Chronik.Ereignis1036 Derweil in Dubios 01

Baronie Dubios, Ende Tsa 1036 BFBearbeiten

Des Nächtens im Alcazar de HeldorBearbeiten

Autor: Der Sinnreiche Junker

„Ihr arbeitet zu viel, mein Gemahl.“

Formal gesehen war die Anrede falsch, denn Rahjada von Ehrenstein-Streitzig und Hernán von Aranjuez waren bislang lediglich verlobt, und bis zur eigentlichen Hochzeit würden noch über drei Monde ins Land ziehen. Dennoch häuften sich in letzter Zeit die Reisen der Comtessa auf ihrem in Dubios gelegenen Landedlengut San Therbûn, bis zum Ragather Revers ewiger Zankapfel zwischen den Baronen von Dubios und Bosquirien. Einzig, sie ward dort kein einziges Mal gesehen, dafür jedoch umso öfter in Heldor oder wo sich der Baron und Junker dieser Tage sonst so herum trieb.

Dieser spürte ihre bloßen Brüste, als sie sich an seinen Rücken schmiegte, und einen Arm vorne um seine Brust schlang. Durch die Bewegung im Bett rutschten einige Schriftrollen und Pergamente von den Decken auf den Boden. Wenn der Condottiere darüber verärgert war, so ließ er es sich nicht anmerken. „Unsere Angelegenheiten regeln sich nicht von alleine“, erwiderte er nur knapp, und sortierte einen durcheinander geratenen Stapel Dokumente.

Die Grafentochter griff nach einem Stück Papier, überflog es kurz, und ließ irgendeine Auflistung das Tercio Viejo de Ragatia mit einem Naserümpfen sinken. „Ich dachte, Ihr hättet das Tercio an Euren Bastardbruder abgegeben?“

Hernán von Aranjuez seufzte. „Tego ist ein guter Soldat, aber er versteht nichts von Geschäften und noch weniger von Verwaltung. Ich überlasse ihm Rekrutierung und Ausbildung der Landsknechte sowie die Führung bei Routineaufträgen. Die Zügel aber muss ich weiter selbst in der Hand behalten. Seid froh, dass ich meinen Sitz in der Unterfelser Signoria an meinen Vetter Rafik abgetreten habe. Sonst wäre ich gewiss nicht so oft hier und…“

Seine Rede wurde von einem Biss in seine Schulter unterbrochen. Offensichtlich war die Comtessa mitnichten der Meinung, dass sie es war, die sich glücklich schätzen durfte. Versöhnlich hauchte sie einen Kuss auf die Stelle, wo rötliche Verfärbungen die Abdrücke ihrer Zähne zeigten. „Habt Ihr von der Zwölfgöttertjoste zu Perricum gehört?“, murmelte sie in seine Halsbeuge hinein.

„Scheinheiliges Gefrömmel“, schnaubte ihr zukünftiger Gemahl. „Wäre ja noch schöner, wenn ich mich von irgendeinem daher gelaufenen Strauchdieb durch einen glücklichen Stoß aus dem Sattel heben ließe. Und hernach soll ich noch die Herrin Rondra für ihren Ratschluss preisen. Nein, danke.“

Rahjada von Ehrenstein-Streitzig lachte leise, sodass er ihren warmen Atem auf seiner Haut spüren konnte. Nichts anderes hatte sie erwartet. „Glaubt Ihr, dass Rondrigo vom Eisenwalde daran teilnehmen wird?“

Der Baron und Junker runzelte die Stirn. „Was kümmert mich, ob der alte Waldschrat gedenkt, daran teilzunehmen?“ Wieso fragte sie ihn nach dem Castellan ihres Vaters? Die beiden Männer waren nie Freunde gewesen, und während und nach dem Ferkinakrieg von 1033 BF heftig aneinander geraten. Obgleich sich Graf Brandil und sein aranjuezer Vasall mittlerweile versöhnt, ja, er diesem sogar jüngst die Hand seiner Zweitgeborenen gegeben hatte, war das Verhältnis zu dem alten Ritter in Diensten ihres Vaters angespannt geblieben. Zu oft waren sie allen voran in militärischen Belangen unterschiedlicher Meinung, und auch wenn der Ehrensteiner zumeist den Ratschlag seines Castellans gefolgt war, spürte der alte Recke doch, dass ihm in dem Condottiere ein Rivale erwachsen könnte. Vor allem, wenn der erst einmal die Grafentochter geehelicht hatte.

