Chronik.Ereignis1033 Feldzug Raschtulswall 05
Kaiserlich Selaque, 16. Praios 1033 BF
In der Ortschaft Elenta
Der Inquisitionsturm
Autor: von Scheffelstein
Elenta glich einem Geisterdorf. Viele der Häuser waren heruntergebrannt, die meisten verlassen. Überall lagen Leichen herum. Einige hatten die überlebenden Bewohner bereits zu Haufen zusammengetragen, aber immer wieder stießen sie auf Tote, deren faulende Kadaver in der Sonne brieten. Viele Überlebende gab es anscheinend nicht, und wenn, hielten sie sich in ihren Häusern verschanzt oder waren geflohen.
Die wenigen Männer und Frauen, denen sie begegneten, machten einen verängstigten Eindruck. Zwar schienen sie froh, Domna Rifada in bewaffneter Begleitung zu sehen, konnten eine gewisse Enttäuschung darüber jedoch nicht verbergen, dass sie nur so wenige waren. Mindestens hundert Ferkinas seien über das Dorf hergefallen, hatte die Alte berichtet. Und auch, wenn Richeza gewisse Zweifel daran hatte, dass die Frau weiter zählen konnte als ihre Finger reichten, machte das Ausmaß der Verwüstung doch deutlich, dass hier nicht eine einfache, kleine Räuberbande eingefallen war.
Ungeduldig befragte Richeza die Elentaner nach dem Heiler, den Amando Laconda da Vanya ihnen beschrieben hatte. Doch meist ernteten sie nur ein scheues Kopfschütteln. Der Name Tsacharias schien den Dörflern nichts zu sagen. Oder aber – dieses Eindrucks konnte die Edle sich nicht erwehren – sie hatten Angst, mit ihm in Verbindung gebracht zu werden. Die Inquisitorin schien in Elenta ganze Arbeit geleistet zu haben. Wenn überhaupt jemand etwas über Tsacharias zu wissen schien, dann hieß es, er sei schon lange nicht mehr gesehen worden, schon vor Jahren vor der Inquisition in die Berge geflohen oder gar tot.
Schließlich schlug Domna Rifada grimmig vor, die Inquisitorin selbst nach dem Heiler zu befragen. Zumindest würde man von ihr erfahren, ob er der Suprema zum Opfer gefallen war oder nicht. Doch als sie sich dem Inquisitionsturm am Rand der Ortschaft näherten, wurden Richezas Hoffnungen jäh zunichte gemacht. Schon von Weitem war der Leichnam von Liguria Sgiliazzo zu erkennen, der mit einer Spitzhacke und einer abgebrochenen Mistgabel an die Tür des Turmes gespießt worden war.
"So also schützt Praios seine Diener", spottete Domna Richeza. Doch als sie den geschändeten, entstellten Leib der Inquisitorin aus der Nähe sahen, schluckte sie. Die rote, golddurchwirkte Robe hing in Fetzen am Körper der Frau herab, der über und über von stumpfen und spitzen Wunden übersät war, an denen die Fliegen sich labten. Getrocknetes Blut hatte die Steine zu Füßen der Gepfählten braun gefärbt. Am schlimmsten aber war der Ausdruck ihres Gesichts: der qualvoll verzerrte Mund, die weit aufgerissenen, eingetrockneten Augen, himmelwärts gerichtet wie zu einem letzten Gebet, da das Haar der Inquisitorin sich an einem der Eisenbeschläge der Tür verfangen hatte und so den Kopf überstreckt hielt.
"Barbaren!", murmelte die Edle heiser und stemmte sich mit dem Fuß gegen die Tür, um die Mistgabel aus dem Leib der Toten zu zerren. Vom eigenen Schwung mitgerissen, stolperte sie rückwärts, als das tödliche Werkzeug sich aus dem Holz der Tür löste. Achtlos ließ Richeza es fallen und griff nach der Hacke, doch die hatte die Tür durchschlagen, und die Kraft der Edlen reichte nicht aus, sie herauszuziehen. Schließlich gab sie auf und wandte sich ab. Wortlos schüttelte sie den Kopf, dass sonnengebräunte Gesicht merklich blasser.
Autor: Der Sinnreiche Junker
„Bestimmt gibt es im Turm Aufzeichnungen, Protokolle von Vernehmungen, Schriftverkehr und dergleichen. Die Inquisition neigt in derlei Hinsicht nicht zur Schlamperei“, murmelte Hernán von Aranjuez, ehe er den soeben schnaufend eingetroffenen Mietlingen ein Zeichen gab, sich um den Leichnam Domna Ligurias zu kümmern. Auch diese hatten mit der Spitzhacke ihre Mühe, doch nachdem mehrere Paar Hände angefasst hatten, gelang es die Inquisitorin von der Tür zu lösen, wobei einige Haarsträhnen an der Tür zurück blieben. Eine der Mercenarios hatte sie kurzerhand abgeschnitten, nachdem sich das Entwirren als zu aufwändig erwiesen hatte.
