Chronik.Ereignis1033 Feldzug Ferkinalager 12: Unterschied zwischen den Versionen

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Sie dachte an die Geschichte mit dem Säbel, dem Kindersäbel, an die ihre Tante sie erinnert hatte. Wie merkwürdig es war mit dem Gedächtnis: Erinnerungen ruhten verstaubt und vergessen wie Dinge in einer dunklen Kammer. Dann fiel ein plötzlicher Lichtstrahl hinein und erhellte einen lang verschwunden geglaubten Gegenstand, einen Gedanken, und man merkte, dass er nie fort gewesen war.  
Sie dachte an die Geschichte mit dem Säbel, dem Kindersäbel, an die ihre Tante sie erinnert hatte. Wie merkwürdig es war mit dem Gedächtnis: Erinnerungen ruhten verstaubt und vergessen wie Dinge in einer dunklen Kammer. Dann fiel ein plötzlicher Lichtstrahl hinein und erhellte einen lang verschwunden geglaubten Gegenstand, einen Gedanken, und man merkte, dass er nie fort gewesen war.  


Richeza erinnerte sich, als kleines Kind auf dem [[Landedlengut Eslamsstolz|Gutshof]] ihres Vaters, der jetzt ihrer war, mit ihrer Puppe Nala gespielt zu haben. Es war Sommer gewesen, Praios. Ihr Tsatag vielleicht? Die Sonne hatte die Blätter der Linde im Hof in zartem Grün gefärbt, und am Himmel war keine Wolke gewesen, als plötzlich ein langer Schatten auf Richeza gefallen war. Eine Frau hatte vor ihr gestanden, groß wie ein Oger – so war es Richeza damals vorgekommen –, gerüstet wie die Kaiserlichen auf [[Hesindian von Kornhammer-Scheffelstein|Großvaters]] [[Burg Scheffelstein|Burg]] und laut wie die trunkenen Söldner, die Richeza einmal bei [[Tolaks Turm]] gesehen hatte. ''Puppen sind nichts für Mädchen'', hatte die Frau verächtlich gesagt und Richeza so rasch am Arm hochgezogen, dass Nala in den Staub gefallen war. ''Hier, ich hab' dir 'was Besseres mitgebracht.'' Sie hatte Richeza einen Säbel in die Hand gedrückt und breit gegrinst. ''Lass dir von deinem Vater zeigen, wie man ihn hält. Wenn ich wiederkomme, dann kämpfen wir ein bisschen, und dann mache ich eine richtige Kriegerin aus dir.'' Sie hatte Richeza zugezwinkert, ihr mit quaderschweren Stahlfingern die Schulter zerquetscht, sich auf das drachengroße Ross geschwungen, dass der Stallknecht bereit hielt und war davon galoppiert, dass die Hühner am Tor gackernd und kreischend auf die Dächer geflohen waren und sich den halben Tag nicht wieder hatten einfangen lassen.
Richeza erinnerte sich, als kleines Kind auf dem [[Landedlengut Eslamsstolz|Gutshof]] ihres Vaters, der jetzt ihrer war, mit ihrer Puppe Nala gespielt zu haben. Es war Sommer gewesen, Praios. Ihr Tsatag vielleicht? Die Sonne hatte die Blätter der Linde im Hof in zartem Grün gefärbt, und am Himmel war keine Wolke gewesen, als plötzlich ein langer Schatten auf Richeza gefallen war. Eine Frau hatte vor ihr gestanden, groß wie ein Oger – so war es Richeza damals vorgekommen –, gerüstet wie die Kaiserlichen auf [[Hesindian von Kornhammer-Scheffelstein|Großvaters]] [[Burg Scheffelstein|Burg]] und laut wie die trunkenen Söldner, die Richeza einmal bei [[Tolaks Turm]] gesehen hatte. ''Puppen sind nichts für Mädchen'', hatte die Frau verächtlich gesagt und Richeza so rasch am Arm hochgezogen, dass Nala in den Staub gefallen war. ''Hier, ich hab' dir 'was Besseres mitgebracht.'' Sie hatte Richeza einen Säbel in die Hand gedrückt und breit gegrinst. ''Lass dir von deinem Vater zeigen, wie man ihn hält. Wenn ich wiederkomme, dann kämpfen wir ein bisschen, und dann mache ich eine richtige Kriegerin aus dir.'' Sie hatte Richeza zugezwinkert, ihr mit quaderschweren Stahlfingern die Schulter zerquetscht, sich auf das drachengroße Ross geschwungen, das der Stallknecht bereit hielt und war davon galoppiert, dass die Hühner am Tor gackernd und kreischend auf die Dächer geflohen waren und sich den halben Tag nicht wieder hatten einfangen lassen.