„Nun ja, die Reise nach Perricum ist weit und gefahrvoll…“, wisperte sie leise nahe seines Ohres. Sogleich spürte sie, wie sich die Muskeln ihres Bettgefährten anspannten.

„Wollt Ihr damit etwa vorschlagen, dass…?“

Wiederum unterbrach sie ihn, dieses Mal mit einem sachten Hieb der Fingerspitzen auf seine Lippen. „Shhhhhht! Nichts dergleichen will ich vorschlagen. Dom Rondrigo ist ein alter Freund der Familie und meinem Vater treu ergeben. Dennoch steht er euch, steht er uns im Wege. Vordergründig wäre seine Teilnahme an der Zwölfgöttertjoste eine große Ehre, der Höhepunkt eines rondragefälligen Lebens. Freilich, wenn das die Krönung seiner Laufbahn ist, wird manchem der Gedanken kommen, dass es doch an der Zeit wäre, sich auf sein Altenteil zurück zu ziehen. Habe ich, davon abgesehen, erwähnt, dass die Reise weit ist? In Dom Rondrigos Abwesenheit wird mein Vater jemanden benötigen, der an seine Stelle tritt. Und dann all die Gefahren am Wegesrand…“

„Mhm…“, wiegte Hernán von Aranjuez nachdenklich den Kopf hin und her. „Und wenn er gar nicht vorhat teilzunehmen? Wenn er glaubt, dass ihm seine Pflichten als Castellan eine solche Reise nicht gestatten?“

„Lasst mich nur machen, mein Gemahl“, tätschelte sie ihm die Brust. „Ich weiß schon die rechten Reden, die ich bei Hofe führen muss, bis das halbe Castillo Ragath in Perricum Ruhm und Ehre gewinnen will. Zumindest die männliche Hälfte. Und sollte der alte Ritter nobel und pflichtbewusst beiseitetreten, um Jüngeren den Vortritt zu lassen, werde ich meinen Vater schon zu überzeugen wissen, dass er es Dom Rondrigo für viele Jahrzehnte treuen Dienstes schuldig ist. Und wenn die Sache von seinem Grafen kommt, kann Dom Rondrigo gar nicht anders, denn guten Gewissens sein Ross zu besteigen.“

Langsam nickte der Baron und Junker. Der Castellan mehrere Wochen außer Landes, da ließen sich Gelegenheiten finden, die er zu seinem Vorteil würde nützen können. „Lasst uns die Lichter löschen“, sprach er schließlich. „Morgen wird ein langer Tag.“

„Was wollt ihr denn im hintersten Winkel von Dubios?“ Rahjada von Ehrenstein-Streitzig hatte sich wenig begeistert davon gezeigt, dass er gedachte morgen bis nach San Bordana zu reiten. Und das, wo noch immer die Tristeza die Lande fest im Griff hatte.

„Mir die Landwehrübungen ansehen. Außerdem habe ich von einer Stelle gehört, die für ein Castillo in Frage käme.“

„Was passt Euch denn nicht an Eurem Alcazar?“ Wiederum rümpfte die Grafentochter die schöne Nase. Der Gedanke, irgendwann die Palastfestung von Heldor gegen irgendeine zugige Burg im Nirgendwo eintauschen zu müssen, schien ihr nicht zu behagen.

