Chronik.Ereignis1032 Nach dem Reichskongress (Kornhammer) 01

Königlich Kornhammer, Mitte Rahja 1032 BFBearbeiten

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Autor: Benutzer:Von Scheffelstein

„Ich werde alles Nötige veranlassen“, schnaufte Dom Federigo und wischte sich mit einem Taschentuch die Stirne ab. „Es soll so sein, wie du es wünscht. Ja, ich glaube, dass wir eine gute Wahl getroffen haben. Lerondo wird bei den Ragathern gut aufgehoben sein. Seine Eltern waren dort, er wird einen guten Stand haben. Und er kann sich durchsetzen. Und Alonzo – meinst du nicht, dass es noch etwas früh ist? Er hat den Tod seiner Eltern nicht gut verwunden.“

„Er wird bei den Boroni in guten Händen sein“, erwiderte der Vogt.

„Ja, da hast du natürlich recht. Gewiss. Ach, es ist alles nicht so einfach. Schwere Zeiten. Ich bin nur froh ...“

Dom Hesindian hörte seinem Bruder kaum zu. Sein Blick wanderte zwischen den beiden Knaben hin und her, Piedros Söhnen, seinen Großneffen. Lerondo unterhielt sich mit Capitana Sandolorez über Pferde. Begeistert erzählte er ihr von den Ausritten, die er als Kind mit seinem Vater gemacht hatte – als Kind, sagte er, dabei war er noch nicht einmal 12 Sommer alt. Er würde auch bald bei den Ragathern sein und ebenso ein begnadeter Reiter werden wie sein Vater, sagte er. Die Capitana lächelte nachsichtig. Es würde keine leichte Schule werden in Ragath, die Schlachtreiter nahmen ihre Zöglinge hart ran. Aber, ja, Lerondo würde sich durchsetzen.

Alonzo. Der jüngere der Brüder hockte vor dem Eingang des Efferdturms und betrachtete einen Regenwurm, der sich in einer Pfütze schlängelte. Den Kopf auf die Knie gelegt, streckte er einen Finger aus und strich dem sich krümmenden Wurm über die Glieder. Er war der Klügere der beiden, keine Frage. Aber er war scheu und still. In der Politik wäre er verloren.

Eslam, der Stallknecht trat heran. „Euer Hochgeboren, Wohlgeboren: Die Kutsche ist bereit.“

„Ihr Jungen, kommt!“, rief Dom Federigo.

Alonzo stand sofort auf und trat mit gesenkten Schultern zu den beiden alten Männern. Lerondo erzählte weiter, bis die Capitana ihn darauf aufmerksam machte, dass er gerufen worden war. Gemeinsam mit der Soldatin kam er herüber geschlendert. Den Gehorsam würde man ihn schon lehren in Ragath. Aber er hatte Selbstvertrauen, das war gut.

„Bruder, hab Dank für deine Hilfe und Gastfreundschaft.“ Der dicke Stadtkämmerer Ragaths drückte den Vogt an seine Brust.

„Es ist auch dein Zuhause, Federigo.“ Hesindian nahm das Gesicht des Bruders in beide Hände und küsste ihn auf die Wangen, dann gab er Lerondo die Hand. „Mögen die Götter mit dir sein, mein Junge.“

„Danke, Oheim. Euer Hochgeboren.“ Der Junge grinste. „Darf ich wiederkommen? Die Capitana hat gesagt, es gibt Ferkinas in den Bergen. Ich würde so gerne einmal echte Ferkinas sehen. Sie sollen gefährlich sein, aber wenn ich erst einmal bei den Ragathern bin, dann werde ich es leicht mit ihnen aufnehmen.“

„Gewiss wirst du wiederkommen, Lerondo.“ Der Vogt hielt die Hand des Jungen noch immer umschlossen und blickte ihm fest in die Augen. „Denke daran: Ein Ragather kämpft nicht zum Vergnügen. Er kämpft, um das Reich zu verteidigen. Er steht im Dienste des Kaisers.“

„Ja, Hochgeboren.“ Der Junge wollte ihm die Hand entziehen, aber Hesindian hielt sie fest.

„Und, Lerondo: Vergiss nie, wofür deine Eltern gekämpft haben und wofür sie gestorben sind. Dafür, dass ihr lebt, du und dein Bruder. Was auch immer geschieht: Erinnere dich deines Blutes!“

Lerondo nickte, für einen Augenblick schien er verwirrt, vielleicht nachdenklich. Doch dann rannte er schon zur Kutsche und schwang sich neben der Kutscherin auf den Bock. Alonzo stand noch immer neben dem Vogt und beobachtete eine Schnecke, die über das Pflaster kroch.

