Chronik.Ereignis1033 Feldzug Raschtulswall 15

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Im Raschtulswall, 26. bis 28. Praios 1033 BF

In den Bergen, am Djer Kalkarif


26. Praios, früh morgens

vor der Ruine von Tsacharias Krähenfreunds alter Hütte

Autor: SteveT

Mißmutig streckte Moritatio seine verspannten Glieder, was jetzt scheinbar jeden Morgen zur Gewohnheit wurde, da ihre Schlafplätze von Nacht zu Nacht immer unbequemer wurden. Er war offenbar sogar als Letzter erwacht, der alte Heiler war schon dabei, auf allen Vieren irgendwelche Beeren zu pflücken, die hinter den Überresten seiner ehemaligen Wohnstätte wucherten und die junge Zaida ging ihm dabei zur Hand. Dom Gendahar stand mit gesenktem Kopf und gefalteteten Händen vor dem provisorischen Grab, das sie gestern abend noch für seine Anverwandte gegraben hatten. Moritatio trat stumm hinter ihn und betrachtete das Boronsrad, das Zaida nicht einmal ungeschickt geflochten hatte.

"Ich weiß, dieser Ort ist einer Magnatin aus altem Hause unwürdig!", legte er dem Streitziger schließlich die Hand auf die Schulter. "Aber es ist nur vorübergehend! Nach unserer Rückkehr nach Almada verständigen wir die Boronis von Ragathsquell und fragen sie um Rat. Sobald die Zeiten wieder ruhiger und die Ferkinas zurückgeschlagen sind, können wir noch einmal hierher zurückkehren, damit ihre Gebeine in der Familiengruft derer von Culming beigesetzt werden können, wie es ihr gebührt!"

Dom Gendahar nickte: "Ja, das bin ich ihr schuldig! Wie Ihr sagtet, schmerzt es mich, den Leib meiner toten Base hier in diesem Armengrab in der Wildnis zurückzulassen."

"Wie ich gestern schon sagte," wiederholte Moritatio und ging mit ihm zu den anderen beiden hinüber, "wir müssen jetzt an die Lebenden denken und vor allem anderen versuchen, Richeza wiederzufinden. Vielleicht hat Eure Base den Jungen gar nicht dabei gehabt - das hieße, das wir hier alle unser Leben umsonst riskieren, während daheim eine Tyrannin die Burg meiner Mutter besetzt hält. Dazu kommt noch, dass gestern mein Heimaturlaub endete - jetzt, heute morgen müsste ich mich eigentlich wieder in der Garnison der Hofjunker melden ..."

Der Streitziger zog amüsiert eine Augenbraue in die Höhe: "Das dürfte etwas schwierig werden, es noch rechtzeitig bis nach Punin zu schaffen."

Moritatio stand der Sinn nicht nach Späßen: "Verspottet mich nicht - Ihr kennt nicht meinen Colonello! Filippo di Lacara ist der Namenlose in Menschengestalt - er wird mich schrecklich bestrafen, wenn ich zurückkehre - wahrscheinlich macht er schon heute der Hofmarschallin oder gar dem Kaiser höchstselbst Meldung über meine Pflichtvergessenheit - damit kann ich jegliche Hofkarriere begraben."

"Ihr solltet den Namen des unheiligen Widersachers der Zwölfe nicht so leichtfertig in den Mund nehmen", mischte sich Tsacharias Krähenfreund ungefragt in ihr Zwiegespräch ein. "Ihr seid wahrlich ein törichter junger Mann, der sich um unwichtige Dinge sorgt, wo wir um das Leben eines unschuldigen Kindes bangen müssen!" Er schüttelte verständnislos den Kopf und hielt Moritatio und Gendahar trotzdem zwei Hände voll roter Beeren entgegen, die überraschend süß und aromatisch schmeckten, obwohl sie noch keiner der beiden Magnaten je zuvor gesehen hatte.

"Was weißt du schon vom Hof und dem echten Leben, alter Eremit", wank Moritatio verächtlich ab. "Ich wette, du hast deinen Lebtag noch nicht den Glanz der Paläste der Capitale gesehen. Aber was sollen wir uns streiten ... Zaida, dein Vorschlag in allen Ehren ... aber Richezas ... äh ... 'Losung' als Riechmuster für Raffzahns Spürnase zu nehmen, erscheint mir doch etwas respektlos ihr gegenüber. Ich werde es erst einmal mit dem Umhang versuchen, mit dem ich sie nachts mehrmals zugedeckt habe, während sie schlief. Raffzahn! Wo steckt die verfluchte Töle überhaupt?"

Wie auf Bestellung, allerdings erst, nachdem Zaida und Tsacharias ebenfalls seinen Namen gerufen hatten, kam Raffzahn aus dem Gebüsch hervor, der irgendein totes Tier im Maul anschleppte, das wie eine Mischung aus einem Hasen und einem Erdhörnchen aussah.

"Ah, guter Hund! Hierher, Raffzahn!", rief ihn Moritatio. "Er bringt uns sogar gleich noch etwas zum Essen mit, was immer das auch für ein Viech sein mag."

"Böse!", schimpfte dagegen Tsacharias Krähenfreund mit ihm. "Wie oft soll ich dir sagen, dass du keine Tiere töten und hier anschleppen sollst? Den armen Kalkarif-Springlöffler macht niemand mehr lebendig!"

"Ja, ja!", verdrehte Moritatio die Augen, dem das tsaistische Weltbild des Alten langsam aber sicher auf die Nerven ging. Er reichte den toten Springlöffler an Zaida - den konnte man dann vielleicht später zum Mittagessen braten - und holte selbst seinen Umhang aus dem Rucksack, den er Raffzahn unter die Nase hielt: "Riech, guter Hund! Wo ist die Richeza? Such! Los! Na jetzt riech doch! Hopp Hopp!"

Raffzahn begann mit dem Schwanz zu wedeln und biß dann in den Umhang, um spielerisch daran zu ziehen. Er ging er davon aus, daß der Mensch mit ihm eine Art Tauziehen spielen wollte.

"Was machst du denn, dämlicher Köter! Suchen sollst du! Riechen! Hörst du wohl auf mit dem Bockmist, du beißt mir ja Löcher in das gute Cape!", schimpfte Moritatio verzweifelt. Mit einem Male setzte sich Raffzahn doch in Bewegung und lief wieder in Richtung des Felsenmeeres und des Djer Kalkarifs. "Da! Jetzt hat er tatsächlich ihre Witterung aufgenommen! Schnell! Folgen wir ihm!", packte Moritatio blitzgeschwind seine Siebensachen zusammen und heftete sich an die Fersen des gescheckten Wolfshundes.

