Chronik.Ereignis1033 Feldzug Kornhammer 06

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In Königlich Kornhammer, 13. und 14. Efferd 1033 BF

Auf Burg Scheffelstein


13. Efferd, nachmittags

Autor: von Scheffelstein

"Wie viele Tote waren es heute?"

"Vier, Herr. Zwei Frauen am Fieber, ein junger Bursche ist von der Mauer gestürzt, und ein weiterer wurde vor einigen Tagen bei einer Schlägerei verletzt und ist dem Wundbrand erlegen."

"Bei einer Schlägerei?" Der königliche Cronvogt von Kornhammer drehte sich zu seiner Hauptfrau um und hob fragen die Augenbrauen.

"Ja", sagte Zalamea Mansarez unbehaglich. "Die Leute haben Hunger, und sie sitzen schon zu lange auf engem Raum aufeinander. Und sie haben Angst. Seit die Wilden wieder damit begonnen, Bauern und Holzfäller und Hirten aus den Wäldern zu zerren und vor unser aller Augen grausam hinzurichten, fangen auch die Tapferen an zu verzweifeln. Es kommt immer wieder zu Streitereien. Und, verzeiht Herr: Manche sagen, Ihr tut zu wenig."

"Ich tue zu wenig", wiederholte Hesindian von Kornhammer-Scheffelstein grimmig. "Die Burg wird belagert! Von Wilden, ja: Aber wen soll ich hinausschicken, um sich ihnen entgegenzustellen? Selbst wenn ich genug Waffen hätte, um alle Männer und Frauen, die fähig sind, eine zu führen, ins Dorf hinunter zu senden, so würden nur wenige lebend zurückkommen. Dort draußen sitzen Krieger, hier drinnen habe ich Bauern und Handwerker, die nie in ihrem Leben Kriegsdienst leisten mussten. Sie hinaus zu schicken, wäre ihr sicherer Tod!"

"Hier drinnen werden sie verhungern", wandte die junge Capitana ein. "Wenn sie kämpfen wollen ..."

"Denke nicht einmal im Traum daran", unterbrach sie Hesindian scharf. "Ich werde niemanden in den sicheren Tod schicken, nur damit die Vorräte länger reichen! Bei den Göttern!" Ärgerlich wandte er sich ab und starrte durch eines der hohen Fenster hinaus auf den Burghof. Seit Tagen regnete es in Strömen, der Hof war eine einzige Schlammpfütze, und in der abschüssigen Unterburg sah es noch viel schlimmer aus. Die Menschen hockten dicht gedrängt unter längst durchweichten Zeltplanen und Stofftüchern, und die Lagerfeuer reichten nicht mehr aus, die Kälte aus ihren Knochen zu vertreiben. Kein Wunder, dass es Streit und Unmut gab! "Wie lange reichen die Vorräte noch?"

"Schwer zu sagen", erwiderte die Capitana. "Wir haben sie schon rationiert. Aber die Belagerung kam unerwartet, die Speicher waren nicht gefüllt. Beim jetzigen Verbrauch vielleicht noch zwei Wochen? Wenn wir die Portionen weiter reduzieren, können wir die Leute vielleicht noch einen Mond durchfüttern."

Hesindian rieb sich die Stirn. Die Hochzeit des Kaisers lag mehr als einen Mond zurück. Aber aus Punin hatten sie keine Nachricht erhalten. Immerhin war Ende Rondra eine Brieftaube aus Ragath eingetroffen: Richeza war wohlauf! Sie hatte seine Botschaft auf dem Castillo da Vanya doch noch erhalten und würde bei seinem Bruder Federigo in Ragath bleiben, bis die Lage sich besserte. Eine Sorge weniger, den Göttern sei Dank!

"Ich werde mit den Leuten reden", sagte Hesindian und fuhr sich durch den weißen Bart. Nur was sollte er ihnen sagen? Seit der Mond abnahm schienen die Ferkinas jeden Glauben daran verloren zu haben, dass er mit dem 'Mondkrieger', wie sie ihn nannten, im Bunde sei. Zweimal schon, so hatten einige der Wilden am Vortag auf dem Hang unterhalb der Burg schreiend verkündet, zweimal schon hätte der Mond sich nun von Hehzindyan-Shâr abgewandt. Einen Feigling hatten sie ihn geheißen, der sich in seiner Steinhütte verkrieche, er solle herauskommen und kämpfen und sein Haran solle ebenfalls aus seinem Loch hervorkriechen, um gegen die Bân Gassârah anzutreten. Seit dem Vorabend schlugen sie Kriegstrommeln irgendwo nordöstlich der Burg an den Hängen des Vorgebirges zum Raschtulswall, und Hesindian hoffte, dass dies nicht bedeutete, sie würden weitere Krieger schicken, um das ihm anvertraute Land zu verwüsten.

