Chronik.Ereignis1036 Besuch im Vanyadâl 31

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Baronie Schrotenstein, 10. Tsa 1036 BF[Quelltext bearbeiten]

Castillo Norderwacht, am späten Nachmittag des 10. Tsa[Quelltext bearbeiten]

Autor: SteveT

"Holla Domna! Isses noch weit?", begehrte Gambron, der wackere Scheffelsteiner Waffenknecht, von der vorausreitenden Anführerin ihrer kleinen Kolonne zu wissen. "Mein Maultier kriegt 'nen Schnupfen, glaub ich, bei dieser Scheißkälte!"

In der Tat hatte sein schwarzgraues Reittier zum wiederholten Male ein Geräusch ähnlich einem Nieser von sich gegeben und schnaubte immer wieder Rotz aus seinen Nüstern, was daher rühren mochte, dass sie mehrfach absichtlich durch das Bett eiskalter Bäche geritten waren, um keinerlei Spuren zu hinterlassen auf dem Weg vom Boron-Kloster hierher.

"Es ist gleich da vorn!", kam die maulfaul zwischen zusammengekniffenen Zähnen hervor gepresste Antwort der Angerufenen zurück, ohne dass sie sich dafür zu ihm umdrehte. Dasselbe hatte sie vor über einer Stunde schon einmal gesagt, als die Hügelkuppen erstmals in Sichtweite gekommen waren, denen sie nun ganz nah waren. In Gambron erwuchs der Verdacht, dass sie sich hier selbst nicht allzu gut auskannte oder wenn doch, dann wohl eher zur Sommerszeit und nicht jetzt in der winterlichen Tristeza, wo unter Firuns weißem Leichentuch sowieso alles gleich aussah.

"Mmmmh! Lasst. Mich. Hier. Raus! Mmmh! Pfft, bäh! Verflucht sollt ihr alle sein, ihr Elenden! Das wird euch noch leid tun!", meldete sich wieder einmal mit dumpfer Stimme der in einem Sack steckende Gefangene zu Wort, der vorne quer über dem Pferd der Vanyadâlerin hing.

Diese schlug ihm durch den Sack hindurch auf den Hinterkopf und drückte ihn runter aufs Pferd. "Halt deine Schnauze, Harmamund! Du quasselst viel zu viel, als dass dir irgendwann einmal irgendwer deine Verkleidung als Boronskrähe abkaufen wird!"

Der hinter ihr reitende einstige Burghauptmann Abelardo, der seit Stunden auf Rifadas schwertbehangenes Kreuz starrte, empfand zum ersten Male fast so etwas wie Mitleid mit dem Gefangenen. Nicht dass er irgendwelche Sympathien für die Mitglieder des Hauses Harmamund hegte, die Domna Richeza, die geliebte Enkeltochter seines Herrn, gefangen hielten, zu der auch er selbst Zeit ihres Lebens ein sehr herzliches Verhältnis gehabt hatte. Aber wie grausam und schrecklich musste es sein, so ein halsstarriges und rachezerfressenes Weib wie diese Rifada zur Feindin zu haben?

Maßlos ist der Zorn der Weiber, war ein altes bosquirisch-ragatisches Sprichwort, und Dom Abelardo sah es nie zuvor so bestätigt wie in dieser Person. Wenn man es sich - wie die Harmamunds - einmal mit einem solchen Pestweib verdorben hatte, dann blieb einem eigentlich nichts weiter übrig, als das Land zu verlassen oder immerzu auf der Hut zu sein, denn solche Weiber kannten kein Aufgeben und keine Vergebung.

"Da oben ist es! Norderwacht! Wir sind also doch bereits in Schrotenstein!", sagte Rifada schließlich und wandte sich nun doch kurz zu ihren beiden Begleitern um. Die zwei Gardisten aus Kornhammer blickten den von ihr gezeigten Hügel hinauf, auf dessen felsiger Spitze ein klobiger hoher Turm thronte, an den rechts offenbar noch ein kleines Steinhaus angebaut war. Eine Burg, die sie eigentlich ob des Namens erwartet hatten, konnte man das Ensemble jedenfalls kaum nennen. Es war wohl eher eine Grenzbefestigung irgendeines Barons, der sie gewiss schon vor sehr langer Zeit hatte errichten lassen, denn die beiden schäbig und ärmlich wirkenden Bauwerke hatten sicher schon bessere Zeiten gesehen. Nichtsdestotrotz qualmte eine schöne Rauchfahne aus dem Schornstein der Hütte, und die Aussicht, die Nacht in einer geheizten Stube zu verbringen, erschien den beiden Männern in dieser langanhaltenden Kälte ungemein verlockend.

"Seid Ihr mit der Herrin dieses ... äh ... Gemäuers verbündet, Domna Rifada? Ist man uns dort gewiss freundlich gesonnen?", fragte Abelardo.

"Verbündet würde ich es nun nicht nennen!", schüttelte Domna Rifada den Kopf und zerstörte damit fast schon wieder seine Hoffnung auf eine warme Mahlzeit und ein warmes Quartier. "Aber sie steht in meiner Schuld. Tief in meiner Schuld!"

"Obacht, Domna! Runter!", brüllte plötzlich Gambron, der während ihres Wortwechsels als einziger weiter nach oben geschaut hatte.

Rifada riss den Kopf herum und blickte ebenfalls nach oben, beinahe gleichzeitig riet ihr ihr in vielen Kämpfen und Scharmützeln geschärfter Gefahreninstinkt, sich seitlich vom Pferd in den Schnee zu stürzen. Keinen Moment zu früh, den nur einen Augenblick später schlug sirrend ein von einem Bogenschützen auf der Turmkrone abgeschossener Pfeil ein. Der gefangene Amando Almadarich schrie auf, mehr vor Schreck, als dass er wirklich groß verletzt worden wäre. Der Pfeil hatte seine unter dem Sack und der Kutte herausschauende nackte Wade gestreift, die einen blutigen Striemen aufwies. "In Deckung!", brüllte Gambron, der seinerseits einen Kurzbogen am Maultier hängen hatte und kurz erwog, zurückzuschießen. Dom Abelardo folgte seinem Rat, Rifada aber rappelte sich wütend wieder auf, breitete anklagend die Arme aus und brüllte hinauf: "Hey da! Was wird das, Dreckspack? Auf arglose Reisende zu schießen! Ich bin die Base eures Herrn!"

"Verschwindet von hier, Söldnergesindel!", schallte es von oben zurück, "hier gibt es nichts zu rauben!" Und dann - nun von einer weiblichen Stimme: "Ich habe keinen Herrn! Ich bin die Herrin hier!"

"Ach wirklich, Domna Estella?", rief nun wieder Rifada hinauf, die jetzt sowohl die Stimme, als auch den dazugehörigen feuerroten Haarschopf auf der Turmplattform erkannte, "Ich bin es - Rifada Jezebela da Vanya! Ihr wisst, dass Ihr mir noch gehörig etwas schuldig seid aus vergangenen Tagen, und heute bin ich gekommen, um es einzufordern! Danach sind wir quitt, und ich werde Eure Schuld nach dieser Kleinigkeit als gesühnt ansehen!"

Die beiden Kornhammer Gardisten, die hinter einem großen Felsbrocken Deckung gefunden hatten, tauschten untereinander einen bangen Blick. Ob es klug war, so zu reden? Das Weib wusste wirklich, wie man überall schnell neue Freunde gewann ...

Einen Moment herrschte droben Stille, dann keifte der Estella genannte Rotschopf los: "I-c-h? In E-u-r-e-r Schuld? Das wüsste ich aber! Einen Scheißdreck schuld ich dir, Da Vanya! Verschwind' ganz schnell mit deinen Strolchen, ehe ich meine Hundemeute raus auf euch hetze!"

