Chronik.Ereignis1033 Feldzug Selaque 06
Im Raschtulswall, 28. Praios 1033 BF
Auf dem Djer Ragaz und am Fuße des Djer Kalkarif
28. Praios, morgens
Autor: SteveT
Schnaufend kämpfte sich Rifada die letzten Schritte bis zum Kraterrand des Djer Ragaz empor. Immer wieder versank sie bis zu den Waden in dampfenden Aschefeldern oder rutschte auf dem pechschwarzen und Gestein aus erkalteter Lava aus, das den Füßen schlechten Halt bot.
Sie hatte ihr Unterhemd zu Stoffstreifen zerissen und sich diese um die Hände gewickelt, um jeden Kontakt der Hände mit dem vielerorts noch heißen Gestein zu vermeiden. Der letzte Lavaauswurf des Vulkans konnte kaum länger als eine Woche zurückliegen, denn überall sah sie noch kleine Brände und Glutnester glimmen, wo das flüssige Magma erst langsam erkaltete. Das Atmen fiel ihr schwer, nicht nur, weil die Luft in dreitausend Schritt Höhe ohnehin dünn war, sondern weil überall ein infernalischer Gestank nach Rauch und Schwefel vorherrschte, der beim Einatmen in der Lunge brannte und einen widerlichen Rauchgeschmack in Mund und Rachen hinterließ.
Endlich stand sie nun am Kraterrand des Vulkans und starrte vorsichtig und fasziniert zugleich ins Innere des Berges hinab, wo etwa tausend Schritt unter ihr des Herrn Ingerimms lodernde Esse glomm und rotglühende Magmablasen aufwarf. so eindrucksvoll und repsekteinflößend der Anblick auch war - Rifada wußte, daß sie den Krater so schnell wie möglich umrunden musste, denn dieser Ort war nicht für Menschen geschaffen und womöglich erzürnte sie den alveranischen Schmied mit ihren Blicken in sein Schmiedefeuer. "Göttliche Leuin," betete sie, "mäßige Deinen feurigen Bruder!", denn wenn der Vulkan in den nächsten Stunden wieder Lava spuckte, dann gäbe es leinerlei Rettung für sie.
Während sie am kaum ein Dutzend Schritt breiten Rand des Kraters langsam und vorsichtig vorwärts schritt, dabei immer wieder einen Blick in die rotglühende Tiefe werfend, bemerkte sie, daß selbst dieser lebensfeindliche Ort doch nicht frei von Leben war. Riesige Raubvögel, so dachte sie zumindest erst, kreisten in den warmen Aufwinden über dem Vulkantrichter und ließen sich von der Thermik in die Höhe tragen. Erst bei genauerem Hinsehen erkannte Rifada, daß es sich gar nicht um Vögel, sondern um Harpyien handelte - jene widernatürlichen und geisteskranken Vogelfrauen, wie sie auch drunten im Bosquirtal hin und wieder am Himmel zu sehen waren. Während die Harpyien scheinbar keine Notiz von ihr nahmen, wuchsen rund um Rifada immer wieder kleine Elementargeister des Feuers buchstäblich aus dem qualmenden Ascheboden, die sie mit lauten Knistergeräuschen oder plötzlich hochauflodernden Stichflammen zu erschrecken versuchten. Rifada umfasste das Praiosaugen-Amulett ihrer Urahnin Praiana der Gleißenden mit einer Hand und stach mit der anderen immer wieder mit dem Falcata in Richtung der Flammengeister: "Verschwindet, ihr Feuergnome! Mich erschreckt ihr nicht! Eine Rifada da Vanya schert sich nicht um solchen Hokuspokus!" brüllte sie den Flammlingen entgegen, ohne daß ihre Stimme in ihren eigenen Ohren wirklich überzeugend klang.
Ohne sich von den Drohgebärden der kleinen Glutgeister vertreiben zu lassen, erreichte sie schließlich die gegenüberliegende Seite des Kraters, wo die fünf Gipfel des benachbarten Djer Kalkarif in ihrer ganzen majestätischen Schönheit vor ihr lagen. Allein, obwohl die Gipfel, die sie erreichen wollte, um dort das Signalfeuer für die Amazonen zu entfachen, in der Luftlinie nur etwa anderthalb Meilen von ihr entfernt lagen, bedeutete dies doch, daß sie erst wieder vom Djer Ragaz absteigen, ein zwischen den beiden Bergen liegendes Felsenmeer überwinden und dann an der Westflanke des Djer Kalkarifs wieder aufsteigen musste, die von hier aus alles andere als gut besteigbar aussah...