Richeza hatte damals nicht einmal gewusst, dass die Frau ihre Tante war. Aber sie hatte eine solche Angst vor ihr gehabt, dass sie drei Nächte lang kaum geschlafen hatte. ''Dann kämpfen wir ein bisschen'', hatte die Frau gesagt – und das hatte Richeza nicht aus dem Kopf gehen wollen. Bald, hatte sie gedacht, würde die Frau wiederkommen und sie mit ihrer Stachelkugel erschlagen. Sie hatte nicht einmal mehr gewagt, mit Nala zu spielen, vor lauter Angst, die Frau könne sie dabei erwischen. Nala hatte fortan in einer Kiste unter dem Bett schlafen müssen, wo Richeza ihr heimlich verschwörerische Worte zugeflüstert hatte, und war erst wieder ins Bett geholt worden, als Richeza Monate später erkrankte und sich allein im Bett noch mehr fürchtete als vor der Frau.
Richeza hatte damals nicht einmal gewusst, dass die Frau ihre Tante war. Aber sie hatte eine solche Angst vor ihr gehabt, dass sie drei Nächte lang kaum geschlafen hatte. ''Dann kämpfen wir ein bisschen'', hatte die Frau gesagt – und das hatte Richeza nicht aus dem Kopf gehen wollen. Bald, hatte sie gedacht, würde die Frau wiederkommen und sie mit ihrer Stachelkugel erschlagen. Sie hatte nicht einmal mehr gewagt, mit Nala zu spielen, vor lauter Angst, die Frau könne sie dabei erwischen. Nala hatte fortan in einer Kiste unter dem Bett schlafen müssen, wo Richeza ihr heimlich verschwörerische Worte zugeflüstert hatte, und war erst wieder ins Bett geholt worden, als Richeza Monate später erkrankte und sich allein im Bett noch mehr fürchtete als vor der Frau.
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Nach drei sorgenreichen Nächten hatte Richeza endlich gewusst, wie sie verhindern konnte, dass die Frau eine richtige Kriegerin aus ihr machte. Früh morgens, als alle noch schliefen, war sie auf den Hof geschlichen und hatte den Säbel auf den Brunnenrand gelegt. Dann hatte sie Nala unter dem Nachthemd hervorgeholt, unter dem sie die Puppe versteckt hatte, und dem Säbel den Rücken zugekehrt. Während sie Nala versichert hatte, dass sie nun beide keine Angst mehr haben müssten, hatte Nala dem Säbel heimlich einen Schubs gegeben. Als Richeza sich bald darauf umgedreht hatte, war der Säbel verschwunden gewesen. ''Nala, wo ist der Säbel?'', hatte sie die Puppe gefragt. ''Komisch, gerade war er noch da'', hatte Nala geantwortet. ''Er ist verschwunden'', hatten sie festgestellt und ein bisschen gesucht. Auf dem Brunnen war er nicht gewesen, neben dem Brunnen nicht, unter der Linde nicht, und schließlich hatte Nala gefragt, ob sie den Säbel überhaupt mit nach draußen genommen hatten. ''Vielleicht nicht'', hatte Richeza geantwortet, aber natürlich war er auch nicht im Haus, und als die Frau wiedergekommen war, hatte Richeza fast schon geglaubt, nicht zu wissen, wo der Säbel war, schließlich hatte sie überall nach ihm gesucht und ihn nicht gefunden, Nala war ihre Zeugin.