„Domna Rifada, auf ein Wort“, wies der Baron derweil an eine von dem Treiben etwas abseits gelegene Stelle. Als er sich vergewissert hatte, dass niemand zumindest seine abgesenkte Stimme würde hören können, hob er zu sprechen an: „Ich respektiere Eure Fähigkeiten als Kriegerin, und für Euren unbestrittenen Mut habt Ihr meinen Respekt. Gleichermaßen akzeptiere ich selbstverständlich, dass Ihr hier in Eurem Land und mit den Gegegebenheiten vertraut die Führung übernehmt.“
Immer noch höflich, doch mit nun einigem Ärger verratendem Mienenspiel fuhr er fort: „Doch wenn Ihr noch einmal Eurem Ross einfach die Sporen gebt, ohne zu wissen ob sich hier fünf oder fünfzig Ferkinas herumtreiben, dann werdet Ihr das alleine tun müssen. Und nicht nur das, dann kehre ich mit allen meinen Leuten um, und Ihr könnt Euren amazonischen Narreteien alleine weiter frönen. Vielleicht habt Ihr’s ja vergessen, aber wir sind hier um Domna Fenia und ihren Sohn zu suchen, und nicht um uns leichtfertig abstechen zu lassen ...“
Autor: SteveT
Der Anblick der vielen grausam niedergemetzelten Leichen schien selbst der äußerlich so hartgesottenen Vanyadâlerin nahe zu gehen. Die meisten der Ermordeten waren immerhin bis vor 8 Jahren ihre Untertanen gewesen. Viele kannte sie vom Sehen, einige sogar namentlich. Sie presste schweigend die Lippen aufeinander und schaute resigniert nach links und rechts, während die Gruppe langsam und bedächtig durch Elenta ritt bzw. schritt - wohl in der Hoffnung, irgendwo noch auf eine größere Anzahl Überlebender oder zumindest auf einige zurückgebliebene Ferkinas zu treffen, denen sie die Bluttat doppelt und dreifach heimzahlen konnte.
Zu ihrem Bedauern sah sie auch die Vermutung ihres Oheims, die örtliche Castellanin der Reichskirche betreffend, bestätigt, sobald sie in die schmale dörfliche Sackgasse einbogen, an deren Ende der finstere Inquisitionsturm aufragte. Domna Liguria hatte ihr nie nahegestanden, sie hatte mit ihr in den vergangenen Jahren nur ganz selten einige wenige Worte gewechselt - dennoch verdiente kein Mensch, der sein Leben dem Dienst an einem der Zwölfgötter geweiht hatte, ein derartiges Ende.
Glaubte sie schon, daß ihre Stimmung nicht mehr schlechter werden konnte, während sie zusehen musste, wie Richeza und die Mercenarios die unglückliche Praiotin von der Tür lösten, so bemerkte sie, daß sie sich getäuscht hatte, als ihr der Dubianer auch noch versuchte, eine Standpauke zu halten. Sie ließ ihn zu Ende reden, dann streckte sie den gepanzerten Zeigefinger aus und stieß damit dem Aranjuezer gegen die gleichsam gepanzerte Brust, so daß ein metallisches 'Poing' ertönte, worauf sich Richeza und auch der Adjutant Dom Hernans überrascht zu ihnen umwandten.
"Bei allem Respekt vor Eurem Rang, Herr Baron!", zischte sie. "Wie Ihr Euch gewiß erinnern werdet, habe ich Euch keinesfalls aufgefordert, uns zu begleiten! Es steht mir nur als Niederrangige nicht zu, Euch fortzuschicken, wenngleich Ihr Euch - wie Ihr richtig bemerktet - auf meinem Grund und Boden befindet. Diese närrische Weib Fenia schert mich einen Dreck - ich werde ihr saftig ein paar hinter die Ohren geben, wenn wir sie finden, in einer Zeit wie dieser mit einem kranken Kind in den Raschtulswall zu ziehen! Ich lasse mich nur ihretwegen", sie deutete mit einem Kopfnicken auf Richeza, "auf solche Narreteien ein, weil ihr der arme Junge am Herzen liegt und sie wiederum das Letzte ist, was mir von meiner toten Schwester geblieben ist. Ob Ihr uns mit diesem Brigantenhaufen folgt oder nicht, ist mir im Grunde einerlei. Ohne Eure Begleitung hätte ich selbstverständlich eine andere Bedeckung von der Burg aus mitgenommen. Wenn Ihr uns aber verlassen wollt", sie deutete die Dorfstraße hinunter in Richtung des anderen Ortsendes, "dort geht es nach Burginum in der Mark Ragathsquell. Von dort aus könnt Ihr sicher nach Hause gelangen."
Damit wandte sie sich ab und schritt zu ihrem Sohn, der unschlüssig vor der Tür des Inquisitionsturmes stand und das Schloß kritisch betrachtete.
"Sie ist verschlossen, Mutter! Wir hätten Oheim Amando um den Schlüssel bitten sollen. Dass die Inquisition sicher Aufzeichnungen über diesen ketzerischen Heiler angefertigt hat, daran hätten wir schon vorher denken können."
"Wir hätten... wir hätten...", äffte seine Mutter ärgerlich seinen verzagten Tonfall nach. "Wir hätten uns damals auch nicht von den Harmamunds den Grafentitel stehlen lassen sollen - dann säßen wir noch heute auf dem Marmorthron! Los, tritt beiseite!"
"Aber Mutter, Oheim Amando wird nicht erfreut sein, wenn wir einfach ohne seine Erlaubnis..."
Ein schwerer Treffer von der Stachelkugel des Morgensterns ließ das Türschloß aus Messing halb abplatzen, zwei weitere Hiebe und ein Stiefeltritt, und die Tür hing nur noch als zersplitterte Bretter in ihren Angeln.
"Wir haben keine Zeit, die Etikette zu wahren. Praios, der Herr, möge uns unsere Verfehlungen nachsehen", murmelte Domna Rifada eine Entschuldigung, den Blick zum Himmel gewandt, und schob dann Richeza vor sich her ins Innere des Turmes. "Steigen wir nach oben! Die Inquisitionsrätin hatte ihre Kammer droben unterm Dach!"
Autor: von Scheffelstein
Richeza half den Mercenarios, die tote Inquisitorin einstweilen an der rückwärtigen Mauer eines der benachbarten Häuser abzulegen und sah hoch, als ihr Vetter kurz an der verschlossenen Tür rüttelte. Nachdem sie sich von seinem anfänglichen Redeschwall unbeeindruckt gezeigt hatte, hatte er sich als sehr zurückhaltend offenbart, war zwar höflich und freundlich und anscheinend noch immer bemüht, einen guten Eindruck zu machen, wirkte dabei jedoch keineswegs so sicher, wie er sich anfangs gegeben hatte. Nun, ihr war er so allemal lieber, als wenn er prahlte wie ein horasischer Geck.
