Chronik.Ereignis1033 Feldzug Raschtulswall 07

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Kaiserlich Selaque, 16. bis 19. Praios 1033 BF

Rund um die Ortschaft Elenta


Unterwegs in Kaiserlich Selaque

Autoren: von Scheffelstein, SteveT, Der Sinnreiche Junker von Aranjuez

16. Praios

Nachdem sie die gefallenen Mercenarios und den Leichnam der Inquisitorin an der rückwärtigen Seite des Inquisitionsturmes in Elenta bestattet hatten, kehrten Domna Rifada da Vanya, Dom Moritatio da Vanya, Domna Richeza von Scheffelstein und Dom Hernán von Aranjuez in Begleitung von Anzures Ballan und den sechs überlebenden Mercenarios zurück zum Castillo da Vanya. Der Nachmittag war bereits fortgeschritten, und niemand verspürte das Bedürfnis, an diesem Tag noch einmal Ferkinas zu begegnen, auch wenn Domna Rifada betonte, dass es ihrer aller heilige Pflicht sei, das Rossbanner der heiligen Hadjinsunni so rasch wie möglich aus den Händen der Barbaren zu befreien. Es dämmerte bereits der Abend, als die Magnaten das Castillo da Vanya erreichten.Wie schon bei ihrem ersten Eintreffen waren Zugbrücke und Fallgatter der Barbakane der für einen Junkersitz auffällig großen Burg geschlossen und wiederum schallte vom Torturm die Frage herab: "Parole?", obwohl sie der Türmer im Licht des Abendrots gewiss allesamt noch sehr gut erkennen konnte.

"Euch Trottel soll der Blitz beim Scheissen treffen!", brüllte Junkerin Rifada statt einer Antwort hinauf. "Seid ihr denn blind, dass ihr eure eigene Herrin nicht erkennt?" Kopfschüttelnd wandte sie sich leiser an ihren Sohn: "Welchen Tag haben wir heute?" "Windstag, Mutter!", antwortete dieser. "Die Parole lautet heute also ..."

"TOD DEM ROTEN DRACHEN!", brüllten Mutter und Sohn unisono hinauf - eine Anspielung auf die Feindschaft zum Hause Harmamund, die aus dem 'Ragather Rosenkrieg' hervorgegangen war. Tatsächlich setzen sich sofort die Ketten der Zugbrücke rasselnd in Bewegung, und das Fallgatter wurde quietschend emporgezogen um die Gruppe in den Burghof zu lassen, wo sogleich einiges Gesinde und der Hausherr, Domna Rifadas Ehegemahl Berengar von Schlehen, zusammenliefen.

"Liebling! Du bist schon zurück", freute sich dieser und wollte seine Frau umarmen, die ihn aber mit dem Ellenbogen wie einen lästigen Bittsteller auf Distanz hielt, sodass er stattdessen nur seinen Sohn umarmte und auch seiner angeheirateten Nichte Richeza freundlich übers Haar strich. Vor Dom Hernán verbeugte er sich tief.

"Schon gut, schon gut Berengar! Sorg dafür, dass uns ein anständiges Mahl aufgetischt wird! Aussdem brauche ich sogleich einen Schreiber - ich habe einen Brief zu diktieren!", spornte ihn seine Gemahlin an, auf der Stelle in hektische Betriebsamkeit zu verfallen. Dom Berengar nickte anfangs eilfertig, blickte sie dann aber etwas konsterniert an: "Aber ... aber, mein Liebling - wir haben doch gar keinen Schreiber. Hast du das vergessen? Für solche Dinge haben wir kein Geld!"

Ein vernichtender Blick seiner Gattin ließ den untersetzten Mann scheinbar noch kleiner werden, da seine Schultern nach unten sackten. "Das weiß ich!" giftete ihn die Junkerin an, die sich vor allem darüber ärgerte, dass der Einfaltspinsel so etwas vor Fremden wie Dom Hernán ausplaudern musste. Der Dubianer musste ja glauben, dass sie - als altfürstliches Geschlecht - geradezu am Hungertuch nagen würden, was von der Wahrheit doch weit entfernt war. "Du sollst mein Schreiber sein! Meine eigene Klaue ist zu unleserlich, wenn ich wütend bin, und glaube mir, wir haben heute noch nichts außer Zorn gefressen! Also los jetzt - subito! Das gilt für alle, ihr Faulpelze!"