Nach drei sorgenreichen Nächten hatte Richeza endlich gewusst, wie sie verhindern konnte, dass die Frau eine richtige Kriegerin aus ihr machte. Früh morgens, als alle noch schliefen, war sie auf den Hof geschlichen und hatte den Säbel auf den Brunnenrand gelegt. Dann hatte sie Nala unter dem Nachthemd hervorgeholt, unter dem sie die Puppe versteckt hatte, und dem Säbel den Rücken zugekehrt. Während sie Nala versichert hatte, dass sie nun beide keine Angst mehr haben müssten, hatte Nala dem Säbel heimlich einen Schubs gegeben. Als Richeza sich bald darauf umgedreht hatte, war der Säbel verschwunden gewesen. ''Nala, wo ist der Säbel?'', hatte sie die Puppe gefragt. ''Komisch, gerade war er noch da'', hatte Nala geantwortet. ''Er ist verschwunden'', hatten sie festgestellt und ein bisschen gesucht. Auf dem Brunnen war er nicht gewesen, neben dem Brunnen nicht, unter der Linde nicht, und schließlich hatte Nala gefragt, ob sie den Säbel überhaupt mit nach draußen genommen hatten. ''Vielleicht nicht'', hatte Richeza geantwortet, aber natürlich war er auch nicht im Haus, und als die Frau wiedergekommen war, hatte Richeza fast schon geglaubt, nicht zu wissen, wo der Säbel war, schließlich hatte sie überall nach ihm gesucht und ihn nicht gefunden, Nala war ihre Zeugin.


Richeza warf einen Blick über die Schulter auf ihre Tante, die mit finsterem Gesicht und um das Falcata geballter Faust hinter ihr herging. Fast hätte Richeza heute über den Vorfall lachen mögen, wenn da nicht die andere Geschichte mit dem anderen Säbel gewesen wäre. Und jetzt war ihre Tante wild entschlossen, die Ferkina zu töten. Was, wenn die Comtessa Praiodor gleich hinterher warf, aus Rache, weil sie sich mit der Ferkina doch so gut verstand? Und was war das wohl für eine Höhle, von der ihre Tante gesprochen hatte? Moritatio hatte nichts von einer Höhle geschrieben. Oder doch? Wusste ihre Tante die Worte ihres Sohnes besser zu deuten? Und jetzt erst wurde Richeza bewusst, was sie noch gesagt hatte: Sie würde auf den Gipfel steigen, um das Feuer zu entzünden. Richezas Weg hinauf war umsonst gewesen. Und jetzt würde ihre Tante sie bald mit einer wütenden Comtessa allein in einer Höhle hier irgendwo in den Bergen zurücklassen, wo Richeza, waffenlos und am Ende ihrer Kräfte, kaum in der Lage wäre, sich der Grafentochter zu erwehren, falls die auf dumme Gedanken käme, sicher aber den Ferkinas nichts entgegenzusetzen hatte, wenn diese sie fänden. Und sie würden sie finden. Was, wenn die Comtessa wirklich allein in die Berge floh, gefangen genommen wurde und aus Zorn auch Richezas und Praiodors Aufenthaltsort verriete?  
Richeza warf einen Blick über die Schulter auf ihre Tante, die mit finsterem Gesicht und um das Falcata geballter Faust hinter ihr herging. Fast hätte Richeza heute über den Vorfall lachen mögen, wenn da nicht die andere Geschichte mit dem anderen Säbel gewesen wäre. Und jetzt war ihre Tante wild entschlossen, die Ferkina zu töten. Was, wenn die Comtessa Praiodor gleich hinterher warf, aus Rache, weil sie sich mit der Ferkina doch so gut verstand? Und was war das wohl für eine Höhle, von der ihre Tante gesprochen hatte? Moritatio hatte nichts von einer Höhle geschrieben. Oder doch? Wusste ihre Tante die Worte ihres Sohnes besser zu deuten? Und jetzt erst wurde Richeza bewusst, was sie noch gesagt hatte: Sie würde auf den Gipfel steigen, um das Feuer zu entzünden. Richezas Weg hinauf war umsonst gewesen. Bald würde ihre Tante sie mit einer wütenden Comtessa allein in einer Höhle hier irgendwo in den Bergen zurücklassen, wo Richeza, waffenlos und am Ende ihrer Kräfte, kaum in der Lage wäre, sich der Grafentochter zu erwehren, falls die auf dumme Gedanken käme, sicher aber den Ferkinas nichts entgegenzusetzen hatte, wenn diese sie fänden. Und sie würden sie finden. Was, wenn die Comtessa wirklich allein in die Berge floh, gefangen genommen wurde und aus Zorn auch Richezas und Praiodors Aufenthaltsort verriete?  