"Nein! Nein!", schüttelte Tsacharias Krähenfreund den Kopf. "Er weiß bloß, wo es zu meiner neuen Hütte geht. Er läuft nach Hause, weil dort eine kleine Tanne steht, an die er am allerliebsten pinkelt."

"Wie dem auch sei!", wandte sich Moritatio etwas weniger enthusiastisch um, der die gebrummelten Worte des Alten gehört hatte. "Wir müssen so oder so noch einmal auf den Djer Kalkarif zurück. Falls die Wilden Richeza gefangen haben, werden sie sie in ihr Lager schleppen, das wir gestern vom Gipfel aus gesehen haben. Ich schlage vor, wir nehmen dieses Lager noch einmal etwas genauer in Augenschein - selbst wenn Richeza nicht von ihnen gefangen wurde, was ich sehr hoffe, dann besteht trotzdem die Möglichkeit, dass Eure gräfliche Nichte dorthin verschleppt wurde, Dom Gendahar."


Autor: Simanca

Zaida grummelte und stiefelte Moritatio nach, derweil sie den Springlöffler in einen Beutel stopfte und sich umhängte. Ein kurzer Blick zurück, ob Dom Gendahar, der für sie ob solch überragender Kampfkunst mittlerweile schon dicht hinter der hochverehrten Domna Romina an Verehrungswürdigkeit rangierte, und Meister Tsacharias ihnen folgte, dann wandte sie sich an Moritatio. "Verzeihung Höchsturlaubsloser", ging ihr Mundwerk da wieder mit ihr durch, "Ihr kennt Euch vielleicht mit dem Hofleben aus, aber mit der Jagd habt ihr es wohl nicht so. Wie soll denn Raffzahn HIER Domna Richezas Spur aufnehmen?" Sie bedeutete mit schwungvoller Geste rundherum. "Er braucht doch wenigstens eine Fährte, bei der er ansetzen kann... mag der Mantel dazu dienen, ohne ihre Spur wird der arme Rafzahn nicht weit kommen." Energisch verteidigte sie den Hund. Der Dom mochte ja auch recht passabel kämpfen können und sie dankte ihm vielmals dafür im Stillen, dass er mehr als einmal dabei geholfen hatten, ihren Hals zu retten, aber mit Hunden kannte er sich ja nicht sonderlich gut aus, schien ihr. "Wir machen das schon Raffzahn, du schnupperst dranne und dann schauen wir, ob die Fährte von der Domna runter ins Lager führen, zu dem wir wollen, das kannst du doch, oder? Guter Hund", redete sie unablässig auf das große Tier ein und tätschelte ihm den massigen Schädel. "So ein feiner, so einen wie dich will ich auch..." Leise redete sie weiter auf das Tier ein, ein kurzer Blick zu Dom Gendahar und Tsacharias zurück, so ging es eilig weiter.



Autor: SteveT

26. Praios, kurz vor Mittag

Am Fuße des Djer Kalkarif

Der junge Vanyadâler und der Thangolforster Vogt mussten sich mit dem alten Heiler im Schlepptau sputen, mit der vorauseilenden Zaida und dem Wolfshund Schritt zu halten. Der Vierbeiner schien den für ihn einfachsten Weg durch die massiven Gesteinsbrocken des Felsenmeeres zwischen Djer Ragaz und Djer Kalkarif genau zu kennen.

Moritatio hatte durchaus seine Zweifel, ob er tatsächlich der Fährte Richezas folgte. Der dumme Köter hatte ja nicht einmal richtig verstanden, daß er an dem Umhang riechen sollte. Aber egal zu welchem Ziel er gerade lief, zumindest die Richtung stimmte, denn wenn es Richeza gut ging, dann war sie fraglos noch immer irgendwo oben auf dem Djer Kalkarif und suchte umgekehrt auch nach ihnen. Daß sie sich allein auf die Suche nach dem vermissten Knaben gemacht hatte und ihn mit den beiden anderen einfach sitzen ließ, konnte und wollte er nicht glauben - schon gar nicht nachdem sich seine eigene Mutter quasi für sie aufgeopfert hatte.

Während er gedankenverloren über größere Felsbrocken kletterte, musste er sich langsam Gedanken machen, wie er Richeza ihren grausigen Fund möglichst schonend beibrachte, wenn sie sie denn wiederfanden. Ihr geradeweg ins Gesicht zu sagen, daß sie die Mutter des Jungen gefunden hatten, von Harpyien zerissen und mit zerschmetterten Knochen, würde all ihre Hoffnungen zunichte machen, ihren kleinen Vetter doch noch lebend zu finden.

Nachdem er einen weiteren bizarr geformten Felsklotz überklettert hatte, sah er plötzlich, daß Zaida und Raffzahn stehengeblieben waren. Der Hund hatte die Ohren angelegt und knurrte furchterregend, obwohl weit und breit niemand zu sehen war. Dann begann er auch noch drohend zu kläffen.

"Halt doch Dein Maul, Töle!" zischte Moritatio und gab Zaida ein Zeichen, ihm schnell die Schnauze zuzuhalten, da er sich von dem Mädchen scheinbar fast alles gefallen ließ. "Das Mistviech hetzt uns noch die Ferkinas auf den Hals! Wenn sie noch nach uns suchen, dann wissen sie jetzt, wohin sie sich wenden müssen!"

Der Wind frischte auf, obwohl es eigentlich ein angenehm warmer Tag war, strich ihm nun ein eiskalter Luftzug über die Haut und durch das Haar. Bosquirisches Wetter eben - kein Mensch konnte je voraussehen, wie es sich innerhalb der nächsten Stunde verändern würde. Raffzahn knurrte noch immer wie verrückt, obwohl wirklich weit und breit niemand zu sehen war. "Jetzt knurrt er schon den Wind an" schüttelte Moritatio den Kopf. "Ich fürchte, mit dem werden wir unsere Gefährtin niemals finden."

"Normalerweise macht er das nicht" nahm Tsacharias Krähenfreund seinen vierbeinigen Gefährten in Schutz. "Irgendetwas hier in unserer Umgebung beunruhigt ihn."

"Ja, vielleicht eine Blindschleiche oder eine Pferdebremse" lästerte Moritatio und deutete mit einem Kopfnicken auf die steil vor ihnen aufragende Westwand des Djer Kalkarifs. "Wir haben keine Zeit, um uns die Hirngespinste eines Hundes Sorgen zu machen. Auf geht's - der Berg ruft!"


Autor: SteveT

Der Wiederaufstieg auf den Djer Kalkarif gestaltete sich hier, von der Westflanke her, wesentlich komplizierter als bei der Südwand, die sie vorgestern relativ problemlos hatten ersteigen können. Zaida als Waldwachterin war das Klettern gewohnt, was man ihr auch ansah, ebenso der alte Tsacharias, der sein halbes Leben im Raschtulswall verbracht hatte.