Rifada schüttelte ärgerlich den Kopf und stapfte mit dem Fuß auf. "Darf ich dich erinnern? Das Winterlager der Blutsäufer ... im Raschtulswall ... wir waren dort zu einer Strafexpedition, weil sie unzählige Dörfer verwüstet hatten! Als wir aber endlich Khenubaal Pascha und Kanishkar ausfindig gemacht hatten und ich den Angriff befahl, da stand ich plötzlich fast mutterseelenalleine da, weil eine gewisse treulose Verräterin mit der kompletten Nachhut Reißaus genommen hatte!"

"Ich habe all diesen Männern und Frauen das Leben gerettet!", kam es von oben trotzig zurück. "Du Wahnsinnige hättest sie in den sicheren Tod geführt!"

"Wie du siehst, bin ich aber noch am Leben!", knurrte Rifada drohend. "Und Khenubaal nicht mehr, weil ich ihm damals selbst den Schädel eingeschlagen habe! Wärst du nicht getürmt, du feige Natter, hätten wir vielleicht auch den Schamanen erwischt, und ich hätte nicht endlose Monde in der Gefangenschaft dieser Kreaturen darben müssen - eine Zeit, die ich nicht mal meinen ärgsten Feinden wie dem da wünsche ..." Sie deutete auf den Mann im Sack, der noch immer über ihrem Pferd hing.

Estella von Norderwacht wollte Rifada gerade schon die passende Erwiderung hinunter brüllen - auch wenn es ihr etwas zuwider war, vor ihrem eigenen wie auch vor den Vanyadâler Gardisten vertraulich aus alten Zeiten zu erzählen - als sie der letzte Nachsatz stutzig machte. Offenbar betrachtete die Verrückte den von einem Sack verborgenen Mann auf dem Pferd als noch größeren Feind als sie selbst. So fragte sie laut: "Wer zum Henker ist das? Moment mal, das ist doch nicht etwa ... ein Priester? Ein Boron-Priester?"

"Der?" Rifada schüttelte den Kopf. "Nein, nein - das ist bloß ein verkleideter Harmamund!"

"Harmamund?", fragte Domna Estella nun ihrerseits ungläubig. "Ich kriege hierzulande nicht allzu viel mit - aber ist nicht einer von denen der Fürst?"

"Er ist nicht der Fürst!", winkte Rifada mit erhobenem Zeigefinger ab, "zumindest nicht der rechtmäßige!"

Der gefangene Amando Almadarich begann nun wieder leise zu zetern und zerrte an seinen Fesseln.

"Ach - und wer soll das sonst sein?", rief Estella von Norderwacht ungehalten hinunter.

"Du sprichst gerade zu ihr!", brüllte Rifada, der dieses Frage-und-Antwort-Spiel langsam zu dumm wurde. "Also lass uns jetzt in deinen verdammten schiefen Turm oder du wirst es später doppelt bereuen! Wir wollen hier nur einen oder zwei Tage auf einen Boten mit einer Nachricht warten! Danach ist deine Schuldigkeit abgegolten, und ich werde zähneknirschend auch über den Ungehorsam hinwegsehen, den du heute schon wieder an den Tag gelegt hast! Bedenke, dass mein Vetter und meine greise Muhme schon alleine dein Baron und deine Lehnsherrin sind! Also los jetzt, - zackzack!, auf das Tor!"

"Verpisst euch! Auf der Stelle!", kam von oben zurück.

Rifada drehte sich zu ihren beiden Begleitern um, die wieder hinter dem Felsbrocken hervorgekommen waren. Ihr Gesicht war feuerrot vor Wut, die Augen blitzten böse. "Spreche ich orkisch?", fragte sie die beiden. "Es fehlt nicht mehr viel, und ich setze der Hütte da den roten Hahn aufs Dach! Das Weib fordert es ja heraus!"

"Domna Rifada! Bitte lasst mich ein paar Worte mit der werten Domna wechseln!", schlug nun der einstige Burghauptmann Abelardo vor, der sich in diesem Moment niemanden sehnlicher als seinen Herrn Hesindian herbei wünschte. Der alte Cronvogt, dieser Meister der Diplomatie, würde sicher selbst diesen geharnischten Rotschopf zum Einlenken bewegen können. So aber blieb ihm nichts weiter übrig, als zu versuchen, in dessen Fußstapfen zu treten und selbst diplomatisch sein Glück zu versuchen ...


Autor: von Scheffelstein

Nachdem Domna Rifada zähneknirschend ihr Einverständnis gemurmelt hatte, trat Abeldardo Mansarez vor. Seit sein alter Herr in der Schlacht von Jergan gefallen und sein neuer ihn als Reisigen und später Knappe aufgenommen, ihn zum Caballero und Burghauptmann ernannt hatte, hatte er Hesindian von Kornhammer-Scheffelstein treue Dienste geleistet. Zwar hatte er noch immer einen schlanken, drahtigen Körper, aber die Haut begann über dem schlaffer werdenden Muskelfleisch zu hängen, und anders als die einige Jahre jüngere da Vanya stählte er seinen Körper nicht mehr täglich durch Leibesübungen, seit seine Tochter das Amt der Capitana von Scheffelstein übernommen hatte. Er hoffte, dass diese sträfliche Nachlässigkeit ihm nun nicht zum Verhängnis würde. Mehr aber noch hoffte er, genug von seinem Herrn gelernt zu haben, um die Wogen des Zorns, die vor den Mauern Norderwachts aufbrandeten, glätten zu können.

Wenn du im Angesicht möglicher Feinde stehst und sie dir in Zahl und Rang und Namen überlegen sind, was wird dir helfen, Abelardo?, hatte Dom Hesindian ihn einstmals gefragt.

Mein Schwert, Herr? Ich muss gut sein, nicht wahr?

Der Cronvogt, der in jungen Jahren ein beachtlicher Käpfer gewesen war, hatte gelächelt. Auch der beste Kämpfer kann nicht ewig bestehen gegen eine Übermacht, gleich wie die stärkste Mauer von Wind und Wellen und Zeit geschleift wird. Überlege weiter, mein Junge!

Mächtige Freunde, Herr? Verbindungen zu den Hohen des Reiches?

Sehr gut. Dom Hesindian hatte genickt. Pflege deine Freundschaften und stets ein gutes Verhältnis auch zu jenen, die dich bislang übersehen haben. Stehe in Niemandes Schuld, aber erweise jedem eine Gefälligkeit, die groß genug ist, als dass man sich deiner erinnert, nicht so groß aber, dass man dich für einen Diener halten könnte oder schlimmer noch: ein Hindernis.

Abelardo hatte noch darüber nachgedacht, wie das gehen solle: jedermanns Freund und niemandes Feind zu sein, jedermann gefällig zu sein, aber von keinem für einen Schwächling gehalten zu werden, da war der Vogt fortgefahren: Dennoch, Abelardo: Nicht jeder Name wird dir jede Tür öffnen, und nicht immer sind die Verbündeten auf deiner Seite. Wenn du dir selbst helfen musst, was brauchst du dann?

Abelardo hatte fragend die Hände ausgebreitet, vom vorherigen Rätsel noch ganz eingenommen.

Einen wachen Geist und wohl gewählte Worte, hatte Dom Hesindian ihn belehrt. Kenne die Schwächen und Stärken deines Gegenübers, seine Verpflichtungen, Ängste, Wünsche, Angewohnheiten, Freunde und Feinde ...

Wie soll ich das über Fremde wissen, Herr?, hatte Abelardo ihn unterbrochen. Über Räuber, Söldner, was-weiß-ich wen?