Als Rifada ihren Morgenstern auf das Türschloss niedersausen ließ, klappte Richeza der Unterkiefer herunter. Üblicherweise war sie selbst es, die wenig zimperlich vorging und auch gegenüber den zwölfgöttlichen Kirchen kaum Respekt zeigte. Doch dass ihre Tante so mir nichts, dir nichts in einen Turm der praiosheiligen Inquisition einbrach, ausgerechnet hier in Selaque, hatte sie nicht erwartet. Kurz warf sie einen Blick auf Dom Hernan, der äußert verärgert aussah, doch da schob Rifada sie bereits durch die Tür in den Turm hinein.
An die zerborstene Eingangstür schloss sich ein kleiner, kahler Vorraum an. Links führte eine schmale Steintreppe um die Ecke nach oben, rechts stand eine beschlagene Tür offen, hinter der abwärts führende Stufen zu sehen waren. Richeza wandte sich nach links und stieg die Treppe hinauf, die nach wenigen Stufen in einen rechteckigen Raum mündete, der offenbar eine Art Wachstube war. Trotz des Sonnenlichts, das durch die schmalen Fensteröffnungen hoch unter der Decke fiel, war es recht dunkel in dem Raum. Eine Holztreppe an einer Wand führte weiter hinauf.
Im ersten Obergeschoss war es etwas heller, da die Fenster tiefer lagen und mehr Licht auf den Boden fiel, auf dem sich Kisten und Truhen stapelten, die mit allerlei Gerätschaften, aber auch Gegenständen gefüllt waren, die offenbar von verdächtigen oder gefangen genommenen Personen beschlagnahmt worden waren - so schloss Richeza anhand der Namen, die jemand mit Kohle außen an die Kisten geschrieben hatte.
Die Edle stieg weiter die Treppe hinauf, dicht gefolgt von ihrer Tante und wohl auch Moritatio, dessen Schritte und Keuchen sie noch auf der unteren Treppe vernahm. Im zweiten Obergeschoss reihten sich mehrere Regale mit Schriftrollen und Büchern aneinander, in der Mitte des großen Raumes stand ein schwerer Eichentisch, in einer Ecke ein Schreibpult.
Ohne sich lange aufzuhalten, eilte Richeza die nächste Treppe hinauf und wurde fast geblendet. Es gab mehrere Fenster nebeneinander. Das einfallende Sonnenlicht wurde von zwei goldenen Pokalen zurückgeworfen, die auf einem kleinen Altar an der Nordwand standen. Den Boden des Raumes bedeckte ein schwerer, roter Teppich, an den Wänden standen Holzbänke. Offenbar war hier dem Sonnengott ein Schrein errichtet worden.
Die Holztreppe endete hier, aber in einer Nische entdeckte Richeza eine steinerne Wendeltreppe, die weiter aufwärts führte. Nach wenigen Stufen endete die Treppe an einem Absatz vor einer Tür. Richeza drückte die Klinke herunter. Sie war verschlossen. Unschlüssig drehte sich die Edle nach Domna Rifada um, die ihr auf der engen Treppe dicht nachfolgte. "Abgeschlossen", sagte sie.
Autor: Der Sinnreiche Junker
Für einen Moment hatte das Mienenspiel des Barons tatsächlich Anlass zur Sorge gegeben, er würde sich auf Domna Rifada stürzen, sofern ihn nicht jemand zurück hielte. Und ein solcher war weit und breit nicht in Sicht, sondern im Gegenteil hatte Anzures vorsorglich den Umhang über die Schulter geworfen, und der eine oder andere aus dem ‚Brigantenhaufen’ die Hand an Schwert und Dolch. Dann aber entspannten sich Antlitz und Muskeln des Aranjuezers – zumindest ein wenig, und eine kurze Geste der gepanzerten Finger bedeutete seinen Leuten, es gut sein zu lassen. Und so waren es nur giftige Blicke, die an der Rüstung der davon stapfenden Bosquirtalerin abprallten.
„Warum lasst Ihr Euch solche Unverschämtheiten von dieser Hinterwäldlerin gefallen?“, murrte indes Anzures leise, als er zu seinem Herrn getreten war. „Können nicht einmal ihr Tal gegen ein paar verlauste Ferkinas verteidigen, aber gebärden sich, als bräuchten sie nun keinerlei Hilfe. Hol’ sie doch der Namenlose, diese Hügelscheißerin.“
„Mäßige dich“, mahnte ihn der andere, wohl weniger weil er dessen Meinung nicht teilen würde, sondern eher weil noch allzu viele neugierige Dörfler aus freilich sicherer Entfernung herüber sahen. „Domna Rifadas Haupt wird eher früher als später auf einem Ferkinaspiess enden, nachdem man ihr weit Schlimmeres angetan, als wir jemals könnten. Auch wenn ich gute Lust hätte ...“
Nach dem sich in einem Anflug abermals aufwallenden Zornes kurz seine gepanzerte Faust mit metallischem Knirschen geballt hatte, fuhr Hernán von Aranjuez ruhiger fort: „Sie ist keinen Deut besser als Domna Fenia. Ob alleine mit einem Knaben in den Raschtulswall oder alleine in eine Bande Ferkinas gestürmt, mir ist’s nun genug der Tollereien. Bereitet alles für unseren Aufbruch vor!“, endete er mit einem lautem Kommando, und wartete vor der Turmpforte auf die Rückkehr Domna Richezas, um sie von seinem Entschluss in Kenntnis zu setzen.
Autor: SteveT
"HimmelHerrPraios nochmal!" fluchte Rifada. "Hat sich denn heute alles gegen uns verschworen? Scheinbar wollen uns höhere Mächte zwingen, unser Seelenheil in die Waagschale zu werfen!"