„Eine Weinbergschnecke“, sagte Hesindian. Er bückte sich und hob das Tier am Gehäuse auf. „Siehst du ihr Haus? Dies ist eine besondere Schnecke. Bei den Weinbergschnecken windet sich der Gang von der Spitze nach rechts. Hier aber windet er sich nach links. Dies ist ein seltenes Tier. Ein Schneckenkönig.“ Er hielt dem Knaben das Tier entgegen. Alonzo nahm es behutsam in beide Hände.

„Ich habe vom Kaiser geträumt“, sagte der Junge plötzlich.

„Vom Kaiser? Bist du ihm schon einmal begegnet?“

Alonzo schüttelte den Kopf.

Hesindian stützte sich auf seinen Stock und richtete sich ächzend wieder auf. „Dein Großvater wartet“, sagte er.

Alonzo sah ihn an, als wollte er noch etwas sagen, doch da rief Federigo nach ihm, und der Junge folgte dem Ruf. Nach zwei Schritten aber drehte er sich um, die Schnecke noch immer in beiden Händen. „Auf Wiedersehen“, sagte er. Der Vogt lächelte.


Noch als die Kutsche schon längst das untere Tor passiert haben musste, stand Dom Hesindian auf dem Hof der Burg und blickte in den wolkenverhangenen Himmel. Für einen Moment war es ganz still. Scheffelstein stirbt, dachte der Vogt bekümmert. Das Personal wurde immer älter, und er selbst ging auf die Achtzig zu. Sein Körper verweigerte ihm immer öfter den Dienst. Da nützten alle Leibesübungen nur wenig. Die Zeit lief ihm davon. Hatte er sich richtig entschieden, Lerondo zu seinem Erben zu erwählen? Aber was sollte er sonst tun? Marcello hatte keine Kinder, von denen er wusste. Ilmica war lange tot. Und Rahjana, die ihm Enkel und Urenkel geschenkt hatte, hatte ihm noch immer nicht verziehen. Keines ihrer Kinder trug noch seinen Namen. Nur Shahane, die sich mit ihm schmückte wie mit ihren Liebhabern. Und ausgerechnet Shahane war die einzige, die keine Kinder hatte. Den Vogt fröstelte. Er zog die Schultern hoch und schritt auf das Haupthaus zu, stieg die Wendeltreppe zur Halle hinauf und blieb vor dem Gemälde seiner verstorbenen Frau stehen.

Richeza. Und seine geschätzte Enkelin? Sein Herz krampfte sich zusammen bei dem Gedanken an sie, die er wie eine Tochter liebte. Seine Liebe hatte ihn lange genug seine Pflichten vergessen lassen. Sie hatte ihn blind gemacht. Er durfte sich nicht länger der Hoffnung hingeben, dass sie ihm jemals einen Erben schenkte. Sie machte nicht einmal Anstalten, sich endlich um ihr Landgut zu kümmern, geschweige denn für irgendetwas oder irgendjemanden als sich selbst Verantwortung zu übernehmen. – Aber halt: Tat er ihr nicht Umrecht? Sorgte sie nicht seit Jahren für Ramiros Sohn, als sei es ihr eigener? Mehr als es Praiodors eigene Mutter tat, die der Schwermut verfallen war. Vielleicht war er zu ungeduldig. Aber er konnte doch nicht einen kranken Knaben zu seinem Erben machen, dessen eigene Baronie ihm entrissen zu werden drohte! Wieso konnte Richeza nicht für einen anderen Mann so empfinden, wie sie offenbar für ihren Onkel empfunden hatte? Wieso konnte sie nicht für einen eigenen Sohn sorgen, statt sich um den eines Toten zu kümmern?

Nein, das war vorbei! Dom Hesindian schüttelte die düsteren Gedanken ab und warf seiner Frau ein trauriges Lächeln zu. Lerondo würde alles erben. So hatte er es beschlossen.

„Verzeihung, Herr!“

Dom Hesindian zuckte zusammen.

„Oh, entschuldigt!“

Er hatte Caneya nicht kommen hören.

„Ich wollte Euch nicht erschrecken. Der Junker zu Aracena ist eingetroffen und bittet Euch höflichst, Euch seine Aufwartung machen zu lassen. Darf ich ihn in den kleinen Salon führen, bis Ihr soweit seid?“

„Nein lass nur. Führe ihn gleich herauf.“



Chronik:1032
Nach dem Reichskongress (Kornhammer)
Teil 01