Chronik.Ereignis1033 Streit ums Taubental 18

Das rote Zelt

Wie der Gaukler Darian eine alte Bekannte auf dem Pilgerfeld wiedertraf und ihr nachstellte, bis sie in einem roten Zelt verschwand. Wie er dort Beunruhigendes erfuhr.


Baronie Taubental, 2. Travia 1033 BF

Auf dem Pilgerfeld (nachmittags)

Autor: damotil

Als Darian auf seinem Wege zum Rahjafest Santa Catalinas ansichtig wurde, hielt er kurz inne. Neugierig betrachtete er den vor ihm liegenden Ort, die in der Nachmittagssonne glänzenden Tempeldächer, die Ansammlung bunter Zelte und Buden und das dortige Treiben von der kleinen Anhöhe aus. Er lächelte voller Vorfreude auf ein rauschendes Fest im Namen der schönen Göttin, bei dem hoffentlich auch die eine oder andere großzügig gegebene Münze den Weg in seine Beutel finden würde. Leise vor sich hinsummend setzte er seinen Rucksack ab, um die daran befestigte Laute aus den Tüchern zu befreien, in die er sie zum Schutze eingeschlagen hatte. Mit einem „Uff“ schwang er dann erneut das Gepäck auf seinen malträtierten Rücken und nahm die Laute in die Hand. „Auf gehts!“, rief er sich selbst zu und schritt beschwingt aus. Sacht schlug er das Instrument an und verzog etwas gequält ob eines völlig schiefen Tons das Gesicht. Wieder fröhlich summend machte er sich daran die Saiten zu stimmen. Als seine Ohren besänftigt waren, lag das Feld mit den Zelten mehr oder minder direkt vor ihm. Beherzt schlug der Trovere in die Saiten und eine fröhliche almadanische Weise singend, betrat er das Pilgerfeld.

Wenige Stunden später spazierte er mit unverändert guter Laune zwischen den Zelten hindurch. Ganz unerwartet hatte er unter den in Santa Catalina eingefallenen Fahrenden ein paar alte Bekannte getroffen, die sich bereits ein wenig eingerichtet hatten, und hatte in ihrem Zelt unterkommen können. Die vergangenen Stunden hatte er daher bei ihnen verbracht und auch mit den ersten Bechern Rebensaftes die Stimme ein wenig geölt. Schließlich hatte er aber doch beschlossen, sich vor dem abendlichen Treiben nach Sonnenuntergang, bei dem er vorhatte ebenfalls um die Gunst des illustren Publikums zu werben, noch ein wenig umzusehen und das Treiben in den Gassen und auf dem Pilgerfeld zu inspizieren. Außerdem fiel einem da ab und an ja auch förmlich etwas Silber in die Hände...

Gewandt schlängelte er sich durch das Gewimmel auf dem gut gefüllten Pilgerfeld. Neugierig betrachtete er den ein oder anderen Stand, und wenn er einer bildhübschen Domna oder auch eines rahjagefälligen Jünglings ansichtig wurde, hofierte er diese mit schmeichelnden Liedversen, wie sie ihm gerade in den Sinn kamen. Die Reaktionen darauf waren äußerst verschieden. Von bösen Blicken beschützender Mütter, über entrüstete junge Damen an der Seite der männlichen Schönlinge bis hin zu warmen Lächeln und sogar dem ein oder anderen gewagten Wangenküsschen zum Dank war alles dabei.