Für Moritatio und Gendahar aber wurde die Kraxelei zunehmend kräftezehrender, da sie im Gegensatz zu den anderen leichtes Rüstzeug trugen und auch ihre Waffen, das Gepäck und hin und wieder auch den Hund ein Stück weit tragen oder emporheben mussten. Raffzahn bewegte sich zwar im Gebirge äußerst geschickt, da es sein angestammtes Revier war und er fand fast immer den am leichtesten gangbaren Weg - aber manche Steilwände stellten einen Vierfüßler doch vor ein unüberwindbares Hindernis. Zaida konnte den kräftigen Wolfhund nicht heben - so sehr sie sich auch abmühte - er wog wahrscheinlich fast so viel wie sie selbst.

Am Nachmittag waren sie endliich auf einem Plateau in etwa anderthalbtausend Schritt Höhe angelangt, das sich für eine Mittagsrast anbot. Moritatio ließ ächzend seinen Rucksack zu Boden gleiten und setzte sich selbst darauf. "Zaida! Wenn es uns gelingt, ein Feuer anzufachen, dann wäre jetzt vielleicht ein guter Zeitpunkt den Riesenlöffler zu braten, den der Köter gestern angeschleppt hat. Unser trockenes Brot hängt mir langsam zum Halse heraus, davon wird kein Mensch satt!"

"Pfft! Ihr Städter und Talbewohner!" schnaubte Tsacharias Krähenfreund verächtlich. "Wenn Euch Eure Bauern nicht unter Zwang versorgen würden, dann würdet Ihr wahrscheinlich allesamt verhungern - dabei versorgt uns die Ewigjunge fast überall mit allem, was wir zum Überleben brauchen! Seht nur diese Disteln und der Leuenzahn hier - daraus könnte ich uns eine schmackhafte Grünspeise zubereiten!"

"Grünspeise? Igitt!" verzog Moritatio angewidert das Gesicht. "Friss Deinen Pflanzenkram selbst, aber verschone uns mit dem Ziegenfutter! Zaida, hol den Löffler raus! Dom Gendahar hier und ich haben einen Riesenhunger und ich habe endlich meinen Feuerstein und Stahl gefunden!" Triumphierend zog er die angesprochenen Utensilien aus dem Vorderfach des Rucksacks, die er schon seit Richezas Verschwinden gesucht hatte. Vorher hatte sie immer die Lagerfeuer angefacht. Er schüttelte den Kopf, um die Gedanken an seine schöne Cousine loszuwerden als der Hund wieder einmal zu knurren begann.

"Jetzt hör endlich auf damit, Du Mistviech!" zischte er Raffzahn an. "Wir sind hier ganz weit oben - hier lebt nichts außer uns und ein paar Gemsen! Was knurrst du die Wolken an, da gibts nur Luft und...." Er stockte mitten im Satz und kniff die Augen zusammen, als er dem Blick des Wolfshunds folgte. Von Osten näherte sich tatsächlich etwas - offenbar ein alter Mann, ein halbnackter alter Tattergreis etwa in Tsacharias Alter, der mit übereinander geschlagenen Beinen einfach in der Luft hockte und....ja, der scheinbar fliegen konnte!

"Ich will verdammt sein" schüttelte Moritatio ungläubig den Kopf und zwinkerte nochmals. Aber als er die Augen wieder öffnete sah er den schwebenden Alten immer noch - er kam geradewegs auf sie zu! "Das ist die Höhenluft! Ich sehe alte Männer durch die Luft fliegen!" Er starrte mitleidssuchend zu Gendahar, Zaida und Tsacharias - aber auch die starrten mittlerweile alle in dieselbe Richtung - sie sahen ihn also auch!

"Das ist Ghazal!" flüsterte Tsacharias. "Ghazal iban Muyanshîr, der Nuranshâr der Bani Khadr! Er ist verrückt, ein böser Mensch, der tötet nur aus Wissensdurst!"

"Praiosseibeiuns! Das ist Hexenwerk! Ein Ferkinakke der zaubern kann!" Moritatio tastete nach seinem Stilett und dem abgebrochenen Rapier, in der Gewissheit, daß sie ihm ohnehin nicht viel nutzen würden. Hoffentlich wußte der Streitziger einen Rat, er war ja schon viel herumgekommen in der Welt.

"Da sind sie! Du hattest tatsächlich Recht, Qualalahina!" lobte Ghazal die Djinni, die ihn unsichtbar trug. Er hatte ihr erst nicht glauben wollen, als sie ihm heute morgen nach ihrem alltäglichen Erkundungsflug mitgeteilt hatte, vier Flachländer und einen Hund am Fuße der Westwand des heiligen Berges entdeckt zu haben. Der Hund hatte Qualalahina heute morgen bemerkt, deshalb hatte sie die Eindringlinge nicht weiter verfolgt.

Das hier war das Land der Bani Khadr, auf das sich normalerweise nie eine Blasshaut wagte - jetzt aber fielen sie nach dem Kommen des kleinen schwarzhaarigen Frau scheinbar gleich scharenweise ein - was wollten sie hier? Es gab für sie nichts zu finden, außer den Opfertod unter Qualen zur Freude Ras'Raghs! Ghazal ließ Qualalahina bis dicht über die Köpfe der Eindringlinge fliegen. Der alte Narr, der in einer Hütte auf der anderen Seite des Berges wohnte und dort mit den Bäumen und Sträuchern sprach, war unter ihnen. Ghazal starrte Tsacharias finster an, atmete tief ein und aus und schlug dann die Hände vor der Brust zusammen, wobei er "Soluk kesilme!" rief.

Tsacharias fasste sich sofort mit beiden Händen an die Kehle. Es war ihm, als drücke ihm jemand die Luft ab, er versuchte zu husten, brachte aber nur ein Röcheln hervor. Er wusste, er war Opfer eines Schamanenzaubers geworden.

"Was Ihr wollt?" fauchte Ghazal die drei entsetzten Mittelländer in überraschend gut verständlichem Garethi an, während er eine weitere Runde über ihren Köpfen drehte. "Fort hier oder alle tot bald seid!"


Autor: SteveT

Entgeistert starrte Moritatio dem durch die Lüfte fliegenden Ferkina-Schamanen nach, dessen Drohung ihnen noch allen in den Ohren klang. Er brückte sich, um einen Stein vom Boden aufzuheben und ihn dem Alten hinterher zu werfen. Leider verfehlte er ihn aber um einen halben Schritt, was ihm nur einen bösartig funkelnden Blick des barbarischen Zauberers eintrug. Schließlich wurde dessen Silhouette am Himmel immer kleiner und verschwand schließlich auf der anderen Seite des Djer Kalkarifs, die sie hier von der Westflanke aus nicht einsehen konnten.

Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte Moritatio den zu Boden gegangenen Heiler. Offenbar war Tsacharias Krähenfreund das Opfer eines Zaubers des Schamanen geworden, dessen Wirkung sich ihm selbst nicht sofort erschlossen hatte.

Der alte Eremit atmete schwer, als ob ihm irgendetwas die Kehle zuschnüre, obwohl er körperlich vollkommen unversehrt schien.

"Was ist mit Dir, alter Mann?" beugte er sich mit mäßiger Sorge über den verrückten Tsajünger. Zaida wollte diesem etwas Wasser einflößen, aber er wehrte kopfschüttelnd ab.

"Es raubt mir die Luft zum Atmen!" brachte er keuchend hervor. "Ghazal hat einen Zauber über mich geworfen!" Er hustete mehrmals. "Es gibt einen Ort," flüsterte er rasselnd, "wo seine Zauber ihre Macht verlieren und wo ich meine zurückgewinnen könnte. Es ist die Ahnenhöhle der Bani Khadr selbst - sie liegt drüben auf der anderen Seite des Berges...."

Moritatio stöhnte. Solange sie den Knaben nicht gefunden hatten, den er heilen sollte, war der alte Heiler für sie ohnehin nur ein Klotz am Bein. Er hatte sich selbst entschieden, hier in der Wildnis zu leben - somit war es völlig normal und entsprach vielleicht sogar dem Willen der Götter, wenn er hier draußen auch krepierte. Er selbst wollte nur Richeza wiederfinden und dann heraus aus diesem Gebrge, um mit Praiosmin von Elenta abzurechnen und Selaque von ihrer Herrschaft zu befreien.

Er blickte zu Gendahar und Zaida, was diese dazu zu sagen hatten.


Autor: SteveT

28. Praios, mittags

An der Ostflanke des Djer Kalkarif

„Greif seine Beine, Mädchen! Greif seine Beine!“ zischte Moritatio zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und stemmte sich mit aller Kraft gegen den Felsklotz, der Dom Gendahar und ihm selbst Halt bot, während sie den alten Heiler an einem provisorischen „Seil“ herabließen, das sie aus ihrer aller Gürteln zusammengeknotet hatten.

Dafür, daß er so ein ausgemergeltes Klappergestell war, empfand er den Alten doch als höllisch schwer, den sie zweieinhalb Schritt auf ein tieferes Felsplateau herablassen mussten, wo ihn die kleine Zaida hoffentlich recht bald in Empfang nahm. Der aufgeregt um sie herumspringende Raffzahn machte die Sache nicht einfacher, der dies alles hier offenbar für ein unterhaltsames Spiel seines neuen Menschen-Rudels hielt.

Endlich war der alte Tsajünger offenbar gut unten angekommen und Moritatio und Gendahar konnten ihm selbst hinterher klettern. Die Ostflanke des Berges hatte es in sich und war viel schroffer wie die Westflanke, von der sie herkamen. Alle Kletterei bis hierher mutete an wie ein Praiostagsspaziergang gegen die Wand, die nun vor ihnen in die Höhe wuchs. Nahezu senkrecht – fast zweihundert Schritt bis zum nächsten eingekerbten Plateau, auf dem einige dürre Krüppelkiefern wuchsen.

„Quo vadis, Alter?“ schüttelte Moritatio den Kopf. „Wenn wir da hinaufwollen, müssten wir einen Drachen fangen, der uns hinaufträgt – oder kannst Du vielleicht auch im Lotossitz durch die Lüfte fliegen wie Dein Bekannter bei den Ferkinas?“

„Nein, nein – nicht da rauf!“ schüttelte Tsacharias Krähenfreund den Kopf, so leise flüsternd, dass man ihn kaum vestehen konnte. „Wir sind fast da! Der Eingang zur Geisterhöhle der Bani Khadr müsste gleich dort hinten liegen, wenn mich meine Erinnerung an diesen Ort nicht trügt."

„Mir scheint es aber, als wäre es genau so!“ kräuselte Moritatio die Stirn. „Hier gibt es nichts außer dünner Luft, Wolken und nacktem Fels! Nicht mal Vögel oder dergleichen sieht man hier!“ Raffzahn stellte mit einem Mal seine spitze Ohren auf und ging geduckt mit leisem Knurren einige Schritte ostwärts, bis ihn Zaida an seinem Halsband zu packen bekam und ihn zurückhielt, dass er sich nicht noch zu Tode stürzte, womit Moritatio auf dem Weg hierher schon mehrfach gerechnet hatte. Aber für einen so großen Hund konnte er wirklich verblüffend gut klettern, als ob er sich selbst für eine Gemse hielt.

„Was hat er schon wieder?“ folgte Moritatio der Blickrichtung des Hundes – und warf sich dann augenblicklich auf den Boden, als auch Zaida vor ihm rasch in Deckung ging unf hinter einen Felsbrocken abtauchte. Mit kurzer Verzögerung kniete auch Gendahar nieder – der alte Heiler lag ja sowieso bereits am Boden.

„Ein junger Mann!“ flüsterte Moritatio erklärend dem Thangolforster zu, der diesen wahrscheinlich selbst gar nicht gesehen hatte. „Schwarz gekleidet, mit langem hellblondem Haar. Er stand ganz kurz vor den Felsen dort drüben – jetzt ist er verschwunden! Entweder er muss sich in Luft aufgelöst haben oder aber – was ich eher glaube – es gibt dort drüben wirklich eine Höhle, aus der er kurz hervorgetreten war. Jetzt ist er scheinbar wieder im Inneren des Berges verschwunden. Aber welcher Mittelländer treibt sich in Zeiten wie diesen allein auf einem Ferkina-Berg herum, wenn er nicht auch nach etwas sucht wie wir oder ein verwirrter Eremit ist wie unser Tsacharias hier ? Wohl nur jemand, der Übles im Schilde führt!“


Autor: Simanca

Zaida kam es vor, als wären sie jetzt schon wochenlang hier im Raschtulswall unterwegs. Und zumindest kletterte und duckte sie auch schon, als hätte sie wochenlange Übung. So fiel es ihr nicht übermäßig schwer, sich mit Raffzahn im Gefolge und gut in Deckung haltend, zu Moritatio und dem angebeteten Gendahar zurück zu krabbeln.

So konnte sie gerade noch die letzten Worte Moritatios aufschnappen.

"Raffzahn mag ihn nicht!", wisperte sie, die Stirn düster gerunzelt und tätschelte dem Riesenhund den Schädel. Ein zustimmendes Hecheln war die Antwort.

Ihr Blick suchte Tsacharias. "Ich hoffe, wir müssen nicht auch da runter..." Sie sah zu Moritatio und Gendahar zurück. "Oder... soll ich mal hin und lauschen? Vielleicht kann ich ja herausfinden, was er hier macht?"


