Chronik.Ereignis1041 In den Schuhen des Kanzlers 01
Taladur, 30. Rahja 1041 BF
In den Gassen San Lupas
Autor: Jott
Farfanya sah mit einer Mischung aus Wohlwollen, Faszination und Mitleid zu, wie der Bettler das Punipantörtchen mit ehrfurchtsvoll geweiteten Augen aus ihren blütenweißen Lederhandschuhen in seine schmutzig schwieligen Hände nahm. Doch als er seinen Mund öffnete und seine wenigen verbliebenen Zahnstümpfe mit glückseligem Gesichtsausdruck in das Gebäckstück hieb, musste sie sich abwenden. Die Übelkeit stieg wieder in ihr hoch. Schon seit ihr ihre Zofe Emeralda das Päckchen des Soberans am Vormittag gebracht hatte, kämpfte sie dagegen an. Reflexartig legte sie ihre Hand auf den Mund, um den Würgedrang zu unterdrücken, doch das machte es nur noch schlimmer, denn auch ihr Handschuh roch inzwischen penetrant nach Punipan. Ärgerlich riss sie ihn von ihrer Hand und warf ihn zu ihrer Zofe, die sie auf diesem schweren Gang begleitete. Dann legte sie den Kopf in den Nacken, schloss dabei die Augen und atmete tief ein. Langsam beruhigte sich ihr Magen wieder. Sie hoffte nur, dass die Handschuhe noch zu retten waren. Sie hätte sich ohrfeigen können, dass sie ihre liebsten Reithandschuhe angelassen hatte. Als wäre der Tag so nicht schon Strafe genug!
„Ich… ich danke euch vielfach, edelmütigste aller Domnas!“, hörte sie da die brüchige Stimme des alten Mannes hinter sich. Er sprach mit vollem Mund. Sie hätte ihn am liebsten geschlagen! Doch auch diesem Drang widerstand sie und brachte stattdessen ein „danke er nicht mir, danke er der Familia von Taladur, deren Soberan Rafik Listhelm Maldonado von Taladur höchstselbst, an diesem Tag seinen Tsatag feiert und ihn mit diesem Geschenk an seinem Ehrentag teilhaben lässt“
Noch ehe der Mann etwas antworten konnte, lief sie los. Schnell heraus aus dieser engen, bedrückenden, dunklen Gasse. Ein paar Stufen hinauf und dann auf den sonnigen Wollmarkt. Ihre Wachen und ihre Zofe folgten ihr, sie konnte die Schritte auf dem harten Pflaster hinter sich hören. Farfanya ging zum Brunnen und setzte sich auf seinen Rand. Dann drehte sie ihr Gesicht in die Sonne und schloss die Augen. Sie hörte Emeralda neben sich treten. Das Rascheln des Papiers, das die Törtchen in der Schachtel voneinander trennte, verriet sie.
„Setz dich.“, wies sie sie an, ohne die Augen zu öffnen. „Wie viele sind es jetzt noch?“ Es dauerte einen kurzen Moment bevor Emeralda antwortete „27, Domnatella… 27 und …euer zweites.“ Farfanya seufzte. So viele. Und mit jedem seiner Tsatage schickte er ihr eines mehr…
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