In der Pilgerherberge Zur Goldenen Rose (gleichzeitig)

Nachdenklich blickte Melisandra auf die Phiole, die sie in ihren Händen hielt. Obgleich klein und unscheinbar, war ihr Inhalt von beachtlichem Wert. Es war nicht einfach gewesen sie zu beschaffen, aber Melisandras weit verflochtenen Handelsbeziehungen hatten ihr auch bei diesem Auftrag geholfen. Dennoch spielte sie eine Weile mit dem Gedanken das Fläschchen einfach zu zerschlagen und der darin enthaltenen venenischen Tinktur damit ein Ende zu bereiten. ‚Lass diesen sentimentalen Unsinn! Wenn du es nicht verkaufst, macht es ein anderer. Was Pheli damit macht ist nicht deine Sache!‘, belehrte sie sich selbst im Geiste, verstaute das Fläschchen erneut in der kleinen Ledertasche und verschloss diese. Es war Zeit das Geschäft hinter sich zu bringen um dann endlich unbeschwert sich den Feierlichkeiten hingeben zu können.

So erhob sie sich aus dem Sessel und ging zu der Kommode hinüber, auf der sich auch ein prächtiger Silberspiegel befand. Mit routinierten Griffen richtete sie die Haare und verfeinerte ihre Erscheinung noch mit einem wohlriechenden Parfum. Sie musterte sich prüfend im Spiegel um dann zufrieden ihre Gemächer in der Goldenen Rose zu verlassen. Für den Abend hatte sie ein bequemes, etwas weicher fallendes Kleid aus rotem und weißem Stoff mit goldenen Stickereien gewählt. Für eine Weile mischte sie sich einfach unter das fröhliche Treiben.

Ihrem rahjagefälligen Erscheinungsbild hatte es sie es zu verdanken, dass sie kaum einen Herzschlag unbeachtet dabei blieb. Immer wieder machte der ein oder andere mutige Besucher des Festes ihr die Aufwartung, wobei sie bei ihren Antworten stets höflich, aber distanziert und reserviert blieb, wenn sie sich nach kurzen Wortwechseln dann verabschiedete. Ihr Besuch auf dem Pilgerfeld hatte zwei Zwecke zu erfüllen: Einerseits wollte sie den verabredeten Treffpunkt ausfindig machen und einen Blick darauf erhalten. Andererseits war es ihr durchaus recht, wenn sie unter den Besuchern gesehen wurde.

Auf dem Pilgerfeld (nachmittags)

Darian stand inzwischen zusammen mit einer Bardin auf einer hölzernen Kiste, die eigentlich dem Weinhändler nebendran gehörte, und gab das durchaus anzügliche "Lied von der Erwachenden" zum Besten. Die Lautenspielerin neben ihm begleitete ihn. Es handelte von einem Gastwirt, der sich ins Zimmer eines hübschen Gastes geschlichen hatte um sie im Schlaf zu beobachten und ihr in seiner Neugier die Decke immer weiter nach unten zupfte. Mit der verzückten Stimme des Gastwirts sang der Trovere:

„Ein Göttinbild, ein lächelnd Mund,
achtlos entblößte Brüste,
ach, Alveran! Du künd'st all Stund
des Rosenzeltes Lüste.“

Eigentlich hatte er erst nach Sonnenuntergang singen wollen, aber irgendwie war erneut ein Becher Wein in seiner Hand gelandet und wenig später waren Azila und er auch schon auf der Kiste gestanden, umringt von recht weinseiligen Pilgern, die eher laut als schön die leicht frivolen Verse mitzusingen versuchten.

‚Sieh mal einer an wer sich auch hier blicken lässt...‘ schoss es ihm durch den Kopf, als plötzlich ein bekanntes Gesicht in der Menge auftauchte. Melisandra! Sie schien ihn nicht erkannt zu haben, aber sie waren einander auch nur wenige Male begegnet. Jeder erinnerte sich an sie, aber sie sich wohl kaum an alle anderen. Rahja hatte es wahrlich gut mit ihr gemeint und sie genoss die Aufmerksamkeit, die man ihr entgegenbrachte, sichtlich. Doch so schön sie auch war, innerlich war sie vollkommen verrottet. Die aufkeimenden Gefühle flossen in seinen Gesang ein und so erklang die Strophe über das Erwachen der Schlafenden etwas rauer als er beabsichtigt hatte. Azila sah verwundert zu ihm herüber.