Der Cronvogt war ratlos. Er war ein alter Mann und seinen Leuten nicht gedient, wenn er sich von ein paar übermütigen Ferkinas abschlachten ließe. Ein weiteres Mal aber würde er mit List und Zauberei bei den Wilden nichts erreichen. Wie aber sollte er den Bauern Mut zusprechen, wenn er im Palacio speiste und in seinem Bett im Efferdturm schlief, während sie hungerten und im Regen froren und die Schwächsten von ihnen am Darmfraisch oder Fieber starben?

"Bring' mir meinen Mantel", hieß er Caneya, die bislang schweigend an der Tür gestanden hatte. Düster blickte er der Dienerin nach, die sofort aus dem Rittersaal eilte, um das Gewünschte zu holen. Er mochte den Leuten erzählen, die Wilden seien eine Prüfung der Götter, er mochte an ihren Stolz als Almadanis appellieren, sich nicht von Barbaren entmutigen zu lassen. Aber je mehr von ihnen starben, je mehr sie hungerten, desto mehr würden Stolz und Göttervertrauen schwinden und Wut und Angst und schierem Überlebenswillen weichen. Er musste sie beschäftigen! Vielleicht konnte er ...

Die Tür zum Seitenaufgang flog auf, ein junger Soldat seiner Wache stürzte herein, Nicetos, atemlos. "Herr, Herr", keuchte er, salutierte hastig. "Herr, Capitana: Das müsst Ihr Euch ansehen! Die Ferkinas ..."

"Was?", fragte Zalamea Mansarez ungehalten. "Sprich!"

"Die Ferkinas ..." Der Mann rang nach Luft. "Ich glaube ... sie wollen angreifen!"

"Angreifen?", fragte Hesindian. "Was? Die Burg? Das ist unmöglich! Sie ist zwar schlecht besetzt, aber was wollen selbst hundert oder zweihundert Stammeskrieger mit Bögen und Äxten gegen die Mauern ausrichten?"

"Herr, aber ... diese Wesen!"

"Wesen?", fragte Hesindian alarmiert.

"Riesen!", sagte der junge Gardist. "Riesen, Herr! Seht selbst!" Er deutete auf die Wendeltreppe hinter der Tür.

Caneya kehrte mit Hesindians Mantel aus schwerer grüner Wolle zurück, und er folgte Zalamea Mansarez und dem Wächter Nicetos die Wendeltreppe hinauf und über den Holzsteg, der auf den Wehrgang hinaus führte. Auf dem Wehrturm neben dem Tor zur Unterburg standen mehrere seiner Wachen mit Bögen und Armbrüsten. Auch Abelardo war dort, Zalameas Vater, sein einstiger Hauptmann. Der Regen lief den Männern und Frauen von Hutkrempen und Helmen. In der Ferne dröhnten noch immer die Trommeln der Wilden, dumpf und bedrohlich.

"Oger, Herr", begrüßte ihn Abelardo knapp. Die Gardisten machten Platz, und Hesindian trat an die Zinnen und starrte hinaus ins Regengrau. Kornhammer verschwamm hinter dem Wasserschleier, doch die Feuer der Ferkinas im Dorf waren gut zu erkennen. Hesindian kniff die Augen zusammen, und bald konnte er Menschen ausmachen, die zwischen den Feuern, Zelten und Häusern umher liefen. Und dann sah er sie: große, blassgraue Gestalten, schwerfälliger als die Wilden, aber mit beachtlichen Keulen, Spießen und Äxten bewaffnet. Es waren mehr als ein Dutzend!

