Chronik.Ereignis1033 Feldzug Selaque 20
In der Baronie Selaque, 2. Rondra 1033 BF
Auf Burg Albacim
2. Rondra, kurz vor Mitternacht
Autoren: Romina Alba, von Scheffelstein
Wegen des Verhörs durch Onkel Gendahar und Zaida, die beide alles über Domna Praiosmin wissen wollten, kam Romina sehr spät ins Bett. Sie dachte, nicht einschlafen zu können, doch das gute Essen und die endlosen Fragen hatten sie rechtschaffen müde gemacht.
So schlief sie schnell ein und fand sich auf dem Rücken einen Pferdes wieder. Hinter ihr schrieen Ferkinas, vor ihr gallopierten Richeza und Golshan weg. Ihr eigenes Tier rührte sich nicht, egal was sie tat. Es stand, als wäre es aus Stein, und so fühlte es sich auch an. Die beiden Frauen verschwanden am Horizont, sie schauten sich nicht einmal um. Romina schrie vor Wut und Angst und stand plötzlich wieder auf den eigenen Beinen, das Pferd war weg. Sie fing sofort an zu rennen, die Ferkinakrieger hart auf den Fersen, Pfeile zischten über sie hinweg. Plötzlich war sie im Gebirge, unter ihren nackten Füssen rollten Steine. Fieberhaft sah sie sich nach Deckung oder einem Durchgang um.
Über ihr auf einem Felsen tauchte der Shâr auf, sein muskelbepackter Körper glänzte ölig, er schrie etwas in der kehligen Sprache der Ferkinas - er hatte sie entdeckt! Plötzlich aber ließ er seine Axt fallen, hielt beide Hände abwehrend vor sich und fiel auf die Knie. Romina wirbelte herum, als jemand nach ihrem Handgelenk griff: Ramin, der goldäugige junge Mann.
"Schnell, Domnatella", sagte er und deutete auf eine Felsspalte, "dort hinein!"
Sie schrei auf und versuchte, ihm ihre Hand zu entreißen. Ein Pfeil, der Ramin fast traf, brachte sie zu Räson und sie folgte ihm. Die Felsspalte führte in tiefe Dunkelheit, nicht einmal der Ausgang war zu sehen. Allerdings war auch von den Ferkinas nichts mehr zu hören. Langsam tasteten sich beide an dem nassen Fels entlang. Romina hielt sich an Ramin fest, sie zitterte.
"Ich muss zurück nach Ragath, ich muss das Banner heimbringen. Ich bin Schuld, ich muss wenigstens das Banner heimbringen."
Licht flackerte am Ende des Tunnels auf.
Helles Sonnenlicht flutete den Gang, und bald standen sie auf einem Plateau hoch über den Hügeln Ragatiens. Unter ihnen lag die Grafenstadt Ragath, der vertraute Burgberg, die wehrhaft über dem Yaquir aufragenden Mauern.
"Wollt Ihr dorthin zurückkehren?", fragte Ramin und deutete über den steilen Abhang und ausgedörrte Felder hinweg auf die grauen und roten Häuser und Türme. "Dort seid Ihr die dritte Tochter eines Fremden. Eine Frau, in der man ein Mädchen sieht, den Schmuck ihres Vaters. Nimmt man Euch ernst? Gibt es nur einen dort, der Euch sieht, so wie Ihr seid, wie Ihr zu sein wünscht?"
Der junge Mann suchte ihren Blick, seine Augen schimmerten golden, beinahe strahlender als die Sonne, die nun hinter Wolken am Himmel verschwand, während Ramins Augen den trüben Tag zu erhellen schienen.
"Welch seltsame Frage, welch seltsame Worte." Romina erwiderte den Blick warm und weich. "Wen meint Ihr mit fremd? Dort lebt meine Familie, meine Schwestern. Ich liebe sie, auch wenn sie nicht immer das in mir sehen, was wirklich ist." Sie lächelte versonnen. "Sie können es nicht sehen, sie sind so sehr mit sich selbst beschäftigt. Sie müssen es nicht sehen, ich wusste immer selbst, was ich bin, was ich wollte." Sie wurde traurig. "Jetzt ist es anders, doch daran bin nur ich selbst schuld, wir müssen immer die Folgen für unser Tun tragen."
Die Szenerie wechselte, und unter ihnen lag eine Burg, vielleicht Burg da Vanya, im Madalicht. Das Tor war heiß umkämpft, so richtig war nicht zu sehen, wer da kämpfte, doch man hörte unzählige Schreie. Romina schluchzte.
"Sie werden alle sterben, sie haben nicht auf mich gehört." Sie hielt sich an Ramin fest. "Der Geweihte hatte gesagt, ich dürfte sie nicht zwingen, nicht nötigen. Jetzt werden sie wohl alle sterben." Sie sah Ramin an.