Doch Darian konnte den Blick nicht von Melisandra lassen und so drehte er sich auf der Kiste immer weiter, als sie sich durch die Zeltgasse entfernte. Er bemerkte, wie sie sich aus dem Strom von Besuchern löste und hinter einem Planwagen verschwand. Immer wieder warf er einen Blick in diese Richtung, während er das Lied zu einem würdigen Ende zu bringen versuchte – die Schlafende erwachte und jagte, Nachttopf in der Hand, den Wirt im Rahjasgewand bis zu seiner Gattin –, aber Melisandra blieb hinter dem Wagen verschwunden.

Kurz darauf stürzte er allerdings vor Staunen fast von der Kiste. Eine ältere Frau kam hinter dem Wagen hervor, und schlurfte unweit von ihm vorbei. An und für sich war alles an ihr gewöhnlich und er hätte ihr wohl auch kein weiteres Mal hingesehen, wenn nicht das silberne Funkeln der Schnalle an ihrer Tasche seinen Blick auf sie gelenkt hätte. Es war die gleiche Tasche, die er nur wenig zuvor bei Melisandra gesehen hatte! Er war sicher, dass dies die Puniner Schwester war, die nun in harmloser Gestalt über das Pilgerfeld spazierte. Aber warum? Diese Frage nagte an ihm und seine Neugier ließ ihn nicht los. Mit einem "Später mehr!", verbeugte er sich vor Azila und dem applaudierenden Volk und sprang er von der Kiste um der Alten zu folgen. Vielleicht war es ein Hirngespinst, aber das wollte er nun herausfinden.

Melisandra genoss es sichtlich, nun erneut über das Pilgerfeld spazieren zu können, ohne gleich die Aufmerksamkeit aller auf sich zu ziehen. Unbehelligt, unbeobachtet und wohltuend ignoriert flanierte sie auf ein rotes Zelt am waldwärtigen Rand der Pilgeransiedlung zu. Hier ging es etwas ruhiger zu und nur wenige Besucher passierten sie, während sie einen Moment inne hielt, um dann die Zeltplane beiseite zu schieben und einzutreten.

Sie hatte ihn wohl nicht bemerkt, wenngleich sie sich auch verstohlen umgesehen hatte, bevor sie in dem auffallend roten Zelt verschwunden war. Seine Vernunft mahnte ihn diesen Unfug sein zu lassen und sich lieber dem Fest hinzugeben, anstelle alten Bekannten nachzuschleichen, aber seine Neugier war einfach zu groß und so verhallten die Ermahnungen ungehört in seinem Geiste. Vorsichtig näherte er sich dem Zelt und lugte durch den Spalt am Eingang.

Im Halbdunkel konnte er niemanden erkennen. Einige schlichte Stühle standen auf dem Lehmboden, in einer Ecke stand eine beschlagene Holzkiste und auf einem niedrigen Tisch flackerte eine Öllampe. Ein einfaches Leinentuch trennte den hinteren, hell erleuchteten Teil des roten Zelts ab. Dahinter zeichneten sich die Silhouetten zweier Frauen ab, die einander gegenüberstanden. Die Frau, die er für Melisandra hielt, erkannte er wieder. Die andere Frau war schlank, aber für seinen Geschmack fehlte es ihr ein wenig an weiblichen Rundungen. Sie trug nichts am Leib außer einem bodenlangen Rock und einer kurzen Weste. Darian fiel ihre ungebändigte Lockenpracht auf. ‚Nanu? Nach einem freudigen Wiedersehen auf einem Rahjafest sieht das aber nicht aus...‘, dachte er sich. Sie standen einander lediglich gegenüber und unterhielten sich in gedämpftem Ton. Zu lange konnte er nicht mit dem Kopf im Zelt und dem Hinterteil draußen verweilen ohne Aufsehen zu erregen.