Lerne, in ihren Gesichtern zu lesen, in ihren Augen. In ihrer Haltung. In ihrer Kleidung. In der Art, wie ihre Diener mit ihnen sprechen, ihre Gefolgsleute. In der Art, wie man über sie spricht oder hinter ihrem Rücken. Lerne, das zu lesen, was niemals niedergeschrieben wird, das Flüchtige und doch ewig Wahre. Und dann nutze dieses Wissen. Lasse dein Gegenüber an diesem Wissen teilhaben, wohldosiert gib es preis, niemals alles auf einmal! Solange du deinem Gegenüber ein Rätsel bleibst, werden Angst und Neugier sich die Waage halten. Siegt die Angst, wirst du sterben. Siegt die Langeweile, wird es dich behandeln wie ein Insekt – bestenfalls lässt es dich einfach deiner Wege ziehen, ohne dich weiter zu beachten.

Fieberhaft überlegte Abelardo, was er bisher von dieser Domna Estella gehört hatte. Kurz war er versucht, es mit der größtmöglichen Wahrheit zu versuchen und den Namen seines Herrn als Türöffner zu verwenden. Aber diese ganze Angelegenheit war bereits recht delikat, seit der Boron-Priester dort im Sack zappelte, der Priester, den Abelardo im Gegensatz zu seiner Begleiterin nicht für einen Schwindler hielt, sondern für jemanden, der auf eine merkwürdige Weise eine ihm unbekannte, irgendwie vertrauliche Beziehung zu Domna Rifada zu haben schien, die ihn in eine Verhaltensweise ... zurückfallen zu lassen schien, die nicht recht zu seiner Priester-Rolle passte. Abelardo hatte zu wenig Kenntnis über den Konflikt zwischen den Häusern da Vanya und Harmamund, um sich diese Vertraulichkeit erklären zu können, die den Geweihten in Rifadas Gegenwart wie einen trotzigen kleinen Bruder wirken ließ. Aber er nahm sich vor, mehr herauszufinden.

Abelardo warf der noch immer kochenden Vanyadâlerin einen kurzen Seitenblick zu und entschied, dass es in der gegenwärtigen Situation besser wäre, ihren Ärger zu riskieren, als einen Pfeil im Schädel.

"Die Götter schützen Euch, Domna Estella! Ich bin Abelardo Mansarez von Leuendâl, auch wenn Euch dieser Name möglicherweise unbekannt ist. Entschuldigt die harschen Worte Domna Rifadas! Ihr Ärger mag verständlich sein, denn welche Frau wird eine Gefangenschaft bei den Bergwilden je vergessen können? Ihr Mut mag damals Euren Rückzug ermöglicht haben, Eure Umsicht aber hat das Leben und Wohlergehen der Euch Anvertrauten gerettet. Mut und Umsicht jedoch brauchen wir in diesen Tagen und für unser Vorhaben gleichermaßen. Und deshalb möchte ich Euch vorschlagen, uns hereinzulassen und Euch unsere Worte anzuhören. Wir hoffen, dass wir auf Eure besonnene Hilfe zurückgreifen werden können, wenn wir Euch unser Vorhaben unterbreitet haben. Zumindest aber hoffen wir auf Euren verständigen Rat. Gleichwohl: Diese Angelegenheit ist keine, die man vor Reisigen die Mauer hinauf und herab schreit. Darum bitten wir Euch im Namen der gütigen Travia um Einlass!"


Autor: SteveT

Estella von Norderwacht musterte den Mann genauer, der zu ihr gesprochen hatte. Abelardo Mansarez von Leuendâl? Nie gehört! Er war kein Bosquirer, das verriet der fehlende Akzent. Was hatte er mit der verrückten da Vanya zu schaffen, die immer noch ganz die Alte war und sich genauso dreist gebärdete wie eh und je? Wenn sie glaubte, die einzige Halsstarrige in dieser Talschaft zu sein, dann hatte sie sich gewaltig getäuscht!

"Hm ... nun gut, meinetwegen - in Travias Namen sollt Ihr vorsprechen, Dom Abelardo!", rief sie schließlich hinunter. "Aber nur Ihr allein! Löst Euren Schwertgurt und tretet allein und unbewaffnet drunten vor die Turmpforte!"

"Gut gemacht!", raunte Rifada Abelardo leise zu, ohne dabei groß die Lippen zu bewegen. "Das Weib ist bloß noch eine Caballera, seit sie den Edlentitel wegen wiederholter Zehntschulden verlor. Das heißt, sie kann nur diesen einen oder vielleicht zwei Wachposten bezahlen - mehr Klingen hat sie nicht da drin! Ich hoffe, Ihr habt noch ein Stilett im Stiefel, wenn Ihr Euren Säbel ablegen müsst? Blockiert irgendwie die Tür, sobald Euch aufgetan wird! Wir beide stürmen dann sofort los und eilen Euch zur Hilfe!", bezog sie nun auch Gambron in ihren Plan mit ein. "Wenn sie uns nicht freiwillig hinein lässt, müssen wir uns den Weg eben freihauen! Lucrann wird uns sogar dankbar sein, dieses miese Aas als Vasallin loszuwerden, die uns eh noch niemals rechte Gefolgschaft leistete! Aber damit ist jetzt Schluss!"


Autor: von Scheffelstein

Eine feine Schweißperle rann Abelardo trotz der Kälte den Nacken herab. Er fühlte sich unwohl in seiner Haut. Stets hatte er sich auf das diplomatische Geschick seines Herrn verlassen können und war deshalb im beschaulichen Kornhammer nie in eine derart unangenehme Situation geraten, in der er innerhalb eines Herzschlags über das weitere Vorgehen entscheiden musste. Der Gedanke, Domna Estella zu hintergehen, widerstrebte ihm, aber er hatte kein Stilett im Stiefel. Bislang hatte es gereicht, sich auf Rondras Tugenden zu verlassen. Verlangte nun auf seine alten Tage Phex Tribut von ihm?

Er hatte gehofft, man werde ohne Umschweife eingelassen und er könne das Reden dann Domna Rifada überlassen, um vielleicht beschwichtigend einzugreifen, wenn es nötig werden sollte. Weit gefehlt, wie es schien!

Der Plan der Junkerin erschien ihm tollkühn: Einfach drauflos zu stürmen und die Caballera und ihre Mannen zu überfallen. Konnte sie wirklich wissen, dass es nicht doch weitere Bewaffnete auf dem Anwesen gab? Zudem wäre es beinahe ein Frevel, im Namen Travias um Einlass zu bitten, nur um dann die Gastfreundschaft selbst zu brechen. Überhaupt: Wenn man Domna Estella als Verbündete zu gewinnen versuchte, wäre es sicher falsch, sie derart zu hintergehen. Und es war sicher nicht Domna Rifadas Sache, die Vasallinnen ihres Vetters zu maßregeln, selbst wenn oder falls diese es verdient haben mochten. Weder war sie Herrin dieses Landes, noch Soberana ihres Hauses.

Abelardo stieg von seinem Ross ab, löste sein Schwertgehänge und drückte es der Junkerin in die Hand, ohne sie anzusehen. Den Blick fest auf das Tor der Befestigung gerichtet, schritt er aufrecht auf dieses zu. Das Tor wurde geöffnet, und Abelardo ging einfach weiter, ohne sich umzudrehen. Hinter ihm fielen die Torflügel zu, und er hörte, wie der Riegel vorgeschoben wurde.

"Seid gegrüßt, Domna Estella", rief er zur Turmplattform hinauf, "in der guten Götter Namen!"


Autor: SteveT

Kaum dass Abelardo auf die Turmpforte Norderwachts zumarschiert war, hatte sich auch Rifada ein paar Schritte hinter ihm wie eine Löwin auf der Pirsch in Bewegung gesetzt. Sie eilte ihm gebückt im Zickzack laufend hinterher, ihr Schwert in der Hand, um dem Bogenschützen oben auf dem Turm kein gutes Ziel abzugeben.

