Chronik.Ereignis1033 Feldzug Raschtulswall 02

Kaiserlich Selaque, 16. Praios 1033 BF

In der Junkerschaft Vanyadâl, auf dem Castillo da Vanya

Autor: von Scheffelstein

Die Landedle zu Eslamsstolz schlief wie ein Stein. Als sie erwachte, war die Sonne längst über den Bergen aufgegangen. Im ersten Moment wusste Richeza nicht, wo sie sich befand. Verwundert starrte sie an die dunkel vertäfelten Wände. Ihr Blick blieb an einem Gemälde hängen. Es zeigte eine Familie: Eine große Frau in Gestechrüstung, mit einem Helm unter dem Arm. Daneben ein breitschultriger, bärtiger Mann in der Tracht eines Gelehrten. Davor, sitzend, zwei Mädchen, etwa zehn und dreizehn Jahre alt.

Die Erinnerung kehrte zurück: Sie war auf dem Castillo da Vanya, der Burg ihrer Tante Rifada. Richeza betrachtete die Frau auf dem Gemälde. Im ersten Moment glaubte sie, es handele sich um Domna Rifada. Doch weder sah der Mann an ihrer Seite nach dem erbarmungswürdigen Dom Berengar aus, noch hatte Domna Rifada zwei Töchter. Nein, dies mussten Domna Leonida da Vanya und ihr Gemahl sein, dessen Name Richeza entfallen war. Ihre Großeltern.

Das ältere der Mädchen, gewandet in einen halblangen Wappenrock, die Hände auf die Oberschenkel gestützt, lächelte stolz in Richtung des Malers. Das musste Domna Rifada sein. Das jüngere Mädchen war die einzige, die nicht zum Maler sah. Es hatte den Kopf zur Seite gewandt, den Blick erhoben, als folge er einem Vogel oder Schmetterling, der auf dem Bild nicht zu sehen war. Es trug ein helles Kleid, die Füße dicht über dem Boden verschränkt. In den Händen hielt es einen Blumenstrauß.

Richeza stand auf, um das Bild aus der Nähe zu betrachten, streckte die Hand aus und verharrte dicht über der lebensecht gemalten Figur ihrer Mutter. Fast verspürte sie den Drang, in das Bild hineinzugreifen, sacht den Kopf des Mädchens zu wenden, damit es sie ansah.

Irritiert wandte die Edle sich ab, ließ sich stattdessen auf ihre Hände und Füße nieder, um mit den morgendlichen Übungen zu beginnen, mit denen sie ihre Arme und Beine kräftigte und so der Zeit zu trotzen versuchte.

Nach einer Weile erhob sie sich keuchend und trat ans Fenster. Auf dem Hof erblickte sie ihre Tante und deren Gemahl. Offenbar stritten die beiden. Das hieß, Domna Rifada herrschte den Mann an, ungeachtet der Dubioser Mercenarios, die neugierig vom Stall herüberblickten. Dom Berengar sah aus wie ein geprügelter Hund, der mit großen Augen zu seiner Herrin aufsah. Fast tat er Richeza leid.

Als die Junkerin den Palas betrat, zog Richeza sich an. Bald darauf verließ sie ihr Gemach.


Autor: Der Sinnreiche Junker

„Heda! Haltet nicht Maulaffen feil, sondern wetzt die Klingen und bringt das Gepäck in Ordnung!“, zischte der Baron seinen allzu neugierig gaffenden Leuten zu. „Wird ohnehin nicht der letzte Streit gewesen sein.“, brummte er mit verdrehten Augen, und schob den breit grinsenden Anzures in Richtung des Palas. „Und Du besorg gefälligst Badewasser. Frag doch das Mägdlein, bei dem Du Dich die Nacht gewärmt hast.“

„Ich war nur...“, protestierte der Angesprochene mit einem etwas besorgten Seitenblick in Richtung Domna Rifadas. Ob sie wohl etwas gehört hatte?