„Das will ich Euch zeigen“, versprach er, und schob die vielen Papiere achtlos beiseite, sodass er sich erheben konnte. Auch dies stieß bei der Comtessa auf wenig Gegenliebe, schon gar nicht, dass er nun zum Fenster hinüber schritt. Ihr Blick glitt über seinen nackten Leib. „Irgendwann möchte ich die Geschichte zu jeder einzelnen Narbe erfahren, mein Gemahl.“

Hernán von Aranjuez lachte. „Das wird eine lange Geschichte. Ich fürchte Euer Hochwohlgeboren heiraten nicht gerade des Königreiches besten Schwertkämpfer. Allenfalls des Königreiches Kämpfer mit den teuersten Rüstungen. Kommt.“

Rahjada von Ehrenstein-Streitzig fröstelte, und zog die Decken bis zum Kinn, als er das Fenster öffnete, und ein plötzlicher Windstoß durch den Raum fuhr. Das Feuer im Kamin flackerte, mehrere Kerzen erloschen, und einige der Papiere wurden durcheinander und vom Bett geweht. Mürrisch hüllte sie sich in eine der Decken, erhob sich, und trat neben den Condottiere ans offene Fenster. Heldor lag still und friedlich da, die zahlreichen weißen Tuffsteingebäude fahl erleuchtet im Madaschein. Fragend sah sie ihn an.

„Während der Kaiserlosen Zeiten ist Heldor mehr als ein Dutzend Mal geplündert worden. Damals gab es freilich noch keine Stadtmauer. Für die üblichen Adelsfehden mag sie ausreichen…“, Hernán von Aranjuez wusste, wovon er sprach, waren die Answinisten doch während der Aranjuezer Blutfehde mehrfach an der neu errichteten Mauer gescheitert „…einem echten Krieg aber hält sie nicht stand. Davon abgesehen, liegt Heldor im flachen Land. Ein Castillo errichtet man gemein nicht nur auf einem Berg um es besser verteidigen zu können, sondern auch um weiter blicken zu können. Der wichtigste Grund aber ist, dass der Alcazar eine Todesfalle ist.“

Die Comtessa blickte ihn verständnislos an, sodass er fortfuhr: „Siam Lacara, diese verlauste Wüstenräuberin, hat mit dem Bau bewiesen, dass sie und Ihresgleichen vom Festungskrieg nichts verstehen. Der Alcazar müsste ein Bollwerk innerhalb des Marktes sein. Stattdessen ist er dort drüben mit den Stadtmauern verbunden, sodass man von diesen auf die Umwallung des Alcazars gelangen kann“, wies er an die Stelle, wo die Mauern in einem Turm ineinander übergingen. „Hat der Feind die Stadtmauer, ist der Alcazar also nicht zu halten. Und bedenket, dass Heldor die Familia Aranjuez nicht liebt.“ Wiederum spielte er auf die Geschehnisse während der Aranjuezer Blutfehde an, welche die renitente Einwohnerschaft des Marktes nicht vergessen hatte, seit er Baron von Dubios und damit auch Herr von Heldor geworden war. „Seht dort hinüber. Dort kann man von den Dächern und teilweise vom obersten Stockwerk aus über die Mauern hinweg die Gärten einsehen. Und natürlich auch mit Bogen und Armbrust hinein schießen. Und die Straßenbreite ist mit ein paar Planken auch einfach zu überwinden. Und es gibt noch zwei weitere solcher Stellen, die man von hier nicht sehen kann.“

„Warum erhöht Ihr die Mauern nicht einfach? Höher als die höchsten Gebäude auf den anderen Straßenseiten, und hoch genug, dass man nicht über die Stadtmauern hinein gelangen kann?“ Sie öffnete ihren Deckenumhang kurz, um ihn zu sich darunter zu ziehen.

„Das wäre sicherlich möglich“, nickte er „Doch wird mir das die Heldorer gewogen machen? Und die Lage bleibt schwierig. Der rechte Fleck in den Dubianer Höhen hingegen…man könnte bis Ragath blicken, bei gutem Wetter vielleicht sogar bis Punin.“

Die junge Grafentochter seufzte. Ob sie ihm diese Idee noch würde ausreden können? „Und warum wollt Ihr dieser dummen Landwehrübung beiwohnen? Mir war so, als hätte ich Euch einmal verächtlich über die Landwehr sprechen hören…“

„Da habt Ihr Euch nicht verhört. Wenn Ihr mich morgen begleitet, werdet Ihr gewiss verstehen“, lächelte der Baron und Junker vielsagend.

„Einstweilen…“, erwiderte sie sein Lächeln „…werde ich Euch nur zurück ins Bett begleiten.“