Als die Vanyadalerin drei Stunden später wieder fast am Fuße des Vulkans angekommen war, sah sie keine fünfzig Schritt entfernt vor sich einen etwa drei Schritt hohen Felskamin, auf dessen Spitze eine Art Storchennest thronte. Es gab aber ihres Wissens hier im Gebirge - anders als drunten in der Elentinischen Ebene oder im Valencagrund - keine Störche und so mußte das Nest von einer anderen Tierart errichtet worden sein, zumal darin - Rifada blinzelte verdutzt - ja, kein Zweifel, ein menschliches Kind saß, das bitterlich weinte. Rifada glaubte zunächst an ein Trugbild, wie sie es als junge Frau schon einmal im Amhallassih am äußersten Rande der Khomwüste gesehen hatte - aber hier?
Sie ging näher heran, konnte daß das Knäblein sein, wegen dem sie überhaupt hier wie die Gemsen durch das Gebirge kraxelten und wegen dem sie überhaupt in diese ganze Malaise hineingeraten waren? Als sie den Felskamin schon fast erreicht hatte, sah sie aus den Augenwinkeln gerade noch rechtzeitig, daß sich von Nordosten her ein großer Schatten von oben herab näherte. Sie tauchte hinter einen Felsbrocken ab und spähte dann vorsichtig über dessen Rand. Ihr Gefahreninstinkt hatte sie nicht getäuscht - oben in dem "Storchennest" war eine der Harpyien gelandet, wie sie sie über dem Vulkantrichter gesehen hatte. Sie hielt einen noch zappelnden Riesenlöffler im Schnabel und wollte diesen offenbar - so irrsinnig das auch war - an das menschliche Kind in ihrem Nest verfüttern, bei dem es sich um einen blassen Knaben mit langem schwarzen Haar handelte, der vielleicht acht oder neun Jahre alt sein mochte.
"Frissszzzz!" zischte die Harpyie ihm zu. "Diiiiiiick und ruuuuund musssszt du werden!" Der Junge weinte lauter und wehrte sich mit Händen und Füßen gegen seine unfreiwillige Füttrung: "Laßt mich! Bleibt weg! Ich habe Angst! Ich will zu meiner Mama!" brüllte er panisch und schlug angewidert das blutende Karnickel zur Seite, das ihm die Harpyie in den Mund zu stopfen versuchte.
"Du sollllszt fresssssen!" widerholte die Harpyie schon ärgerlicher und hackte nach ihm - offenbar war sie es von den Jungen ihrer eigenen Art nicht gewöhnt, daß sie Lebendfutter ablehnten.
"Du hörst doch - er hat keinen Hunger!" knurrte Rifada, die das Falcata gezogen und sich in gebückter Haltung von hintendem Felskamin genähert hatte. "
Die Harpyie zuckte erschrocken zusammen und ihr Kopf ruckte mit einer widernatürlichen Halsverrenkung nach hinten. Sie spreizte die Flügel und wollte auffliegen, aber Rifada sprang in die Luft so hoch sie konnte und schwang das Schwert dabei zu einem beidhändigen Wuchtschlag hoch über den Kopf. Eine Federwolke ging auf sie hernieder und fremdes Blut spritzte ihr ins Gesicht, als das Falcata der startenden Harpyie den halben linken Flügel bis auf die Knochen abtrennte. Die Harpyie stürzte unbeholfen und wie ein Stein aus dem Nest, ihr Schmerzensschrei war so entsetzlich schrill und durchdringend, daß Rifada befürchtete, ihr Gehör würde davon platzen. Die verwundete Vogelfrau versuchte, sie mit den Krallen voran anzuspringen, aber Rifada war nur darauf fixiert, diesen entsetzlichen Ton zu beenden. "Halt's Maul!" brüllte sie zurück und schlug ein zweites Mal beidhändig zu. Dieses Mal erwischte das Falcata die Harpyie sauber am Hals und fetzte ihr das ekelhafte Fratzenhaupt von den Schultern. Die sofort einsetzende Stille war nach dem nur wenige Wimpernschläge dauernden, aber durch und durch gehenden Schrei der Vogelfrau die wohltuenste Stille, die Rifada jemals erlebt hatte. Sie kickte das abgetrennte Haupt der Harpyie ein paar Schritt weit fort und rief dann dem Jungen im Nest zu: "Komm da runter! Ich fang dich auf!"
"Ich...ich kann nicht! Ich will zu meiner Mama!" weinte dieser.
"Jammer nicht! Wir müssen weg hier! Da oben gibt es noch viel mehr von diesen Biestern!" schnauzte Rifada zurück. "Also spring hier runter! Ich fang dich auf!"
"Ich will zu meiner Mama!" wiederholte der Junge. "Mein Bein tut weh! Es blutet!"
