Chronik.Ereignis1033 Feldzug Schrotenstein 09
In der Baronie Schrotenstein, 4. Rondra 1033 BF
Beim Castillo Schrotenstein am Schwarzen See
4. Rondra 1033 BF, morgens
Autor: von Scheffelstein
Aureolus band das Pferd unter einem Wacholderbusch fest und bahnte sich einen Weg durch die Sträucher, bis er auf einen schmalen Pfad stieß, der die Trauerklippen hinab zum Schwarzen See führte.
Sie Sonne war bereits über den Bergen aufgegangen. Er hatte länger gebraucht, als geplant, und die Müdigkeit lastete bleiern auf seinen Schultern. Mehrmals strauchelte er auf dem sandigen Boden, und einmal glitt er auf einem Stein aus, der unter seinen Füßen wegrutschte. Fluchend rappelte Aureolus sich wieder auf. Vielleicht wäre es besser, wenn er sich erst ausruhte – der Weg, den er zu beschreiten gedachte, war gefährlich! Doch die Gefahr, doch noch entdeckt zu werden von feindlichen Soldaten oder Wilden, die vielleicht inzwischen bis nach Schrotenstein vorgedrungen waren, war nicht auszuschließen, und erst, wenn er die Gemächer seines Vaters erreicht hatte, war er vor fremden Augen sicher.
Diese Gemächer auf Burg Schrotenstein aber konnte er nicht auf gewöhnlichem Wege erreichen, selbst wenn er sich noch so geschickt anstellte und an allen Wachen vorbei in das Castillo gelänge. Nach Rakolus' Verbannung waren die Zugänge zu dessen Privatgemächern versiegelt worden, und der einzige Weg hinein führte durch den Limbus, genauer: durch eine Dunkle Pforte am Fuße der Trauerklippen, durch die sein Vater ein- und auszugehen pflegte, wenn das Gesinde von seiner Abwesenheit nichts hatte bemerken sollen.
Aureolus sollte von diese Pforte nichts wissen, doch er war seinem Vater einst heimlich gefolgt, als dieser – lange nach seiner Verbannung – nach Schrotenstein zurückgekehrt war, um etwas aus seinem Laboratorium zu holen. Rakolus hatte nie erfahren, dass sein Sohn von der geheimen Pforte wusste, und Aureolus hatte sein Wissen für sich behalten.
Aureolus näherte sich dem Ufer des Sees, als er Stimmen hörte. Lautlos trat er hinter einen Felsen, und nicht lange, und zwei Männer und eine Frau kamen den Pfad herauf, stöhnend unter ihrer schweren Last. Sie trugen, wie es schien, einen Leichnam oder zumindest den schwer verwundeten und leblosen Leib einer kräftigen Frau. Ihre zerfetzte Kleidung war blutgetränkt, ihr schwarzes Haar hing nass in ihr zerschrundenes Gesicht, und an den Handgelenken trug sie Eisenmanschetten, wie ein entlaufener Sträfling.
"Verflucht, Ezequiel, nimm sie höher!", keuchte die Frau, die die Beine der Leblosen gepackt hatte, während die beiden Männer sich je einen Arm der Toten um die Schultern gelegt hatten.
"Ich kann nicht mehr!", stöhnte der Jüngere, der nicht älter war als Aureolus selbst, und für einen Moment ließen die drei ihre Last in den Sand sinken, keine drei Schritt von Aureolus entfernt.
Aureolus biss sich ärgerlich auf die Lippen. Die drei hielten ihn auf! Und er hatte nur noch einen letzten Zaubertrank, und den benötigte er dringend, es blieb ihm also nichts anderes übrig, als zu warten, bis sie ihren Weg fortsetzten. Zum Glück drängte die junge Frau zum Aufbruch. Als sie die Beine der Leblosen wieder aufnahm, fiel Aureolus' Blick auf eine schwärende, schwarzviolett gesäumte Wunde an ihrem Bein, und er zuckte zurück.
Er wollte verdammt sein, wenn das kein Dämonenmal war! War die Frau von einem Dämon angegriffen worden? Oder war die berüchtigte Rote Keuche, die vor einigen Jahren im Horasreich grassiert hatte, nun auch in Almada ausgebrochen? Oder war es die Duglumspest, die die Frau dahingerafft hatte? Was auch immer es war: Er musste auf der Hut sein!
Aureolus folgte den sich weiter bergan kämpfenden Menschen mit den Augen, dann blickte er hinunter zum See. Stimmten die Legenden, und das Wasser des Schwarzen Sees war verflucht? Unsinn! Die Sagen von den Geistern der Liebenden, die sich von den Trauerklippen in den Tod gestürzt hatten, waren nichts als Ammenmärchen. Und Geister waren keine Dämonen. Und dennoch: Er hatte ein Ungutes Gefühl, als er seinen Weg fortsetzte. Immerhin hatten die Männer und die Frau einen schmalen Fischerkahn am Ufer zurückgelassen. Glück für ihn, so musste er nicht ins Wasser springen und konnte zum Fuß der Klippen staken.
Aureolus erinnerte sich genau, wo sein Vater vor einigen Jahren zwischen den Felsen verschwunden war. Er zog das Boot zwischen zwei Felsen und kletterte den schroffen Steilhang hinauf zu einer verborgenen Nische. Der Wind pfiff zwischen den Felsen und wehte den modrigen Geruch von Wasserpflanzen herüber. Dort, unter einem Überhang aus schwarzem Stein, stand das Tor in die Gemächer seines Vaters: Mannshoch, aus rostrotem Gestein, ein Torbogen, hinter dem die Felswand aufragte. Nichts mahnte den Unbedarften, dass ein Durchschreiten der Pforte seinen Tod bedeuten konnte.
Aureolus leerte seine letzte Phiole und spürte, wie neue Kraft seinen erschöpften Körper durchströmte. "Schütze mich, Vater!", murmelte er, dann trat er durch die Pforte ins Nichts.
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