Sie warf einen Blick zurück nach unten, zum nahegelegenen Andachtsraum und schüttelte energisch den Kopf. "Das geht doch nicht! Ich kann doch nicht zweimal binnen weniger Augenblicke eine Tür in einem praiosgeweihten Bauwerk einschlagen - noch dazu direkt neben dem Allerheiligsten!"
Sie nestelte am Griff des Morgensterns, den sie unter ihren Gürtel geschoben hatte. "Dazu kommt, daß es hier auf der gewendelten Treppe viel zu eng ist. Wie soll ich hier vernünftig ausholen, ohne Moritatio oder dir dabei den Schädel einzuschlagen?"
"Das wird auch gar nicht nötig sein, Mutter!" meldete sich ihr angesprochener Filius zu Wort.
"Ach - und warum nicht, Schlaumeier?" wandte sich diese zu ihm um.
"Ganz einfach!" erklärte Moritatio achselzuckend und strahlte Richeza dabei an. "Wenn das hier oben ihr privates Studiolo war, so hat sie die Tür gewiß hinter sich abgeschlossen, als sie den Raum verließ, etwa weil sie den Lärm der angreifenden Ferkinas vernahm. Es ist also sehr wahrscheinlich, daß die Inquisitorin den Schlüssel noch bei sich trägt. Andernfalls muss sie ihn irgendwo hier im Turm aufgehängt oder deponiert haben."
Rifada nickte: "Ja, das klingt einleuchtend. Also los, worauf wartest du?"
Moritatio blickte sie verständnislos an.
"Lauf runter und such den Schlüssel, du Faulpelz, wenn du schon zu unterst stehst! Wenn sie ihn nicht um den Hals trägt oder in den Taschen ihrer Robe hat, durchsuchst du die unteren Räume - aber ziemlich zügig! Der Adjutant des Dubianers und ein paar seiner Halsabschneider sollen dir nötigenfalls dabei helfen!"
Moritatio nickte und trampelte die diversen Treppen gräuschvoll nach unten.
"Da wir einen Augenblick unter uns sind, sollten wir uns rasch über das Schicksal unserer zwei Gesuchten Ratschluß halten, damit wir später mit einer Stimme sprechen können, wenn wir sie finden. Zunächst einmal der Heiler. Du hast gehört, was unser Soberan verlangt - wir sollen ihn der Suprema ausliefern. Ich für meinen Teil wäre aber bereit, daß es unser Geheimnis bleibt, wenn wir ihn finden - aber nur, wenn er den Jungen heilen kann! Des Jungens Gesundheit im
Tausch gegen seine Freiheit - das ist ein Angebot, das er schwerlich wird abschlagen können. Zum Zweiten der Knabe selbst - der kleine Praiodor! Wenn wir ihn finden, musst du ihn mit nach Kornhammer nehmen oder aber er verbleibt notfalls auf einer unserer Burgen und wird dort erzogen. In der Obhut dieser Irren kann er nicht bleiben, soviel steht fest!"
Autor: von Scheffelstein
Richeza, die noch immer mit dem Rücken zu der verschlossenen Tür stand, versuchte, das Gesicht ihrer Tante gegen das schwach von unten heraufscheinende Licht zu erkennen, aber es war so düster, dass sie kaum mehr als die Umrisse ausmachen konnte.
"Der Heiler", sagte sie, "ist mir egal. Wenn er Praiodor zu helfen vermag: um so besser. Wobei" - sie seufzte - "ich meine Hoffnung nicht zu hoch hänge. Ich habe schon alles versucht, was in meiner bescheidenen Macht steht, aber bislang noch niemanden gefunden, der ihm zu helfen vermag. Dieser ... Tsacharias? ... müsste also ein rechter Wunderheiler sein. Wie auch immer: Wenn er meinem Vetter nicht zu helfen vermag, soll mit ihm geschehen, was immer Euch beliebt. Ich jedenfalls", erklärte sie, "habe nicht vor, Handlanger der Praioten zu spielen, egal, was Euer Onkel sagt." Die Edle zuckte mit den Schultern. "Mir ist an Praiodor gelegen."
Kurz verfiel sie in Schweigen, knetete mit gesenktem Blick ihre Unterlippe. "Nein", sagte sie dann, "das ist ... ich ... Ich habe bei meinem Blute geschworen, ihn zu beschützen. Nicht eher zu ruhen, bis er von seinem Leiden befreit ist. Und das werde ich tun, koste es, was es wolle, das bin ich Ramiro - meinem Onkel - schuldig!" Entschlossen - und doch nicht minder verzweifelt - blickte sie die Junkerin an. "Wir müssen ihn finden. Ich muss ihn finden. Und zwar bald. Ich weiß nicht, was Domna Fenia sich dabei gedacht hat, ihn hierher zu schleppen. Selbst ohne die Ferkinas ist es Wahnsinn! Sie muss also völlig den Verstand verloren haben, oder aber, der Ruf dieses merkwürdigen Heilers ist beträchtlich. Dann aber frage ich mich, warum ich selbst nicht schon von ihm gehört habe, wo ..."
Sie schüttelte den Kopf, seufzte erneut, dann betrachtete sie Rifada mit angestrengt gefurchter Stirn. "Wir werden sehen, was mit Praiodor geschehen wird. Ich fürchte, solange er nicht geheilt ist, sollte er weiter in der Obhut der Therbûniten - oder der eines wirklich fähigen Medicus verbleiben. Und wenn er geheilt ist ..." Sie senkte den Blick auf ihre Stiefel, und es schien, als dächte sie erstmals über diese Möglichkeit nach. "Fenia wird ihn nicht einfach gehen lassen", sagte sie dann. "Sie ..." - erneut ein Schulterzucken - "... hat nie viel von mir gehalten. Nach Ramiros Tod und allem, was ich für Praiodor getan habe, hat sie diese Meinung wohl geändert. Aber ... ich denke nicht, dass sie ihren Sohn in meine Hände geben würde. Und wahrscheinlich", fügte sie leiser nach einer Pause hinzu, "hat sie nicht unrecht."