Erst konnte er nicht genau erkennen, was die Ferkinas taten, aber bald bestätigten ihm die Gardisten, was er zunächst seinen schwachen Augen zuschrieb und für eine Sinnestäuschung hielt: Die Wilden sammelten sich, mit Bögen bewaffnet, und den Ogern legten sie Rüstungen aus Leder und Fellen an. Drei der Menschenfresser aber hieben mit ihren Äxten auf den Stamm einer Eiche am Rand des Dorfplatzes ein, und als der Baum gefällt war, begannen sie, ihn von Ästen und Zweigen zu befreien und ein Ende des Stammes zu bearbeiten.

"Grundgütige Götter!", murmelte Hesindian, als ihm gewahr wurde, was sie vorhatten. "Verbarrikadiert das Tor!", befahl er der Garde und merkte nicht, dass er sich aus schierer Gewohnheit an Abelardo wandte, statt an dessen Tochter. "Lasst das Fallgatter herunter, lasst Fässer und Säcke mit Erde und Steinen füllen und vor dem Tor stapeln. Bewaffnet die Männer und Frauen, so gut es geht! Stattet jeden mit Schusswaffen aus, der irgendwie den Anschein erweckt, damit umgehen zu können und lasst die Pfeilmacher und Schmiede so viele Pfeile und Bolzen herstellen, wie sie nur können! Bemannt den Gusserker und schafft siedendes Öl hinauf!" Grimmig blickte er von einem bangen Gesicht in das nächste. "Wenn die Oger das Tor durchbrechen, sind wir verloren."

Während die Gardisten davon eilten, um seinen Befehlen Folge zu leisten, blickte Hesindian hinunter in das besetzte Dorf. Falls die Ferkinas klug waren, würden sie ihren Angriff in der Dunkelheit beginnen, wenn die Wahrscheinlichkeit, sie von den Mauern aus zu treffen, geringer war. Das gab ihm vielleicht ein paar Stunden der Vorbereitung. Verlassen aber durfte er sich nicht darauf. So oder so würde es eine ungemütliche Nacht werden ...

'Herrin Rondra!', betete er im Stillen. 'Lass nicht zu, dass die Wilden Erfolg haben. Tausend Menschenleben stehen auf dem Spiel. Tausend unschuldige Menschen!'

14. Efferd, morgens

Autor: von Scheffelstein

Und wieder drang das dumpfe Dröhnen des primitiven Rammbocks vom Tor herauf. Wieder. Und wieder. Und wieder. In der Nacht hatten sie die Oger mit siedendem Öl und Brandpfeilen zurückdrängen können. Einige der Ungeheuer waren gefallen und ebenso ein oder zwei oder drei Dutzend der Ferkinas. Aber in der Dunkelheit hatten zu viele Pfeile ihr Ziel verfehlt. Und die Ferkinas hatten sich nur für kurze Zeit zurückgezogen. Immer wieder waren sie vor dem Tor aufgetaucht und hatten ihrerseits drei Männer von den Zinnen geschossen, die, dunkel gegen die Feuer im Burghof, besser zu erkennen gewesen waren als die Wilden draußen im Regen.

Der Regen hatte den Barbaren weit mehr zu schaffen gemacht als die Pfeile, hatte er doch die steile Straße hinauf zum Tor in eine schlammige Rutschbahn verwandelt. Aber er setzte auch den Schützen auf den offenen Wehrgängen zu, und die Ferkinas hatten die Oger Zweige und Äste auf dem Weg verteilen lassen, sodass sie besser Tritt fanden. Im Morgengrauen waren die Barbaren zurückgekehrt und gaben den Ogern am Rammbock Deckung mit Lederschilden, und ihre Schützen hatten sich hinter Felsen am Rand der Straße verschanzt.

"Kämpft! Kämpft! Kämpft!", skandierten die Wilden in ihrer kehligen Sprache, während die Oger den Rammbock wieder und wieder gegen das Tor donnern ließen. Es gab kein Öl mehr, um es durch den Gusserker auf die Bestien hinab regnen zu lassen, und trotz des Regens kamen die Menschen nicht schnell genug hinterher, Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen und zu erhitzen. Der Vorrat an Pfeilen ging zur Neige, und das Hämmern der Menschenfresser gegen das Tor senkte die Moral selbst der Tapferen und der Erfahrenen – von denen es auf der Burg zu wenige gab!

Ein Krachen und Splittern tönte von unten herauf.

"Das Tor!", rief der Bursche entsetzt, der neben Hesindian auf der Wehrplattform des Bergfrieds stand. "Das Tor wird nicht mehr lange halten!"