Autor: SteveT

Erst wollte Moritatio entrüstet ablehnen. Ein junges Mädchen in einer von Ferkinas wimmelnden Gegend alleine als Kundschafterin vorzuschicken, war auf den ersten Blick eine reichlich dumme Idee.

Aber andererseits – warum eigentlich nicht? Zaida hatte als einzige von ihnen noch nicht einmal einen Kratzer abbekommen und klettern konnte die junge Waldwachterin wie eine Berglöwin – man merkte ihr an, daß sie – vielmehr noch als er selbst – im Gebirge zu Hause war.

Wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann lag ihm an ihr mit ihrer vorlauten Art genauso wenig wie am wortkargen Streitziger, dem weltfremden Tsajünger oder dessen ewig kläffender und knurrender Töle. Er wollte nur Richeza und seinetwegen noch deren kleinen Vetter wiederfinden und dann raus hier aus dieser Einöde! Sein Colonello, der hundsgemeine Filippo di Lacara, würde ihn wahrscheinlich ohnehin einen Tag und eine Nacht lang mit vollem Marschgepäck rund um den Exerzierplatz rennen lassen, mit so viel Tagen Verspätung wie er nach Punin zurückkehrte – wenn er denn überhaupt zurückkam, denn Selaque ging vor. Dann aber wäre er ein Fahnenflüchtiger und würde vor dem Kaiser selbst große Schande über seine Familia bringen. Nein, es half alles nichts – er musste diese leidige Sache hier so schnell wie möglich zu einem guten Ende bringen und dann – am besten mit Richeza an seiner Seite! – nach Punin zurückkehren. Mit Praiosmin würden seine Schwester und die Amazonen schon fertig werden – zumal Dom Hernan seine versuchte Arretierung auf ihrem Castillo gewiß auch nicht ungesühnt lassen würde....

"Eine gute Idee!" nickte er also Zaida zu. "Du bist klein und weißt dich unauffällig zu bewegen. Und viel älter als du kann der blonde Jüngling auch nicht gewesen sein – maximal 20 Sommer würde ich sein Alter schätzen. Sei vorsichtig, dass er Dich nicht entdeckt! Wir pirschen uns ebenfalls noch etwas näher heran und warten draußen in der Nähe des Eingangs auf dich. Hm... etwa hinter diesen Felsen dort drüben." Er deutete auf drei Felsbrocken in der Nähe des vermuteten Höhleneingangs, wo sie den schwarzgekleideten Jüngling kurz zuvor gesehen hatten. "Also, sei vorsichtig! Und jetzt los, berichte uns dann, was du gesehen hast...."

Mit einem aufmunternden Klaps auf den Rücken entließ er Zaida de las Dardas in Richtung der angeblichen Geisterhöhle.


Autor: Simanca

Irritiert hatte Zaida die Stirn gerunzelt. Mit dem Rechnen hatte Moritatio es wohl nicht so – oder sah sie so viel älter aus als sie war? Na egal, sie würde schon zeigen, dass sie erwachsen genug war, diesen Kundschaftsgang erfolgreich zu absolvieren.

Jede Deckung nutzend, die sich bot, schlich sie sich vorsichtig an die Stelle heran, an der man den Jüngling gesehen hatte. Sobald sie eine sichere Stelle erreicht hatte, spähte sie über die Schulter zurück. Nicht wegen Moritatio oder Dom Gendahar – nein, sie wollte sehen, wie sich Raffzahn gebärdete. Der Hund würde am ehesten von ihnen merken, wenn der Fremde wieder auftauchte und so richtete sie sich nach den Reaktionen des Vierbeiners.

Als sie fast an dem Felsen war, hob sie den Kopf und sah sich wachsam um. Dann duckte sie sich wieder und richtete den Blick zu Boden. Hier eine Spur zu finden war kaum möglich, es sei denn … dort drüben an der Senke vor dem Höhleneingang, wo sich Erde abgesetzt hatte und einige Büschel Gras Halt gefunden hatten. Vorsichtig krabbelte sie über den Felsen oberhalb des vermeintlichen Höhleneingangs näher und spähte hinab.

Ja, da hatte sich wirklich etwas im Boden abgedrückt, ha! Und wie es aussah, war der Mann in die Höhle gegangen. Das würde sie sich genauer anschauen. Zuerst aber … Ein Blick zu Raffzahn, der zwar verhalten mit der Rute wedelte also angespannt war, aber sie nicht vor einer direkten Gefahr warnte. Sie interpretierte das als 'kein Feind direkt in der Nähe, aber irgend etwas wittere ich gerade'. Vorsicht also.

Und eben so ließ sie sich vom Felsen hinab gleiten, wobei sie darauf achtete, sich im Schatten des Eingangs zu halten, und spähte dann in die Höhle hinein.


Autor: von Scheffelstein

Ein Geräusch weckte Aureolus. Er hob den Kopf und lauschte. Hundegebell! Ob die Ferkinas ihn suchten? Oder ob dies der alte Irre war, der irgendwo am Fuß des Berges hauste, der Alte mit seinem Riesenköter? Aureolus rappelte sich auf und trat vor die Höhle. Sein Blick wanderte langsam über das Plateau und die schroffe Felswand. Es war still. Nichts zu hören. Und nichts zu sehen.

Nach einer Weile ging er zurück in die Höhle, nahm das Bündel auf, in dem er sein Essen aufbewahrte, zog den dunklen Umhang fester um die Schultern und verwischte die Spuren, die in der sandigen Kuhle hinterlassen hatte, in der er geschlafen hatte.

Es war Zeit, zurückzukehren zu der Quelle. Er hatte schon viel über die Bâni Khadr herausgefunden – zum Beispiel, dass sie einen Teil ihrer Ahnen in einer der Höhle aufbahrten. Was ungewöhnlich war für Ferkinas, die ihre Toten sonst wilden Tieren überließen. Er wusste, dass ihnen die Quelle heilig war, dass deren Wasser heilsame Kräfte hatte, was vermutlich an der Kraftlinie lag, die mitten durch den Berg verlief. Auch hatte er beunruhigt festgestellt, dass wohl einstmals ein Drache in diesen Höhlen gelebt hatte, denn die Ferkinas hatten Bilder einer gewaltigen, geflügelten Kreatur an die Wände gemalt, vor deren Feueratem sie niederknieten.