Autor: SteveT
Rifada legte Richeza die gepanzerte Rechte auf die Schulter, die dieser quaderschwer vorkam, auch wenn die Geste sicherlich aufmunternd gemeint war.
"Was diese Fenia betrifft ... überlasse sie mir! Wenn sie das Knäblein nicht freiwillig herausrückt, verpass ich ihr eine, daß sie die Hilfe des Heilers nötiger braucht wie ihr Sohn! Und was den Heiler betrifft: Laß die Hoffnung nicht sinken! Wenn er nicht fähig wäre und mit seiner Heilkunst nicht offenbar schon so viele Leute kuriert hätte, daß man ihm gar verbotene arkane Praktiken unterstellt, so würde ihn die Suprema nicht jagen und Amando würde kaum seinen Namen kennen. Er muss ohne Zweifel einer der besten seines Fachs sein und kann deinem Vetter ganz sicher helfen!" ...wenn ihn nicht schon die Ferkinas geholt haben, fügte sie still nur für sich selbst in Gedanken hinzu. Sie nahm die Hand wieder von Richezas Schulter.
"Gleichzeitig haben wir aber auch die heilige Pflicht, dafür Sorge zu tragen, daß das Banner der Hadjinsunni wieder in sichere Verwahrung kommt. Auch der Streitzig-Ring, wenn er denn wirklich vom Balg des Tobriers stammt, sollte vielleicht nach Ragath getragen werden - zusammen mit einem Bericht, was dem Roßbanner-Orden widerfahren ist." Sie deutete über ihre Schulter nach unten. "Das soll am besten dieser Trottel Aranjuez übernehmen oder - falls er uns partout weiter verfolgen will - meinetwegen auch mein mißratener Sohn, der uns im Gebirge eh mehr eine Last, denn eine Hilfe wäre."
Autor: von Scheffelstein
Als Rifada ihre Hand zurückzog, war es Richeza, als nehme sie mehr als nur das Gewicht ihres Armes fort. Mit einem Mal musste die Edle lachen. Breit strahlte sie ihre Tante an, während diese weitersprach. Selbst im Zwielicht, an das sich die Augen der Frauen langsam gewöhnten, lag ein Leuchten auf Richezas oft so düsterem Gesicht. Als ihre Tante geendet hatte, legte die Edle ihrerseits ihre behandschuhte Linke auf Rifadas Arm, eine Berührung, welche die Junkerin durch die Rüstung kaum wahrnahm. Noch immer mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, aber ernst, sagte sie:
"Bitte, Tante, tut mir einen Gefallen: Auch wenn Ihr den Dubioser Baron nicht mögt: Versucht ihn nicht gänzlich zu vergrätzen. Er hat mir seine Hilfe zugesagt aus freien Stücken, und das kann man nicht von allen Magnaten sagen, die in Ragath weilten. Und er hat uns – was immer Ihr sagt – bereits gute Dienste geleistet. Hat auf dem Weg nach Kornhammer einen Mann verloren und bei Alriksheim, als die Ferkinas uns vor der Grenze nach Selaque überraschten, noch eine weitere Söldnerin. Er hätte uns nicht folgen müssen. Aber er war ein Verbündeter meines Onkels. Und dass er sich seiner erinnert, auch nach seinem Tod bereit ist, sein Leben und das seiner Leute für meinen Vetter – und ja: auch für uns – in die Waagschale zu werfen – das rechne ich ihm hoch an!"
Richeza legte ihre zweite Hand auf den anderen Arm der Junkerin. "Wer mir hilft, das Leben meines Vetters zu erhalten, und sei seine Hilfe noch so gering, ist mein Freund. Ehrhaft und treu! So ist der Wahlspruch des Hauses Scheffelstein von alters her. Und seinen Freunden mit Treue zu begegnen, in Wort und Tat, das ist eine Frage der Ehre!"
Richeza ließ ihre Tante los und nickte entschlossen.
Autor: SteveT
Moritatio da Vanya war inzwischen atemlos im Erdgeschoß des Turmes angekommen und hastete durch die zerstörte Tür hinaus ins Freie. "Was vergessen ..." stammelte er als Entschuldigung zu den Mercenarios, die ihn fragend-erstaunt anblickten, und begann die Taschen des rotgoldenen Ornats der auf der Rückseite des Turmes abgelegten Leiche der Inquisitionsrätin zu untersuchen. Obwohl er sich vor dem vielen dunklen Blut an ihrem Leib ekelte, fasste er mit spitzen Fingern in den Kragen von Domna Ligurias Robe, wobei ihn die ihre Siebensachen packenden Söldlinge erst recht befremdet anstarrten. Tatsächlich! Sie trug eine dünne Goldkette um den Hals, an dem zwei Schlüssel befestigt waren, die er vorsichtig zwischen ihren faltigen Brüsten herauszog. Angestrengt zog er ihr die Kette über den Kopf und nahm den Schlüssel an sich. Plötzlich wurde das helle Sonnenlicht von zwei Schatten verdunkelt und er starrte, da er noch neben der toten Inquisirionsrätin kniete, geradewegs auf die staubbedeckten Stiefelspitzen von Dom Hernan und Anzures Ballan.
Autor: Der Sinnreiche Junker
„Ei, sieh an, wer sich da als Leichenfledderer betätigt. Ob das seine werte Frau Mama weiß?“, grinste Anzures auf ihn herunter, und auch der eine oder andere der Mercenarios rückte näher. Wo es vermeintlich Beute zu verteilen gab, da war der gemeine Mietling nie weit, auch wenn es natürlich niemand gewagt hätte, den Leichnam der Inquisitorin auf solche Habseligkeiten zu durchsuchen, die ihr wo auch immer ihre Seele hingegangen sein mochte, nicht mehr von Nutzen sein würden. Wenn aber nun freilich ein Dritter solch frevelhafte Schuld auf seine Seele laden wollte ...