Wieder ein Krachen, das Splittern von Holz. Ihr Götter, das durfte nicht wahr sein, das Scheffelstein an die Barbaren fiel, die nicht einmal richtige Belagerungswaffen hatten, kein schweres Kriegsgerät, keine Schanzer, keine Leitern!

"Lauf runter, gib der Capitana Bescheid: Die Alten und Kranken und Kinder sollen in die Oberburg gebracht werden, in den Stall, in den Palacio, in den Bergfried. Und so viele wie möglich der anderen auch. Dann soll das Tor zur Unterburg geschlossen werden. Die Wehrhaftesten und Mutigsten aber sollen sich mit Waffen bereit halten. Hast du verstanden?"

"Ja, Herr", antwortete der Bursche. "Alle sollen in die Oberburg, nur die Mutigsten ..."

"Ja, ja, schon gut", fiel ihm der Cronvogt ins Wort. "Beeile dich!"

Der Junge rannte davon, seine hastigen Schritte entfernten sich auf der nassen Treppe des Bergfrieds. Hesindian folgte ihm langsam, schloss die Tür zur Wehrplattform hinter sich und stieg in den zweiten Stock des Turmes hinab, in die Waffenkammer. Dort legte er Kettenhemd und Panzerhandschuhe an und setzte den Drachenhelm auf sein greises Haupt. Zuletzt nahm er sein altes Schwert Kaisertreu von den Haken an der Wand.

'Wo ist Retos Erbe, wenn man ihn braucht?', dachte Hesindian bitter. Des selbsternannten Kaisers Schwester, die wahre Kaiserin, hätte andere Prioritäten gesetzt als eine Heidin zu heiraten, während das Volk blutete. Aber die Kaiserin hatte es auch nicht gar so bitter nötig, Frieden mit den Novadis zu schließen, die die Südgrenze des Reiches bedrohten. Selindian Hal aber ... Bei den Göttern! – Reto würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, was aus seinem Reich geworden war!

14. Efferd, vormittags

Autor: von Scheffelstein

Das Blut spritzte an der Außenwand der größeren Werkstatt empor, als der Oger Abelardos Arm aus der Schulter riss. Eine Fontäne schoss aus dem Hals des alten Kämpen, als das Ungeheuer seine Zähne in das Fleisch grub.

Hesindian presste die Lippen aufeinander und blinzelte die Tränen fort. Abelardo! Fast fünfzig Jahre war es her, seit er den fremden Knappen bei der Schlacht von Jergan auf Maraskan unter einem sterbenden Ross hervorgezogen hatte. Fünfzig Jahre war ihm Abelardo ein treuer Gefolgsmann, sein Hauptmann, sein Freund gewesen!

Er hätte an seiner Seite stehen, an seiner Seite sterben sollen! Aber Abelardo hatte ihn zurückgehalten, ihn beschworen, nicht mit den Gardisten und den Bauern und Handwerkern in der Unterburg zu bleiben, um sich den Ogern und Wilden entgegenzustellen, als das Unmögliche Wirklichkeit geworden war: Das Fallgatter war zersplittert, das Tor geborsten, die Barrikade gefallen, und dann waren die Ungeheuer in die Burg eingedrungen, die einstmals gebaut worden war als Trutz und Wehr gegen Räuber und Ferkinas und feindliche Soldaten, die sich der Ausbeute der inzwischen längst toten Almadinmine bemächtigen wollten.

Wie sicher die Vögte von Königlich Kornhammer sich auf ihrem Berg gewähnt hatten, für wie sicher er selbst die Burg gehalten hatte! Doch es war ein Trugschluss gewesen zu glauben, dass Mauern alleine einen Feind aufzuhalten vermochten. Er hatte zu wenig Soldaten, zu wenig Schützen und zu viele verzweifelte Bauern, die im Weg herumstanden und bei der Verteidigung der Burg kaum eine Hilfe waren. Mit Ogern hatte niemand gerechnet, nicht mit so vielen, und jeder von ihnen wog ein Dutzend Männer oder eine Belagerungsmaschine auf!

"Schießt!", befahl Hesindian, als der Oger seine Hand in Abelardos Eingeweiden versenkte, die Därme des Sterbenden aus dessen Leib riss.