Es gab Drachen hier im Raschtulswall, nicht wenige sogar. Doch soweit Aureolus wusste, lebten sie tiefer im Gebirge, auf höheren Gipfeln, und er betete im Stillen, dass jener, den die Ferkinas in den tieferen Höhlen verewigt hatten, tot war. Zumindest hatte er keine Anzeichen eines lebenden Drachen gefunden, und auch die Ferkinas hatten in den letzten Jahren nie von einem Drachen gesprochen. Der einzige Drache, von dem sie berichteten, war der, den der Krieger Kazûm erschlagen hatte. Den Schuppen an seiner Rüstung nach zu urteilen, handelte es sich aber eher um einen niederen Drachen, am ehesten wohl einen in dieser Gegend sehr seltenen Felsdrachen, vermutete Aureolus.

Noch einmal hob der junge Zauberer lauschend den Kopf. War da nicht wieder der Hund? Dann kletterte er in den mittleren von drei Gängen, die weiter in en Berg hineinführten. Er konnte sich später um die Ferkinas kümmern. Noch fehlte ihm ein zündender Gedanke, wie er die Macht über die Ferkinas erlangen konnte. – Und falls das da draußen der irre Alte war? Und wenn schon, mit dem wurde er fertig! Viel mehr Sorgen bereitete ihm Ghazal iban Muyanshîr. Wenn er langfristig gegen den Nuranshâr bestehen wollte, musste er die Geister der Ferkinas beherrschen. Und hier in den Höhlen, das spürte er, lag der Schlüssel zur Macht verborgen.


Autor: Simanca

Nervös leckte sich Zaida mit der Zunge über die Lippen, als sie in die Höhle hineinspähte und angestrengt lauschte. Jetzt wo sie hier so ganz allein stand, kam ihr der eigene Plan nicht mehr ganz so überzeugend vor. Da drinnen war es nach den ersten Schritten ziemlich dusper und sie hatte keine Fackel dabei. Nein, sie würde nicht schon jetzt kneifen und sich dann gar noch von Moritatio verspotten lassen. Energisch nahm sie die Schultern hoch und tastete mit der rechten nach dem Dolch. Ein wenig sicherer fühlte sie sich damit allemal. Doch eine Bewegung direkt neben ihr, ließ sie zusammen zucken.

Fast hätte sie über sich selbst lachen müssen, als sie mit angehaltenem Atem genauer hinschaute: Nur eine Eidechse, eine von der Sorte, die man hier im Gebirge häufiger fand. Beherzt griff Zaida zu und schob das Reptil unter ihr Hemd. Warum sollte die arme Eidechse sich hier die Schwanzspitze abfrieren, wenn es auch wärmer ging? Außerdem fühlte sie sich so nicht so ganz allein. Das Krabbeln der Eidechse in ihrem Wams hatte eher eine beruhigende Wirkung auf sie, als sie sich vorsichtig etwas weiter in die Höhle hinein tastete.

Da, hatte sie nicht eben ein Geräusch gehört? Angespannt lauschte sie erneut und erkannte langsam, jetzt da sich ihre Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, auch mehr Details. Waren da vorne nicht Gänge zu erkennen? Noch ein kleines Stück wollte sie näher gehen, dann würde sie rasch zurück zu Dom Gendahar und Moritatio gehen. Aber erst wollte sie schauen, ob sie hier in der Höhle oder an den Gangzugängen einen Hinweis auf den Jüngling entdecken konnte. Vorsichtig mit den Füßen vorantastend, um nicht doch noch über eine Unebenheit im Boden zu stolpern, arbeitete sie sich an die von der Haupthöhle abzweigende Gänge heran. „Hrm…" Nicht gut, sie konnte nicht sagen, in welchen der Gänge der Fremde verschwunden war, hier war eindeutig Raffzahns Spürnase von Nöten.

So schnell wie möglich suchte sie den Rest des Raumes ab und vermeinte erkennen zu können, dass hier bereits jemand gerastet hatte. Allerdings war sie keine Expertin, was derlei Spurenlesen anging und vielleicht war es mehr Wunschdenken. Enttäuscht darüber, nicht mehr gefunden zu haben, schlich sich Zaida wieder aus der Höhle heraus und kraxelte zurück, wo Gendahar und Moritatio bei Tsacharias zurückgeblieben waren.

Mit einem erschöpften „Uff", ließ sie sich neben Raffzahn auf den Boden sinken und schob dessen neugierige Nase beiseite, als dieser an ihrem Wams zu schnüffeln suchte. Derweil sie dem Hund den massigen Kopf tätschelte, erstattete sie Bericht: „Von der Höhle da unten, gehen Gänge tiefer in den Berg hinein, ich denke, dahin ist der Kerl verschwunden. Ich konnte leider nicht erkennen, welchen Gang er genommen hat. Aber ich bin sicher, Raffzahn kann uns da weiterhelfen, nicht wahr, mein Kleiner?" Sie legte Raffzahn einen Arm um und sah erwartungsvoll zu Gendahar und Moritatio. „Sollen wir ihm nach? Oder…" Ihr Blick wanderte zu Tsacharias. „Müssen wir überhaupt da runter?"


Autor: von Scheffelstein

Tsacharias Krähenfreund nickte schwach. Das Atmen schien ihm noch immer schwerzufallen, und seine Stimme war sehr leise, als er sprach. "Ja ... da unten ist die Quelle." Er schien noch mehr sagen zu wollen, schloss aber kraftlos die Augen und machte eine vage Handbewegung, die wohl ein Zeichen zum Aufbruch war.

Grollend winkte der junge da Vanya dem Streitzig zu, und gemeinsam schafften sie den Alten hinunter in die Höhle. Zaida und Raffzahn kletterten hinterher, kaum aber war der Hund in der Höhle, als er zu bellen begann, die Ohren aufstellte und schließlich schnüffelnd über den sandigen Boden lief, aufgeregt im Dreck zu wühlen und zu graben begann, dass der Staub den Männern in Nase und Rachen drang und Tsacharias ein ersticktes Husten von sich gab.

Raffzahn kümmerte das gar nicht, er hob ein Bein, pinkelte in eine Mulde am Höhlenrand, hob lauschend den Kopf, begann wieder zu bellen und schoss geradewegs in den mittleren von drei Gängen an der hinteren Höhlenwand davon.

"Folgt ihm", flüsterte Tsacharias, und die beiden anderen Männer hoben ihn auf und trugen ihn in den Gang hinein, in dem Zaida bereits dem Hund hinterhereilte. Bald aber wurde der Gang niedriger und ging steiler bergab, sodass es den Adligen unmöglich war, den Alten weiter gemeinsam zu tragen. Schließlich hängte Gendahar von Streitzig ihn sich auf den Rücken, auch wenn er sich bücken musste, um nicht mit dem Kopf anzustoßen.

Noch drang Licht durch einen Kamin hinter ihnen, doch vor ihnen in der Tiefe war es dunkel. Irgendwo dort hallte Raffzahns Gebell gespenstisch von den Wänden wider. Und irgendwo dorthin war auch das Mädchen Zaida verschwunden.