„Ein Schlüssel?“, blinzelte der Baron indes ungerührt. Das konnte ja nur bedeuten, dass etwas Vielversprechendes gefunden worden war, wozu man den immerhin von Domna Liguria an ihrem Hals verwahrten Schlüssel benötigte, und nachdem es den Domnas im Turm – im Gegensatz zu dem einen oder anderen draußen – wohl kaum um Gold und Wertsachen ging, schien man wohl dem Heiler auf der Spur zu sein.
„Ja, Euer Hochgeboren“, sprach der junge da Vanya, und erhob sich rasch, um sogleich einen Schritt zwischen sich und die beiden Aranjuezer zu bringen. „Die Privaträume Domna Ligurias sind verschlossen, und meine Frau Mutter möchte nicht mehr Schaden anrichten als nötig.“
„Soso ...“, schmunzelte der Baron amüsiert, derweil sich der eine oder andere der Söldner ein Lachen nicht verkneifen konnte. Domna Rifada hatte bislang nicht den Eindruck gemacht, als scherte sie sich sonderlich um die Schäden, die sie links und rechts ihres Weges anrichtete. „Wir werden hier warten“, entließ Hernán von Aranjuez schließlich Moritatio, der sich sputete, den Schlüssel abzuliefern.
Autor: SteveT
Da ihr jegliche Art von "Gefühlsduselei", wie sie es selbst zu nennen pflegte, äußerst unangenehm war, wandte sich Rifada ab und blickte bewusst sachlich nach unten ins Dunkle.
"Wo bleibt der Junge schon wieder? Er wird doch zuwenigst einen kleinen Schlüssel finden und herauftragen können oder braucht er sogar dabei Hilfe?"
Dann ging ihr nochmals durch den Kopf, was Richeza gerade gesagt hatte, und sie schüttelte den Kopf: "Ich fürchte, Du hast eine zu romantische Vorstellung von den Männern, mein Kind. Sie tun grundsätzlich niemals etwas ohne Hintergedanken - schon gar nicht ein Söldnerführer! Er ist nicht wegen Deines gefallenen Onkels hier, sondern weil er selbst Beute und Belohnung wittert - seien es Titel, Ländereien oder Auszeichnungen vom Kaiser, vom Grafen oder der Reichsvogtin, oder vielleicht hat er sogar insgeheim ein Auge auf Dich geworfen und verlangt dann irgendwann einmal ekelerregende Gefälligkeiten von Dir als Gegenleistung? Schüttel nicht den Kopf, mein Kind - die Mannsbilder sind so! Sie handeln aus Eigennutz und nicht aus Nächstenliebe! Vielleicht plündern seine Mietlinge gerade jetzt im Moment schon Elenta und raffen alles zusammen, was den armen Leuten noch geblieben ist. Wer würde es schon mitbekommen, nach so einem schrecklichen Ferkinaangriff? Nein, nein, mein Kind - umso schneller solche Galgenstricke Selaque wieder den Rücken kehren, umso besser für unser Land!"
Autor: von Scheffelstein
"Ich habe eine romantische Vorstellung von den Männern?" Richeza blieb einen Moment der Mund offen stehen. "Nein, Tante!", sagte sie dann. "Ihr mögt recht haben: Viele sind Idioten, grausam auch und nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Aber alle? Ihr kennt meinen Großvater! Ihr könnt über ihn sagen, was Ihr wollt, aber er ist ein Mann von Ehre! Er hat das Wohl der Menschen im Blick, nicht nur sein eigenes, glaubt mir! Und Ramiro: Er hat sich oft auf meine Seite gestellt. Aber doch nicht, weil er irgendwann ... Gefälligkeiten ... ich meine: mein eigener Onkel? Niemals! Ihr wollt doch nicht allen einfach die Ehre absprechen, oder?"
Sie suchte in Rifadas Gesicht nach einer Antwort, doch ihre Tante schaute angestrengt nach unten, von wo bereits eilige Schritte auf der Treppe erklangen. Einen Moment herrschte Schweigen, und Richeza runzelte die Stirn, schien über die Worte ihrer Tante nachzudenken. Doch bevor eine der beiden Frauen das Gespräch fortsetzen konnte, erschien Moritatio am Aufgang der Wendeltreppe.
„Dom Hernán und seine Leute scheinen aufbrechen zu wollen“, berichtete er schulterzuckend. „Jedoch sagte er, sie würden noch draußen warten ...“ Er bemerkte den Blick nicht, den seine Tante und seine Base einander zuwarfen, wunderte sich aber, dass keine von beiden etwas erwiderte. Als seine Mutter ihn schroff anfuhr, er solle den Schlüssel herausgeben, zuckte er kurz zusammen und reichte die Kette mit den Schlüsseln an Richeza durch.
Die Edle schloss die Tür auf. Dahinter befand sich ein weiterer Treppenabsatz mit einem Fenster, von dem aus man über das verheerte Dorf blickte. Die Wendeltreppe ging weiter hinauf. Nach einigen Stufen folgte erneut ein Absatz, diesmal mit einer kleinen Tür, aber die Treppe war noch nicht zu Ende. Nach kurzem Zögern öffnete Richeza die Tür. Ein Bett, Truhen, ein Waschtisch und eine Kommode deuteten darauf hin, dass es sich bei der Kammer um Domna Ligurias Schlafgemach handelte.
Richeza ließ die Tür offen stehen, stieg aber weiter die Treppe hinauf, die bald darauf vor einer angelehnten Tür endete. Der dahinter liegende Raum schien eine Wohnstube zu sein. An einem Dachbalken, nahe einer Fensteröffnung, hing ein Schwalbennest, aus dem ab und an schwarzweiße Köpfchen auftauchten. Neben einem Kamin war Feuerholz gestapelt, auf einem Beitisch standen einige Töpfe, Krüge und Tiegel. Ein angeschnittener Laib Brot war auf dem Tisch vertrocknet. Angewidert schnippte die Edle einige Kakerlaken zu Boden, die sich über das gefundene Fressen hermachten.