"Heda, Ihr! Bleibt zurück! Nur der Bursche da, hat die Herrin gesagt!", rief der von oben. Zu Rifadas Erstaunen und Entsetzen marschierte Dom Abelardo aber einfach durch die sich kurz für ihn öffnende Tür hindurch und ließ es einfach tatenlos geschehen, dass sie sich hinter ihm wieder schloss. Rifada versuchte es mit einem Hechtsprung, aber sie prallte nur gegen das eisenbeschlagene Holz der massiven Tür, die bereits wieder ins Schloss gefallen war. Von Innen wurde hörbar ein Riegel vorgeschoben. Wütend schlug sie ihr Schwert mit einem wuchtigen Zweihandschlag gegen die Tür, der sowohl an den Eisenbändern der Tür, wie auch erst recht an ihrer Klinge Schaden anrichtete.

"Was hat er an der Weisung: 'Blockiert die Tür!' nicht verstanden?", rief sie ärgerlich zu Gambron zurück, der selbst seinen Bogen vom Maultier abschnallte, um nötigenfalls den Schützen oben ausschalten zu können. Unter den Waffenknechten des Cronvogts sah sich Gambron als einer der besten Schützen.

Im Inneren des klobigen Wohnturmes, der wohl zugleich auch das 'Herrschaftsgebäude' Norderwachts war, spendete nur eine einzige rußende Pechfackel ein flackerndes Licht. Ein älterer Kriegsmann, etwa in Abelardos Alter, wartete dort mit drohend vorgerecktem Säbel auf ihn. "Halt! Streckt Eure Arme hoch!", befahl er und nickte dann jemandem hinter Abelardo zu, der oder die auch die Tür verriegelt haben musste. "Durchsuch ihn!"

Ein Knabe von vielleicht 15 oder 16 Jahren trat von der Seite an den Scheffelsteiner heran und tastete ihn ab. "Er is' sauber!", nickte er schließlich dem Alten zu, worauf dieser nicht mehr länger mit der Säbelspitze auf Abelardo zielte, die Waffe aber trotzdem in der Hand behielt. Von der Wendeltreppe des Turmes her waren Schritte zu hören, und kurz darauf erschien die Hausherrin, Domna Estella von Norderwacht, die Abelardo in Augenschein nahm. Von außerhalb dröhnte ein dumpfer Schlag gegen die Tür, der den Jungspund zusammenzucken ließ.

Der Edlen oder Caballera rang er dagegen nur ein Lächeln ab. "Das ist bosquirische Bosparanie - die schlägt selbst ein Wüterich wie Rifada nicht entzwei!", grinste sie. Die Hausherrin war eine recht kleingewachsene, aber dennoch stark und vital aussehende Frau in den Fünfzigern oder Sechzigern. Ihr markantestes Merkmal waren fraglos die wilden roten Locken, die im Fackellicht wie Kupfer glänzten. "Also, werter Herr - was ist Euer Anliegen, weswegen Ihr mich zu sprechen wünschtet? Und was hat es mit dem vermummten Gefangenen auf sich? Wo Rifada auftaucht, wird es meistens ungemütlich - was habt Ihr mit ihr zu schaffen? Ich will wegen Euch keine Scherereien mit der Obrigkeit haben - die hat man auch so schon genug ..."


Autor: von Scheffelstein

Abelardo warf einen Blick auf die beiden Schergen der Caballera und heftete seine Augen dann auf die Hausherrin. "Wie ich bereits sagte, Domna, ist dies keine Angelegenheit für die Ohren der Reisigen."

Eine Weile maßen sich ihre Blicke, dann gab Domna Estella den Männern einen Wink. "Geht nach oben!", befahl sie. "Und Ihr: Setzt Euch!" Sie wies Abelardo einen Schemel in der Ecke des kargen Raumes.

Abelardo sah dem Alten und dem Jungen nach und dann auf den ihm zugewiesenen Platz.

Beuge dein Knie vor denen, die ihre Macht von Praios' Gnaden erhielten, nicht aber vor jenen, die von eigenen Gnaden herrschen, hatte der Vogt ihn gelehrt. Diese fürchten den Stolz der Gerechten. Darum wähle weise: Gehorche einem Feind, und er wird über dich verfügen. Wiedersetze dich einem Selbsternannten, und er wird dich töten.

"Ich ziehe es vor zu stehen", sagte er ruhig. Domna Estella runzelte die Stirn, sagte aber nichts. "Domna, die Angelegenheit, in der wir uns an Euch wenden, wird Euch so oder so Scherereien bescheren, wie Ihr es nennt. Denn wo wider Alveran gefrevelt wird, gibt es keine politische Neutralität. Um es kurz zu machen: Ein Nekromant treibt sein Unwesen in Bosquirien und Ragatien, und Euer Herr war es, der Baron von Schrotenstein, der ihn fing. Doch mit der Unheiligen Hilfe gelang es dem Frevler wohl zu entkommen, und er fiel des nachts über das Kloster La Dimenzia der Heiligen Noiona zu Ragathsquell her, schändete den Boronanger, brannte die Abtei nieder und tötete den Prior."

Abelardo ließ seine Worte ein wenig wirken, ehe er weitersprach.

"Und dies nun war der einfache Teil der Geschichte." Er blickte die Caballera fest an. "Der kompliziertere Teil der Geschichte ist dieser: Just bevor das Kloster niederbrannte, hielt sich Morena von Harmamund in diesem auf. Bei ihrer Abreise begegnete sie Domna Rifada und deren Tante und Nichte, die auf dem Weg nach Quazzano waren. Diese nächtigten im Kloster, als der Nekromant es niederbrannte. Die alte Domna Belisetha da Vanya wäre um ein Haar darin umgekommen. Schon am folgenden Tag tauchte Morena von Harmamund erneut im Kloster auf, nahm die alte da Vanya gefangen und schickte bald darauf ihren Bruder, um den ermordeten Prior zu ersetzen."

Wieder machte er eine Pause und beobachtete die Caballera.

"Jetzt kommt der komplizierteste Teil der Geschichte: Domna Belisetha, die Mutter Eures Lehnsherrn, und wohl auch Domna Rifadas Nichte, befinden sich augenscheinlich in der Gefangenschaft der Harmamunder Junkerin. Domna Morena behauptet, der frevlerische Angriff auf das Kloster sei der gesamten Familia da Vanya zu Lasten zu legen. Umgekehrt könnt Ihr Euch den Zorn wie auch den Argwohn Domna Rifadas gegen Erstgenannte gewiss vorstellen. Die wahre Rolle Domna Morenas in dieser Geschichte bleibt offen", erklärte er, ohne mit der Wimper zu zucken. "Fest steht: Sie hält die Schwester und Großnichte des von Praios gesalbten Großinquisitors in Geiselhaft und droht mit ihrem Tode. Umgekehrt hat Domna Rifada sich des Bruders der Junkerin ... angenommen, der zugleich Neffe des Fürsten ist. Ihr versteht?"

Sein Blick ruhte auf der Caballera, wanderte über ihren roten Haarschopf, ihre drahtige Gestalt. "Ihr habt die Scherereien schon, die Ihr zu vermeiden suchtet, und darum sind wir hier. Wessen Partei ergreift ihr? Die Eures Lehnsherrn und der Praioskirche? Die der Nichte Eures Fürsten? In dieser Angelegenheit gibt es keine Neutralität für Euch. Oder um es noch deutlicher zu sagen:" Er senkte verschwörerisch die Stimme. "Wenn auch nur ein Tropfen Blut vergossen wird von einer der beiden Parteien, so wird es Euch, die Ihr nun von dieser Angelegenheit wisst, nicht wohl ergehen, denn die jeweils andere Seite wird Euch zur Rechenschaft ziehen."