Autor: von Scheffelstein

Aureolus von Elenta kniete auf dem kühlen, feuchten Stein und betrachtete sein Spiegelbild. Im matt-orangen Licht der unzähligen Gwen-Petryl-Steine, die wie gefrorene Funken an Wänden und Decke der Höhle leuchteten, wirkte sein Gesicht lebendiger, weniger blass als sonst. Seine Augen strahlten wie gelbe Sonnen, die es mit dem Licht der Steine durchaus aufnehmen konnten. Aureolus streckte die Hand aus, verharrte dicht über der Wasseroberfläche. Wie schön er aussah! Wie ein Halbgott, wie ein Dämon – unwiderstehlich, geheimnisvoll, mächtig!

Mächtig! Es war Zeit, dass er seine Macht wiedererlangte! Aureolus schloss die Augen, tauchte die Hand in den unterirdischen See. Das kalte Wasser prickelte leicht auf seiner Haut. Der Zauberer kannte den Effekt von mineralhaltigen Wässern, wie seine einstige Lehrmeisterin Mordaza Maraneta sie in ihrem Laboratorium verwendete. Hier aber war es noch anders: Aureolus spürte die Kraft, die durch seine Haut in Muskeln und Adern drang, eine Wärme, die sich von der Hand langsam den Arm hinauf ausbreitete. Aureolus tauchte auch die zweite Hand in den See, schöpfte mit beiden Händen Wasser und trank, zweimal, dreimal. Dann schlug er den Umhang zurück, zog die Metallphiolen aus dem Täschchen an seinem Gürtel, füllte und verschloss sie.

Gerade hatte Aureolus das letzte Fläschchen ins Wasser getaucht, als eine plötzliche Veränderung ihn innehalten ließ. Ein Lufthauch machte ihn frösteln, die feinen Haare in seinem Nacken stellten sich auf. Es war, als glitten Schatten unter der Wasseroberfläche dahin, als stiege Nebel über dem See auf - selbst das Licht der Steine schien dunkler geworden zu sein, röter.

Aureolus zog die Hand aus dem Wasser zurück, kam aber nicht dazu, sich aufzurichten. Ein klingender Ton erfüllte seinen Kopf, er nahm seinen eigenen Atem lauter wahr, seinen beschleunigten Herzschlag, das Rauschen des Blutes in seinen Adern, das anschwoll, abschwoll. Es wurde dunkler um ihn, bis alles in rotes Licht und Schatten getaucht schien. Er spürte seine Hände nicht mehr, es war, als sei er in seinem eigenen Körper eingeschlossen. Für einen Moment stieg Angst in ihm auf, dann die Erkenntnis: Da war etwas in ihm, etwas Fremdes!

Wut machte sich breit. Wut auf das Fremde, das ihn beherrschte! Ihn! Den Sohn des großen Rakolus! Niemals! Aureolus wehrte sich, rang mit dem Fremden in seinem Kopf, in seinem Körper. Was willst du?, fragte er zornig, nicht mehr als ein Gedanke. Er spürte die Antwort, nichts weiter als eine Idee, wortlos, und doch klar. Er sei nicht der Schamane. Er sei ein Eindringling. Er vergreife sich an der Quelle. Er störe den Frieden. Er störe die Ruhe der Geister.

Aureolus kämpfte gegen den Schmerz in seinem Kopf. Er konzentrierte sich auf seinen Atem, auf das Schlagen seines Herzens, bis beides ruhiger wurde. Er spürte in sich hinein, bis er sich sicher war, seine Hände wieder zu fühlen, seine Finger bewegen zu können. Der Geist in ihm brannte wie eisiges Feuer unter seiner Haut, lähmte ihn. Aureolus zwang ihn zurück, stellte sich vor, wie er mit dem goldenen Blick seiner Augen den Geist verbrannte, wie er mit den Flammen seines Zornes seinen Körper wärmte und den Geist vertrieb, wie er mit der Kraft seines Willens den Willen des Geistes brach, bis dieser schwach war, ein Diener nur, sein Diener, ein Sklave.

Schwankend richtete Aureolus sich auf. Ich bin Aureolus, der Goldene, Sohn des Schwarzen, dachte er und bemühte sich, die Worte klar und kraftvoll wirken zu lassen, selbst wenn sie nicht zu hören waren, seine Zunge ihm noch nicht wieder gehorchte. Ich bin der Nuranshâr der Bâni Khadr, der Bezwinger von Ghazal iban Muyanshîr, log er.

Für einen Moment ließen die Schmerzen in seinem Kopf nach, er sah klarer, dann aber verstärkte der Geist seine Präsenz, und seine Gedanken, wortlos, bildlos und doch unmissverständlich, ergriffen Besitz von Aureolus. Wo der Windgeist sei. Wie er den Nuranshâr habe besiegen können. Wie er den Windgeist besiegt habe. Er sei ein Lügner. Ein Lügner. Ein Fremder. Ein Eindringling. Niemand könne den Windgeist besiegen. Die Geister hätten gefehlt. Er sei nicht mächtiger als die Geister. Er sei nicht erwünscht. Nicht erwünscht. Nicht erwünscht. Nicht ...

Die Feindseligkeit des Geistes schnürte Aureolus die Kehle zu, ließ seinen Atem stocken. Sein Herz raste, stolperte. Sein Blut pfiff in seinen Ohren. Der Schmerz in seinem Kopf wurde unerträglich, fast wie damals, als seine Lehrmeisterin ihn mit einem Fulminictus gepeinigt hatte, als er sich erstmals gegen sie aufgelehnt hatte. Der Geist war mächtig. Mächtiger als er. Er würde sterben!

Nein! NEIN! Er war Rakolus' Sohn! Hilf mir, Vater! Er durfte nicht sterben! Er hatte noch soviel vor! Oh, Götter und Dämonen, nicht so! Vater, bitte!

Er sah ihn vor sich, Rakolus von Schrotenstein. Sein helles Haar, das der Wind um seine Schultern wehte, das blaue und das grüne Auge, die ihn anblickten, das blaue unter einer amüsiert gehobenen Augenbraue. Jetzt weißt du, was Furcht ist, Sohn, hatte er gesagt, nachdem er ihm erstmals den Eigene Ängste demonstriert hatte. Aureolus war fünf gewesen. Und jetzt höre auf zu greinen wie ein Kind. Wenn du mein Sohn sein willst, musst du lernen, deine Furcht zu beherrschen. Wenn du mein Sohn bist, werden die Menschen dich allein dafür verachten, dass du bist, was du bist. Fürchte dich nicht. Furcht ist etwas für die Schwachen, die Demütigen. Sei nicht schwach, lehre andere Demut! Rakolus hatte sein Kinn umschlossen mit seinen schönen, schlanken Fingern. Ganz sanft und doch fest genug, dass der Knabe die Kraft des Vaters gespürt hatte. Kraft eines unbezwingbaren Willens, der aus den unergründlichen Augen gesprochen hatte. Bist du mein Sohn, Aureolus, wie ich dich geschaffen habe?, hatte er gefragt, und Aureolus hatte gewusst, dass er selbst in diesem Augenblick über seine Zukunft entschied. Willst du mein Sohn sein? - Ja, Vater, hatte er geantwortet und es mit ganzem Herzen gewollt. Er wollte es noch immer.