Im Zentrum des Raumes stand ein Lehnstuhl vor einem Eichentisch. Mehrere Bücher und einige Schriftrollen lagen über den Tisch verteilt, ein geöffnetes Tintenfässchen mit eingetauchter Feder stand auf einem halb beschriebenem Pergamentbogen. An der Wand neben dem Tisch stapelten sich einige weitere Kisten, so wie jene, die sie bereits im ersten Stock gesehen hatten.
Die oberste war mit "Alrike Sensendengler" beschriftet. Sie enthielt einige Tiegelchen, ein Taschentuch mit einem Blutfleck, eine Handvoll Tierknochen und eine Räucherschale. Richeza ließ die Gegenstände wahllos durch ihre Hand gleiten und warf sie zurück in die Kiste. Gerade wollte sie sich zu ihrer Tante und ihrem Vetter umdrehen, die vor dem Tisch stehen geblieben waren, als ihr Blick auf die Beschriftung einer weiter unten stehenden Truhe fiel. Leise piff die Edle durch die Zähne, zog die Truhe hervor, ohne verhindern zu können, dass einige der Kisten durcheinanderpurzelten, und öffnete sie.
"Seht Euch das an!", drehte sie sich schließlich grinsend zu Rifada um und wedelte mit einem verschnürten Stapel Briefe, griff dann erneut in die Kiste und zog ein Medaillon hervor. Noch immer breit grinsend, erhob sie sich und drückte der Junkerin die Briefe gegen die gepanzerte Brust. "An den Schrotensteiner", sagte sie. "Von Eurer besonderen Freundin!"
Autor: SteveT
"Hahaha! Damit brech ich ihr endgültig das Genick!" schaute Rifada frohlockend auf das mit einer Kordel verschnürte Bündel Briefe, die tatsächlich von der Hand Praiosmins stammten. Die penibelst saubere Handschrift ihrer Lehnsherrin, in der ihr diese früher von Zeit zu Zeit Befehle und Ermahnungen geschickt hatte, würde sie unter Tausenden wiedererkennen, da sie sich früher oft gefragt hatte, ob die Selaquerin für ihre Post eigens einen Kalligraphen in Lohn und Brot hielt. Sie zog einen Brief aus dem Bündel hervor, entfaltete ihn und begann ihn zu überfliegen, während sie sich den restlichen Stapel mit der anderen Hand unter den Harnisch schob.
"Nun hör sich einer das an! Sie nennt das Verräterschwein Raihé coulu - was ist das für ein lächerlicher Name? - und weiter mein Geliebter und Dieb meines Herzens und warnt ihn vor Amando, der in Schrotenstein und Selaque nach ihm und einem gewissen Aureolus suchen lassen würde. Die Briefe bringe ich dem Oheim mit, verlasst euch drauf! Darüber vergisst er dann, nach unserem kleinen Heiler zu fragen, und die Tage dieser heuchlerischen fetten feisten Dämonenbuhle in Selaque sind ein- für allemal gezählt, sobald diese Briefe auch in der Hofkanzlei landen."
"Das Amulett ist, glaube ich, ein Schutzzeichen gegen Beherrschungsmagie" mutmaßte Moritatio, der sich den Anhänger dankbar von Richeza reichen ließ.
"Hm? Was weißt Du den schon davon?" frug ihn seine Mutter argwöhnisch.
"Doch, doch! Hohe Würdenträger bei Hofe tragen zuweilen ein ähnliches Amulett, ich habe es schon häufig in der Residencia gesehen. Ich glaube, sie haben sie vom Ersten Hofmagier erhalten - insbesondere Mitglieder des Cronrats."
Rifadas Miene blieb skeptisch, aber sie warf Richeza einen Blick zu, was diese davon hielt. Praiosmin von Elenta war Rondraseidank kein Cronrats-Mitglied, aber wie sollte sie an das Amulett eines solchen gelangt sein?
"Mutter! Seht Euch das an!" deutete Moritatio erschrocken auf eine schmale ledergebundene Kladde, die unter dem aufgeschlagegen Buch lag. Auf der Vorderseite prangten in der krakeligen Handschrift Domna Ligurias zwei Worte: DA VANYA. "Was zum ...?" Moritatio wollte die Akte hervorziehen, aber Rifada war schneller, ergriff sie und schlug sie auf. Sie enthielt nur einige wenige Pergamentblätter, offenbar eine Art Sammlung von kurzen Notizen, in der säuberlich nach Datum sortiert Vermerke über sie selbst standen:
23. Praios 1029 BF - R.d.V. mißachtet lehnsrechtlichen Entzug Elentas und lässt sich drei Ochsen nach Castillo da Vanya bringen. 15. Hesinde 1029 BF R.d.V. lässt 20 Elenter Bauern Hand- und Spanndienste im Vanyadâl ableisten, 1. Praios 1030 BF R.d.V. bleibt Greifenprozession zur Sommersonnenwende fern. 16. Praios 1030 BF ...
Mit einem wütenden Aufschrei warf sie die Kladde da auch schon zum Fenster hinaus, daß die armen Schwalben erschrocken nach allen Seiten aus ihrem Nest stoben. "Ihr Glück, dass sie bereits tot ist!" schnaubte Rifada die während der Lektüre erst kalkweiß und dann feuerrot vor Wut geworden war. "Ich konnte diese Liguria noch nie leiden und ganz offensichtlich hat mich mein Gefühl nicht betrogen! Los jetzt!", machte sie Richeza und Moritatio Beine, die sie erschrocken anstarrten. "Keine unnötige Zurückhaltung mehr! Nehmt hier alles auseinander und stellt alles auf den Kopf, was nicht niet- und nagelfest ist! Es müsste ja mit dem Namenlosen zugehen, wenn sie ausgerechnet bei unserem Heiler nicht auch jeden von dessen Latrinengängen dokumentiert hätte!"
