Chronik.Ereignis1036 Besuch im Vanyadâl 12
Kaiserlich Selaque, 4. Tsa 1036 BF
Castillo Albacim, Selaque
Autor: Lindholz
Als Amaros erwachte, vermochte er nicht zu sagen, wie lange er geschlafen hatte. Er fühlte sich matt und kraftlos; seine Haut strahlte eine unnatürliche Wärme aus und das Leinentuch, das ihm als Decke diente, klebte an seinem Körper, der von einem dünnem, zum Teil getrocknetem Film aus Schweiß bedeckt war. Nur mühsam ordneten sich seine Gedanken. Sie verließen eine finstere Nacht und kämpften sich durch einen nebligen Morgen, der nicht mehr versprach, als irgendwann einem diesigen, wolkenverhangenem Tag zu weichen. Ein faltiges Gesicht mit einem fast zur Gänze ergrauten Bart, kräftigen Augenbrauen und einem sich vorwölbenden Knoten auf der rechten Stirnseite schob sich in sein Sichtfeld. Der Fremde, wohl ein Heiler, musterte ihn erst ernst, legte die Hand dann sanft auf Amaros Stirn um anschließen sein Gesicht zu begrabschen.Die Prozedur sagte dem jungen Zauberer nicht sonderlich zu, doch musste er feststellen, dass er weder Arme noch Beine bewegen konnte, um etwas dagegen zu unternehmen: Er war im wahrsten Sinne des Wortes ans Bett gefesselt! Sein Gegenüber hingegen wirkt zufrieden mit dem Ergebnis seiner Untersuchung. Er nickte jemanden zu und das Geräusch einer sich zuerst öffnenden, dann geräuschvoll ins Schloss fallenden Tür legte nahe, dass dieser jemand den Raum verlassen hatte. Der Heiler wandte sich daraufhin erstmals direkt an den Darniederliegenden:
"Möchtet Ihr etwas Wasser?"
Amaros Antwort, ein heiseres Krächzen, ließ durchaus Raum zur Interpretation, führte aber dennoch zum gewünschten Ergebnis als der Medicus einen irdenen Becher an die Lippen seines Patienten setzte und ihm das kühle Nass in kleinen Schlucken einflößte.
Danach geschah eine ganze Weile nichts und der Heiler zog sich auf einen naheliegenden Hocker zurück. Amaros starrte die Decke, bestehend aus massiven Bohlen, an. Auch die dicken, steinernen Wände deuteten auf den Sitz eines Adligen oder ein wohlhabendes Ordenshaus hin. Da der Medicus seine Fragen unbeantwortet ließ und lediglich seiner Bitte nach einem weiteren Schluck Wasser nachkam, blieb es dem jungen Zauberer jedoch verwehrt, Weiteres über seinen derzeitigen Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Er konnte allerdings wohl ausschließen, sich weiterhin in der Obhut der Familia da Vanya zu befinden; zumindest fiel ihm kein Grund ein, warum diese ihn auf einmal fesseln sollten. Schließlich öffnete und schloss sich erneut die Tür.
"Ihre Hochgeboren wird in wenigen Augenblicken hier sein und die Befragung höchstselbst durchführen", verkündete der gerüstete Neuankömmling, während er an den Medicus herantrat. Dieser verlegte seinen Sitzplatz daraufhin an den Rand des Raumes, in die Nähe des einzigen Fensters. Er hatte wohl wenig Interesse daran, zwischen die angekündigte Edeldame und den zu Befragenden zu geraten. So langsam dämmerte es Amaros, in wessen Gefilde es ihn verschlagen hatte. Ein seufzte schwer und riss erschrocken die Augen auf, als er keinen Herzschlag später eine Speerspitze auf seine Kehle gerichtet sah. Der Bewaffnete, nicht gerade schlank von Gestalt mit groben Händen, die vermutlich auch ohne Speer seinen Hals in ein blutiges Schlachfeld verwandeln konnten, verfügte über erstaunliche Reflexe.
"Ein Wort von Dir, das auch nur nach einer Zauberformel klingt, und Du bist tot." kündigte der glattrasierte Bursche mit seinen wulstigen Lippen an.
"Nun, dann werde ich besser nicht aus meiner Sammlung alt-bosparanischer Liebesgedichte zitieren", merkte Amaros an und setzte ein selbstsicheres Grinsen auf, um Schwäche und Nervosität zu überdecken, "Schade, sie hätten Euch sicher gefallen: Viele sind äußerst amüsant und überraschend ordinär."
Der Wächter setzte zu einer Antwort an, doch die hohe Stimme einer Frau kam ihm zuvor.
"In diesem Hause besteht kein Bedarf an derart liederlichen Reimen."
"Domna Praiosmin, nehme ich an", folgerte Amaros, als eine kleine, edel gekleidete Dame näher trat, deren Nase und Körperumfang durchaus zu beeindrucken wussten, "Es ist eine Freude, Euch kennenzulernen, auch wenn ich mir angenehmere Umstände vorstellen könnte. Nah und Fern bewundert man Euer göttergefälliges Wirken."
"Seine schmeichelnden Worte werden ihm nicht von Nutzen sein. Uns ist bekannt, mit welchen verräterischen Elementen er kollaboriert! Es ist wahr, dass ich die Götter in höchsten Ehren halte - den Götterfürsten voran. Darum möge er offen sprechen und seine Verbrechen gestehen. Ihm sei versichert, dass nichts Anderes als Gerechtigkeit ihn erwarten werden." verkündete Praiosmin von Elenta großmütig.
"Verräterische Elemente?", Amaros Anlitz zeigte einen Ausdruck unschuldiger Ahnungslosigkeit, "Verehrte Domna, Ihr findet mich in höchster Weise verwirrt, ob dieser Anschuldigung. Vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen. Mein Name ist Amaros von Lindholz, erstgeborener Sohn des Barons von Artésa und Adeptus der Akademie der Erscheinungen zu Grangor. Kurz bevor ich von einem sich äußerst verdächtig benehmenden Subjekt angegriffen wurde befand ich mich noch in Begleitung der Junkerin Rifada da Vanya und ihrer Anverwandten Richeza Aldonaza von Scheffelstein y da Vanya, der Landedlen zu Eslamsstolz, zweier patenter Edeldamen, deren Bekanntschaft ich vor Kurzem machte. Da ich mir nicht erklären könnte, wieso unser Fürst Verräter als Gutsherrinen dulden sollte, wüsste ich nicht, wen Ihr meinen könntet, Domna Praiosmin."