenröcke - die Farbe der da Vanyas!
"Das ist keine Verstärkung, ihr Strohköpfe!", brüllte er. "In den Wald! Subito! Alle in den Wald!"
Die Bauern an seiner Seite verfielen wie er selbst in Laufschritt und brachten sich im dichten Unterholz zwischen den Bäumen in Sicherheit - andere aber schienen nicht recht zu begreifen, was vor sich ging. Sie schöpften sich in aller Ruhe eine Kelle Haferbrei aus dem großen gusseisernen Kessel, in dem über dem Lagerfeuer gerade das Frühmahl zubereitet wurde.
"Was schreit der da?", frug Alrigo seine Cumpanen, die die Aufregung des eitlen Gockels, der ihren Haufen anführte, bloß mit einer wegwerfenden Handbewegung kommentierten.
"Lass den mal rumschreien und Verräter fangen, wie er will! Jetzt wird erstmal gut gegessen! Is' lange her, dass ich sowas Gutes im Magen hatte!", antwortete die Steinbrecherin Girada schmatzend, die den Haferbrei als Erste gekostet hatte.
"Eben! Sind ja keine Wilden, die da angeritten kommen, sondern aufrechte Bosquirer wie wir!", nickte Alrigo und schob sich ebenfalls einen Löffel des heißen Breis in den Mund.
Gujadanya stemmte sich auf den letzten Schritten bis zum Feind in den Steigbügeln hoch, sodass sie fast im Sattel stand, und holte weit mit dem Amazonensäbel aus. Der Selaquer, den sie sich als ersten Gegner auserkoren hatte, trug einen Bronzeharnisch, der ihr verdächtig bekannt vorkam. Besaß nicht ihre Mutter fast haargenau dasselbe Exemplar?
Der Selaquer war mit einem Hakenspieß und mit einem Krummschwert bewaffnet und schien sich nicht recht entscheiden zu können, welche der Waffen er zu seiner Verteidigung einsetzen sollte. Schließlich entschied er sich für das Schwert - die falsche Wahl - und hob die Klinge zur Abwehr vor sein Gesicht.
Gujadanya ritt direkt auf ihn zu und stach ihm den Säbel im Vorbeireiten unter seiner Waffe hindurch ins Gesicht. Der Mann stürzte sofort mit gellendem Schrei zu Boden. Jelissa Al'Abastra war barmherziger und verpasste einem anderen nur einen Schlag mit der Breitseite des Säbels, sodass er hintenüber kippte und benommen zu Boden ging.
Jetzt kam auch Bewegung in alle anderen Gegner, die bis zuletzt in aller Seelenruhe um ein Lagerfeuer gehockt und gegessen hatten. Alle ließen ihr Essgeschirr fallen und rannten wild und unkoordiniert in alle Himmelsrichtungen davon. Der eine oder andere wehrte sich auch und stach fuchtelnd mit dem Halenspieß durch die Luft.
Gujadanya wendete ihr Pferd, um einen neuen Anlauf zu nehmen, da sie geradewegs durch das Lager der Selaquer hindurch geritten war, als sie in Richtung des kleinen Wäldchens einige Personen erblickte, die ihre Aufmerksamkeit fesselten. Der gutaussehende Anführer des feindlichen Aufgebots, den sie schon von Weitem durch das Fernrohr gesehen hatte, war seiner pomadigen Haarpracht und seiner geckenhaft bunten Gewandung nach offenbar der junge Caballero von San Owilmar, der ihrer Mutter vorwarf, seinen Vater einst bei jenem verhängnisvollen Feldzug der bosquirischen Nobleza in die Berge im Stich gelassen zu haben.
Und die Frau dort mit dem langen schwarzen Haar, erinnerte sie von hinten frappierend an Morena Solivai von Harmamund - die jüngste Tochter der durchtriebenen Aldea, die die geschworene Blutfeindin aller da Vanyas war.
Delicia von Sebeloh, die Vasallin ihres Onkels Lucrann, die augenscheinlich selbst voller Hass auf Praiosmin war, ritt eben auf die zum Wäldchen hin Flüchtenden zu und schien sich die Harmamund als Gegnerin auserkoren zu haben - wahrscheinlich ohne überhaupt zu wissen, wer sie war.
