Chronik.Ereignis1027 Tulamidische Reise 01
Capitale Punin, 12. Phex 1027 BFBearbeiten
Im Palacio Vivar (morgens)Bearbeiten
Autor: León de Vivar
„Kaum vier Tage bist du hier und schon musst du wieder fort!“ Delilah Dhachmani de Vivar rauschte wütend in den Stall. Ihr Bruder hatte sich sehr verändert, seit er Soberan war. Für Scherze und Spiele schien er keine Zeit mehr zu haben, stets war er unterwegs und selten gönnte er sich Ruhe. ‚Wird er doch langsam erwachsen?’, dachte sie bisweilen spöttisch. Aber gehörte dazu auch, die eigene Schwester in Unwissenheit zu lassen?
Dom León sah seine schöne Schwester an und lächelte. „Wie hinreißend du aussiehst, wenn du die Lippen so wölbst…“
„Das kannst du zu deinen Verehrerinnen sagen, León – aber bei mir zieht so etwas nicht. Ich will wissen, was du vorhast.“ Sie war Vivar genug, um sich nicht durch Schmeichelworte von ihrem Ziel abbringen zu lassen.
Er seufzte, setzte sich auf einen Heuballen und bot ihr einen Platz neben sich an. „Vater hat im Winter einen Brief an Onkel Ruban geschickt“, fing er dann an, „weil er in Omlad ein Zwischenhandelskontor eröffnen möchte. Nun hat jener aus Khunchom eine seiner Schwestern geschickt und ich soll ihr bei der Einrichtung des Kontors helfen.“
„Du?“, lachte Domnita Delilah, „du hast doch gar keine Ahnung von Innenarchitektur!“
„Es geht ja auch vielmehr um einen günstigen Ort, die Vermittlung einer ersten Audienz beim Kronvogt und die Kontaktaufnahme mit den Ortsansässigen.“
„Worin du ja um Längen bewanderter bist“, spottete sie.
Unberührt fuhr er fort: „Dann wird es weiter zu den Beni Ankhara gehen, um mit ihrem Sultan ein Abkommen zu treffen.“
„Ein Abkommen mit dem Sultan? Mit welchem Ziel?“
„Wie du vielleicht weißt, meine Liebe, führt die Omlader Karawanenroute durch das Gebiet dieses Stammes.“
„Ja, das weiß ich. Aber seit wann interessierst du dich dafür, León?“
„Ich habe Vater zugehört…“
„Brav.“
„…und weil Amando doch keine Erfahrung im Umgang mit den Wüstensöhnen hat und ich sowieso nach Fasar reise-“
„Du reist nach Fasar?“, fragte sie verwundert und ein wenig verärgert, dass er ihr das erst am Abreisetag erzählte.
„So ist es.“ Dom León schwieg plötzlich.
„Was ist? Was machst du dort? Los, los! Welche Schöne willst du dort wieder sehen?“
Er blickte sie an und schüttelte den Kopf. „Es gibt niemanden, den ich dort wieder treffen wollte. Doch ich muss jemanden töten.“
„Töten? Wen musst du – Es sind Baldaccio und der Halbelf, nicht wahr?“ Mit einem Mal stand sie auf. Wortlos ging sie zu ihrem Pferd hinüber und begann, es zu satteln.
Ihr Bruder schlug sich die Hand vor die Stirn. Genau das hatte er verhindern wollen. Sie hatte schon einmal mit dieser vorgewölbten Unterlippe gesagt, persönlich Rache nehmen zu wollen – wer konnte es ihr verwehren, nach dem, was sie erlitten hatte? Vor allem – wer konnte sich gegen ihren Dickschädel durchsetzen? Etwa er, der ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen versuchte?
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