Auf der Stelle kam Bewegung in das vorher gaffende Burggesinde, und kaum eine halbe Stunde später saßen Hausherrin und Hausherr, ihr Sohn, Domna Richeza und Dom Hernán beisammen an der langen Tafel im Rittersaal des Castillos, an der sie schon heute Morgen ihr Frühmahl eingenommen hatten. Der Großinquisitor war inzwischen abgereist - nicht gen Selaque, wie Domna Rifada vermutete, sondern nach Norden, in einer kirchlichen Mission in Richtung des Reichsforstes, wie Dom Berengar berichtete.

Während für alle anderen Teller mit gebratenem Kapaun aufgetragen wurden, hatte Dom Berengar Schreibzeug vor sich liegen und spitzte seine Schreibfeder mit einem scharfen Messerchen an, als ihm seine Gattin - dabei mit vollem Mund kauend - zu diktieren begann: "Also los - schreib: An Dom Brandil Doppelpunkt ..."

Dom Berengar nickte und begann zu schreiben - er schrieb und schrieb, und bald waren drei Zeilen auf seinem Pergament gefüllt, ohne dass Domna Rifada ein weiteres Wort diktiert hätte. Diese trommelte ungeduldig mit den Fingern auf der Tischplatte, bis sie irgendwann losschimpfte: "HimmelHerrPraios nochmal, Berengar! Wie lange brauchst du denn, um drei kleine Worte zu schreiben?"

Dieser schüttelte spitzfindig den Kopf: "Ich habe natürlich geschrieben: Zu Händen des hochwohlgeborenen Herrn Grafen Brandil Ingenius Leoderich von Ehrenstein und Streitzig älteren Hauses, Graf von Caldaia, Ragatien und Bosquirien, Markherr von Ragathsquell, Großkomtur des Ordens vom wundersamen Rossbanner der Heiligen Hadjinsunni zu Blutfels, Edler von Natym, Molay, Paraenen und Arbasim, Marktherr von Schlangentodt, Wormsalt, und Sebeloh, Ritter zu ..."

Rifada ließ ihr Essmesser geräuschvoll auf den Tisch fallen und es dann - mit der Spitze voran - die lange Tafel hinunterrutschen, wo ihr Ehegemahl ihr am anderen Kopfende der Tafel gegenüber saß. "Schneid' das alles weg und fang nochmal von vorne an! Du schreibst nur haargenau das, was ich dir sage! Wenn du den Torbier 'Hochwohlgeboren' oder 'Graf' nennst, denkt er am Ende noch, ich würde seine Ansprüche auf den Marmorthron anerkennen, was ich aber keineswegs tue! Also los, schreib: An Dom Brandil ..."

Berengar von Schlehen schluckte: "Aber du kannst einen Brief an den Grafen doch nicht einfach mit 'Dom Brandil' beginnen ..."

Rifada kratzte sich am Kopf: "Hm, du hast vielleicht Recht! So redet man Landsleute an, aber er ist ja bloß ein Auswärtiger. Also lass das 'Dom' weg - schreib einfach nur: 'An Brandil von Ehrenhain oder Ehrenstein oder wie immer diese Tobrier heutzutage heißen mögen!"

Kopfschüttelnd schrieb ihr Mann tatsächlich nur 'An Brandil von Ehrenstein-Streitzig'.

Domna Rifada fuhr während des Essens weiter mit ihrem Diktat fort: "Ich muss Euch mitteilen, dass der von Euch entsandte Orden vom wundersamen Roßbanner von einem der Wildenstämme des Raschtulswalls in der Nähe meiner Besitzungen ausgemordet wurde und dass sich Eure Tochter mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Hand der Wilden befindet oder ebenfalls bereits tot ist."