Autor: SteveT
Im schnellsten Galopp den sie ihrer bereits 15-jährigen Stute zumuten konnte, setzte die schöne Landedle Delicia von Sebeloh den Fliehenden nach, die sich allem Anschein nach feige in das nahegelegene Waldstück flüchten wollten, anstatt sich der angreifenden Schrotensteiner Wehr zum Kampf zu stellen. Selaquer Hasenfüße eben, wie sie sie kannte und verachtete - alle aus demselben Holz geschnitzt wie ihre feiste Herrin. Eine von deren Anführern, eine recht elegant gekleidete schwarzhaarige Frau mittleren Alters, floh zunächst ebenfalls vor ihr in Richtung des Waldes - wendete dann aber ihr Pferd und ritt Delicia zusammen mit ihrem Begleiter, einem bärtigen Mann mit Helm und Harnisch, mit gezogener Waffe entgegen.
Delicia ließ sich nicht zweimal zum Assaut bitten und hieb im Vorbeireiten mit dem Reitersäbel nach der Frau, die sich aber seitlich neben dem Hals ihres Pferd hängend unter dem Streich wegduckte, was ein beachtliches Reittalent verriet. Delicia musste sich nun ihrerseits eines harten Schwerthiebes von dem Begleiter der Frau erwehren, den sie nur mit Mühe abblocken konnte.
"Mach sie weg, Berengar! Ich kümmere mich um die anderen!", brüllte die Schwarzhaarige dem Bärtigen zu, während sie selbst auf Jelissa und Gujadanya zuritt.
"Die soll doch der Namenlose holen! Weisst du, wer das ist?", rief Gujadanya durch das Scheppern und Klirren des Kampflärms ihrer Mentorin zu. "Die jüngste Harmamund-Tochter! Überlasse sie mir!" Gujadanya gab ihrem Pferd die Sporen und ritt Morena mit erhobenem Säbel entgegen.
Die Seneschallin der Achmad'sunni hatte ohnehin nicht vorgehabt, ihr diese Gegnerin abspenstig zu machen, da sie besorgt sehen musste, wie der alte Giromo von Wetterwacht, der auf seinem alten Klepper endlich auf dem Schlachtfeld eingetroffen war, von dem jungen schneidigen Burschen mit einem Hakenspieß vom Pferd gestochen wurde, der offenbar der Commandant dieses Selaquer Haufens war. Glücklicherweise hatte der alte Ritter seine beiden jungen Knappen an seiner Seite, die sich sofort schützend vor ihren zu Boden gegangenen Herrn stellten und ihm mit ihren Kurzschwertern Luft zum Aufrappeln verschafften. Aber Dom Giromo stand nicht von alleine auf, und mit dem Reichweiten-Vorteil des Hakenspießes war es nur eine Frage der Zeit, bis der Selaquer den beiden jugendlichen Knappen den Garaus machen würde, wenn sie ihn nicht daran hinderte.
Gujadanya bekam davon nichts mit, sie hatte während ihres Rittes nur noch Augen für die verhasste Familienrivalin und knurrte ihr mit gefletschten Zähnen ein "Domna Morena! Hier bin ich!" entgegen. Dann knallten die Klingen der Amazone und der Marschallsnichte mit ohrenbetäubendem Klirren aufeinander.
Autor:' Ancuiras
'Holla, das junge Ding hat aber Kraft in den Armen!', dachte Morena, als ihr beinahe die Klinge aus der Hand geschlagen wurde. Die beiden passierten einander nach dem ersten Schlagabtausch und wendeten ihre Pferde. Morena wendete ihr Pferd fast auf der Stelle und ritt wieder der Achmad'sunni entgegen. Diesmal würde sie einen hohen Schwinger vortäuschen, aber dann den Säbel blitzschnell unter der Deckung der Gegnerin hindurch stoßen.
Berenger beobachtete kopfschüttelnd den Kampf der beiden Frauen, wandte sich dann endlich Delicia von Sebeloh zu, die sich soeben eines Selaquer Fußsoldaten entledigte. Er griff zur Satteltasche, wo seine leichte Armbrust verstaut war, und legte seelenruhig den ersten Bolzen ein.
Autor: SteveT
Genau wie Morena, wendete auch Gujadanya ihr Ross auf engstem Raum und ritt dann ihrer verhassten Antagonistin mit dem Schlachtruf "Keshal Rondra!" erneut entgegen.