Er lächelte schmal und hob die behandschuhte Rechte. "Und deshalb bin ich hier, Domna Estella. Denn mein Anliegen ist es, diese Sache zu einem guten Ende zu bringen. Das heißt: zu einem unblutigen und möglichst unauffälligen Ende. Seid Ihr auf meiner und der rechtschaffenen Götter Seite?"


Autor: SteveT

"Falsch!", fauchte Estella von Norderwacht, als ihr Gegenüber sie fragend ansah. "Ich muss gar nichts - außer sterben, wenn der Schwarze Cumpan nach mir verlangt. Alles andere entscheide ich selbst!" Sie deutete auf die Tür, an die Domna Rifada gerade wieder dröhnend von außen schlug. "Vor nunmehr fast dreißig Jahren wollte man mir schon einmal ähnlichen Unfug einreden - 'Wenn der Wilde droht, gibt es kein Zaudern' hieß es da, 'seid Ihr ein Weib oder eine Maus, die sich feig verkriecht?"

Kam es Abelardo nur so vor oder äffte sie gerade den Befehlston Rifadas nach? "Ich war damals noch jung und dumm und ließ mich darauf ein, was mir eine Nachfahrin von Fürsten und Sonnengebietern befahl. Erst hoch droben in den Bergen erkannte ich den Irrsinn unseres Feldzugs und nahm gerade noch rechtzeitig Reißaus! Von den sechs Männern und Frauen, die mich begleiteten, kehrten fünf wieder lebend nach Hause zurück. Nur einer stürzte in eine Schlucht - von den Waffenknechten Rifada da Vanyas dagegen habe ich keinen einzigen jemals wieder gesehen. So geht es denen, die ihr folgen - sie führt sie geradewegs ins Verderben! Nennt mir also einen einzigen vernünftigen Grund, warum ich Euch helfen sollte? Und was wollt Ihr überhaupt hier, auf meinem weit abgeschiedenen Land, wo sich nur selten Fremde blicken lassen? Ihr könnt von Glück reden, dass ich mich weiterhin schön aus diesem Zwist heraushalten werde - und nicht die Partei Eurer Gegner ergreife!"


Autor: von Scheffelstein

"Meine Gegner sind jene, die das Wohl der Menschen bedrohen, denen ich mich verpflichtet habe", erklärte Abelardo. "Und jene, die den Göttern freveln. Die Gegner Domna Rifadas, werte Domna Estella, sind in diesem Fall jedoch auch die Gegner Eures Lehnsherrn, denn dessen Mutter und Nichte wurden von Domna Morena für diesen Zwist zwischen jener und Domna Rifada – ich sage mal: missbraucht."

Er sah sie eindringlich an. "Ich verstehe sehr gut Eure Bedenken gegenüber Domna Rifada. Doch in diesem Fall geht es um mehr als deren Wünsche. Es geht darum, einen Flächenbrand in der Grafschaft zu verhindern, so kurz vor dem kaiserlichen Hoftag! Domna Belisetha, die Mutter Eures Lehnsherrn, ist eine in der älteren Generation der Magnaten hoch geschätzte Dame, zudem die Schwester des Großinquisitors und – wenn ich es recht sehe – sogar mit dem Fürsten nahe verwandt. Die Nichte Domna Rifadas hingegen ist niemand anderes als die Großtochter des Kornhammer Cronvogtes, einem der letzten Friedenswahrer in dieser brodelnden Grafschaft, dem mehr an dem großen Ganzen als nur an den eigenen Interessen gelegen ist. Zudem hat sie einflussreiche und vor allem streitbare Freunde."

Abelardo verzog grimmig das Gesicht. "Eine provinz- oder gar landesweite Fehde kann sich Almada nach den vergangenen Jahren wahrlich nicht leisten! Viel böses Blut wurde vergossen unter dem alten Kaiser, und mancher Magnat ist nur allzu gewillt, erlittenen Schmerz dieser Tage dreifach heimzuzahlen."

Er stieß unwillig die Luft aus. Was redete er hier eigentlich? Domna Estella war nur ein kleines Licht. Sie hatte weder Truppen, noch, so schien es, den Mut, mehr als die eigene Haut zu retten oder gar für eine größere Sache einzutreten. Wie sollte sie ihnen helfen? Und wozu? Rifadas unerschütterlicher Glaube an Gerechtigkeit und Treue schienen ihm mit einem Mal selbst naiv. Sein Blick wanderte über die allzu karge Einrichtung des Raumes. Vielleicht hatte sie wahrlich nur diese beiden Alriks in ihrem Gefolge. Was also hatte sie zu verlieren? Ein Lehen, dass diese Bezeichnung kaum wert war? Nur ihr Leben, der Feiglinge liebstes Gut.

Verdrossen runzelte er die Stirn. "Wie Ihr sagtet: Kaum jemand verirrt sich je auf Euer Land. Gerade deshalb und weil man weiß, dass Ihr Domna Rifada nicht sonderlich ... schätzt ..., scheint dies ein geeigneter Ort zu sein, um den Harmamund einige Tage zu beherbergen, bis es zu einem Austausch der Gefangenen kommen kann. Ein solcher allein könnte eine Fehde nun noch verhindern und Schlimmeres von Ragath abwenden."

Er schwieg einen Moment und als er weitersprach, war seine Stimme leise und klang wie die eines Mannes, der die Hoffnung auf das Gelingen seiner Mission bereits verloren hatte. "Ihr fragt, warum Ihr mir helfen sollt? Weil der Mann, dem ich diene, der Vogt von Kornhammer, das Leben und die Sicherheit seiner Verwandten gleichwie seiner Vasallen oder Hörigen stets höher schätzte als den Wunsch nach Macht und Einfluss. Helft mir, seine Enkeltochter unversehrt aus der Angelegenheit herauszubekommen, und er wird sich Eurer erinnern. Auch dann, solltet Ihr jemals die Gunst Eures Lehnsherrn oder Euer Lehen verlieren." Er lächelte resigniert.


Autor: SteveT

Domna Estella verzog das Gesicht und wandte sich von Abelardo ab. Sie schritt mehrmals in der kleinräumigen Turmzelle auf und ab und brummelte dabei leise missmutig etwas wie "mit einem solchen Mist kommen sie ausgerechnet zu mir!"

Schließlich schob sie die Spitze ihres Schwertes durch einen eisernen Ring, der an der Wand hing. An diesem Ring war ein großer Schlüssel befestigt, den sie Abelardo an ihrer vorgereckten Klinge entgegenstreckte.

"Wie Ihr bei Eurer Ankunft gesehen haben werdet, ist rechter Hand an diesen Turm eine kleine Steinhütte angebaut - dort sollt Ihr bleiben! Hier drinnen will ich Euch nicht haben, denn falls die Harmamunds anrücken, um die Entführung ihres Sippenangehörigen zu rächen, dann kann ich mich wenigstens hier drin verschanzen und alle Schuld auf Euch schieben. Die Hütte hat einen Ofen, und in einer Ecke findet Ihr Brennholz gestapelt. Verbraucht aber nicht allzu viel, denn ich fürchte, dieser Winter wird noch lang. Mein junger Knecht wird Euch nachher Decken und einen Korb mit Essen hinüberbringen. Zwei Dinge aber will ich klarstellen: Wenn mir wegen dieser Sache irgendwelche Scherereien erwachsen, so werde ich dafür nicht nur die verrückte Rifada, sondern auch Euch persönlich verantwortlich machen, Herr Abelardo! Und zum Zweiten: Falls Ihr dem gefangenen Harmamund den Sack vom Kopf zieht, dann erwähnt mit keinem einzigen Wort, wo Ihr Euch hier befindet. Das ist alles! Mehr kann ich nicht für Euch tun." Sie zuckte mit den Achseln und schien schon allein mit ihrem Zugeständnis nicht sonderlich glücklich.