"Ähem, wäre es nicht vielleicht taktvoller und vor allem mitfühlender", versuchte Dom Berengar vorsichtig einen neuerlichen Einwand, "den Brief mit den Worten einzuleiten: 'Zu meiner allergrößten Bestürzung und Trauer muss ich Euch leider mitteilen ...?'"

"Was soll die Heuchelei?", brauste Domna Rifada auf. "Wenn die Sippe deines Gegners geschwächt und dezimiert wird, daran kann ich nichts Schlechtes finden! Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, als Frau in der Gefangenschaft dieser Tiere zu geraten. Darum - und nur darum! - werden wir auch versuchen, das Mädchen dort herausholen, wozu ich gleich noch kommen werde. Wenn wir sie aber tatsächlich lebend befreien, und sie stürzt nach ihrer Befreiung auf dem Rückweg in eine tiefe Schlucht, so wird mir das ganz gewiss nicht den Tag vermiesen. Diese Leute gehören einfach nicht hierher - das ist UNSER Land!" Sie machte eine weitausholende Geste, die Domna Richeza, ihren Sohn - ja sogar auch Dom Hernán miteinschloß. Dann wank sie ab: "Aber gut - weiter im Text ..."

Tatsächlich flatterte kurz nach Sonnenaufgang des nächsten Tages eine Brieftaube mit einer - sehr kurzen und kühlen - Nachricht vom Bergfried aus in Richtung der Grafenfeste von Ragath.

17. Praios

Als der Morgen des nächsten Tages angebrochen war, ließ Domna Rifada ihre Nichte wecken und hieß sie, sich nach dem Frühmal im Burghof einzufinden, um ihren erbarmungswürdigen Umgang mit dem Säbel zu verbessern. Zwar hatte ein Bad am vergangenen Abend die Lebensgeister der Edlen zurück in ihren geschundenen Leib gerufen, dennoch war sie wenig angetan von der Vorstellung, mit ihrer muskelbepackten Tante die Klinge zu kreuzen. Ihr linker Oberarm hatte sich dort, wo die Axt sie getroffen hatte, blau und rot verfärbt und ließ sich kaum bewegen, und ihre Rippen sahen nicht besser aus. Domna Rifada aber zeigte wenig Nachsicht und herrschte ihre Nichte nach deren ersten, halbherzigen Schlägen an, sie solle sich nicht so anstellen wie eine Yaquirtaler Laffentochter, die Ferkinas würden gewiß auch keine Rücksicht nehmen auf die Befindlichkeiten eines Zuckerpüppchens. So biss die Landedle grimmig die Zähne zusammen und ließ sich von der Junkerin kreuz und quer über den Burghof scheuchen, zu Fuß erst und dann auf ihrem Ross. Zwar merkte sie, dass sie nicht alles vergessen hatte, was Abelardo Mansarez, der Hauptmann der Leibgarde ihres Großvaters ihr beigebracht hatte doch hatte sie weitaus mehr Zeit mit ihrem Haus- und Fechtlehrer, Omar Melekh ibn Jikhbar, verbracht, sodass ihr seine Lieblingswaffen, Degen und Rapier, deutlich besser in der Hand lagen.

Obwohl Domna Rifada nur mit stumpfer Klinge kämpfte und ihre Schläge nicht immer mit voller Kraft durchzog, zierten Domna Richezas Arme am Ende der Übungsstunde weitere blaue Flecken. Nichtsdestotrotz drängte Domna Rifada darauf, gleich nach dem Mittagsmahl aufzubrechen, um die Kate des Heilers zu suchen, die sich südlich von Elenta an einem Waldrand befinden sollte. Aus dem Inquisitionsturm hatten sie sämtliche Dokumente mitgenommen, die sie über Tsacharias Krähenfreund und seine Verwandten hatten finden können. Neben einer Akte über den Heiler selbst hatten sie auch eine über Udinia gefunden, die wohl seine Schwester war und laut der verstorbenen Inquisitorin ebenfalls wenig perainegefälligen Heilkünsten nachging. Den Schriftstücken hatte man entnehmen können, dass Tsacharias und Udinia Krähenfreund einer Hirtenfamilie entstammten, deren Mitglieder rings um Elenta ansässig waren. Die Kiste schließlich, die Domna Rifada in der Asservatenkammer gefunden hatte, hatte einige Tiegelchen und Tonfläschchen enthalten, die – bis auf eines – zerbrochen waren, als die Vanyadâlerin die Truhe aus dem Fenster des Turmes auf die Ferkinas hinabgeschleudert hatte. Beschmutzt zwar mit der ausgelaufenen Flüssigkeit, hatten sie ein Pergament retten können, das eine Zeichnung – oder eine Karte? – zeigte, mit der niemand etwas hatte anfangen können. Auch die Schriftzeichen, die am Rand des Pergaments abgebildet waren, konnte keiner der Magnaten entziffern.