Die beiden Frauen neben Hesindian legten an, Pfeil und Bolzen gingen daneben, erst beim zweiten und dritten Schuss trafen sie, unerfahren und verängstigt, wie sie waren. Die Gardisten waren alle tot, bis auf Zalamea und den jungen Nicetos, die sich mit einer Handvoll überlebender Rustikaler in der Schmiede verbarrikadiert hatten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch sie starben.

Über fünfzig tapfere Frauen und Männer lagen im schlammigen Hof der Unterburg zwischen nur wenigen toten Ferkinas und vier gefallenen Ogern. Ihr Blut lief in roten Rinnsalen die steile Straße zwischen dem oberen und dem unteren Tor hinab. Nicht lange, da war sich Hesindian sicher, und die Wilden würden merken, dass sie nur mehr Leitern brauchten, um auch das obere Tor zu nehmen. Hesindian hatte keine geübten Schützen mehr und kaum noch Pfeile, und die Frauen und Männer, die dicht an dicht im oberen Hof standen, da nicht mehr genug Platz war, dass sie sich setzen konnten, erwarteten mit bangem Blick den Tod. Sie waren zahlreicher als die Ferkinas, aber nur die wenigsten waren bewaffnet, und die muskelbepackten Oberkörper der Barbaren, die Kriegsnarben und ihre Stein-, Bein-, aber auch Metallwaffen ließen erahnen, wie ungleich der Kampf werden würde, der den Bauern bevorstand.

Es gab nichts, was Hesindian tun konnte. Der Fluchttunnel, der aus der Burg hinaus bis zum Ufer des Helado führte, war schlecht gepflegt, einsturzgefährdet und sein Ausgang bei diesem Wetter vom stark angeschwollenen Bach überflutet. Die Menschen dort hinein laufen zu lassen, hieß, sie in die Todesfalle zu schicken. Die Leute hatten recht: Er hatte zu wenig getan für ihren Schutz! Er war ein schlechter Herr, dem es an Voraussicht gemangelt hatte, der – ebenso wie sie – zu lange in Frieden und Sicherheit gelebt hatte – und es doch besser hätte wissen müssen!

Hesindian wandte sich zu den Menschen hinter ihm im Burghof um und reckte Kaisertreu in den wolkenverhangenen Himmel. "Menschen aus Kornhammer", rief er, so laut er vermochte. "Finster sind die Tage, die über uns gekommen sind, schrecklich und grausam der Feind, dem wir Auge in Auge gegenüberstehen. Hoffnungslos mag die Lage manchem und mancher von euch erscheinen." Er machte eine kurze Pause, während einige der Bauern düster nickten.

"Aber ihr täuscht euch!", fuhr er fort. "Denn Hoffnung ist eine Frage des Glaubens! Hoffnung entsteht in unseren Herzen!" Er schlug sich mit der behandschuhten Linken auf die hagere Brust. "Wer ein Herz hat, das für die rechte Sache schlägt, wer Glauben hat, Vertrauen: in die Götter, den eigenen Mut, die eigene Kraft – der ist nicht verloren! Im Leben nicht – nicht einmal im Tode! Die da draußen", er wies mit dem Schwert über die Mauer hinab in den Hof der Unterburg, "die haben keine Götter! Und ihre Götzen werden mit ihnen untergehen! Wenn sie sterben, geraten sie in Vergessenheit. Ihr aber: Ihr habt Glauben! Ihr habt Mut! Wochen habt ihr ausgeharrt. Heute, jetzt, ist der Tag, ist die Stunde der Wahrheit gekommen. Die Wahrheit der Götter wird sich euch offenbaren, euer Mut belohnt werden, eure Sünden und Fehler vergeben! Wir werden unsere Haut teuer verkaufen! Wir werden diese Ungeheuer besiegen! Gemeinsam können wir es schaffen! Und wenn wir sterben, so werden wir an der Seite der Götter wandeln, in der Gewissheit, einige unserer Feinde besiegt und mit jedem toten Feind die Hoffnung für andere Almadanis erhöht zu haben, zu leben. Verzagt nicht! Dies ist nicht das Ende: dies ist der Anfang! Für die Götter! Für Almada! Auf die Mauern!", rief er.

Hier und da jubelten einige der Frauen und Männer, und manche schrien wagemutig ihren Zorn und ihre Furcht heraus. Aber die Begeisterung der Menschen war verhalten, und diejenigen, die ihre Waffen reckten und auf den Wehrgang traten, waren in der Minderheit.

