Chronik.Ereignis1036 Besuch im Vanyadâl 39

Version vom 2. November 2016, 13:27 Uhr von Von Scheffelstein (Diskussion | Beiträge) (Die Seite wurde neu angelegt: „==Baronie Schrotenstein, 29. Tsa 1036 BF== ===Auf Burg Schrotenstein=== '''Autor:''' von Scheffelstein [[Richeza von Scheffel…“)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Baronie Schrotenstein, 29. Tsa 1036 BFBearbeiten

Auf Burg SchrotensteinBearbeiten

Autor: von Scheffelstein

Richeza von Scheffelstein y da Vanya nestelte die Bänder in ihrem Nacken auf, ließ das Kleid von ihren Schultern gleiten, öffnete das Mieder. Nackt stand sie vor dem Spiegel, betrachtete ihren sich bereits leicht wölbenden Leib. Wenn sie die Augen schloss, meinte sie, die Hände ihres noch immer geliebten und nun auf ewig unerreichbaren Grafen auf ihrer fröstelnden Haut zu spüren. Seine Küsse in ihrem Nacken. Seinen Atem in ihrem Haar. 'Gendahar', flüsterte sie, öffnete die Augen wieder. Dank der täglichen Leibesübungen war ihr Körper immer noch jung und fest. Um ihre Augen aber hatte Golgari bereits seine Krallenspuren hinterlassen, und der Kummer hatte ihr in die Wangen zuletzt tiefe Falten gezeichnet.

Das Schlafgemach war dunkel, bis auf die Nachtkerze auf dem Tisch neben dem Spiegel. Das Bett, ein dunkler Vierpfoster mit angestaubten Samtvorhängen, lag im Schatten. Am Fußende lag, sorgsam gefaltet, ihr Nachthemd.

Dies also war ihre Hochzeitsnacht. Wie dumm sie mit fünfzehn gewesen war, von Tanz und Gesang zu träumen, wie dumm noch vor wenigen Monden, auf staunende Gäste am Grafenhof zu hoffen. Gäste hatte es nicht gegeben. Man hatte die Zeremonie im kleinsten Familienkreis abgehalten. Gefeiert konnte man es wohl kaum nennen. Drei Greise und ein alterndes Brautpaar. Die Greise, Amando Laconda, Belisetha und ihr Großvater Hesindian hatten über die Zukunft gesprochen. Lucrann und sie hatten geschwiegen. Über die Vergangenheit nachgesonnen. Sie zumindest.

Nur wenige Zeugen hatten der Zeremonie beigewohnt. Ein paar Verwandte, Lucranns Vertrauter, Wolpert Dragentodt, die Dienerschaft. Amando Laconda hatte selbst den Segen gesprochen. Eine Hochzeit im Angesicht Praios'. Des Gottes, den Richeza ihr Leben lang am meisten gefürchtet hatte, bei jeder Lüge mehr. Aber war ihre Seele nicht ohnehin verloren? Auch die strenge Traviageweihte, die das Band der Ehe um ihr und Lucranns Handgelenk gebunden hatte, hatte von Pflichten gesprochen, von Verantwortung, von Kinderreichtum. Anders als Amando ahnte sie nicht, dass diese Ehe mit einer Lüge beginnen würde, mit einem unehelich gezeugten Bastard. Was missfiele Travia mehr?

Was, wenn das Kind Gendahar wie aus dem Gesicht geschnitten ähnelte? Was, wenn das Kind krank wäre oder missgestaltet? Richeza legte die Hand auf ihren Bauch, spürte die zarten Bewegungen des ungeborenen Lebens. Wie konnte sie ihm eine gute Mutter sein? Sie, von allen Menschen, die als Mutter schon einmal so kläglich versagt hatte?

Sie dachte an ihre Tante, Rifada da Vanya, die binnen weniger Jahre beide Kinder verloren und sich in den Tod gestürzt hatte, ehe Richeza ihr, vielleicht irgendwann, auch ihr zweites Geheimnis gebeichtet hätte. Nun würde sie es wohl selbst mit in ihr eigenes Grab nehmen.

Sie dachte an all die Männer in ihrem Leben, von denen niemand ahnte, dass es sie gegeben hatte. Nur einer unter ihnen, der sie wirklich geliebt hatte, sie vielleicht noch liebte, den sie wiederliebte und doch nicht geheiratet hatte. Sie war nicht bereit gewesen war, ihre Freiheit aufzugeben, ihr Leben zu ändern, Almada zu verlassen. Nein, der wahre Grund war: Sie hatte Angst gehabt, sich auf ihn einzulassen, Angst, das flüchtige Glück werde zerbrechen, Angst, er könne sie ebenso verletzen wie ... Und dann Gendahar. Warum? Sie hatte wahrlich kein Gespür für Männer, traf stets die falsche Wahl! Und diesmal?

Die Tür ging auf, Lucrann trat herein, in Stiefeln und Nachtgewand. Er trug einen langen Gegenstand bei sich. Als sie sich umdrehte, sah sie, wie er einen Bidenhänder aus einer abgewetzten Schwertscheide zog.

Erschrocken schrie sie auf, taumelte zurück, stieß gegen den Bettpfosten. In einem lächerlichen Versuch, sich zu schützen, zog sie das Nachthemd vor ihren Leib. "Was habt Ihr vor?", schrie sie. "Was tut Ihr?"

"Zieht Euch an und legt Euch hin!" Er schwankte leicht, als hätte er getrunken. Zum Glück war die Klinge zu lang, er würde mit ihr nicht ausholen können. Als er näher kam, wich sie zur Wand zurück. Er schlug die Decke zurück und legte das Schwert, Griff voran, in die Mitte des Bettes. Richeza starrte ihn an, aber er setzte sich auf die Bettkante, zog die Stiefel aus, ihr den Rücken zukehrend.

"Ich ... verstehe nicht ...", flüsterte sie. "Ist es ... wegen dem Kind?"

Er wuchtete sich ins Bett, das unter seinem Gewicht bedenklich knarzte, zog sich die Decke über die Schultern. "Das bleibt da liegen, solange wir dieses Bett teilen. Und jetzt schlaft!"

Richeza stand, das Nachthemd in beiden Händen, unschlüssig da. Er regte sich nicht. Sein Atem ging gepresst, als habe er Schmerzen. Er hatte sie nicht in die Kammer getragen, nur aus dem Saal. Vor der Treppe hatte er sie abgesetzt, sie geheißen, sie solle vorgehen.

"Geht es Euch nicht gut?", fragte sie leise.

"Schlaft jetzt!", brummte er. Seine Stimme klang benebelt, Wein oder Brand aber roch sie nicht.

Richeza ließ sich gegen die Wand sinken. Verwirrt. Erleichtert. Verunsichert. Als sein Atem erst ruhiger wurde und dann lauter und schließlich ein dröhnendes Schnarchen den Raum füllte, streifte sie sich das Nachthemd über und legte sich an den Rand des Bettes. Viel Platz war ohnehin nicht, er nahm den meisten Raum ein, das Schwert den übrigen. Sie zog ein wenig der Decke zu sich heran. Sein massiger Körper strahlte Wärme ab. Die Parierstange und Klinge der Waffe an ihrem Arm waren kalt.

Noch lange, nachdem das Nachtlicht erloschen war, starrte Richeza in die Dunkelheit.