Chronik.Ereignis1033 Feldzug Raschtulswall 18
Im Raschtulswall, 29. und 30. Praios 1033 BF
Nahe Grezzano
29. Praios
Autor: von Scheffelstein
Als Domna Richeza erwachte, fühlte sie sich wie gerädert. Sie fror, und ein bellender Husten entrang sich ihrer Kehle, wann immer sie den Mund aufmachte. Ihr war, als hätte sie nicht geschlafen, dabei waren alle anderen schon auf den Beinen.
Die junge Ferkina Golshan war zurückgekehrt. Sehr zum Missfallen des alten Krähenfreund hatte sie zwei tote Kaninchen mitgebracht. Zu wenig, als dass sie alle davon satt werden konnten, zumal der Alte streng untersagte, in dieser Höhle ein Feuer zu entzünden.
Auch der Hund war wieder da, sprang kläffend um die anderen herum und schien seine Furcht vor der Höhle vergessen zu haben. Das Mädchen Zaida hatte ihn heulend in einem Gang unweit der Höhle gefunden.
Selbst Praiodor war wach. Sein Fieber war gesunken, aber er war sehr matt und blinzelte Richeza aus halb geschlossenen Augen an, als sie ihm durch das verfilzte Haar fuhr.
Richeza selbst hätte am liebsten weitergeschlafen, allein, ihr Hunger war mittlerweile unerträglich, und ihre Tante drängte zum Aufbruch. Offenbar hatte sie es nur dem alten Heiler zu verdanken, dass Domna Rifada sie nicht schon vor Stunden geweckt hatte.
Krähenfreund führte die Gruppe nicht wieder hinauf zu der Höhle, durch die sie den Berg betreten hatten, sondern durch einen anderen Gang tiefer ins Innere des Djer Kalkarif hinein. Domna Rifada und Dom Gendahar wechselten sich damit ab, den kleinen Praiodor zu tragen. Mehr als einmal fluchten sie über die engen, feuchten Tunnel, die oft so schmal und niedrig waren, dass sie auch ohne ihre Last Schwierigkeiten gehabt hätten, sich hindurchzuzwängen.
Anfangs wies ihnen das blakende Licht einer Fackel den Weg, mit der Domnatella Romina ihrem Führer leuchtete. Doch nach etlichen Stunden und zwei kurzen Rasten, in denen sie die letzten spärlichen Vorräte der Männer und Golshans Kaninchen geteilt hatten, war die letzte Fackel niedergebrannt, und sie hatten nur noch drei Kerzen übrig. Krähenfreund mahnte sie, während jeder Rast, das Licht zu löschen, um länger etwas von den Kerzen zu haben.
Das sei doch Irrsinn, schimpfte Domna Rifada, hier durch die Dunkelheit zu irren und forderte den Alten auf, sie sofort wieder ans Licht zu führen. Es war ihr anzusehen, dass es ihr gar nicht schmeckte, sich hier seiner Führung anzuvertrauen, doch da nur er den Weg kannte und sie mittlerweile tief in die verzweigten Gänge unter dem Berg hinabgestiegen waren, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm weiterhin fluchend zu folgen.
Irgendwann war Richeza so erschöpft, dass sie sich am liebsten geweigert hätte, weiterzugehen, doch sie riss sich zusammen, setzte mechanisch Fuß vor Fuß und tappte hinter Moritatio her, dem sie mehrmals in die Hacken stolperte. Falls er sich an seinen Angriff in der Nacht erinnerte, zog er es vor, darüber zu schweigen, und Richeza ihrerseits verspürte wenig Lust, ihren Vetter darauf anzusprechen. Überhaupt sprach sie wenig, denn ihr Hals schmerzte, und das Gehen allein kostete sie genug Kraft.
Auch die anderen waren schweigsam, allein Krähenfreund kommentierte ab und an den Weg, und die kleine Zaida sprach mit dem Hund, der freudig bellend voraussprang, und ab und an durchbrachen die Flüche Domna Rifadas oder Dom Gendahars die Stille, wenn der Streitzig sich den Kopf stieß oder Richezas Tante mit ihren breiten Schultern in der sperrigen Lederrüstung in einer Verengung des Ganges stecken blieb.
Schließlich kamen sie in eine schmale Höhle, durch die ein glucksender Bach floss, und Krähenfreund sagte, hier würden sie nun schlafen. Domna Rifadas Wutschnauben nützte ihr gar nichts, der Alte ließ sich nicht zum Weitergehen bewegen, und Richeza war mehr als froh darüber. Während sich alle einen Platz zwischen Bach und Höhlenwand suchten, fragte sie sich, was wohl mit dem Wasserlauf geschähe, wenn es draußen einen der berüchtigten bosquirischen Gewitterstürme gäbe. Doch wenigstens konnten sie ihre Wasserschläuche auffüllen.
30. Praios
Als Domna Rifada zum Weitergehen drängte, war Richeza eben erst eingeschlafen. Der Hunger hatte sie lange wach gehalten. Den anderen schien es mittlerweile nicht sehr viel besser zu gehen, und so war es das Knurren ihrer Mägen, das sie begleitete, als sie schweigend ihren Weg fortsetzten.
Endlich wurde es heller: Graues Zwielicht kam vor ihnen aus dem Gang, und wenig später traten sie durch einen Spalt auf ein Plateau, vier Schritt über dem Boden einer langen, bewaldeten Schlucht. Der Morgen dämmerte erst, doch nach den langen Stunden der Dunkelheit war Richeza froh über das erste schwache Licht des Tages.