Hesindian wünschte, er würde nur halb so viel Zuversicht verspüren, wie er die Menschen glauben machen wollte, dass er besaß. 'Richeza', dachte er an seine verstorbene Gemahlin. 'Werde ich dich wiedersehen?' Aber wieviel Hoffnung gab es für eine Frau auf ein jenseitiges Leben in einem der zwölfgöttlichen Paradiese, die sich selbst das Leben genommen hatte? Wieviel Hoffnung gab es für einen Mann wie ihn, der es nicht vermocht hatte, sein Volk zu schützen?

Stumm blickte er auf die Oger hinab, die gegen das Tor donnerten, die sich ihren Weg in die Schmiede zu schlagen versuchten. Das Tor zur Oberburg erzitterte unter den mächtigen Hieben, die Tür der Schmiede aber barst, und eines der Ungeheuer begann, Stühle, Eisenstangen und Fässer herauszuzerren, welche die Menschen darin zu ihrem Schutz aufgehäuft hatten.

Etliche Ferkinas ritten auf ihren Bergpferden in den Hof, unter ihnen ihr Anführer, dessen bloße Schultern im Regen glänzten. Er schrie etwas, und zwei Dutzend Ferkinas mit kurzen Reiterbögen eilten auf den Hof. Doch statt, wie bisher, auf die Schützen und Bewaffneten auf den Mauern zu zielen, hoben sie die Bögen und zielten in die Luft, und die Pfeile sirrten hoch in den Himmel und schossen herab wie wütende Hornissen, und mancher fand sein Ziel unter den eingepferchten Menschen im Hof.

Hesindian drängte sich dicht unter das Dach des Torturmes. Er musste einen Angriff befehlen! Wenn er wartete, würden etliche unter den Pfeilen fallen, und der Rest würde den Kriegern zum Opfer fallen wie Lämmer ihren Schlächtern. Aber die Schreie und das Klagen der Menschen waren so laut, dass er sich kein Gehör zu verschaffen vermochte. Selbst wenn er jünger und seine Stimme noch kräftiger gewesen wäre, hätte er das Geschrei nicht übertönt. Dann aber stützten immer mehr Menschen auf die Mauern, besonders die jungen, Männer und Frauen, und ihr Rufen wurde lauter und lauter, und es dauerte einen Moment, bis Hesindian merkte, dass sie jubelten.

"Vivat!", schrien sie und "Vivat Almada!" und "Der Kaiser, es lebe der Kaiser!" und "Rondra sei Dank!" Verwirrt trat Hesindian aus dem Schutz des Torturmes heraus und sah über die Mauer nach Westen, wo Kornhammer im Regen verschwamm. Und was er sah, ließ sein Herz einen jähen Satz machen, und er wollte seinen Augen kaum trauen: Soldaten! Nicht zehn oder zwanzig, nicht fünfzig oder hundert. Nein: Hunderte waren es, die gleichzeitig über die Straßen von Trigo und Tolaks Turm über die Felder und Weiden in den Ort geritten kamen, die Zelte der Ferkinas in Brand setzten und mit Schwertern und Lanzen die Wilden niederstreckten, die noch in Kornhammer verblieben waren.

Schreie kamen nun auch aus der Unterburg, und der Anführer der Ferkinas wendete sein Pferd, und seine Männer folgten ihm, und sie ritten hinaus und hinab in Richtung des Dorfes, um sich dem Heer zu stellen. Nur die Oger blieben zurück, blutdurstig und fresslustig, aber die Gardisten und Bauern in der Schmiede stachen mit Eisenstangen nach ihrem Angreifer, als er sich den Weg in die Schmiede bahnen wollte, und flohen an ihm vorbei auf die Mauern. Zwei von ihnen wurden von anderen Ogern erwischt, doch die restlichen entkamen den schwerfälligen Ungeheuern und brachten sich in einem der Türme in Sicherheit, dessen Tür so klein war, dass kein Oger ihnen dorthin folgen konnte.

Die Menschen in der Oberburg aber jubelten noch immer, schrien und weinten und dankten den Göttern für ihre Gnade, während der Regen das Blut der Gefallenen fortspülte und der Wind die Stimmen der Klagenden, die ihre Liebsten verloren hatten, zerstreute.