Tsacharias' Kate zu finden, war trotz der Angaben der Inquisitorin nicht leicht. Und so wurde es Abend, ehe sie die hinter blühenden Sträuchern verborgene Hütte entdeckten, aus deren Dach eine junge Birke wuchs, und die auch sonst einen lange verlassenen Eindruck machte. Ein Reh floh aus dem verwilderten Garten, als sie sich dem Häuschen näherten. Die Kate hatte nur ein Zimmer, spärlich möbliert mit einer Bettstatt, einem Tisch und einer Truhe, deren Holz von Pilzen befallen war. Der festgestampfte Lehmboden war mit Brennnesseln überwuchert, die Feuerstätte von Spinnweben verhangen. Sie stellten alles auf den Kopf, doch außer zerbrochenen Tonkrügen, schimmligen Lumpen und einem rostigen Messerchen fanden sie nichts, was auf den einstigen Bewohner hindeutete. Das, was die Inquisitorin nicht beschlagnahmt hatte, hatten wohl Plünderer – vor oder nach ihr – entwendet.

Enttäuscht, keine weitere Hinweise auf Tsacharias Krähenfreund gefunden zu haben, sprach Domna Richeza sich dafür aus, sich in Elenta nach den Verwandten des Heilers zu erkundigen. Nach einigem Hin und Her schlug Domna Rifada vor, in Elenta zu nächtigen, um am nächsten Tag keine Zeit zu verlieren. Auf dem geplünderten Anwesen eines Vetters Domna Praiosmins bezogen sie Quartier. Und während die Mercenarios des Dubioser Barons und Domna Rifadas Kriegerinnen, die sie von der Burg mitgenommen hatte, sich während der Wache misstrauisch gegenseitig beäugten, machten es sich die Adligen bequem in den Betten der in der Wohnstube grausam hingeschlachteten Familia von Elenta.

Tief in der Nacht spürte Domna Richeza im Halbschlaf, wie jemand sacht über ihr auf dem Kissen ausgebreitetes Haar strich und eine weitere Decke - oder einen Umgang? - über sie legte. Am nächsten Morgen fand sie ihren Vetter Moritatio zusammengerollt zu Füßen ihres Bettes, und es war tatsächlich sein Umhang, den er in der Nacht über sie gebreitet hatte, obwohl er dadurch selbst ohne Zudecke hatte schlafen müssen.

18. Praios

Auch am Morgen des 18. Praios ließ Domna Rifada es sich nicht nehmen, ihre Nichte persönlich im Reiterkampf zu unterweisen, bis diese kaum noch fähig war, den Säbel festzuhalten. Diesmal nämlich hielt die Junkerin sich nicht zurück und prellte der keuchenden Domna Richeza mehrmals mit Wucht die Waffe aus der immer kraftloser werdenden Hand, derweil die Söldner des Aranjuezers teils feixend, teils gelangweilt zusahen.

Schließlich machte die Junkerin sich wortlos auf, um zusammen mit einer ihrer Getreuen in Elenta der Dorfbevölkerung einige Anweisungen zu erteilen.

Domna Richeza ließ sich von ihrem Ross herab, das ebenso schwitzte wie sie selbst, und begann, es mit Tuch und Bürste trocken zu reiben, sich der Blicke der Mercenarios nur zu bewusst, die vor dem Haupthaus des Anwesens herumlungerten und auf die Rückkehr Domna Rifadas warteten.