Autor: von Scheffelstein
"Das war nicht klug!", sagte Richeza, nachdem sie sich wieder gefasst hatte und nickte in Richtung des Fensters, aus dem das Büchlein geflogen war. Das Fenster nämlich ging zur Vorderseite des Turmes hinaus, und möglicherweise war das Buch Dom Hernán und seinen Leuten geradewegs auf die Köpfe gesegelt. Um deren Köpfe aber machte sich die Edle weit weniger Sorgen, als dass das Schriftstück neuerlichen Anlass zum Streit geben könne.
"Los!", forderte sie Moritatio auf. "Hol es zurück!" Sie stutzte kurz, als ihr auffiel, dass Rifadas Freundlichkeit bereits auf sie abzufärben begann und bemühte sich, zumindest ein Lächeln hinterherzuschicken. "Ich denke, du würdest deiner Mutter damit einen Dienst erweisen."
Während der arme Moritatio wieder einmal lautstark sämtliche Treppen hinunter trampelte, durchsuchten die beiden Frauen die Dachkammer. In Domna Praiosmins Truhe befanden sich noch ein schmuckloser Silberring, eine verwelkte und bei Berührung bröselnde Rosenblüte und der ausführliche Bericht eines Medicus über den Verlauf der Kerkersieche, den die Domna sich 1021 BF während ihres Aufenthalts in Al'Muktur zugezogen hatte.
Obwohl sie sämtliche Kisten, Bücher und Schriftrollen durchwühlten, konnten die beiden Frauen nirgendwo den Namen 'Tsacharias' finden. Frustriert schleuderte Richeza schließlich die Kiste von Alrike Sensendengler an die Wand, die lautstark zerbarst und einen Regen Hühnerknochen freisetzte. Die Mehlschwalbe, die zum Fenster hineingeflogen war, um hoch oben ihre Jungen zu füttern, ergriff die Flucht und ließ ihre leise piependen Küken zurück.
"Weiter!", sagte Rifada, "unten sind noch mehr Kisten!"
Während sich Rifada die Asservatenkammer im ersten Obergeschoss vornahm, widmete Richeza sich der Schreibstube im zweiten Stock. Nach einer Weile wurde sie tatsächlich fündig. Kurz darauf kam ihre Tante mit einer Truhe unter dem Arm wieder herauf gestampft.
"Hier steht wirklich was zu Tsacharias", erklärte Richeza, die einen ganzen Stapel Papier in der Hand hatte, der ursprünglich wohl zusammengebunden gewesen war; das Band hing ihr über die Schulter. "Scheint aus einer Hirtenfamilie zu stammen, die rund um Elenta verteilt lebt. Er selbst hatte eine Kate am Waldrand, irgendwo auf dem Weg Richtung Selaque. Ist aber schon zwei Jahre her, scheint so, als wäre er vor der Praiotin in die Berge geflohen. Trotzdem: Vielleicht sollten wir uns dort mal um…"
Sie unterbrach sich und hob die Hand um zu lauschen. Jetzt hörte Rifada es auch: Waffenlärm! Da draußen wurde gekämpft!
Autor: Der Sinnreiche Junker
„Anzures?“
„Ja, Herr?“, wandte dieser sich zu Hernán von Aranjuez um, derweil ihn ein Aktenbündel nur ob dieser Drehung haarscharf verfehlte. Auch wenn sich die Gefahr in Grenzen hielt, hatte den Baron sein Instinkt nicht getrogen. Mit hochgezogener Augenbraue hob Anzures Ballan die Kladde auf, blätterte kurz darin, und reichte dann, offensichtlich des Lesens nicht mächtig, die Papiere an den Baron weiter.
„Sieh an, sieh an...“, murmelte dieser, mit bereits nach wenigen Augenblicken des Studierens amüsiert geschürzten Lippen. „Wie’s scheint hat Domna Ligurias Fleiß auch vor Domna Rifada nicht Halt gemacht.“ In diesem Moment polterte Moritatio drinnen geräuschvoll die Treppe herab, und erschein gleich darauf reichlich abgehetzt an der Pforte. Die Bestürzung war ihm ins Gesicht geschrieben, als er sah, dass der Baron von Dubios bereits mehr als einen Blick in die Kladde geworfen hatte. „Verzeiht, aber diese Papiere gehören...“, setzte er an.
„Nicht dir, Bürschchen“, trat Anzures ihm in den Weg. Der junge da Vanya schien einen Moment abwägen zu wollen, ob er sich wirklich mit dem Mann anlegen wollte, oder lieber den Zorn seiner Mutter in Kauf nahm, und entschied sich dann wohl für einen Mittelweg: „Aber...“
Doch der aranjuezer Gefolgsmann schüttelte nur kurz das Haupt, und warf den Umhang über die Schulter. Hier würden allenfalls Klingen sprechen, und man könnte meinen, so etwas wie Enttäuschung in seinem Gesicht zu sehen, als hinter ihm ein „Lass es gut sein, Anzures“ erklang. Hernán von Aranjuez hatte die Kladde geschlossen, und hielt sie Moritatio hin, als vom Dorfrand der Schreckensruf erklang: „Ferkinas!“
Moritatio, der die Akte gegriffen und mit beinahe schützender Geste an seine Brust gepresst hatte, wollte schon los rennen, doch der Baron hielt ihn am Arm zurück. „Seid kein Narr. Wir müssen zusammen bleiben.“, und rief dann über die Schulter zu den Söldlingen: „Alle zu mir!“
Kaum hatte sich die kleine Gruppe in einem lockeren Halbkreis mit dem Rücken zum Inquisitionsturm formiert, stürzten auch schon die ersten Dorfbewohner schreiend zwischen den Katen hervor, die Ferkinas auf den Fersen ...
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