Autor: von Scheffelstein

Abelardo nahm den Schlüssel von der Schwertspitze und neigte leicht sein Haupt. "Ich danke Euch, Domna Estella für Eure Gastfreundschaft! Ich werde mein Möglichstes tun, um diese unerfreuliche Angelegenheit zu einem raschen Ende zu bringen und Euch so wenig wie möglich behelligen. Mögen die Götter mit uns sein und Travia Euer Haus segnen!"

Er verließ den Turm und legte den Riegel des Burgtors zurück. Hinter ihm hörte er die Turmpforte zuschlagen. Jetzt erst bemerkte er, dass Rifada ihm bis vors Tor gefolgt war. Er warf einen Blick auf den Gardisten, der bei dem gefangenen Harmamund und den Pferden wachte und wandte sich dann an die Vanyadâlerin.

"Mein Schwert!", bat er und streckte die Hand danach aus. "Domna Estella wird uns Ihre Gastfreundschaft zuteil werden lassen, so wir Travias Gebote in Ehren halten." Er sah die Junkerin eindringlich an. "Wir werden in der Hütte dort drüben unterkommen und dort auch unseren ... Gast unterbringen. Er darf den Namen unserer Gastgeberin nicht erfahren, sie wünscht keine Beteiligung an diesem Streit. Was verständlich ist", fügte er hinzu. "Ich möchte Euch bitten, jeglichen Zwist, den Ihr früher mit dieser Dame hattet, zu vergessen, bis die Domnas Belisetha und Richeza wieder auf freiem Fuße sind. Es darf kein Blut vergossen werden, und wir müssen diese Sache schnell und ohne großes Aufsehen beenden!" Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und seufzte unwillkürlich. "Denn, bei den Göttern, dies alles ist schon heikel genug!"


Autor: SteveT

Castillo Norderwacht, am Abend des 10. Tsa[Quelltext bearbeiten]

Rifada lauschte dem Knacken der in Flammen aufgehenden Holzscheite, die Dom Abelardo nach und nach in den eisernen Ofen schob, der das einzige Zimmer des winzigen Häuschens wärmte, das ihnen die verfluchte Estella als Zuflucht zugestanden hatte. Aus der offenen Ofenklappe gelangten zwar hin und wieder der Geruch von Ruß und beißender Rauch ins Zimmer, aber es breitete sich langsam auch eine wohlige Wärme im Raum aus, die sie zum ersten Mal seit Tagen wieder spürten.

Gambron ihr gegenüber kaute schmatzend auf der sehr, sehr harten Hartwurst herum und riss ab und an ein Stück von dem kaum weniger harten, aber fast einen Schritt langen Weißbrot ab - der einzigen Verpflegung, die ihnen Estella von Norderwacht durch ihren Knecht hatte hinüber bringen lassen. Gambron schien es nichts auszumachen - er nahm einfach alles, wie es kam - ein einfacher, ehrlicher Waffenknecht, der keine dumme Fragen stellte, sondern immer das tat, was man ihm auftrug. Rifada schätzte solche Lakaien, vielleicht sollte sie Hesindian fragen, ob sie ihn für ihr Aufgebot haben konnte, wenn es zum Waffengang mit den Harmamunds und/ oder Praiosmin kam. Der aus ihrer Sicht nahezu unvermeidbar war.

Dom Abelardo war aus anderem Holz geschnitzt - Rifada konnte ihm ansehen, dass schwere Gedanken in ihm arbeiteten, während er vor dem Ofen kniete und in die Flammen starrte, Sie zog ihr Stilett und schnitt damit eine dicke Scheibe von der Hartwurst ab, was sie einige Mühe kostete, obwohl sie die Klinge mehrmals wöchentlich schärfte. Sie spießte das Wurststück auf und zog mit der anderen Hand der dritten Person am Tisch, Amando Almadarich, den Kornsack vom Kopf.

"Hier - iss! Niemand soll sagen können, Rifada da Vanya ließe einen Gefangenen hungern. Mein Unterhändler wird vielleicht gerade jetzt in diesem Moment bei deiner falschzüngigen Schwester vorsprechen. Kommt sie meinen Forderungen nach, werde ich dich vielleicht schon in zwei oder drei Tagen auf dem Land deiner Sippschaft in die Freiheit entlassen."


Autor: SteveT

Castillo Norderwacht, am Morgen des 11. Tsa[Quelltext bearbeiten]

Unruhig wie eine eingesperrte Löwin ging Rifada da Vanya in der einzigen Stube des nur wenige Rechtschritte messenden Steinhäuschens auf und ab, dass sich krumm und windschief an die Flanke des klobigen Wohn- und Wehrturmes Norderwachts anlehnte. Dom Abelardo, der einstige Burghauptmann ihres Schwagervaters Hesindian, hantierte konzentriert mit Nadel und Garn an seiner von draußen hereingeholten Satteltasche herum, um einen abgerissenen Riemen zu flicken, während Gambron, der ohnehin nicht gerade schlanke Waffenknecht, schmatzend den letzten Rest des Eintopfs verputzte, den ihnen ihre unfreiwillige Gastgeberin hatte herüber bringen lassen.

Amando Almadarich von Harmamund, ihr Gefangener, saß schweigend und schmollend mit vor der Brust verschränkten Armen neben Gambron auf der Holzbank und verfolgte Rifadas Auf- und Ab-Gehen mit finsterem Blick. Auch wenn man ihm mittlerweile die Handfesseln abgenommen hatte - was sollte der dürre, schmächtige Mann alleine gegen drei kampferprobte Bewaffnete ausrichten? - verweigerte er nach wie vor trotzig jede Nahrungsaufnahme und trank allenfalls alle paar Stunden einmal einen Schluck Wasser.

"Hm, noch immer kein Bote und keine Nachricht von meinem Mittelsmann, obwohl er meine Forderungen inzwischen längst deiner hundsföttischen Schwester überbracht haben müsste ...", rekapitulierte Rifada leise und mehr zu sich selbst. "Die Zwölfe seien dir gnädig, wenn es doch Richeza war, die man dort vor ein paar Tagen an den Zinnen eurer Burg aufgehängt hat! Selbst wenn meiner alten Muhme nur ein Haar gekrümmt oder mein Mittelsmann auch noch gefangen genommen wurde, wird es dir schlecht ergehen! Ich nehm dich mit in den Kerker meines Castillos und da hängst du von der Decke, bis dir das Fleisch von den Knochen fault! Verlass dich drauf!"

"Meine Schwester wird sich auf keine deiner Infamien einlassen!", entgegnete Amando Almadarich belehrend mit gekräuselter Stirn. "Lass ab von deinem unseligen und frevelhaften Tun, meine Tochter, ehe du noch mehr Sünden auf deine Seele lädst! Bedenke, dass der Herr des Todes all deine Schritte sieht!"

Rifada war mit zwei Schritten bei ihm und packte ihn hart am Kragen seiner schwarzen Kutte. "Ich bin nicht deine Tochter, du Dummschwätzer! Ich bin mit meiner Mutter in die erste Fehde geritten, als du und Morena noch eurer Amme in die Windeln geschissen habt - das merk' dir, Söhnchen! Dass man dich früh in ein Kloster verbannt hat, macht dich noch lange nicht zu einem echten Confratri, wie du dir selbst einredest. Bruder Marbodano zum Beispiel war einer - aber zu dem fehlt dir viel, wenn nicht alles! Du und ich, wir sind keine Verwandten, auch wenn uns manche alten Stammbäume das glauben lassen wollen! Ihr Harmamunds seid Abschaum – Unkraut, das ausgerissen und ausgebrannt werden muss, ehe ihr noch mehr Unheil über unsere schönen Lande bringt!"