Noch ein paar Monate, rief ihr einer der Söldner zu, und sie könne es sicher mit der alten Vettel aufnehmen. Noch ein paar Jahre, fügte er mit anzüglichem Grinsen hinzu, und sie könne vielleicht auch gegen ihn bestehen.

Für einen Augenblick sah es so aus, als wolle die zornglühende Domna sich auf den Mercenario stürzen und ihn ob seiner Frechheit auf der Stelle erschlagen. Dann aber kniff sie die Augen zusammen, presste die Lippen aufeinander und angelte mit dem Fuß nach einem der Säbel, die ihre Tante vor der Lehrstunde an der Hauswand bereitgelegt hatte, beförderte ihn elegant in die Luft, fing ihn auf und warf ihn, Korb voran, dem Söldner zu.

"Was, eine scharfe Waffe?", fragte der Mann, als er den Säbel auffing. "Oh, nein, ich will Euch doch nicht verletzen!"

Domna Richeza aber blickte ihn nur kalt an und meinte, wenn sein Mut nur halb so groß sei wie sein unverfrorenes Mundwerk, solle er aufstehen und kämpfen. Da zwinkerte der Söldner seinen Kameraden und Kameradinnen zu, die ihm auf die Schultern klopften, und stellte sich der Domna gegenüber in der Mitte des Hofes auf.

Die Edle merkte rasch, dass sie in ihrem erschöpften Zustand dem Mann weder an Kraft noch an Schnelligkeit, schon gar nicht aber, was die Kunstfertigkeit seiner Attacken anging, gewachsen war. Doch damit hatte sie auch nicht gerechnet. Und so beschränkte sie sich darauf, den Hieben des grinsenden Söldners auszuweichen. Nach einer Weile aber verlegte sie sich darauf, immer wieder auf seine rechte Schulter zu schauen, ein Lächeln zu unterdrücken, mal die Stirn zu runzeln. Als sie sich sicher war, dass ihre Blicke dem Söldner nicht entgangen waren, hielt sie plötzlich inne.

"Entschuldige!", sagte sie, mit dem freundlichsten Lächeln und strahlenden Augen, "darf ich?" Sacht streckte sie die Hand nach seinem Haar aus, und der Mercenario neigte ein wenig den Kopf, in Erwartung einer zärtlichen Berührung. Doch die Finger der Edlen griffen alles andere als behutsam nach seinem Haar, rissen grob seinen Kopf zurück. Erschrocken und zornig schrie der Söldner auf, doch zu spät – Domna Richeza hatte ihren Fuß hinter sein Bein gebracht und warf sich mit der Schulter gegen seine Brust, sodass er rückwärts stolperte. Fallend griff er nach ihrem Hemd, um sich festzuhalten, doch sie schlug seine Hand beiseite, und binnen eines Augenblicks spürte er die Klinge des Säbels an seiner Kehle.

"Noch ein paar Jahre", verhöhnte sie den auf dem Rücken liegenden Söldner, "und du hast vielleicht gelernt, dass nicht immer der einen Kampf gewinnt, der seine Waffe besser zu führen weiß, sondern die, die ihr Ziel nicht aus den Augen verliert." Damit verpasste sie ihm einen Schlag mit der Breitseite des Säbels an seine Wange und wandte sich ab, um ihr Pferd zu striegeln.

Hilfe suchend blickte der vorlaute Mercenario in Richtung seines Soldherren, der zusammen mit Anzures Ballan in einiger Entfernung auf einer Bank saß, wo die beiden Aranjuezer ihre Klingen geschärft hatten, derweil sie, nicht ohne das eine oder andere freilich nur leichte Kopfschütteln, den beiden Domnas bei den Übungskämpfen zusahen. Offenbar waren beide der Meinung, dass die wenigen Fortschritte, die man in so kurzer Zeit machen konnte, im Hinblick auf die zu erwartenden Anstrengungen bei der weiteren Suche keinesfalls die verlorenen Kräfte und lädierten Glieder aufwiegen konnten. Doch verspürte der Baron offensichtlich wenig Lust, sich mit der Hausherrin anzulegen, und so ertönte von ihrem Platz primär das monotone Scharren der Wetzsteine.