Kurz entschlossen schlich er sich in den Vorraum. ‚Vielleicht kann ich so etwas hören?‘ Aber auch hier konnte er nur einzelne Fetzen des Wortwechsels vernehmen. Melisandras Stimme meinte er zu erkennen, während die andere, rauchig und buhlerisch, ihn an jene Frauen erinnerte, deren Gesellschaft man sich bereits mit ein, zwei Silbermünzen erkaufen konnte. Was wollte Melisandra in der Gestalt bei einer billigen Dirne? Eine Frau von ihrem Reiz brauchte doch nur mit dem Finger zu schnippen, und die Männer kamen in Scharen herbeigehechelt.

Das Gespräch drehte sich jedoch nicht um Silber, sondern um Golddukaten. Mit einem Mal drehte sich die Frau mit den wilden Locken um, öffnete ein Kistchen und zählte vier schwere Beutel in die Hände der anderen Frau. Diese verstaute das Geld und holte eine kleine Phiole hervor, die sie in die Höhe hob. Sie sagte etwas über einen Skorpion, über Feuer und über Augen, und die andere Frau fragte etwas über den Tod, worauf ihr mit einem resolut Nicken geantwortet wurde.

Darians Neugier und gute Laune wichen, dafür kochte Zorn in ihm auf. Es bestand für ihn nun kein Zweifel mehr, wer diese Frau war. Immer hatte er schon gewusst, dass Melisandra ihren Puniner Reichtum durchaus aus unlauteren Geschäften gewann, doch nun war er sich gewiss, dass sie sich gar den übelsten aller Handel hingab. Was sie da verkaufte, war die Frucht finsterer Alchemie und das auch noch auf einem heiligen Fest der göttlichen Liebe und Leidenschaft! Er ballte die Fäuste und wollte schon hinein stürmen und seine Schwester zur Rede stellen.


Autor: vivar

Doch da tippte ihn jemand an die Schulter. Er drehte sich zum Zelteingang um. Vor ihm stand ein Jüngling von etwa zwanzig Götterläufen, mit feinen Gesichtszügen und dunklen Locken. Er war von Kopf bis Fuß in rotes Leder gekleidet und blickte Darian aus smaragdgrünen Katzenaugen spöttisch an. „Na, mein kleiner Spanner? Gefällt dir der Anblick? Es gibt da so ein Lied: ‚Achtlos entblößte Brüste...’ Wenn ich gewusst hätte, dass Kerle wie du gerne anderen kostenlos beim Vögeln zuzuschauen, hätte ich mich gleich vor dem Zelt postiert und Eintritt verlangt. Vier Heller pro Blick, wenn du ein Auge zukneifst, die Hälfte, hahaha. Oder wartest du, bis du an die Reihe kommst? Wenn du meine Mutter besteigen willst, solltest du dich aber eigentlich vorher bei mir melden, capito? So, und jetzt raus hier, du siehst ja, dass sie zu tun hat!“


Autor: damotil

Darian verzog missmutig das Gesicht. „Jaja... ist schon gut!“, erwiderte er dem rotgewandeten Burschen, der nur wenig jünger als er selbst war. „Bin schon weg...“ Den anderen ließ er nicht aus den Augen, während er sich langsam um ihn herumbewegte. Dann machte er ein paar Schritte rückwärts um das rote Zelt endgültig zu verlassen. Demonstrativ baute sich nun aber der Jüngling am Eingang auf um weiteren unwillkommenen Zuschauern den Zutritt zu verwehren.

Darian hatte alle Mühe seine Gefühle im Zaum zu halten. Zorn, Verachtung und Wut kochten in ihm und am liebsten hätte er das Freudenzelt direkt gestürmt und auf alle drei einen Regen von Pech und Schwefel heraufbeschworen. Alles was er tat, war jedoch die Fäuste zu ballen und einen finsteren Blick auf das rote Zelt zu werfen. Dann drehte er sich um und stürzte sich wieder in das lebhafte Treiben. Zielstrebig steuerte er einen Stand an, der billigen Wein feilbot.