Die Harmamund holte im Anreiten unter dem Schnauben ihres Pferdes hinter dem Rücken zu einem hohen Schwinger aus, aber Gujadanya nahm sich vor, sie als erste zu treffen, bevor ihre Klinge überhaupt heran war. Am besten ein Stich in den oberen Bereich des Waffenarms und das Miststück würde ihren Hieb gar nicht zu Ende bringen können.
Gujadanya machte sich so lang, wie sie nur vermochte, rutschte bis fast auf den Hals ihres Pferdes nach vorne und stach der Harmamund die Spitze ihres Reitersäbels in den von deren Harnisch nicht beschirmten Oberarm. Leider aber hatte dieses Biest ihrerseits nur einen hohen Schlag angetäuscht - in Wahrheit sauste ihre Klinge unter der der jungen Amazone hindurch und traf sie knapp unter den bronzenen Brustschalen in den Bauch. Gujadanya spürte sofort einen stechenden Schmerz und ein Brennen, blieb jedoch kerzengerade und aufrecht auf ihrem Pferd sitzen. Als sie es wendete, bemerkte sie, dass ihr dunkelrotes Blut bis über den Bauchnabel hinab lief und auf den Sattel ihres Pferdes tropfte. Sie biss auf die Zähne und blickte sich auf dem Kampfplatz um.
Die Harmamund, die in etwa fünfzig Schritt Entfernung ihr Pferd gezügelt hatte, hing ebenfalls etwas schief im Sattel - als sie ihr Reittier wendete, konnte Gujadanya sehen, dass auch ihr Gesicht schmerzverzerrt war. Sie hatte unterwegs ihren Säbel verloren und hielt mit der Linken ihren rechten Arm stützend umklammert. Ihr bärtiger Begleiter hatte in aller Seelenruhe seine Armbrust gespannt und gehoben und feuerte eben einen Bolzen auf die ihm entgegen reitende Delicia von Sebeloh ab. Entsetzt musste Gujadanya mitansehen, wie die schöne Briesacherin im schnellen Trab zusammenzuckte, sich krümmte und dann rittlings vom Pferd stürzte.
Der junge Stenz, der das Selaquer Aufgebot anführte, brachte eben einem von Dom Giromos Knappen einen ernste Wunde mit dem Hakenspieß bei - dann aber wurde er der auf ihn zuhaltenden Jelissa gewahr und nahm rennend in Richtung des kleinen Wäldchens Reißaus. Auch die meisten Bauern und Halbfreien, die Praiosmin in ihren Waffendienst gepresst hatte, flohen Hals über Kopf dorthin, verfolgt von den Wildenfester Waffenknechten ihrer Großtante.
Jelissa ließ den Stutzer rennen und wendete ihr Pferd stattdessen in Richtung der Harmamund und von deren Begleiter, die sich nun ebenfalls in Richtung der Bäume zurückzogen.
"Jelissa! Lass sie laufen! Wir haben selbst zu viele Verletzte!", brüllte Gujadanya zu ihr hinüber - aber das wusste die alte Seneschallin gewiss schon selbst, die nicht des Rates einer jungen Schwertschwester bedurfte.
Die junge da Vanya fluchte und presste ihre flache Hand auf das pochende rote Einstichloch in ihrem Bauch. Weit würde sie mit einer solchen Wunde nicht mehr kommen - aber jetzt war nicht die Zeit zum Wehklagen und sich Ausruhen.
"Giromo von Wetterwacht hat es übel erwischt, seinen Knappen ebenso!", rief Jelissa zu ihr hinüber, während sie selbst von den beiden genannten, die umsorgt vom zweiten Knappen auf dem Ackerboden lagen, zur gestürzten Delicia von Sebeloh hinüberritt.
Die alte Seneschallin glitt elegant aus dem Sattel und vergewisserte sich nochmals mit einem Seitenblick, dass die Selaquer nach wie vor alle flohen, die inzwischen größtenteils im dichten Grün des Wäldchens verschwunden waren. Dann kniete sie neben der getroffenen und gestürzten Landedlen nieder und drehte sie vorsichtig auf den Rücken. Selbst auf diese Entfernung konnte Gujadanya an den Gesichtszügen ihrer Mentorin erkennen, dass dieser nicht gefiel, was sie sah. Schließlich schüttelte Jelissa in ihre Richtung bedauernd den Kopf und schloss der Gefallenen behutsam die Augen.
