Chronik.Ereignis1036 Besuch im Vanyadâl 21

Mark Ragathsquell, 5. Tsa 1036 BF

Castillo Ragathsquell, in der Nacht vom 4. auf den 5. Tsa

Autor: von Scheffelstein

Bedauernd blickte Talfan von Ragathsquell auf das kümmerliche Tröpfeln, das er mehr auf seinen Händen spürte als dass er es tatsächlich sah, denn sein in den letzten Jahren beträchtlich gewachsener Bauch verwehrte ihm den Blick auf sein bestes Stück, mit dem er seine teure Gattin bereits sechsmal zur Mutter gemacht hatte.

Seufzend schüttelte er die letzten Tropfen ab, zog die Bruche hoch und das Nachtgewand herunter und tauchte die Hände in den Eimer mit eisigem Wasser, ehe er den Silberteller mit dem letzten Pastetchen aufnahm, das keinesfalls durch einen bitter-sauren Geschmack an seinen Händen verfälscht werden sollte.

'Nein', dachte er bei sich, während er die Pastete genüsslich auf der Zunge zergehen ließ. 'Zu süß, zu schwer für einen letzten oder vorletzten Gang.'

Talfan hatte es sich in den Kopf gesetzt, zum Kaiserlichen Hoftag in Ragath im Phex-Mond einen seiner Leibköche mitzunehmen, um diesen einen exquisiten Gang in der langen Speisenfolge zubereiten zu lassen, und er war sich sicher, dass eine Nachspeise am besten geeignet wäre, die Aufmerksamkeit des Hofes und nicht zuletzt der Kaiserin selbst zu erregen. Talfans Köche galten als die besten des Landes, und seit Monden korrespondierte er mit dem Grafen und seiner Gemahlin, um diese davon zu überzeugen, dass nur ein Koch, der den Ansprüchen eines Talfan von Ragathsquell gerecht wurde, würdig sei, Speisen für die Kaiserin zu kreieren.

Er war sich sicher, dass sein Anliegen bei Dom Brandil auf offene Ohren stieß, doch seine vermaledeite Streitzigsche Gemahlin stellte sich quer, vermutlich, weil dieses Weibstück allen Ernstes dachte, er, Talfan, wolle die Kaiserin am Grafenhof vergiften lassen, um die Grafenfamilie in Misskredit zu bringen. Einen Augenblick sann Talfan über die Impertinenz dieser Annahme nach, dann fragte er sich kurz, ob nicht Domna Rohalija vielmehr sein Vorhaben nutzen könnte, um ihm, Talfan, ein Attentat auf die Kaiserin anzuhängen, letztlich aber siegte sein künstlerischer Ehrgeiz, etwas wahrhaft Großes, Geschmackvolles zu schaffen, über das die Hohen des Reiches noch lange sprechen würden.

Talfans politischer Ehrgeiz, sein Bedürfnis, vor der Kaiserin gut dazustehen und vielleicht irgendwann wieder selbst auf dem Marmorthron zu sitzen, waren dabei nachrangig, er hatte das ehrliche Bestreben, seinen Ruf als Feinschmecker und – wenn auch mittelbarer – Schöpfer erlesener Speisen zu fördern, ja, dereinst als Almadas berühmtester Gourmet in die Geschichte einzugehen.

Statt den Weg zurück ins Bett zu wählen – der Schlaf floh ihn immer häufiger, zumal, wenn es kalt war und der nächtliche Harndrang ihn besonders quälte – machte der Junker sich auf in seine Studierstube, in der die Folianten seiner Ahnen über Heraldik, Reichs- und Landesgeschichte verstaubten, während das Regal mit den bunt eingebundenen Oktavbänden sich zunehmend füllte, welche so verlockende Titel trugen wie Meisterin Travianes Buch der höfischen Speisen und Tischsitten, Enzyklopädie der yaquirischen Küche für die Dame und den Herrn von Stand oder Koschammerzunge und Taubenpastete – allerley Vogeley für den anspruchsvollen Gaumen.

Talfan wählte im Schein der Nachtkerze ein in apfelblütenrosa gefärbtes Leder eingeschlagenes Büchlein, das statt eines Titels ein goldgeprägtes Punipantörtchen trug, blätterte andächtig die Pergamentseiten um und hatte soeben lauthals lachend "Valpoqua – natürlich! Valpoqua und Punipan!" ausgerufen, als es an der Tür klopfte, und der junge Marqueo eintrat, der erst vor wenigen Wochen in die Garde aufgenommen worden war.

"Euer Wohlgeboren, verzeiht die Störung, ich hab noch Licht brennen sehen. Da ist jemand am Tor, eine Frau ist da. Sagt, es is' wichtig. Wir hätten sie ja weggescheucht, mitten in der Nacht und so, sieht aus wie 'ne Bettlerin, aber zu Pferd. Nur: Sie sagt, sie wär' 'ne Adlige, sagt, sie wär' vom Vanya-Tal oder so und es geht wohl um Leben und Tod, sagt sie, und sie schreit alles zusammen, wir sollen endlich das Tor aufmachen. Also, wenn Ihr's befehlt, dann jagen wir ihr die Armbrustbolzen runter, aber die Selissa sagt, sie kennt die Frau und die is' wohl echt. Was soll'n wir machen?"

Talfan starrte den jungen Burschen einige Augenblicke lang verdutzt an, so plötzlich aus seinen Träumen von Weinschaum und Punipan-Figuren gerissen, doch dann strahlte er übers ganze Gesicht, beflügelt von dem Gedanken, die nächtliche Wachphase für ein Gastmahl zu nutzen und seine Phantasien in Sinnesfreuden zu verwandeln.

"Lasst sie ein, bringt sie in den kleinen Rittersaal, geh, wecke meinen Ersten Leibkoch, er soll mir eine Valpoqua bereiten, umgehend, und zwar aus dem besten Wein, den der Keller hergibt, serviert mit Pistazien und Mandelflocken, dazu soll er Punipan reichen, das helle, nach Kanzlerart, und einen passenden Wein – lass mich überlegen: einen Ragatzo Fino, mit Honig gesüßt, ja. Ruf' zunächst einen Leibdiener, ich muss mich ankleiden, aber vergiss nicht, den Koch zu wecken, aber rapido!, ich erwarte meinen Gast in einem Halbstundenglas im Rittersaal, und dann soll aufgetischt werden, aber subito!"