Chronik.Ereignis1033 Feldzug Ragath 08: Unterschied zwischen den Versionen

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Und dann, in der Nacht, hatte Dulcinea sich in der Stadt gesehen: Häuser, so weit das Auge reichte, Menschen und Pferde und Hunde und Katzen, mehr als sie zählen konnte. Goldene Dächer, Prunkstraßen, Kutschen und Wasserträger, weite Plätze und enge Gassen, wundersame Gerüche auf den Märkten, exotische Speisen in den Tabernas. Und das Beste war: Gold, Gold, Gold in jeder Börse, so viel Gold, das nur darauf wartete, die Besitzerin zu wechseln, Gold, das sich beim Glücksspiel gewinnen ließe, Gold, das sie vielleicht dem einen oder anderen unachtsamen Passanten aus der Tasche stibitzen konnte, wenn sie ein wenig übte. Und wo sonst sollte ihr das Üben leichter fallen als in einer so unüberschaubaren Menschenmenge, wie es sie in Gareth wohl in jeder Gasse gab?
Und dann, in der Nacht, hatte Dulcinea sich in der Stadt gesehen: Häuser, so weit das Auge reichte, Menschen und Pferde und Hunde und Katzen, mehr als sie zählen konnte. Goldene Dächer, Prunkstraßen, Kutschen und Wasserträger, weite Plätze und enge Gassen, wundersame Gerüche auf den Märkten, exotische Speisen in den Tabernas. Und das Beste war: Gold, Gold, Gold in jeder Börse, so viel Gold, das nur darauf wartete, die Besitzerin zu wechseln, Gold, das sich beim Glücksspiel gewinnen ließe, Gold, das sie vielleicht dem einen oder anderen unachtsamen Passanten aus der Tasche stibitzen konnte, wenn sie ein wenig übte. Und wo sonst sollte ihr das Üben leichter fallen als in einer so unüberschaubaren Menschenmenge, wie es sie in Gareth wohl in jeder Gasse gab?


Bald schon hatte Dulcinea sich im Traume reich gewähnt, war in Brokatwams und feinen Stiefeln über das Pflaster gestritten, einen prächtigen Caldabreser auf dem Haupt, einen schmucken Degen an ihrer Seite.
Bald schon hatte Dulcinea sich im Traume reich gewähnt, war in Brokatwams und feinen Stiefeln über das Pflaster geschritten, einen prächtigen Caldabreser auf dem Haupt, einen schmucken Degen an ihrer Seite.


Eines nur war seltsam gewesen: Die Männer und Frauen, die ihr auf den Straßen begegnet waren, hatten die Hüte vor ihr gezogen, die Damen hatten geknickst und ihr Kusshände zugeworfen und scheu gekichert, die Herren aber hatten sich verneigt mit den Worten: "Phex gegrüßt, Herr Junker!"
Eines nur war seltsam gewesen: Die Männer und Frauen, die ihr auf den Straßen begegnet waren, hatten die Hüte vor ihr gezogen, die Damen hatten geknickst und ihr Kusshände zugeworfen und scheu gekichert, die Herren aber hatten sich verneigt mit den Worten: "Phex gegrüßt, Herr Junker!"


''Herr Junker?'' Was zum Namenlosen sollte das nun heißen? Missgestimmt blickte Dulcinea an sich herab, wie sie da auf ihrem Bette in der schmalen Kammer der ''Almadaner Stuben'' im Weberviertel Ragaths saß. Selbst den Garethern also war sie nicht Frau genug, dabei hatte Dulcinea selbst schon Händlerinnen aus dem Norden gesehen, die flach waren wie die Elentinische Ebene, und hässlich wie Ferkina-Weiber!
''Herr Junker?'' Was zum Namenlosen sollte das nun heißen? Missgestimmt blickte Dulcinea an sich herab, wie sie da auf ihrem Bette in der schmalen Kammer der ''Almadaner Stuben'' im Weberviertel Ragaths saß. Selbst den Garethern also war sie nicht Frau genug, dabei hatte Dulcinea selbst schon Händlerinnen aus dem Norden gesehen, die flach waren wie die Elentinische Ebene und hässlich wie Ferkina-Weiber!


Wütend riss sich Dulcinea das Hemd über den Kopf und starrte in den Messingspiegel, den sie vor einer Woche einer Kaufmannstochter beim Spielen abgeluchst und über der Waschschüssel aufgehängt hatte. Wahrlich, das Wesen, das ihr da aus dem Spiegel entgegen sah, war weder Frau noch Mann. Zu flachbrüstig für eine Dame, zu geschminkt für einen Herrn, selbst wenn man ihn für einen Yaquirtaler hielte, zu schlaksig, selbst für einen Knaben, zu dürr für eine erwachsene Frau. Gerade so, als könne ihr Körper sich nicht entscheiden, ob er der eines Mannes oder der einer Frau sein wolle. Gerade so, dachte sie, als habe ihr lieber toter Zwillingsbruder seinen teil des Lebens von ihr gefordert, von ihrem Leib – und ihrer Seele.
Wütend riss sich Dulcinea das Hemd über den Kopf und starrte in den Messingspiegel, den sie vor einer Woche einer Kaufmannstochter beim Spielen abgeluchst und über der Waschschüssel aufgehängt hatte. Wahrlich, das Wesen, das ihr da aus dem Spiegel entgegen sah, war weder Frau noch Mann. Zu flachbrüstig für eine Dame, zu geschminkt für einen Herrn, selbst wenn man ihn für einen Yaquirtaler hielte, zu schlaksig selbst für einen Knaben, zu dürr für eine erwachsene Frau. Gerade so, als könne ihr Körper sich nicht entscheiden, ob er der eines Mannes oder der einer Frau sein wollte. Gerade so, dachte sie, als habe ihr lieber toter Zwillingsbruder seinen Teil des Lebens von ihr gefordert, von ihrem Leib – und ihrer Seele.