Gujadanya verdrehte die Augen und stieß in Gedanken einen lautlosen Fluch aus. Dann blickte sie zum Himmel. Domna Delicia war eine tapfere Edelfrau und ihrer Großtante und ihrem Onkel stets eine loyale Vasallin gewesen, die Praiosmin von Elenta fast noch mehr gehasst hatte, als sie selbst. Und nun war sie tot - gefallen in einem sinnlosen, kleinen Scharmützel unter Lehnsnachbarn. Wenn Dom Giromo, der alte Galan ihrer Großtante, ihr noch in Borons dunkles Schlafgemach nachfolgte, dann hätte sie selbst vor Belisetha jeglichen Credit verspielt - dann würde sie in der Erbfolge sogar noch hinter ihren nichtsnutzigen Bruder oder hinter verdiente Gefolgsleute der Familia zurückfallen. Als jemand, die selbst die einfachsten Aufträge zu vermasseln verstand.
Sie biss weiterhin auf die Zähne, auch wenn ihr etwas schwindelig wurde - hoffentlich nicht bereits vom Blutverlust. "Wir ziehen weiter!", rief sie ihren zurückkehrenden Geleitreitern und auch den konsternierten Reitern aus Briesach zu. "Wir müssen morgen im Vanyadâl sein und unser Castillo befreien! Man harrt dort unserer Verstärkung, und wir werden uns des in uns gesetzten Vertrauens als würdig erweisen!"
"Wir ziehen nirgendwohin!", widersprach ihr die herangerittene Jelissa leise. "Sieh dich an, Tochter - du bist so bleich wie der Tod! Wir bringen dich, Dom Giromo und den Jungen schleunigst nach Schrotenstein zurück, und ich hoffe, dass es dort einen guten Heiler gibt! Die Soldaten aus Briesach sollen ihre Herrin heimbringen - Domna Delicias Bruder muss davon erfahren, selbst wenn er ein Raubritter und Galgenstrick ist.
Wenn diese Selaquer Armee hier ist, um Schrotenstein anzugreifen, dann werden wir ohnehin dort als Defensores benötigt werden, damit ihr nicht noch ein zweites Castillo verliert. Wenn diese Frau tatsächlich eine Harmamund war, so verheißt das nichts Gutes - die Reichsvogtin hat dann machtvolle Verbündete. Um das Vanyadâl wird sich deine Mutter selbst kümmern. Selbst wenn sie in Wildenfest keine Waffenknechte requirieren konnte, wie es Domna Belisetha hoffte, so kann Rifada auch ganz alleine jedem Gegner Schwierigkeiten bereiten. Auch die Bevölkerung von Vanyadâl oder Elenta wird im Zweifelsfall eher ihr folgen, als Domna Praiosmin. Also los, wir kehren um und legen die Toten und Verwundeten über die nun herrenlosen Pferde. Wir müssen auf alle Fälle vor den Selaquern wieder in Schrotenstein sein!"
Gujadanya schüttelte trotzig den Kopf, deutet in Richtung Osten und wollte gerade ihre Absicht äußern, dann nötigenfalls alleine heim ins Vanyadâl zu reiten, als ihr schwarz vor Augen wurde. Jelissa bekam sie gerade noch an der Schulter zu fassen und hielt sie im Sattel, wo sie vornüber auf den Hals ihres Pferdes sackte.
"Keine Widerrede mehr, Al'Cumrat!", zischte ihr Jelissa ins Ohr, was sie nur noch wie aus weiter Ferne hörte. "Das war nicht der Rat einer Schwertschwester und Freundin, das war mein Befehl als Seneschallin! Deine Wunde sieht furchtbar aus! Los, hebt die Verletzten und Gefallenen hoch!", rief sie dann lauter, an die Männer gewandt aus.
Gujadanya ließ sich nach vorne gegen den Hals des treuen Tieres sinken. Ein Teil von ihr wollte die Augen offen halten und weiter das Commando führen - aber ein anderer, weitaus stärkerer und mächtigerer Teil wollte nur noch ruhen.
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