„Jaja, Du warst nur kurz draußen um Wasser abzuschlagen. Vor allem kurz. Jetzt troll Dich schon.“


Autor: SteveT

Als Richeza den großen Speisesaal des Castillos betrat, zu dem sie eine selig lächelnde Küchenmagd geführt hatte, saßen dort bereits mehrere Personen zum Frühmahl an der langen Tafel versammelt. Auf einem hohen Scherenstuhl am Kopfende der Tafel thronte ein grauhaariger und -bärtiger Greis im weiß-güldenen Ornat hochrangiger Diener des Götterfürstens. Eine große güldene Sonnenscheibe mit einem leicht erhabenen Greifen- wappen, die er als Amulett um den Hals trug, fünf goldene Sphärenkugeln an seinem Gürtel und die rote Filzkappe auf seinem Haupt verliehen seinen geistlichen Würden optischen Ausdruck - doch auch ohne all diesen Schmuck wären seinen Stand und seine Autorität für jedermann in seiner Umgebung unübersehbar gewesen. Das auffälligste an ihm war fraglos der wache, durchdringende Blick seiner schwarzen Augen, die sich bei ihrem Eintreten sofort Richeza zuwandten, als ob er ihr geradewegs ins Herz oder in ihre Gedanken schauen könnte. Zwei Schritt hinter seinem Stuhl standen schweigend zwei weißgewandte Ritter des Bannstrahl-Ordens, ein Mann und eine Frau, die sich mit unbewegten Gesichtern auf ihre Anderthalbhänder stützten. Domna Rifada, die zur Linken des Praiosdieners saß, war sichtlich schlechter Stimmung. Mißmutig klatschte sie sich mit Honig gesüßten Mus und Getreidebrei auf den Teller und füllte danach noch einen zweiten Teller, den sie auf den Platz ihr direkt gegenüber, zur Rechten des Praiotis, schob - offenbar der Platz, der Richeza zugedacht war. Dom Hernan war noch nirgendwo zu erblicken, obwohl auch für ihn bereits eingedeckt war. Dom Berengar, Rifadas Ehegemahl, saß fünf Schritt entfernt am anderen Kopfende der Tafel und löffelte ebenfalls schweigend eine Portion Getreidebrei, er nickte Richeza freundlich zu. An einem weiteren, kleineren Tisch in der Saalecke, der offenbar dem Gesinde zugedacht war, saßen die drei Kriegerinnen, die Rifada gestern Nacht begleitet hatten und ließen sich dasselbe karge Frühmahl schmecken. "Aha. Das ist sie wohl!" stellte der Großinquisitor der Heiligen Reichskirche fest. "Zuletzt sah ich sie kurz nach ihrer Geburt. Sie hat die stolze Haltung des alten Hesindian, aber die schönen und sanften Gesichtszüge ihrer Mutter.". Rifada hob zweifelnd eine Augenbraue und folgte seinem Blick: "Täuscht Euch nicht in ihr, Oheim. Dies ist tatsächlich Madalenas Tochter - Eure Großnichte. Aber sie ist lange nicht so zartbesaitet wie ihre Mutter. Ich würde sagen, sie schlägt vom Wesen her eher nach mir..." Amando Laconda da Vanya legte die Stirn in Falten und hoffte, daß sich diese Bemerkung bei seiner jungen Großnichte nicht ebenfalls auf den Umgang mit rebellischen Amazonen-Weibern oder auf mangelnden Respekt vor den Weisungen der eigenen, praiosbestimmten Lehnsherrin bezogen. "Tritt nur näher, mein Kind!" wank er Richeza schließlich an seine Seite und hielt ihr die rechte Hand mit dem dicken Siegelring der Reichskirche zum Kusse entgegen. "Es ist schön, Dich nach all den langen Jahren endlich einmal in persona kennenzulernen. Dein Ruf ist Dir vorausgeeilt und manches Mal kamen mir selbst in Ragath oder auf Reisen Erzählungen über Dich zu Ohren." Seine schwarzen Augen bohrten sich nun in Richeza. "Unter anderem erzählt man sich in neuerer Zeit, Dir sei der leibliche Sohn des Frevlers Rakolus von Schrotenstein begegnet. Berichte mir alles, was Du über diesen Knaben weisst!" Obwohl seine Stimme die ganze Zeit freundlich blieb, kam es Richeza so vor, als riete oder befehle ihr eine innere Stimme nachdrücklich, ihrem Großonkel nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit anzuvertrauen.


Chronik:1033
Der Ferkina-Feldzug
Teil 02