Ein plötzlicher Gedanke ließ Dulcinea lächeln. Vielleicht war sie stets so unglücklich gewesen, weil sie gar nicht Dulcinea war! Vielleicht hatte nur Dulcineas Leib überlebt, während ihre Seele für ihren Bruder gestorben war – und bei Dulcineo war es umgekehrt gewesen! Vielleicht ''war'' sie Dulcineo, nur gefangen im Leib ihrer – seiner? – Schwester?
Ein plötzlicher Gedanke ließ Dulcinea lächeln. Vielleicht war sie stets so unglücklich gewesen, weil sie gar nicht Dulcinea war! Vielleicht hatte nur Dulcineas Leib überlebt, während ihre Seele für ihren Bruder gestorben war – und bei Dulcineo war es umgekehrt gewesen! Vielleicht ''war'' sie Dulcineo, nur gefangen im Leib ihrer – seiner? – Schwester?


Lächelnd legte Dulcinea ihre Hand an ihren Geldbeutel, in dem sie Dulcineos Botschaft aufbewahrte. "Für meine geliebte Schwester", sagte sie. Ja, selbst ihre Stimme war weder Mann noch Frau, zu tief und rau für eine Dame, wenn sie nicht gerade in Panik kreischte, nicht tief genug für einen Mann, mehr klang sie wie ein Knabe an der Schwelle zum Mannesalter.
Lächelnd legte Dulcinea ihre Hand an ihren Geldbeutel, in dem sie Dulcineos Botschaft aufbewahrte. "Für meine geliebte Schwester", sagte sie. Ja, selbst ihre Stimme war weder die eines Mannes noch die einer Frau, zu tief und rau für eine Dame - wenn sie nicht gerade in Panik kreischte -, nicht tief genug für einen Mann: Mehr klang sie wie ein Knabe an der Schwelle zum Mannesalter.


Dulcinea seufzte und betastete die Kette aus bunten Steinen, die sie aus dem Castillo da Vanya entwendet hatte und von der sie sich einredete, es sei ein Geschenk ihres Bruders an sie. Oder hatte sie die Kette ihrer Schwester geschenkt? War sie nun die Schwester oder der Bruder?
Dulcinea seufzte und betastete die Kette aus bunten Steinen, die sie aus dem Castillo da Vanya entwendet hatte und von der sie sich einredete, es sei ein Geschenk ihres Bruders an sie. Oder hatte sie die Kette ihrer Schwester geschenkt? War sie nun die Schwester oder der Bruder?
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Sie tauchte die Hände in die Waschschüssel und schrubbte sich Lippenrot und Augenruß aus dem Gesicht, dann kämmte sie ihr Haar, scheitelte es, schnitt mit dem Dolch eine Handbreit ab und flocht den Rest zu einem kurzen Eslamszopf, wie die Höflinge ihn trugen, und verschnürte ihn mit einem Lederband. Sie löste die Ohrringe, die zu groß für die eines Mannes waren, von ihren Ohrläppchen, schnitt den Kragen ihres Hemdes ab, der ihr zu damenhaft schien, löste das Band aus ihrem Mieder, sodass sie es wie eine Weste tragen konnte und kleidete sich wieder an. Kritisch betrachtete sie sich im Spiegel. Viel besser! Und doch würde sie neue Kleider brauchen, eine Waffe und neue Stiefel vielleicht.
Sie tauchte die Hände in die Waschschüssel und schrubbte sich Lippenrot und Augenruß aus dem Gesicht, dann kämmte sie ihr Haar, scheitelte es, schnitt mit dem Dolch eine Handbreit ab und flocht den Rest zu einem kurzen Eslamszopf, wie die Höflinge ihn trugen, und verschnürte ihn mit einem Lederband. Sie löste die Ohrringe, die zu groß für die eines Mannes waren, von ihren Ohrläppchen, schnitt den Kragen ihres Hemdes ab, der ihr zu damenhaft schien, löste das Band aus ihrem Mieder, sodass sie es wie eine Weste tragen konnte und kleidete sich wieder an. Kritisch betrachtete sie sich im Spiegel. Viel besser! Und doch würde sie neue Kleider brauchen, eine Waffe und neue Stiefel vielleicht.