"Du bist ...", sie keuchte, "du bist der Magier, Ramin ... Aureolus ..." Sie blinzelte, schluckte, das Kämpfen hörte auf. "Warum träume ich von dir?"
Um sie herum war es wieder schwarz, doch konnten beide sich sehen. Romina lächelte unsicher.
"Ich sollte nicht von dir träumen", flüsterte sie leise und streckte die Hand aus, um Ramins Wange zu berühren. "Du dienst nicht den Zwölfen!" Ihr Blick wurde sehnsuchtvoll, aber auch unendlich traurig. "Wir können nicht zusammensein!"
Goldene Funken tanzten um Ramins Iris. Er neigte seine Wange kaum merklich gegen ihre Hand, hob zwei Finger seiner Linken und strich eine Träne aus ihrem Gesicht, seine Berührung nicht mehr als ein leichtes Kitzeln auf ihrer Haut, dann ließ er die Hand wieder sinken. "Ich diene nicht", sagte er, "Euch aber würde ich dienen, wenn Ihr dies wünscht."
Ein leichter Wind kam auf, und eine Strähne seines langen, goldenen Haares umspielte das ihre. Romina betrachtet staunend das Lichterspiel und kam ihm näher, ihre Hand schmiegte sich an seine Wange.
"Mein Ehemann muss mir nicht dienen, doch ich würde mir wünschen, dass er meine Liebe wert sei", hauchte sie an seinem Ohr. "Ich will ihm vertrauen können und nicht erschaudern, wenn ich ihn ansehe. Wäre er grausam, gedanken- oder gottlos, würde er mich auf ewig verlieren. Auch wenn ich noch an ihn gebunden wäre, wäre ich nicht bei ihm. Nicht mit meinem Herzen, meinem Verlangen und meiner Hingabe, so wie ich es mir erträume ..." Ihre Stimme wurde immer leiser, sie erwachte.
Romina setzte sich abrupt auf und keuchte laut. Sie griff sich ans Herz und sah sich um. Golshan lag neben ihr und erwachte träge, sie verständnislos anschauend. Sie rieb sich das Gesicht und legte sich wieder hin. Der Traum war so real gewesen. Ramin ... Aureolus ... was wollte sie von ihm? Sie hatte von Ehe gesprochen! War sie jetzt soweit, dass sie jeden heiraten würde, der sie so ansah. Nein, so hatte sie noch niemand angesehen. Es war etwas Besonderes an diesem jungen Mann. Er sagte, er würde ihr dienen. Sie runzelte die Stirn.
Nein, sie hatte geträumt, er würde das sagen. Sie musste hier weg, musste ihn aus ihren Gedanken bekommen! Er war schön, zweifellos, und von schönen Männer hielt man sich besser fern. Sie blendeten und verführten junge Frauen. Und dieser konnte sie zweifellos zu mehr verführen, als nur zu einem schönen Rahjastündchen.
Sie glitt aus dem Bett und schlich zum Sekretär. Dort machte sie Licht, holte Pergament und Tinte heraus und begann zu schreiben. Sie wollte nicht noch einmal einschlafen und weiterträumen. Träume waren so eine Sache. Einst träumte sie, Kaiserin zu werden, und ihr Hochmut kam vor dem Fall. So machte sie sich daran, diesen Traum aufzuschreiben, wie sie es schon mit Unzähligen vorher getan hatte.
Autor: von Scheffelstein
Sie war weg! Mondlicht fiel durch das Erkerfenster auf sein Bett, und die Bilder ihres Traumes verblassten. Sie war ihm so nah gewesen, so nah! Wie konnte sie erwachen in einem solchen Augenblick?
Nur einen Moment länger noch, einen Moment nur! Noch immer spürte er ihren Atem auf seiner Haut, die sanfte Berührung ihrer Hand an seinem Gesicht. Sie hatte von Verlangen gesprochen, von Hingabe! Er wollte sie! Sein Körper brannte, verzehrte sich nach ihr!
Aureolus fuhr sich mit der Hand in die Hose, umfasste sein Geschlecht, um das alles beherrschende Verlangen zu lindern. Doch der Traum - ihr Traum - war so real gewesen, dass ihm noch immer war, als stünde sie neben ihm, sähe ihm zu. Nein, er wollte es so nicht! Sie wollte ihm vertrauen können, hatte sie gesagt, nicht erschaudern. Was, wenn sie sich vor Ekel abwandte?
Stöhnend vergrub Aureolus das Gesicht in den Kissen, krallte seine Hände in den weichen Stoff, schlug mit der Faust neben sich auf die Decke. Romina!, dachte er verzweifelt. Wie sollte sie nur jemals sein werden? Der Name seines Vaters und der ihres Vaters standen zwischen ihnen. Sie war die Tochter eines Grafen, entstammte zwei einflussreichen Familien. Er war der Bastard eines Verfehmten, eines Ketzers, eines Abtrünnigen, eines Mannes, dessen Namen man in Almada mit Furcht und Abscheu gleichermaßen aussprach.