"Ach, das ist nichts! Nur ein Kratzer!" wank Rifada ab, ohne die Wunde gesehen zu haben. Genauso hatte sie es bei ihren Kindern auf immer gehalten, wenn Moritatio oder Gujadanya blutig vom Spiel zurückgekommen waren. Wenn man sie noch bemitleidete, dann jammerten sie nur noch mehr. Da der Knabe sich aber nach wie vor nicht rührte, kletterte Rifada ärgerlich brummend zu ihm und dem Harpiennest hinauf. Das rechte Hosenbein der wohl ehemals recht edlen dunkelblauen Kniebundhose des Jungen war tatsächlich blutgetränkt. Vermutlich durch Bisse oder die Klauenfüße der Harpyien verursacht. "Nur eine kleine Fleischwunde!" wank Rifada beschwichtigend ab und streckte dem Jungen auffordernd beide Hände entgegen, der sie mißtrauisch ansah. "Ich heiße Rifada" stellte sie sich mit gequältem Lächeln vor. "Und ich vermute mal, daß Du Praiodor bist. Deine Base Richeza und ich suchen Dich schon eine Weile, weißt Du?"
Die Erwähnung des vertrauten Namens ließ den Knaben etwas vertrauensvoller werden und er streckte nun der Junkerin seinerseits seine Händchen entgegen, die ihn zu sich heranzog und hochhob. "Ich will zu meiner Mama!" wiederholte er seine Litanei. "Die Vogelfrauen sind mit ihr durch die Luft geflogen...."
"Ja, ja, Deine Mama suchen wir jetzt auch!" log Rifada und legte sich den Jungen vorsichtig über die Schulter, dem das Ganze nicht sonderlich geheuer war. Sie hatte den Jungen gefunden, der Richeza so lieb und teuer war und wie sie es versprochen hatte. Jetzt mussten sie nur noch ihre Nichte wiederfinden. Ob diese Fenia von Culming wieder heil aus dem Gebirge herauskam oder was die Harpyien mit ihr gemacht hatten, war nicht ihre Sache - nach der sollten die Südpforter selbst suchen, wenn ihnen etwas an ihr lag! Schweratmend stieg Rifada mit dem Jungen über der Schulter den Felskamin herab und machte sie dann so schnell die Füße trugen talwärts in Richtung des Felsenmeeres davon, welches die beiden Berggiganten voneinander trennte.
"Bringst Du mich zu Richeza?" wollte der Junge nun wissen, dessen Kinn bei jedem Schritt gegen ihren Rücken klopfte.
"Ja, ja, die suchen wir!" versicherte ihm Rifada. "Aber erst muß die Tante noch auf den Berg da rauf!" Sie drehte sich kurz einmal um die eigene Achse, so daß Praiodor auch den Djer Kalkarif sehen konnte. Ein leiser Laut des ungläubigen Entsetzens war alles, was der Junge dazu zu sagen hatte.
Autor: SteveT
28. Praios, früher Vormittag
Im Felsenmeer zwischen Djer Ragaz und Djer Kalkarif
„Du wirst langsam schwer, Kleiner! Kannst du wirklich nicht auf Deinen eigenen Füßen stehen und gehen?“, frug Rifada da Vanya etwas außer Atem an den kleinen Praiodor von Culming gewandt, der wie ein Sack Weizen über ihrer rechten Schulter hing, so daß sein Kinn ihr bei jedem Schritt gegen den Rücken schlug. Der Knabe war zwar so dünn und ausgemergelt wie ein halbverhungerter Straßenkater und unter normalen Umständen wäre es für eine muskelbepackte Frau wie Rifada kein Problem gewesen, ihn auch über eine längere Strecke zu tragen. Aber das hier war das Hochgebirge, wo es ständig steile Anstiege hinaufzuklettern galt – und da machten sich 30 Stein mehr oder weniger am Körper sehr deutlich bemerkbar. Sie brauchte all ihre Kraft, wenn sie auf eine Patrouille der Blutsäufer stieß, wofür die Chancen in dieser Gegend hier alles andere als schlecht standen.
Sie hatten endlich den Fuß des Djer Kalkarifs erreicht und sie ließ Praiodor für ein en Moment zu Boden gleiten, um durchzuschnaufen und einen Blick nach oben zu werfen. Die fünf Gipfel des Berges waren nun von hier unten aus freilich nicht mehr zu erkennen. Sie lagen oberhalb der Wolken, die nun wieder aufgezogen waren. Sie konnte den Jungen hier unten lassen und alleine auf den Berg steigen, um das Feuer zu entzünden. Aber dies machte erst nach Einbruch der Dunkelheit Sinn, ansonsten würde man es von der Keshal Rondra aus nicht erkennen können und für den Knaben war es zudem zu gefährlich, da es hier unten weitaus mehr Raubtiere gab, wie in höheren Regionen.