Dom Abelardo und Gambron wollten gerade schlichtend zwischen die beiden streitenden Fürstennachkommen gehen, als auch draußen vor der Tür der Hütte Geschrei und Gezeter zu hören war:

"Keinen Schritt weiter!", war die durchdringende Stimme ihrer Gastgeberin Estella von Norderwacht von draußen zu hören. "Niemand passiert dieses Tal ohne meine Erlaubnis!"

"V-V-Verzeihung, Frau Burgherrin - aber Euer Soldat hat kein Recht, auf mich zu schießen!", ertönte eine dünne, verunsicherte männliche Stimme, die vermutlich zu einem heranwachsenden Knaben gehörte. "Ich überbringe eine Nachricht für Euren Herrn, den Baron Lucrann da Vanya, die ich in den Ragatischen Kessel tragen muss! Lasst mich passieren, ich bitte Euch, denn die Sache ist eilig!"

"Glaubt Ihr alle, das hier wäre der verfluchte Yaquirstieg? Oder die Reichsstraße Zwei, wo jeder hin und her reisen kann, wie es ihm gerade beliebt?", keifte Domna Estella von oben von der Turmplattform herunter. "Das ist mein Weg und mein Tal! Reite gefälligst woanders lang, denn hier kommt nur über die Grenze, wer meine Erlaubnis hat! Und die erteile ich dir ... nicht!"

Rifada ließ von Amando ab, stieß ihn auf die Bank zurück und riss dann die Tür der Hütte auf, um draußen einen Blick auf die schneebedeckte Straße zwischen den kahlen Felsen zu werfen, auf denen Norderwacht thronte.

"Norre?", rief sie dem vielleicht achtzehn Götterläufe zählenden, flachsblonden Domnito zu, der gehüllt in einen dicken Wintermantel, auf einem braun-weiß gescheckten Ross saß und zu der Turmburg herauf starrte. Norre war der Sohn von Wolpert Dragentodt, dem aus Weiden stammenden Administrador ihres Vetters, den sie dann und wann bei ihren Besuchen auf Burg Schrotenstein getroffen hatte. Der Jüngling interessierte sich sehr für Waffen und hatte ihr schon häufiger kluge Fragen über die Herkunft, Machart oder Vorzüge dieser oder jener Klinge gestellt.

"Domna Rifada?", rief der Jüngling zurück, offensichtlich noch erstaunter wie sie selbst. Er lenkte sein Ross erleichtert strahlend bergan auf sie zu. "Euch schicken die Götter von Alveran, Herrin! Gestern kam eine Nachricht für den Herrn Baron per Brieftaube an! Baron Lucrann ist aber mit meinem Vater zur Südgrenze geritten, möglicherweise sogar darüber hinaus - nach Transbosqurien! Der Burgsass ttrug mir auf, die Nachricht deshalb stattdessen zu Domna Belisetha nach Quazzano zu bringen."

Ein rotgefiederter Pfeil sauste von oben herab, der Norre in den Oberschenkel traf. Aufschreiend stürzte der Junge aus dem Sattel in den Schnee, während sich sein Pferd erschrocken aufbäumte.

"Keinen Schritt weiter, hatte ich gesagt!", rief Caballera Estella drohend von oben herab.

"Der Bursche gehört zu mir!", rief Rifada und drohte ihr mit geballter Faust hinauf. Die Händel mit Praiosmin und Morena hatten leider Vorrang - aber wenn sie diese beiden Pestweiber erst unter der Erde hatte, dann war Estella die Nächste! Sie würde ein Aufgebot aufstellen und sie auf ihrem Wegelagerer-Felsen ausräuchern, wenn Lucrann nicht selber tätig wurde. Das Weib glaubte ja, es wäre die Almadanerkönigin höchstselbst in dieser völlig unwichtigen Talschaft. Rifada vertrieb das scheuende Pferd mit einem Klaps und hob den stöhnenden Jungen vom Boden auf, um ihn sich über die Schulter zu werfen, wie sie es vor zwei Tagen auch mit dem entführten Amando getan hatte. Sie trug ihn unter dem anhaltenden Gezeter Domna Estellas ins Innere der Hütte, wo sie ihn kurz und knapp Dom Abelardo vorstellte, der die Beinwunde des Jungen mit fachkundigem Blick in Augenschein nahm. Der Jüngling überreichte Rifada mit schmerzverzerrtem Gesicht einen winzigen gerollten Zettel - eine typische Brieftaubennachricht.

"Das kam aus Albacim in Selaque ... gebracht von einer uns völlig unbekannten weißen Taube, die offenbar schon vor der Herrschaftszeit Baron Lucranns von Schrotenstein nach Selaque gebracht worden sein muss! Der Burgsass sagte, es sei die Handschrift Seiner Eminenz - Baron Lucranns Oheim ... und ja auch der Eure! Ich glaube deshalb, dass ich auch Euch die Nachricht überbringen darf, Domna Rifada!", stöhnte der Jüngling.

"Ja, ja - schon gut!", beruhigte ihn Rifada mit einem Nicken, warf noch einen Blick auf den sie noch immer finster anstarrenden Harmamunder und entrollte dann die Nachricht. Es war tatsächlich die Handschrift ihres greisen Onkels:

Dom Lucrann, werter Neffe,

wiewohl der lästerliche Nekromant uns beiden auf den ersten Blick entkommen zu sein scheint, könnt Ihr in der Gewissheit umkehren, dass ihn die Strafe der Götter ereilen wird. Es ist kein weiteres Handeln von uns Derischen vonnöten. Ich habe unterdessen allhier zu Selaque die vom Pfad der Tugend abgekommene Tochter Praiosmin von Elenta in meine Obhut genommen, die unter dem Zwang böswilliger arkaner Kräfte stand. Ich werde sie zum Hoftag nach Ragath eskortieren lassen, wo Ihro Majestät die Kaiserin Ihr Urteil über sie sprechen soll. Die Schätze unseres Hauses, die ich allhier in großer Zahl vorfand, werden zunächst zu Deinen Händen nach Schrotenstein verbracht.

Überbringe Deiner Base Rifada behutsam die schreckliche Kunde, dass ihre Tochter Gujadanya allhier auf Albacim erschlagen wurde.

gez. Amando Laconda da Vanya

Rifada ließ den Zettel fallen und taumelte rückwärts, bis sie gegen die Tür der Hütte prallte. Für einen kurzen Moment wurde ihr schwarz vor Augen. Ihre Tochter ... ihre Erbin ... ihre Zukunft ... ihre Hoffnung ... alles dahin! "NEEEEIIIIIIIIIINNNN!", schrie sie so laut, dass die vier Männer in der Hütte vor Schreck zusammenzuckten und dass man sie bis in den eine Meile entfernten Weiler Valdigiano hören konnte. "Nein! Nein! Nein! Ihr Götter! Das darf nicht wahr sein!", schluchzte sie. "Warum tut ihr mir das an?" Es musste ein Irrtum sein ... aber Amando log oder täuschte sich nie. Und es war seine Schrift.

"Na - habe ich Recht behalten?", fragte Amando Almadarich von Harmamund höhnisch. "Meine Schwester ließ sich nicht auf einen solchen Kuhhandel ein, und jetzt habt Ihr den gerechten Lohn für Euer schändliches Handeln erhalten, nicht wahr?"

"Was?", rief Rifada mit Tränen in den Augen, rappelte sich sofort wieder vom Boden hoch und versetzte ihm einen Faustschlag ins Gesicht, dass er rückwärts von der Bank geschleudert wurde und ihm sofort das Blut aus der Nase schoss.