Wir können nicht zusammensein!, hatte sie gesagt. "Doch, doch, doch!", brüllte er erstickt in sein Kissen. Seine Mutter hatte gesagt, das Schlimmste, was ihnen passieren konnte, sei, dass diese verdammte Junkerin seiner Mutter Briefe hatte. Das Schlimmste? Es war völlig egal, wer diese Briefe hatte! Er würde nie öffentlich Sohn seiner Mutter und noch weniger der seines Vaters sein können. Er war ein Niemand! Namenlos! Selbst wenn die Briefe alle in diesem Augenblick verbrannten - was änderte das für ihn? Nichts! Er konnte Romina nicht haben. Nur in seinen Träumen - und in ihren, wenn er sich mithilfe des Zaubers in ihre Gedanken stahl.
Aureolus stand auf, tauchte die Hände in die Waschschüssel auf seinem Nachttisch, benetzte sein heißes Gesicht. Es war schwül in der Kammer nach dem heißen Tag. Er nahm den Krug, goß sich Wasser über den Kopf, bis sein Haar in nassen Strähnen an seinem Hals hing.
Was konnte er tun? Selbst wenn er seine Herkunft verleugnete, selbst wenn er zu einem frommen Langweiler wurde - sie würde ihn nicht heiraten: Ihre Familie würde es niemals gestatten, selbst wenn er vor der Welt seinen wahren Namen verbergen könnte.
Er konnte nur weitergehen, auf dem Weg, den sein Vater ihm vorgezeichnet hatte, in der Hoffnung, eines Tages Macht und Einfluss zu haben. Doch würde sie ihn dann jemals lieben?
Was immer er auch tat: Sein Ziel schien in unendlich weiter Ferne, seine Wünsche unerfüllbar.
Aureolus fegte die Bücher vom Tisch, trat gegen die Truhe, in der die Andenken seiner Mutter an seine Kindheit lagen, keine gewöhnliche Kindheit, nein, eine in Gefangenschaft, in einem güldenen Käfig.
Oh, wie er sie hasste! Wie er sie für ihre Schwäche hasste, für ihre verblendete Liebe zu seinem Vater, der sie benutzt hatte, für ihre dämonenverfluchte Frömmlerei! Warum hatte sie ihn versteckt? Warum hatte sie ihn verleugnet? Um ihres Titels, ihres Lehens, ihres Ansehens Willen? Wäre es nicht besser gewesen, sie hätte ihren Fehltritt gestanden? Vielleicht hätte man ihn in ein Kloster gesteckt, vielleicht ihn ihr weggenommen, vielleicht wäre sie mit ihm geflohen, weit fort von hier. Aber wäre nicht alles besser gewesen als ein Leben in Einsamkeit und ständiger Furcht vor dem Entdecktwerden? Wie oft hatte er geglaubt, ersticken zu müssen, wenn seine Mutter ihn schluchzend vor Selbstmitleid an ihren gewaltigen Busen gedrückt hatte? Sie glaubte, sie habe ihn vor der Welt beschützt? Beschützt? Ihn? Alles, was sie geschützt hatte, war ihr Ruf als praiosfromme Biederfrau! Verflucht sollte sie sein! Wie konnte eine Mutter ihren Sohn verleugnen?
Aureolus ließ sich auf dem Bett niedersinken. Der Traum war in weite Ferne gerückt, Romina nicht mehr als ein wehmütiger Gedanke, ein leiser Schmerz in seinem Herzen. Er musste die Bâni Khadr beherrschen. Dazu musste er den Dschinn des Schamanen austreiben. Das setzte voraus, dass er seine Studien fortsetzte, möglichst bald. Wenn man seine Mutter verhaftete und von ihrem Lehen vertrieb, müsste er sich in den Bergen verstecken wie ein Wilder und Hasen jagen, statt sich seinen Büchern widmen zu können. Ja, selbst, wenn es den Feinden seiner Mutter nicht gelänge, sie ihres Lehens zu berauben, würde ihr Gejammer ihn hinreichend von seinen Studien abhalten.
Es führte kein Weg daran vorbei. Er musste seine verhasste Lehrmeisterin aufsuchen, ihre Grausamkeiten und Demütigungen inkauf nehmen, wollte er die Briefe seiner Mutter zurückgewinnen und somit Zeit - Zeit für seine Studien. Zeit ... zum Träumen.
Aureolus sprang auf, nahm seinen Stab auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Einen Augenblick später fand er sich in dem düsteren Laboratorium der Feste Blutfels wieder.
- Die Geschichte um Domnatella Romina wird hier fortgesetzt: Schauplatz: Selaque, Teil 22.
- Die Geschichte um Domnito Aureolus wird hier fortgesetzt: Schauplatz: Transbosquirien, Teil 01.
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