14. Efferd, am späten Nachmittag

Autor: von Scheffelstein

Wo noch am Morgen die Zelte aus Leder und Fellen gestanden hatten, standen nun Zelte in allen Farben des Königreichs, und von ihren Dächern wehten das Blau-Weiß-Rot Almadas und die Banner tapferer Magnaten, und vor den Zelten hatten die Tercios der Söldner ihre Standarten in den Boden gepflanzt.

Die Ferkinas waren tot oder vertrieben, nicht wenige, so auch ihr Anführer, hatten sich in die Wälder zurückgezogen, wohin ihnen die schweren Reiter der Kaiserlichen kaum zu folgen vermochten. Auch die Oger waren erschlagen, jeder einzelne, denn die tumben Kreaturen hatten bis zum Schluss gekämpft, die Blutgier größer als ihr Überlebenswille.

Nun waren die Tore der Burg Scheffelstein geöffnet, die Menschen standen auf den Mauern und jubelten, als der Marschall Almadas mit den edelsten seiner Streiter und deren Begleitern die Unterburg hinauf und in den Hof der Oberburg ritt, unter ihnen auch Danilo Caerdonnati von Cres, Veteran vieler Schlachten und des Cronvogts Freund seit vielen Jahren.

Es regnete immer noch, aber feiner inzwischen, und der stärkere Wind blähte die nassen Fahnen: Da flog der rote Drache der Harmamunds in Gold und Purpur, da stieg das weiße Ross der Streitzigs in Blau, und neben der silbernen Linde auf Grün der Familia von Lindholz flatterte der silberne Rabenschnabel auf Schwarz der Familia Aranjuez. Ein Dutzend Banner wurde von einem Dutzend Standartenträger in den Hof getragen, und die Bauern und Handwerker jubelten den Magnaten zu.

Hesindian von Kornhammer-Scheffelstein blieb vor dem Ross des Marschalls stehen, umfasste das Kreuz seines Schwertes und beugte das Knie auf dem nassen Pflaster. "Rondra segne Euch, Eure Exzellenz!", sprach er vernehmlich, und die Erleichterung war seiner Stimme anzuhören. "Rondra segne Euch alle!"

Gwain von Harmamund aber saß ab, trat zu dem alten Cronvogt, nahm ihn bei den Armen und half ihm auf die Beine. "Steht auf, Euer Hochgeboren! Unsere Hilfe kommt spät." Er nickte in Richtung des Tores, vor dem tote Gardisten und ein toter Oger lagen, und in Richtung der von Pfeilen niedergestreckten Bauern auf dem Hof.

Hesindian neigte leicht den Kopf. "Spät, aber zur rechten Zeit, um Hunderte Leben zu retten. Dafür danke ich Euch, dafür danke ich den Göttern!"

"Dann lasst uns heute gemeinsam den Göttern danken", erwiderte der Marschall freundlich. "Morgen aber wollen wir weiterreiten, denn solange nur einer der Barbaren oder eines dieser Ungeheuer noch auf Reichsgebiet frei herumläuft, ist unsere Aufgabe nicht beendet, der Krieg nicht gewonnen."

"Ihr mögt entschuldigen, wenn ich Eure Exzellenz und die Damen und Herren nicht standesgemäß zu empfangen vermag", sagte Hesindian. "Aber Ihr sollt an Brot und Fleisch erhalten, was die Küche noch hergibt, und wenigstens Wein wird sich im Keller finden, der dem Anlass angemessen ist."

Der Harmamund winkte ab. "Wir sind nicht zum Feiern hier, Dom Hesindian. Was immer Ihr uns auftischt, wird uns willkommen sein. Mehr aber noch jede Information, die Ihr uns geben könnt über die Ziele der Barbaren, ihre Kampfkraft, ihre Herkunft, ihre Verstecke, weitere belagerte Gebiete und Strategien, ihnen und diesen Ogern beizukommen."

Hesindian nickte langsam. "Was immer ich weiß, wenn es auch wenig sein mag, sollt Ihr erfahren. So kommt denn, bei Wein und Brot lässt sich besser reden als hier im Regen."

Und unter dem "Vivat Almada! Vivat Hal Secundo! Es lebe der Marschall!" der Geretteten führte der Cronvogt die Edlen des Reiches in den Rittersaal des Palacios der befreiten Burg Scheffelstein.



Chronik:1033
Der Ferkina-Feldzug
Teil 06