Chronik.Ereignis1036 Besuch im Vanyadâl 38: Unterschied zwischen den Versionen

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==[[Mark Ragathsquell]], 16. Tsa 1036 BF==
===[[Castillo Quazzano]], vormittags===
'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]]
Caballero [[Abelardo Mansarez von Leuendâl]] und Magus [[Amaros Desidero von Lindholz]] wurden im Roten Salon des Castillo Quazzano von Seiner Eminenz [[Amando Laconda da Vanya]] empfangen. Die Nachrichten, die sie dem Großinquisitor nun persönlich überbringen würden, waren für diesen nicht neu. Vor drei Tagen hatten sie von [[Baronie Schrotenstein|Schrotenstein]] aus eine Brieftaube gen Albacim gesandt, die dem Familienoberhaupt der [[Familia da Vanya|da Vanyas]] die unglückliche Kunde vom Tod seiner Nichte [[Rifada da Vanya|Rifada]] und der Reichsvogtin [[Praiosmin von Elenta]] überbracht hatte. Die Antwort hatten sie schon bald darauf erhalten: Man solle sich umgehend auf den Weg nach Quazzano machen, wo der Großinquisitor einen in wenigen Tagen empfangen werde.
Der Schrotensteiner Baron, [[Lucrann da Vanya]], hatte die Bergung der Leichen veranlasst. Die sterblichen Überreste seiner Base hatte er ins Vanyadâl bringen lassen, wo sie in wenigen Tagen in der Familiengruft beigesetzt werden sollten. Von Dom Lucrann hatte Abelardo auch erfahren, dass die Domnas Belisetha und Richeza zwischenzeitlich mehr oder weniger lebendig auf Quazzano eingetroffen seien. Dies hatte ihn dazu veranlasst, auf dem Weg nach Quazzano umgehend einen Abstecher nach Norderwacht einzulegen. Doch der gefangene Harmamund war verschwunden. Er sei, hatte die Burgherrin verlauten lassen, vor einigen Tagen zusammen mit dem Gardisten Gambron zu 'irgendeinem Boronkloster' aufgebrochen.
Abelardo war erleichtert gewesen, dass Gambron und der junge Norre den Harmamund nicht, wie es Domna Rifadas Wille gewesen war, einfach umgebracht hatten. Dennoch fürchtete er die Folgen, die die Entführung des Geweihten noch nach sich ziehen konnten. Gleichwohl war er zunächst dem Wunsch des Großinquisitors nachgekommen.
Dieser hatte am Kopfende des kleinen Tisches Platz genommen. In dem Brokatsessel neben ihm, saß seine Schwester, Belisetha da Vanya. Eine schwere Decke lag auf ihren Knien. Sie war bleich wie der Tod und stöhnte bei jeder Bewegung, als habe sie große Schmerzen, war aber sichtlich um Fassung bemüht. In dem Sessel rechts der alten Domna und links des Magus saß Lucrann da Vanya, das Gesicht so düster wie die Wolken, die an diesem Tag über dem Raschtulswall hingen.
"Ich danke Euch, dass Ihr den Weg hierher auf Euch genommen habt", begann der Großinquisitor. Seinem faltigen Gesicht war der Kummer in keiner Weise anzusehen. Er strahlte dieselbe Würde aus wie das Bildnis des Götterfürsten an der Wand hinter ihm. "Bitte berichtet noch einmal genau, was sich auf dem Höhenweg zugetragen hat!"
In diesem Moment ging wurde eine der drei Türen des Salons geöffnet, und herein trat [[Richeza von Scheffelstein y da Vanya]]. Sie trug ein sehr weit geschnittenes blaues Oberkleid mit einer Brokatborte über einem weißen Unterkleid, das zu lang war und dessen Saum über den Boden schleifte – eine Mode, wie sie schon seit bald Hundert Jahren nicht mehr bei Hofe getragen wurde.
"Eure Eminenz haben mich ...", begann sie, verstummte jedoch augenblicklich, als sie bemerkte, dass der Soberan des Hauses keineswegs allein war.
