Chronik.Ereignis1046 Die Rochade 04

Trockenobst zum Dessert?

Edlengut Selkethal, Veranda der Hacienda del Valle, Mitte RON 1046

Algerio da Selaque von Culming legte das Schreiben beiseite, separiert von den anderen Sendungen, die ihn erreicht hatten. Sein Blick glitt über sein Lehen, den Platz vor der Hacienda, das geschäftige Treiben seiner Vasallen, während er sich gestattete kurz seinen Gedanken nachzuhängen.

‚Die Staatsräson verlangt es‘, klangen die Worte in seinem Kopf nach, und sofort, im direkten Kontrast dazu, der darauffolgende Satz: ‚Eure Anwesenheit ist keinesfalls obligatorisch.‘ Ein belustigtes Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. „Ist das deine Art, die Ambitionen und Loyalität deiner Getreuen zu testen, du alter Fuchs?“, murmelte der Edle des Selkethals zu sich selbst. Mit dem Mittelfinger der Linken begann er, auf das Schreiben zu tippen, während er auf der Unterlippe kaute und überlegte, was nun zu tun war.

Er konnte ja kein Trockenobst zum Tee reichen…

„Jodga!“, rief er schließlich, ohne den Blick vom Platz zu wenden. Gerade wurden die Pferde aus den Stallungen geholt und für einen kleinen Ausritt vorbereitet. Lieder fehlte ihm die Zeit, sich anzuschließen.

Wenige Augenblicke später stand der Majordomus dienstbeflissen hinter ihm. „Ihr habt gerufen, Herr?“, fragte er in seinem unnachahmlich-ausdruckslosen Ton eine Frage, die ganz offensichtlich keiner Antwort bedurfte.

Manchmal konnte Algerio diese trockene Art seines Hausdieners in den Wahnsinn treiben. Auch nach vielen Götterläufen in seinen Diensten fehlte ihm noch immer jegliche almadanische Leidenschaft, jegliches Feuer… Doch heute war seine Laune zu gut, um sich davon stören zu lassen.

„Frag bitte in der Küche des Gasthauses und bei den Einheimischen nach bekannten und weniger bekannten lokalen Süßspeisen, die sich eignen zum Tee gereicht zu werden“, trug er seinem Majordomus auf. „So wie es aussieht werde ich noch einen Abstecher in die Capitale machen, ehe ich nach Auenwacht aufbreche. Auch wenn das heißt, dass ich mich hetzen müssen werde…“, fügte er etwas leiser ergänzend hinzu.

„Sehr wohl, Herr“, nickte der Majordomus dienstbeflissen.



ein paar Tage später

„Das ist es?“, fragte Algerio, mit skeptischem Blick auf das, was ihm sein Hausdiener auf feinem Porzellan serviert hatte.

„Sehr wohl, Herr. Das ist der…“, er stockte kurz, ehe er fortfuhr: „berühmte Selkethaler Zedernkuchen.“ Die Art, wie er ‚berühmt‘ sagte, ließ keinen Zweifel daran, dass er eigentlich ein gänzlich anderes Wort hatte nutzen wollen.

Der ‚Kuchen‘, auf den Algerio blickte, war ein etwa faustgroßer Ring, beulig und ein wenig krumm, überzogen mit einer dünnen Schicht Schokolade. Er erinnerte den Edlen eher an einen Kuhfladen denn ein Dessert.

Und dennoch wollte er nicht vorschnell urteilen.

Mit dem Messer schnitt er senkrecht in den Kuchen, trennte vorsichtig ein kleines Stück heraus. Die obere Schokoladenschicht bröckelte dabei teilweise ab, ein großes Stück sprang auf den Tisch. Diesen ‚Kuchen‘ auf eine gesellschaftlich akzeptable Weise zu essen, war offensichtlich nicht möglich.

Kopfschüttelnd besah sich Algerio das Stück. Unter der Schokolade war ein heller, gesteifter Teig zu erkennen. Das wars. Insgesamt wirkte der Kuchen sehr unscheinbar, fast schon… langweilig.

Nicht das Richtige für ein Dessert bei seiner Exzellenz.

„Mir wurde gesagt, man solle den Kuchen schichtweise essen, nicht in Längsstücken“, erklärte Jodga und fügte hinzu: „Die an die Jahresringe einer Zeder erinnernden Steifen im Teig sind wohl der Ursprung des Namens“, erklärte er das Offensichtliche.

Skeptisch nahm Algerio das Stück zwischen Daumen und Zeigefinger, und biss hinein. Der Kuchen war…

…köstlich!!!

Ein zufriedenes Lächeln huschte über sein Gesicht.

„Jogda… das ist genial! Es schmeckt… göttlich!“, schwärmte er. „Weise die Bäckerin an, weiteren Zedernkuchen zu fertigen. Wenn möglich, etwas ansprechender in der Optik… vielleicht… in Form einer Königskrone? Wenn sie helfende Hände braucht, soll sie die bekommen. Rafik wird Augen machen!“

Seine anfängliche Skepsis war bedingungslosem Enthusiasmus gewichen.