Götter, das alles drohte in einer Katastrophe zu enden! Schon verengte sich der Weg, rechts von ihnen ragten die Felsen höher auf und links begann der Hang immer steiler abzufallen. Das Herz stockte Richeza, als die Comtessa stolperte und zu stürzen drohte, weil sie keine Hände frei hatte, sich zu fangen, doch die Ferkina, die dicht hinter der Grafentochter ging, griff sie am Arm, und kurz darauf gingen die beiden weiter, als sei nichts geschehen. Für kurze Zeit wurde der Weg ebener, und als die Ferkina kurz innehielt, um das Band festzuziehen, mit dem sie die Felle um ihre Stiefel gebunden hatte, spürte Richeza die Hand ihrer Tante auf ihrer Schulter, als die sich an ihr vorbeizudrängen versuchte.
Götter, das alles drohte in einer Katastrophe zu enden! Schon verengte sich der Weg, rechts von ihnen ragten die Felsen höher auf und links begann der Hang immer steiler abzufallen. Das Herz stockte Richeza, als die Comtessa stolperte und zu stürzen drohte, weil sie keine Hände frei hatte, sich zu fangen, doch die Ferkina, die dicht hinter der Grafentochter ging, griff sie am Arm, und kurz darauf gingen die beiden weiter, als sei nichts geschehen. Für einige Zeit wurde der Weg ebener, und als die Ferkina kurz innehielt, um das Band festzuziehen, mit dem sie die Felle um ihre Stiefel gebunden hatte, spürte Richeza die Hand ihrer Tante auf ihrer Schulter, als die sich an ihr vorbeizudrängen versuchte.


Richeza zögerte keinen Moment, sondern spannte die Schultern und drehte sich so, dass Rifada da Vanya sie nicht einfach beiseite schieben konnte. Sie spürte die Wut ihrer Tante in deren eisernem Griff. Sie wusste, dass sie der Kraft dieser Frau nichts entgegenzusetzen hatte. Verzweifelt streckte sie die Arme aus, versperrte Rifada da Vanya den Weg, doch die zog sie an der Schulter zurück, als sei sie noch immer nichts weiter als ein fünfjähriges Kind und keine erwachsene Frau.  
Richeza zögerte keinen Moment, sondern spannte die Schultern und drehte sich so, dass Rifada da Vanya sie nicht einfach beiseite schieben konnte. Sie spürte die Wut ihrer Tante in deren eisernem Griff. Sie wusste, dass sie der Kraft dieser Frau nichts entgegenzusetzen hatte. Verzweifelt streckte sie die Arme aus, versperrte Rifada da Vanya den Weg, doch die zog sie an der Schulter zurück, als sei sie noch immer nichts weiter als ein fünfjähriges Kind und keine erwachsene Frau.  
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"Es tut mir leid, Tante", flüsterte sie. "Bitte nicht! Sie hat mir das Leben gerettet oder zumindest ... Sie ... sie hat mich ... befreit. Die Ferkinas ... sie hatten ... mich ... und ... ich ... Es tut mir leid!" Sie schämte sich der Tränen, die ihr in die Augen traten, hilflos ihre Wangen hinabrollten, all den Schmerz, die Angst, die Wut und Verzweiflung der letzten Tage hervorbrechen ließen, die sie bislang so erfolgreich zurückgedrängt hatte. "Es tut mir leid!", stieß sie mit erstickter Stimme hervor, während die Ferkina, ohne sich umzudrehen, um die Wegbiegung verschwand. "Es tut mir leid. Es ...ist ... meine Schuld. Ich hätte nicht ... ich ... ich weiß, es war eine dumme Idee ... alleine bei Nacht ... auf den Berg ... ich wusste nicht ... es ist meine Schuld. Wenn ich nicht ... dann wäre das alles nicht passiert. Mit Moritatio. Und dem ... dem ..." Sie wagte nicht, das Wort auszusprechen, den Verlust des Erbstücks zuzugeben. "Ich ... und ... Ich weiß, es war dumm. Ich hätte warten sollen, aber die anderen waren so schwach. Ich wollte keinen Tag verlieren. Wegen Praiodor. Aber Moritatio hat gesagt, es wäre wichtig ... mit dem Feuer. Es tut mir so leid."