"Domna Rifada! So beruhigt Euch doch!", stürzten Dom Abelardo und Gambron dazwischen und hielten die Vanyadâlerin keuchend zurück, den zu Boden Gegangenen mit weiteren Schlägen zu malträtieren. Selbst der verletzte Norre versuchte besänftigend auf sie einzureden.

Rifada straffte sich schweratmend, wischte sich mit dem Ärmel über die tränenblinden Augen und begann dann ihre Waffen anzulegen und sich reisefertig zu machen, wobei sie sich immer wieder die Hand auf den Mund pressen musste, um ein Wimmern zu unterdrücken. Sie hasste sich selbst dafür, vor diesen Männern zu weinen - gerade vor dem Harmamund Schwäche zu zeigen, aber sie konnte nichts dagegen tun.

"Die Dinge haben sich geändert!", erklärte sie schließlich schluchzend, obwohl sie sich alle Mühe gab, ruhig und gefasst zu klingen. "Nur für mich - nicht für Euch! Ich reite jetzt nach Selaque, um meine Tochter zu holen! Und Praiosmin - die hol' ich mir jetzt auch! Ihr wartet hier noch einen, maximal zwei Tage, ob ein Bote eintrifft, dass Richeza und Belisetha freigelassen wurden. Wenn keiner kommt - oder wenn er die Nachricht bringt, dass eine oder beide meiner Anverwandten tot sind ...", sie schluchzte abermals und deutete dann mit einem Kopfnicken auf Amando Almadarich, "... dann hängt diesen Mistkerl da am nächsten Baum auf! Versprecht mir das - das seid Ihr Euren Herrinnen Richeza und Belisetha schuldig. Danach kehrt zu Euren Dienstherren zurück. Und nun verzeiht meinen Aufbruch - aber ich muss fort!"


Autor: von Scheffelstein

Abelardo Mansarez von Leuendâl und der Gardist Gambron tauschten einen ebenso besorgten wie vielsagenden Blick aus, ehe sie flüchtig den Harmamunder musterten.

"Domna Rifada", begann der einstige Burgcapitan, aber die Junkerin hatte sich bereits Waffe und Satteltaschen geschnappt und war bereits halb zur Tür heraus.

Abelardo unterdrückte einen Anflug von Panik, die aus der vagen Ahnung erwuchs, dass hier gerade so ziemlich alles schief ging, was nur schief gehen konnte. Etwas Schreckliches musste geschehen sein, wenn diese unerschütterliche Frau solcherart die Fassung verlor! Leider war ihrem Weinen nicht zu entnehmen gewesen, was genau passiert war, aber es schien etwas zu tun zu haben mit der Reichsvogtin. Und Rifadas ... Tochter? Ob sie auch in Gefangenschaft geraten war.

"Domna Rifada, so wartet doch!", rief Abelardo der Junkerin hinterher, doch die stampfte bereits zu ihren Pferden hinüber und sattelte das ihre.

Ein zur Tür herein wehender Windstoß hob den Zettel vom Boden auf. Abelardo stellte seinen Stiefel darauf und hob die Nachricht auf. Es schickte sich nicht, anderer Leute Briefe zu lesen, aber ...

"Ihr Götter!", murmelte er, als er die Botschaft überflogen hatte und erbleichte. Er dachte an seine eigene Tochter Zalamea und war heilfroh, dass sein Herr ein so friedfertiger Mensch war, der jegliche Fehden von seinem Land fern hielt, von seiner Familia, von seiner Burg, auf der Zalamea inzwischen Abelardos Nachfolge als Capitana der Burgwache angetreten hatte. Doch dann erfasste ihn erneut eine große Unruhe, als er sich bewusst wurde, dass sein Herr gerade dabei war, in eine dräuende Fehde hineingezogen zu werden, die das Potenzial hatte, die gesamte Grafschaft in Flammen aufgehen zu lassen.

Immerhin war Dom Hesindian der Großvater Domna Richezas der Jüngeren. Welche möglicherweise ermordet worden war. Und falls sie noch lebte, wenigstens gefangen war. Von einer Frau, deren Bruder ihnen hier in der Hütte als Geisel diente. Und der zweifelsohne ein Geweihter und noch weniger zweifelhaft Neffe des Fürsten war. Gefangen genommen von der Tante Domna Richezas und Schwester der Schwiegertochter seines Herrn. Und zu allem Überfluss schien diese nun auch noch in eine Fehde mit der Reichsvogtin verstrickt zu sein, die zweifelsohne blutig werden würde, wenn das nicht jemand sehr schnell verhinderte ...

Den Geweihten hier ermorden, wenn in zwei Tagen keine Nachricht käme? Undenkbar!

Tatenlos hier warten und bangen, ob die geliebte Enkelin seines Herrn noch lebte oder doch schon tot war? Ebenso undenkbar!

Die Vanyadâlerin losreiten zu lassen, damit sie die Reichsvogtin erschlüge und damit, wenn auch noch herauskäme, dass sie des Fürsten Neffen entführt hatte, alle Verleumdungen bestätigte, die man gegen sie vorbrachte? Ein unentschuldbarer Fehler!

Sie aufhalten? Eine zu letzter Rache entschlossene, in ihrem Innersten zutiefst verletzte Mutter in Gestalt eines Mensch gewordenen Ogers? Ihr Götter, wie! Und wäre das rechtens?

Abelardo ballte die Faust um den Brief und steckte ihn in die Tasche seines Wamses. Dann winkte er Gambron vor die Tür.

"Hör zu", sagte er. "Ich werde der Vanyadâlerin folgen. Diese Fehde darf nicht noch weitere Kreise ziehen! Wir stecken schon tief genug in der Scheiße!"

Gambron grinste erstaunt, kannte er den einstigen Capitan doch als Mann eher gewählter Worte.

"Macht keine Dummheiten: Bis ich zurückkomme, verteidige den Geweihten bis aufs Blut, verstanden?"

"Aber ..."

Abelardo runzelte die Stirn, woraufhin Gambron sich beeilte, ein gehorsames "Jawohl, Capitan!" verlauten zu lassen.

"Falls ich nicht zurückkomme ..." Abelardo wusste auch nicht, was dann wäre. "Es ist nicht die übliche ragatische und doch die Art, die dem Himmelsfürsten gefällig ist", murmelte er und fuhr laut fort: "Sorge dafür, dass der Khahirioser in dieser Angelegenheit die weitere Verantwortung übernimmt." Der altgediente Ragather war ein Freund von Abelardos Herrn und dessen Enkeltochter, er würde sein Möglichstes tun, um wenigstens diese aus der Fehde ... herauszuhauen? "Verstanden?"

Gambron nickte. "Jawohl, Capitan. Keine Dummheiten, den Gefangenen am Leben erhalten, bis Ihr zurückkommt. Falls nicht: Seiner Hochgeboren D'Altea die Führung überlassen."

Abelardo seufzte und nickte, beeilte sich, seine wenigen Habseligkeiten aus der Hütte zu holen und sein eigenes Pferd zu satteln.

"Wo wollt Ihr nun auch noch hin?", rief ihm die Burgherrin zu.

"Verhindern, dass bald auch Euer Land brennt", gab Abelardo grimmig zurück und warf Domna Estella einen eindringlichen Blick zu. "Ich bin bald zurück und danke Euch, dass meine Begleiter einstweilen noch etwas Eure Gastfreundschaft genießen dürfen!"

Er hatte keine Zeit für weitere Erklärungen oder gar Höflichkeiten. Und er war ratlos. Alles ging den Bach runter, phexverflucht! - Phex, verzeih mir!

So rasch, wie er konnte, ließ Abelardo Mansarez sein Ross aus der Burg heraus und hinab in die Ebene traben. Die Vanyadâlerin war nur noch eine Schneewolke weit vor ihm auf dem verharschten Weg.