Erst als Anzures seinen Herrn darauf aufmerksam machte, dass sich nun einer der Söldner und Domna Richeza gegenüber standen, verstummte das Scharren, und Anzures’ Antlitz wandte sich zu einem breiten Grinsen, welches auch nur kurz getrübt wurde, als sein Nebenmann anscheinend den Vorschlag einer Wette abgelehnt hatte und, interpretierte man den Griff nach des Waffenmeisters Arm richtig, ihm wohl auch verboten hatte, rasch zu den übrigen Mercenarios zu gehen, um dort dasselbe Angebot zu machen.

Interessiert verfolgten die beiden den Kampf, und schienen auch hin und wieder einen nur für sie hörbaren Kommentar abzugeben, bis schließlich Domna Richeza ihren vorlauten Gegner mit einer List zu Boden beförderte. Während nun Anzures hörbar Applaus spendete, zuckte Hernán von Aranjuez gegenüber dem Söldner nur schmunzelnd mit den Schultern. Man war hier immerhin nicht im Rondra-Tempel.

Als Domna Rifada zurückkehrte, wusste sie zu berichten, dass Tsacharias Krähenfreund zwei Kinder und einen Neffen hatte, die Hirten waren. Der Neffe, Usonzo, lebte mit seiner Mutter Udinia und seinem Sohn Miguelo auf einer Bergweide im Osten Elentas, nahe der Schlucht, in der die Rossbanner-Ritter ihr klägliches Ende gefunden hatten. Der Zugang zu der Weide befinde sich nahe eines einzeln stehenden Felsens, den die Elentaner 'Alveransklippe' nannten. Die Tochter des Heilers, so hatte die Junkerin aus den überlebenden Bewohnern des Ortes herausquetschen können, sei bei dem Überfall der Ferkinas getötet worden. Sein Sohn Zafiro habe sich seither nicht in Elenta blicken lassen, er wohne weiter im Westen auf dem Anwesen des früheren Inquisitionsrats Ucurian von Elenta, dem Vater Domna Praiosmins. Er stehe treu aufseiten der Vogtin und der heiligen Kirche des Praios, so hatten die Dörfler der verächtlich schnaubenden Domna Rifada erklärt, und habe nichts mit seinem ketzerischen Vater gemein.

Dennoch hofften die Magnaten, er wisse vielleicht mehr über den Aufenthaltsort seines Vaters, gerade wenn er den Praioten nahe stand. Und so beschlossen sie, zunächst Zafiro und auf dem Rückweg zum Castillo da Vanya seiner Tante Udinia einen Besuch abzustatten.

Sie waren noch nicht lange aus Elenta heraus, als sie hinter einer Wegbiegung auf eine Handvoll Ferkinas stießen, die unbekümmert auf einem Hügel rasteten und eine Ziege ausnahmen, die sie zweifelsohne gestohlen hatten. Die sechs Männer konnten kaum nach ihren Waffen greifen, da hatte Domna Rifada den ersten bereits niedergeritten und einem zweiten mit dem Morgenstern den Schädel eingeschlagen. Die Barbaren schienen jedoch nicht gewillt, sich einfach abschlachten zu lassen. Sie sprangen auf ihre Bergpferdchen und trieben die Tiere rasch den Hügel hinan und in den Wald hinein, wohin die Magnaten ihnen mit den größeren Rössern nicht ohne Weiteres nachfolgen konnten. Einen noch holte Anzures Ballan mit einem mächtigen Hieb von seinem Pony, ehe eine der Söldnerinnen den Gestürzten kaltblütig erschlug. Drei Wilde aber entkamen, denen die Vanyadâlerin einige krude Beschimpfungen in ihrer eigenen Sprache hinterher rief.