"Es tut mir leid, Tante", flüsterte sie. "Bitte nicht! Sie hat mir das Leben gerettet oder zumindest ... Sie ... sie hat mich ... befreit. Die Ferkinas ... sie hatten ... mich ... und ... ich ... Es tut mir leid!" Sie schämte sich der Tränen, die ihr in die Augen traten, hilflos ihre Wangen hinabrollten, all den Schmerz, die Angst, die Wut und Verzweiflung der letzten Tage hervorbrechen ließen, die sie bislang so erfolgreich zurückgedrängt hatte. "Es tut mir leid!", stieß sie mit erstickter Stimme hervor, während die Ferkina, ohne sich umzudrehen, um die Wegbiegung verschwand. "Es tut mir leid. Es ...ist ... meine Schuld. Ich hätte nicht ... ich ... ich weiß, es war eine dumme Idee ... alleine bei Nacht ... auf den Berg ... ich wusste nicht ... es ist meine Schuld. Wenn ich nicht ... dann wäre das alles nicht passiert. Mit Moritatio. Und dem ... dem ..." Sie wagte nicht, das Wort auszusprechen, den Verlust des Erbstücks zuzugeben. "Ich ... und ... Ich weiß, es war dumm. Ich hätte warten sollen, aber die anderen waren so schwach. Ich wollte keinen Tag verlieren. Wegen Praiodor. Aber Moritatio hat gesagt, es wäre wichtig ... mit dem Feuer. Es tut mir so leid."


Richeza wagte nicht, ihre Tante anzusehen. Ihre Finger, die sich noch immer in die Verschlüsse der Lederrüstung krallten, zitterten. Aus irgendeinem Grund hatte sie das Gefühl, ihre Tante zu verraten, die einen solchen Hass verspürte auf die Ferkina, ja, selbst auf die Comtessa. Und doch konnte Richeza diese Tat nicht zulassen. Um Praiodors Willen. Ja, selbst um ihres eigenen Gewissens Willen, wie sie zugeben musste. Sie verspürte keinen Hass. Nur Angst und Trauer. Doch diesmal war es nicht ihre Tante selbst, die sie fürchtete. Vielmehr deren Zorn und ... Enttäuschung?
Richeza wagte nicht, ihre Tante anzusehen. Ihre Finger, die sich noch immer in die Verschlüsse der Lederrüstung krallten, zitterten. Aus irgendeinem Grund hatte sie das Gefühl, ihre Tante zu verraten, die einen solchen Hass verspürte auf die Ferkina, ja, selbst auf die Comtessa. Und doch konnte Richeza diese Tat nicht zulassen. Um Praiodors Willen. Ja, selbst um ihres eigenen Gewissens Willen, wie sie zugeben musste. Sie verspürte keinen Hass. Nur Angst und Trauer. Doch diesmal war es nicht ihre Tante selbst, die sie fürchtete. Vielmehr deren Zorn und deren ... Enttäuschung?


"Es tut mir so leid", flüsterte sie erstickt. "Ich ... habe es für Euch getan. Ich dachte ... Ihr wärt tot."
"Es tut mir so leid", flüsterte sie erstickt. "Ich ... habe es für Euch getan. Ich dachte ... Ihr wärt tot."
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'''Autor''': [[Benutzer:SteveT|SteveT]]
Rifadas schon vorher finstere Miene wirkte durch ihre schmal aufeinander gepressten Lippen und ihre kritisch hochgezogenen Augenbrauen nun noch düsterer. Unwirsch wand sie sich aus Richezas Umklammerung und zog diese grob halb am Brusttuch ihrer barbarischen Ferkina-Gewandung, halb an ihrem bebenden Kinn wieder auf die Füße hoch. "Hör auf der Stelle mit diesem unweibischen Gewinsel auf! Du hast scheinbar vergessen, von wessen Blut du bist! Und außerdem versteht man kein Wort, wenn du hier vor Fremden herumgreinst wie ein furchtsames Zicklein! Was hast du da gerade gejammert? Du warst schon auf dem Berg? Hast du oben auf dem höchsten Gipfel zur Rondrasstunde ein Feuer gemacht, sodass ich am Ende gar nicht mehr hinaufsteigen muss?"