Mit einem Aufschrei stemmte sich der junge Zauberer gegen die Präsenz des Geistes, einem Schrei, der das Blut in seine tauben Hände zurückkehren ließ, der sein Herz kraftvoll antrieb, seine Lungen blähte, seinen Atem befreite, seine Kehle erzittern ließ, seine Muskeln spannte und seinen Geist Herr werden ließ über seine Sinne, einem Schrei, der infernalisch von den basaltenen Wänden der Höhle widerhallte, das Wasser des Sees kräuselte, die roten Schatten zurückdrängte und ihn schließlich, all seiner Kraft beraubt, aber frei, zu Boden sacken ließ.

Zitternd lag Aureolus auf dem Stein am Ufer des Sees. Im warmen Licht der Gwen-Petryl-Steine wirkte dieser so still und friedlich wie zuvor. Als sei nichts geschehen. Der Geist – nein: die Geister – aber waren noch da. Irgendwo unter dem Wasser. Er hatte ihnen ihren Platz gewiesen. Sie fürchteten ihn. Aber sie schätzten ihn nicht. Er musste vorsichtig sein. Erst, wenn er Ghazal wirklich besiegt, erst wenn er unbestreitbar Nuranshâr der Bâni Khadr war, würde er wagen können, sie zu beherrschen.

Aureolus rappelte sich auf, hob die Phiole auf. Er zögerte kurz, dann tauchte er sie ins Wasser, leerte sie in einem Zug, füllte sie erneut. Ein Zittern lief durch den See. "Ich bin der Nuranshâr", flüsterte er, steckte das Fläschchen zu den anderen in seiner Gürteltasche. Das Wasser schwieg.

Es führte kein Weg daran vorbei: Er musste Ghazal vernichten! Die Geister sahen in dem Alten noch immer den rechtmäßigen Schamanen. Mochte er die einfältigen Wilden auch täuschen, die Geister würde er nicht täuschen können. Morgen Nacht würde er ins Zelt des Schamanen schleichen und ihm seinen Dolch ins Herz stoßen. Aureolus stockte. Die Gedanken des Geistes fielen ihm wieder ein, die zu seinen Gedanken geworden waren. Wo der Windgeist sei. Wie er den Nuranshâr habe besiegen können. Wie er den Windgeist besiegt habe. Was für ein Windgeist? Plötzlich fügten sich Bilder aneinander wie die Steine eines Mosaiks: Der brabbelnde Alte – redete er vielleicht gar nicht mit sich selbst? Ghazal, der mit seiner Knochenkeule auf einen jungen Ferkina wies, der wie von Zauberhand zu Boden geschleudert wurde. Aureolus hatte angenommen, dass der Keule ein ähnlicher Zauber innewohnte wie seinem eigenen Stab, einer, den die Gildenmagier scherzhaft 'Hammer des Magus' nannten. Aber woher sollte der Alte Kenntnis über das gildenmagische Ritual haben? Und manchmal erschien der Nuranshâr in kürzester Zeit an einem Ort und bald darauf am nächsten. Dass aber die Wilden um die Thesis des Transversalis wussten, war ausgeschlossen. Und wenn Aureolus' es sich recht überlegte, hatte er den Alten nicht einfach verschwinden sehen, wie dies beim Eintritt in den Limbus der Fall war, vielmehr war er in Windeseile entschwunden.

In Windeseile! Das also war sein Geheimnis! Der Alte vermochte dem Wind zu befehlen. Wie er den Windgeist besiegt habe? Aureolus lachte. Das war es: Nicht einmal der Wind selbst, ein Geist! Wenn er Ghazal vernichten wollte, musste er erst an diesem Geist vorbeikommen. Ein Windgeist also. Ein Elementargeist. Bestimmt kein minderer Geist, dazu war er zu mächtig. Wohl aber auch kein elementarer Meister, der würde sich niemals dem Willen eines greisen Ferkina unterwerfen, selbst wenn dieser mächtiger sein sollte, als Aureolus ihn bislang eingeschätzt hatte. Ein Dschinn vielleicht? Ja, das konnte sein. Aus irgendeinem Grund musste Ghazal dauerhaft Macht über das Wesen haben oder dieses dem Alten loyal ergeben sein. Wenn es Aureolus gelänge, den Dschinn zu töten oder zu bannen, würde er auch Ghazal aus dem Weg räumen können. Unglücklicherweise war er in Mordaza Maranetas Lehrstunden über Elementarmagie wenig aufmerksam gewesen. Konnte man Dschinne töten? Und wie bannte man sie? Zu dumm, er hatte wohl einiges nachzuholen! Seine Bücher lagen in seinem Kindergemach auf Burg Albacim. Es war wohl wirklich an der Zeit, der Mutter mal wieder einen Besuch abzustatten.

"Ihr wisst ja gar nicht, was ihr mir für einen Dienst erwiesen habt", flüsterte Aureolus den unsichtbaren Geistern zu und grinste. "Adios, ihr Süßen, wir sehen uns bald wieder. Dann werdet ihr euren wahren Meister kennen lernen."

Aureolus verschränkte die Arme vor der Brust, um sich auf die Burg seine Mutter zu teleportieren, doch dann zögerte er. Nein, er konnte Romina nicht tagelang alleine lassen! Er musste sie mitnehmen! Oder irgendwo anders verstecken. Wenn er aber ins Lager zurückkehrte, brauchte er seine Kräfte. Seufzend nahm Aureolus seinen Stab auf, ließ ihn entflammen und wandte sich dem Ausgang der Höhle zu. Sein Kopf schmerzte noch immer, und der Kampf gegen den Geist hatte ihn ermüdet. Um so wichtiger war es, dass er mit seinen Kräften haushielt.

Nur wenige Schritte außerhalb der Höhle hielt der junge Zauberer an und lauschte. Zum Namenlosen, was war das? Hundegebell? Hier unten? Aureolus löschte das Feuer am Kopf seines Stabes und lauschte in die Dunkelheit. Wenn seine Sinne ihm keinen Streich spielten, gab es keinen Zweifel: Irgendwo da oben in der Finsternis bellte ein Hund.



Chronik:1033
Der Ferkina-Feldzug
Teil 15