Beim Stammsitz der Familia von Elenta erlebten die Magnaten eine neuerliche Enttäuschung: Das Landhaus Domna Praiosmins war bis auf die Grundmauern niedergebrannt, das Feuer hatte auf die Felder und Weiden übergegriffen und diese in eine schwarze, stinkende Aschewüste verwandelt. Das Unwetter hatte die Flammen gelöscht, aber hier und dort wanden sich noch immer Rauchsäulen aus den Trümmern des Palacios. Auch die benachbarten Gesindehütten und Höfe waren dem Brand zum Opfer gefallen, und weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Sie wollten schon umkehren, als eine der Mercenarias ein Mädchen erblickte, das sich zwischen den Mauerresten versteckte.

Als das Kind bemerkte, dass es entdeckt worden war, kletterte es über die Mauer und rannte mit bloßen Füßen über die kohlende Weide davon. Hätten die Söldner Böses im Sinn gehabt, wäre dies sein Tod gewesen. Nicht lange, und die Mercenaria hatte die Kleine eingeholt, die sich flehend und weinend mitziehen ließ. Älter als acht oder neun Götterläufe war sie gewiss nicht.

Es dauerte eine Weile, etwas Brauchbares aus dem verängstigten Kind herauszuholen, zumal es von Domna Rifadas barschem Verhörton nur noch weiter eingeschüchtert zu werden schien. Schließlich war es Dom Hernán, der dem Mädchen aufmunternd unter das Kinn fasste, es freundlich nach seinem Namen fragte und Anzures Ballan befahl, ihr etwas Brot und Käse aus ihrem Beutel zu reichen. Damit, womöglich mehr als mit den freundlichen Worten, gewann man das Vertrauen des hungrigen Kindes.

Bald wussten sie, dass die Bewohner des Anwesens sich vor einigen Tagen einen erbitterten Kampf mit den Ferkinas geliefert hatten, deren Überzahl jedoch offenbar nichts entgegenzusetzen gehabt hatten. Die Bergbarbaren hatten sämtliche Männer und Frauen niedergemetzelt, und auch die Kinder nicht verschont. In den Hals gebissen hätten die Ferkinas die Bewohner des Herrensitzes, erfuhren die Magnaten von dem schluchzenden Mädchen. Alles sei voller Blut gewesen, ja, durfte man dem Kind glauben, so hatten die Wilden das Blut ihrer Opfer sogar getrunken und ihnen die Herzen herausgerissen.

"Sayadim Zhul", stieß Domna Rifada zwischen den Zähnen hervor, ohne die anderen darüber aufzuklären, was sie damit meinte. Nur drei Frauen hätten die Ferkinas mitgenommen, nachdem sie ihnen schreckliche Dinge angetan hätten, erzählte das Mädchen. Es selbst habe sich im Kellereingang hinter der offenen Tür versteckt und sei erst hervorgekommen, als das ganze Haus brannte. Sie hätte nicht gewusst, wohin, sagte die Kleine, und sei am Schöpfeimer in den Brunnen hinabgestiegen und habe sich erst am vorigen Tag getraut, wieder herauszuklettern.

Ob sie einen Zafiro kenne, fragte Dom Hernán, und das Mädchen nickte und weinte und sagte, die Ferkinas hätten den Hirten an ein Pferd gebunden und hinter sich her geschleift, bis er sich nicht mehr gerührt habe, weil er zwei von ihnen mit der Mistgabel erstochen habe, als sie sich über seine Tochter hermachten.

Eine Weile herrschte betroffenes Schweigen, selbst die Söldner starrten zu Boden oder in den wolkenverhangenen Himmel und schienen nur wenig Interesse zu haben, sich in der rauchenden Ruine nach Beute umzusehen. Schließlich bestimmte Domna Rifada, dass man das Mädchen mitnehmen und in Elenta unterbringen werde, schließlich könne man es nicht alleine hier zurücklassen. Dom Moritatio reichte dem Kind die Hand und hob es vor sich in den Sattel, wo er ihm leise tröstende Worte zuraunte.