Sie betrachtete ihre zitternde Nichte zweifelnd - jetzt sah sie wirklich haargenau wie Madalena aus, die sich als Kind vor jedem Blitz und Donnergrollen gefürchtet hatte, obwohl diese in ihrer bosquirischen Heimat beinahe zum alltäglichen Leben dazugehörten.
"Ich kann es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen ... aber warst du oben und - wenn ja - war das Feuer gut zu sehen? Das Schicksal unseres Stammsitzes hängt davon ab!"
Sie kratzte sich nachdenklich den Haarschopf. "Wenn du der Tobrierin nicht den Jungen gegeben hättest, würde ich die zwei einfach weitermarschieren lassen und wir beide kehren hier um - zurück nach Selaque! Ich muss mir Einlass auf Burg Albacim verschaffen und unsere Kleinodien dort herausholen ... ich habe es mit eigenen Augen gesehen - die Hexe Praiosmin hat uns alles gestohlen! Alles!"
Sie rammte das Falcata in die Erde und riss einen kleinen Stofffetzen von ihrem Untergewand ab, das durch ihre Kerkerhaft ohnehin längst alles andere als gut aussah. Sie schrubberte damit Richeza wenig feinfühlig über das Gesicht.
"Hier! Wisch dir damit gefälligst die Tränen weg - das Blondchen braucht eine da Vanya so nicht zu sehen! Und was die Wilde betrifft - du bist naiv, wenn du glaubst, dass diese Kreaturen zu Freundschaft fähig sind. Wenn ich sie nicht wegmachen soll, dann müssen wir sie fesseln und irgendwo zurücklassen, damit sie uns nicht verraten kann, bis wir über alle Berge sind. Die Bastarde ihres Stammes finden sie dann schon - die treiben sich in dieser Gegend ja zahlreicher wie die Karnickel herum!"
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'''Autor''': [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]]
Richeza schluckte, ließ sich die grobe Behandlung durch ihre Tante jedoch gefallen, ohne zu zucken. Sie lehnte den Kopf an die hinter ihr aufragende Felswand, während Rifada da Vanya ihr mit dem schmutzigen Tuch durch das Gesicht fuhr, und schloss die Augen. Als diese ihr den Stoff in die Hand drückte, öffnete sie die Augen wieder und atmete zitternd aus. Sie sah ihre Tante nicht an, sondern schräg an dieser vorbei in den Abgrund. Der Wind zerrte an ihrem Haar und trocknete Tränen und Schweiß auf ihrem bleichen Gesicht. Es dauerte eine Weile, bis Richeza ihre Sprache wiederfand.
"Ja", sagte sie leise, "ich bin auf den Berg gestiegen. Vor ein paar Tagen." Sie schluckte erneut, folgte mit den Augen einem Raubvogel, der irgendwo unter ihnen seine Kreise zog. "Wir hatten den Berg gerade erreicht, von Grezzano aus. Es war später Abend, wir waren alle erschöpft. Moritatio meinte, wir müssten zur Rondrastunde ein Feuer auf dem Berg errichten, damit die Amazonen Euch zur Hilfe eilen können. Sie wollten bis zum Morgen warten, um dann auf den Djer Kalkarif zu steigen. Aber dann hätten wir einen ganzen Tag verloren auf der Suche nach Praiodor. Das ... wollte ich nicht. Aber wie hätte ich andererseits nicht auf den Berg steigen können? Nach allem, was Ihr für uns – für mich – getan hattet. Selbst, wenn nur die leiseste Hoffnung bestand, dass die Elenterin Euch nicht umgebracht hatte?"
Richeza warf der Junkerin nur einen kurzen Blick zu, senkte die Augen dann auf den Weg. "Also bin ich allein rauf. Es wurde bald dunkel, und es war eine verdammt kalte Nacht. Ich dachte, ich schaff' das schon, aber ... Ich habe mich wohl überschätzt." Sie schluckte erneut, betrachtete die Finger an ihrer rechten Hand, an denen die Schnalle der Lederrüstung blutige Kratzer hinterlassen hatten, als Rifada da Vanya sich so grob von ihr befreit hatte. "Ich weiß nicht, wo ich das Feuer entzündet habe. Ob es der höchste Gipfel war. Ich glaube nicht. Es war auf einem Gletscherfeld, ich hoffe irgendwo im Südosten. Ich hatte nur soviel Holz für das Feuer, wie ich tragen konnte. Es war nicht viel. Ich weiß nicht, ob es umsonst war."
Sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die ihr ins Auge wehte und verschränkte die Arme vor der Brust gegen die Kälte. "Jedenfalls habe ich es nicht mehr vom Berg runter geschafft. Ich hatte kein Licht mehr und musste dort irgendwo übernachten, im Schnee." Richeza presste die Lippen aufeinander, zum ersten Mal klang sie fast trotzig, als sie fortfuhr. "Ich wäre fast erfroren in der Nacht. Auf dem Rückweg bin ich ... ich muss gestürzt sein." Sie zuckte mit den Schultern, als müsse sie sich dafür rechtfertigen. "Als ich aufwachte, war da dieser Junge. Praiosmins Bastard. Er ..." Sie schürzte die Lippen. "Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat, aber ... Er hat mich irgendwohin gebracht und gefesselt. Er wollte mich den Ferkinas übergeben." Wütend biss sie sich auf die Unterlippe. "Ich konnte mich noch mal befreien, aber ich hatte alles verloren: Harnisch ... Waffe, meine Ausrüstung. Ich versuchte, zu den anderen zurückzukehren, aber ich wusste nicht, wo sie waren. Und dann ..."
Richeza holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. Ihr Magen knurrte. Eine Gänsehaut bedeckte ihre Arme. Von den anderen Frauen war nichts mehr zu sehen oder zu hören. Richeza sah ihre Tante an. "Es muss der Schamane gewesen sein. Ein Ferkina-Zauberer." Ihre Stimme stockte. "Er ... hat mich wieder eingefangen. Sie ... haben mich in ein Zelt gebracht ..." Sie wurde immer leiser. "Dort haben sie mir alles ... weggenommen, mich ..." Sie schluckte und verstummte. Ihr Blick glitt ins Leere, durch ihre Tante hindurch. "Sie haben mir diese Sachen angezogen", flüsterte sie, kaum hörbar gegen den Wind. "Dort war auch das Mädchen. Die Comtessa. Gefesselt. Sie sagte ... ich ... sei für den ... Shâr bestimmt. Ich ... wollte nur noch sterben." Richeza senkte den Kopf und schwieg einige Herzschläge lang. Als sie wieder aufsah, wirkte ihr Gesicht verschlossen und hart.
"In der Nacht wachte ich auf. Es war diese Ferkina. Sie schnitt mich los. Sie führte mich und das Mädchen aus dem Lager, irgendwo in eine Höhle. Ich wusste nicht, was sie wollte. Ich traute ihr ebenso wenig, wie Ihr. Am nächsten Tag machte ich mich auf die Suche nach Moritatio und dem Streitzig. Ich nahm die Comtessa mit. Sollte ich sie hier etwa sterben lassen?"
Richeza kniff die Augen zusammen. "Nein", sagte sie. "Egal, was Ihr denkt: So bin ich nicht. Es ist mir egal, ob sie sich im Reitstall den Hals bricht. Aber wenn ich sie hier zurückgelassen hätte, hätte ich sie gleich mit eigenen Händen töten können. Ich bin keine Mörderin." Finster blickte sie Rifada da Vanya an. "Die Ferkina folgte uns. Scheint einen Narren an dem Mädchen gefressen zu haben. Warum auch immer. Sie hat uns nichts Böses getan. Ich werde nicht zulassen, dass Ihr sie tötet. Ohne sie ..."
Sie brach ab, blickte wieder zu Boden. Als sie Rifada ansah, wirkte sie müde, ihre Stimme aber war fest und ruhig. "Es tut mir leid, dass ich Euch enttäuscht habe. Ich bin nun einmal nicht wie Ihr: Stark und unbesiegbar. Ihr hättet gewusst, wo man das Feuer entzünden muss. Ihr hättet Euch nicht von dem Bastard oder den Ferkinas gefangen nehmen lassen. Wahrscheinlich hättet Ihr sie alle getötet. Ihr scheint nie zu zweifeln. Ich kann das nicht. Es tut mir leid, wenn ich versagt habe. Aber ... ich bin nicht herzlos. Und das – tut mir nicht leid!"   




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