Sie kletterten die Wand an einem Seil hinab, die Ferkina löste es und folgte als Letzte – behände wie eine Katze. "Grezzano ist weiter im Norden", erklärte Domna Rifada, nachdem sie sich kurz umgesehen hatte. "Richeza, Moritatio, folgt mir!" Doch wie Tsacharias erklärte und sie bald feststellen mussten, waren die Wände der Schlucht zu steil, als dass sie aus ihr hinausklettern konnten. Und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als dem Alten abermals zu vertrauen, als er sie nach einer Weile aus dem Licht der Morgensonne heraus in eine Höhle führte und weiter durch schier endlose Gänge und Tunnel. Mehrmals war es Richeza, als sei der Alte sich nicht mehr ganz sicher, welchen Wege er wählen sollte, und einmal ließ er sie nach kurzer Zeit umkehren und einen anderen Tunnel versuchen, was Domna Rifadas Unmut nur weiter zu fördern schien.
Ab und an wenigstens kamen sie an Kaminen vorbei, durch die Sonnenlicht fiel, und zweimal führte ihr Weg sie wieder hinaus ins Freie, doch jedes Mal befanden sie sich hoch oben über einer Schlucht oder einem unpassierbaren Geröllhang und es gab keine Möglichkeit, einen gangbaren Weg hinab zu finden.
Bald nach einer längeren Pause in der Dunkelheit, ging ihnen die letzte Kerze aus, und sie standen in der Finsternis. Die Stimmung fiel, auch wenn Tsacharias versicherte, es sei nun nicht mehr weit, er sei sich ganz gewiss. Sie kamen nur noch langsam voran, schrammten sich Hände und Knie auf, und Richeza fragte sich allmählich, ob ihre Tante nicht doch recht hatte und sie besser den gewundenen Pfad den Djer Kalkarif hinabgestiegen wären, den sie heraufgekommen waren, auch auf die Gefahr hin, den Ferkinas direkt in die Arme zu laufen.
Als es diesmal heller wurde, war Richeza fest entschlossen, lieber einen Steilhang hinabzurutschen als noch einen Schritt weiter durch die Dunkelheit zu stapfen. Doch wie sich herausstellte, war dies nicht nötig.
Der Gang öffnete sich zu einer Höhle, und kurz darauf empfing sie die bereits über der almadanischen Ebene stehende Nachmittagssonne. Weit im Süden erkannte Richeza die Gipfel des Djer Kalkarif.
"Jetzt ist es nicht mehr weit", verkündete Tsacharias Krähenfreund strahlend. "Keine zehn Meilen mehr, und wir sind in Grezzano."
Richeza rutschte an der Felswand vor der Höhle zu Boden und lehnte den Hinterkopf an den von der Sonne gewärmten Stein. Sie schloss die Augen, spürte, wie zum ersten Mal seit Tagen die Lebensgeister in ihren verkühlten Körper zurückkehrten. Keine zehn Meilen?! Der Alte war irre! Sie würde keine zehn Schritt mehr gehen heute, soviel stand fest!
Autor: SteveT
"Ich habe meinen Mann und mein Burggesinde in Grezzano zurückgelassen!", kündigte Rifada nun in Sichtweite der Selaquer Gemarkungsgrenzen an. "Genauer gesagt, ganz in der Nähe - nämlich in der Kate Ddiner Schwester, Kräutersammler, die sich leider etwas verstockt und unfolgsam zeigte."
Sie beschirmte die Augen mit einer Hand vor dem hellen Sonnenlicht und ließ ihren Blick von hier oben aus dem Gebirge heraus weit über die Elentinische Ebene schweifen. Immerhin waren - zumindest auf den ersten Blick - nirgendwo Reiter der Ferkinas und auch keine Soldaten Praiosmins zu entdecken. Sie hoffte, daß diese selbst nach wie vor in Selaque auf Albacim weilte - auf dem Weg dorthin hatte sie ihre Erzfeindin das letzte Mal gesehen.
"Ihr bleibt am besten hier und ruht noch ein wenig aus!", bestimmte sie mit einem Seitenblick auf Richeza und den Jungen, die ihr beide gar nicht gefielen. "Ich gehe erst einmal allein nach Grezzano und prüfe die Lage dort. Wenn alles gut steht, dann kehre ich bis zum Abend mit ein paar jungen Burschen aus meinem Gesinde und einer Trage zurück. Auf ihr schaffen wir dann den Jungen zur Hütte deiner Schwester, alter Mann!"
Sie kniete sich neben Richeza hin, die sich einfach rücklings ins Gras hatte plumsen lassen und raunte ihr ins Ohr: "Gib auf den alten Zausel acht! Wenn er sich davonstiehlt, ist auch dein Junge verloren - dann war alles umsonst. Hindert ihn notfalls mit Waffengewalt an der Flucht! Ich hole Verstärkung und dann sehen wir weiter ... auch was die da betrifft." Sie lenkte Richezas Blick mit den Augen zu Golshan, die - noch am frischesten von allen - auf Zaida einredete, die bestimmt kein einziges Wort verstand und allein nur aus Höflichkeit zu allem nickte.
"Ich gehe mit Euch, Mutter!", schulterte Moritatio sein Bündel und kam auf sie zugewankt. Auch er hatte dunkle Ringe unter den Augen.
"Nichts da! Du bleibst hier und gehst Richeza zur Hand - sie weiß was zu tun ist!", beschied ihn Rifada knapp, dann trottete sie mit einem knappen "Bis zum Abend!" talwärts von dannen.
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