Nun lag alle Hoffnung auf Tsacharias Schwester Udinia. Doch die sollten die Magnaten an diesem Tag nicht mehr erreichen. Als sie zwischen den Hügeln hindurch wieder auf Elenta zu ritten, ließ Domna Richeza auf einmal den Trupp anhalten und lauschte mit erhobener Hand. Nichts war zu hören als der unschuldige Gesang eines Vogels auf einer Kiefer und das Spiel des Windes in den Blättern eines Lorbeerstrauches. Sie ritten weiter, aber bald darauf warf Dom Hernán der Edlen von Eslamsstolz einen nachdenklichen Blick zu. "Ihr habt recht", sagte er, "irgendetwas stimmt hier nicht." Schließlich konnte Domna Richeza ihre Tante überzeugen, eine ihrer Kriegerinnen als Späherin vorauszuschicken, die bald darauf zurückkehrte und erklärte, fast dreißig Ferkinas hätten sich in der Elentinischen Ebene versammelt, und sie könnte schwören, unter ihnen jene erkannt zu haben, die sie am Vormittag in die Flucht geschlagen hatten.

Zunächst versuchten die Magnaten, einen Bogen um Elenta zu machen, um sich dem Ort von der anderen Seite zu näheren. Nicht lange aber, und sie bemerkten, dass die dreißig Ferkinas nicht die einzigen waren, die sich in der Ebene aufhielten. Nach nur einer halben Stunde wären sie beinahe einer Handvoll weiterer Wilder in die Arme gelaufen, bei denen es sich ganz offenbar um Späher handelte. Wen sie suchten, blieb auch nicht lange ein Geheimnis: die Magnaten selbst. Domna Rifada wollte kurzen Prozess mit den Barbaren machen, doch Dom Hernán sprach sich entschieden dagegen aus: Sie waren nicht hier, um Ferkinas zu jagen, und wenn auch nur einer der Ferkinas entkäme, dann wären sie alle geliefert, denn gegen dreißig würden sie nicht bestehen.

Schließlich mischte sich Domna Richeza in den Streit ein und pflichtete dem Dubioser Baron bei: Tot, sagte sie, nützten sie Praiodor und seiner Mutter nichts, und nur derentwegen seien sie schließlich hier. "Und um das heilige Rossbanner zurückzugewinnen - vergesst das nicht!", gab die Junkerin von Vanyadâl für dieses Mal klein bei, der es alles andere als genehm war, auch nur einen Ferkina hier in der Ebene am Leben zu lassen.

Bald kamen die Magnaten zu dem Schluss, dass es das Sicherste sei, zu den niedergebrannten Gehöften zurückzukehren und dort die Nacht abzuwarten, in der Hoffnung, die Wilden seien bis dahin weitergezogen. So rasteten sie zwischen verkohlten Balken und rußschwarzen Mauern in einem Bauernhaus und ließen je drei von ihnen Wache halten, während die übrigen Schlaf zu finden versuchten, der immer wieder unterbrochen wurde vom unruhigen Schnauben der Pferde oder dem Knacken und Knirschen im brandgeschwächten Gebälk.

19. Praios

Es mochte ein oder zwei Stunden vor Sonnenaufgang sein, als Domna Rifada zum Aufbruch drängte. Schweigend setzte sich die Truppe in Marsch, eine berittene Späherin vorneweg. Es hatte zu regnen begonnen; das Wasser wusch Asche und Staub in ihre Kleider. Müde kämpften sich die Söldner vorwärts, ihre Augen brannten vom Rauch, dem sie für Stunden ausgesetzt gewesen waren. Keiner sprach, nur ab und an übertönte ein halblauter Fluch das eintönige Prasseln des Regens. Den Plan, das Mädchen in Elenta abzuliefern, hatten sie längst aufgegeben. Elenta war nicht sicher, und sie zu wenige, um den Dörflern zu Hilfe zu kommen. Sie konnten nur hoffen, dass die Überlebenden auch dieses Mal gute Verstecke fanden. Domna Rifada führte die Bewaffneten in einem weitläufigen Bogen um das Dorf herum, diesmal durchaus darauf bedacht, dass die Mercenarios nicht zu weit zurückblieben. Ein- oder zweimal meinten sie, den Schein von Lagerfeuern oder Fackeln zwischen den Hügeln auszumachen, und einmal mussten sie in ein Waldstück ausweichen, um nicht doch zufällig entdeckt zu werden.



Chronik:1033
Der Ferkina-Feldzug
Teil 07