Plötzlich fiel ihr eine große Höhle an der Ostseite des Berges wieder ein, in der die Wilden ihren großen Schamanen Kanishkar bestattet hatten. Ghazal iban Muyanshir oder Khenubaal Pascha hatten diese Höhle zu besonderen Tagen wie der Sommersonnenwende oder bei Madaverfinsterungen aufgesucht, um angeblich Ratschluß mit dem Toten zu halten. Sie hatte sie selbst darüber sprechen gehört, als die Wilden noch nicht wußten, dass sie viel von ihrer Grunzsprache erlernt hatte. Die Höhle wäre eventuell ein guter Ort, um den Jungen dort bis zum Ende der Nacht zu deponieren, da sie von allen niederen Ferkinas abergläubisch gemieden wurde.
„Ich will zu meiner Mutter!“ riss sie Praiodor greinend aus ihren Überlegungen und rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht sein von den Harpyien malträtiertes Bein.
„Hör auf daran rumzuspielen!“ tadelte ihn Rifada streng. „Damit machst du es nur schlimmer! Wenn es die Götter gut mit Deiner Mutter meinen, dann gerät sie mir besser niemals vor die Augen! Der werde ich einen einschenken, daß sie am hellichten Tag die Sterne sieht – mit einem kranken Kind in den Raschtulswall zu ziehen! Nur Leid und Verderben hat sie damit über uns und viele andere unschuldige Menschen gebracht!“
„Meine Mutter ist eine gute Frau! Sie bringt mich zu einem Heiler, damit ich wieder ganz gesund werde!“ verteidigte sie der Edelknabe.
„Ach was, gesund!“ wank Rifada unwirsch ab. „Du bist nur zu schwächlich und zu verzärtelt! Dir fehlen nur ein paar Jährchen die richtige Zucht und Erziehung und schon wird ein Kerl wie ein Baum aus Dir! Aber keine Angst, wenn wir wieder zurück sind, werde ich das persönlich in die Wege leiten!“
„Ich will aber gar nicht so wie ein Baum werden!“ schüttelte Praiodor bei dieser Vorstellung verängstigt den Kopf. „Mama sagt, ich bin der rechtmäßige Baron von Schelak und ich werde einmal ...!“
„Still!“ war Rifada plötzlich vor ihm in die Hocke gegangen und hielt ihm den Mund zu. Beide pressten sich mit dem Rücken an einen Felsen, der sie vor Blicken aus dem talwärtigen Felsenmeer abschimrte, wo just in diesem Moment acht oder neun Ferkinas schnellen Schrittes durch das Felsenmeer schritten. Rifada wartete einige Augenblicke, bis sie über den Rand des Felsens zu ihnen hinüber zu spähen wagte.
Der Vorderste war, wenn sie seine schwarzgefärbte Turach und seine Körperbemalung nicht täuschten, der aktuelle Shâr der Bâni Khadr persönlich – Khenubaal Paschas Sohn. Die beiden Krieger, die ihm nachfolgten waren Sayadim Zhul, wie ihre kahlgeschorenen Schädel verrieten. Der eine trug gar eine Art primitive Rüstung aus Drachenschuppen , der andere einen ehemals bronzefarbenen Küraß, den er zweifellos einem der getöteten Ritter des Roßbannerordens gestohlen hatte. Die restlichen waren jüngere Krieger, größtenteils mit Speeren und Stachelkeulen bewaffnet. Zwei aber trugen auch mittelländische Reitersäbel, die wahrscheinlich ebenfalls dem Arsenal des Roßbannerordens entstammten.
„Wir müssen weg hier – ich hoffe, sie suchen nicht nach uns!“ zischte Rifada dem Jungen zu und bedeutete ihm, ebenso wie sie selbst flach über den Boden zu robben, jede Deckung ausnutzend. Erst als die Ferkinas aus dem Blickfeld verschwunden waren, richtete Rifada sich wieder auf und hob den Jungen hoch, um ihn sich wieder über die Schulter zu legen, diesmal über die Linke. „Wir sind jetzt fast an der Ostflanke des Berges! Dort steigen wir hoch und ich bringe Dich dort in eine Höhle, wo Du Dich ausruhen kannst, während die Tante noch etwas zu erledigen hat. Morgen früh steigen wir dann wieder herunter und verlassen diese Berge. Dann lernst Du die fette häßliche Tante Praiosmin kennen, mit der ich noch etwas zu besprechen habe.“
„Ich will die fette Tante aber gar nicht kennenlernen – ich will heim zu meiner Mama und zu Richeza!“ jammerte Praiodor auf ihrem Rücken, für den alles, was ihm diese mitleidlose strenge Frau in Aussicht stellte, nicht sonderlich verheißungsvoll klang ...
- Die Geschichte um Domna Rifada und Domnito Praiodor wird hier fortgesetzt: Schauplatz: Ferkinalager, Teil 12.
|