Dulcinea kramte ihre wenigen Habseligkeiten zusammen und stopfte sie in das Tuch, das ihr in Ermangelung einer Tasche einstweilen als Behältnis dienen musste, bis sie Geld hatte, sich etwas Besseres, Standesgemäßeres zu kaufen. Sie schulterte das Bündel und blickte noch einmal in den Spiegel. Ob sie die Kette mit den Steinen ablegen sollte? Oh nein, das war ein Geschenk! Ein Geschenk, das sie – dass er? – von ihrem ... – für seine Schwester angefertigt hatte.
Dulcinea kramte ihre wenigen Habseligkeiten zusammen und stopfte sie in das Tuch, das ihr in Ermangelung einer Tasche einstweilen als Behältnis dienen musste, bis sie Geld hatte, sich etwas Besseres, Standesgemäßeres zu kaufen. Sie schulterte das Bündel und blickte noch einmal in den Spiegel. Ob sie die Kette mit den Steinen ablegen sollte? Oh nein, das war ein Geschenk! Ein Geschenk, das sie – dass er? – von ihrem ... – nein für seine Schwester angefertigt hatte!


"Ihr müsst wissen, meine Herren", sagte sie mit bedauerndem Lächeln zu ihrem Spiegelbild, "dass meine arme Schwester Dulcinea leider nie auch nur das Kindesalter erreichte. Sie starb, damit ich leben konnte. Als Knabe fertigte ich ihr diese Kette an und eine weitere, die ich in der Erde ihres Grabes vergrub, Boron möge es mir verzeihen, sodass sie ein Andenken von mir hat, dass sie weiß, dass sie stets bei mir ist in meinen Gedanken, meine geliebte kleine Schwester. Mein Großvater sagte stets, ich dürfe dankbar sein, dass sie gestorben sei, sie habe ihr Leben für mich gegeben, ebenso wie unsere arme Mutter, und Ihr könnt gewiss sein, meine Herren, dass ich dankbar bin und ihrer stets mit all meiner Liebe gedenke."
"Ihr müsst wissen, meine Herren", sagte sie mit bedauerndem Lächeln zu ihrem Spiegelbild, "dass meine arme Schwester Dulcinea leider nie auch nur das Kindesalter erreichte. Sie starb, damit ich leben konnte. Als Knabe fertigte ich ihr diese Kette an und eine weitere, die ich in der Erde ihres Grabes vergrub, Boron möge es mir verzeihen, sodass sie ein Andenken von mir hat, dass sie weiß, dass sie stets bei mir ist in meinen Gedanken, meine geliebte kleine Schwester. Mein Großvater sagte stets, ich dürfe dankbar sein, dass sie gestorben sei, sie habe ihr Leben für mich gegeben, ebenso wie unsere arme Mutter, und Ihr könnt gewiss sein, meine Herren, dass ich dankbar bin und ihrer stets mit all meiner Liebe gedenke."


Staunend blickte Dulcinea den jungen Mann an, der dort im Spiegel so freundlich über sie sprach. Noch nie hatte jemand mit solcher ehrlichen Liebe von ihr gesprochen, und seine Worte rührten sie zu Tränen. Auch Dulcineo lief eine Träne über die Wange, so war er, ihr lieber Bruder, so romantisch, aber eben auch ein Mann, und deshalb wischte er die Träne fort und lachte.
Staunend blickte Dulcinea den jungen Mann an, der dort im Spiegel so freundlich über sie sprach. Noch nie hatte jemand mit solcher ehrlichen Liebe von ihr gesprochen, und seine Worte rührten sie zu Tränen. Auch Dulcineo lief eine Träne über die Wange, so war er, ihr lieber Bruder, so romantisch! - aber eben auch ein Mann, und deshalb wischte er die Träne fort und lachte.


"Nun ist es aber genug, Schwester", sagte er und zwinkerte ihr zu. "Weine nicht, ich ziehe aus, um mein Glück zu suchen und werde im fernen Gareth dem Namen unserer Familia alle Ehre machen. Und wenn ich wiederkehre, werde ich dein Grab besuchen und dir von all den Abenteuern berichten, die ich in der Fremde erleben werde. Wisse aber, das ich dich im Herzen immer bei mir tragen werde, und dein Angedenken ist mir das Teuerste Almadas, das ich mit mir nehme."
"Nun ist es aber genug, Schwester", sagte er und zwinkerte ihr zu. "Weine nicht, ich ziehe aus, um mein Glück zu suchen und werde im fernen Gareth dem Namen unserer Familia alle Ehre machen! Und wenn ich wiederkehre, werde ich dein Grab besuchen und dir von all den Abenteuern berichten, die ich in der Fremde erleben werde. Wisse aber, dass ich dich im Herzen immer bei mir tragen werde, und dein Angedenken ist mir das Teuerste Almadas, das ich mit mir nehme."


Er lächelte und warf Dulcinea eine Kusshand zu und neigte huldvoll den Kopf. "Adios, meine liebe kleine Schwester!", sagte er.
Er lächelte und warf Dulcinea eine Kusshand zu und neigte huldvoll den Kopf. "Adios, meine liebe kleine Schwester!", sagte er.
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