"Setze dich, mein Kind!", sprach der Großinquisitor sie an, ohne ihr mehr als nur einen flüchtigen Blick zu schenken, und legte seine beringte Hand auf die Lehne des Sessels zu seiner Linken.
Richeza von Scheffelstein y da Vanya trat zögernd näher, wich dem Blick Abelardos aus, den sie doch von Kindesbeinen an kannte, und grüßte auch den Magus nicht, der ihr vor Tagen ins Vanyadâl einen Brief gebracht hatte. Auch sie war auffallend blass, unter den dunklen Augen lagen tiefe Schatten, und sie hielt den Blick auf ihre unter dem Kleid verborgenen Füße gerichtet, während der Großinquisitor die Hand hob und den Magus bat, zu beginnen. 
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'''Autor:''' [[Benutzer:Lindholz|Lindholz]]
Amaros von Lindholz fasste in wenigen Sätzen den Verlauf seiner Reise an der Seite der arretierten Reichsvogtin bis zu den Ereignissen auf dem Höhenweg zusammen. Ihm erschien es wichtig, deutlich zu machen, dass – zumindest aus seiner Sicht – nichts darauf hingedeutet hatte, wie sich die Lage entwickeln würde. Im Anschluss berichtete er von dem Überfall auf den Transport und dessen kirchliche Begleiter.
Auch wenn Gegenwehr seinen Tod bedeutet hätte: Gerne hätte er sein eigenes, wenig rühmliches Verhalten verschwiegen oder in einem anderen Licht dargestellt, doch im Angesicht seiner Eminenz war dies ein vergebliches Unterfangen. So ließ er nichts aus, von dem, was er von den Angreifern, ihrem Vorgehen und dem Geschehen berichten konnte und endete schließlich mit seiner Rückkehr an den Ort der Tragödie in Begleitung des Doms Abelardo.
Schwerer noch als die eigene Bloßstellung, fiel es dem jungen Magier, die sich an seinen Bericht anschließenden Momente der Stille zu ertragen.
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'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]]
Diese Stille jedoch währte nur wenige Augenblicke. Augenblicke, in denen Richeza von Scheffelstein y da Vanya den jungen Magus mit leicht geöffnetem Mund und unverhohlener Abneigung anstarrte. "Was?", fragte sie. "Rifada – tot? Ihr scherzt wohl! Niemand, nicht zwanzig Reiter, vermögen ihr etwas anzuhaben! Nicht, wenn sie nicht …" Sie stockte. Dann sprang sie aus ihrem Sessel auf. "Auf wessen Seite steht Ihr eigentlich, Lindholz? In wessen Diensten? Der Harmamund? Ihr gebt erst Fersengeld, um dann ganz zufällig auf meine Tante zu treffen und sie allein in diesen Hinterhalt reiten zu lassen? War das der Plan: Sie in eine Falle zu locken?" Sie schrie jetzt. "WEM HABT IHR Euch angedient?"
Eine Hand fasste sie an ihrem Unterarm, und die schneidende Stimme des Goßinquisitors brachte sie zum Schweigen. "Setz dich!", befahl er. Einmal, ein zweites Mal, ehe Domna Richeza sich langsam in den Sessel zurücksinken ließ, noch immer mit vor Zorn geröteten Wangen.
"Der junge Dom Amaros handelte in meinem Ansinnen, als er Praiosmin von Elenta gen Quazzano und weiter nach Ragath zu begleiten gedachte." Amando Laconda da Vanya nickte dem Magus zu, ehe er sich an die Scheffelsteinerin wandte. "Du solltest deine Tante inzwischen gut genug kennen, um um ihre Tollkühnheit zu wissen. Was du jedoch noch nicht weißt: Auf Albacim wurde deine Base Gujadanya von der Reichsvogtin ermordet. Es ist anzunehmen, dass dieser Umstand Rifada, als sie – wie auch immer – davon erfuhr, dazu bewegte, blutige Rache zu nehmen."
Die Farbe wich aus Domna Richezas Gesicht, so schnell, wie sie gekommen war. "Gu…jadanya? A…a.. Ermordet?", hauchte sie. "U… und Rifada …?" Sie blickte erneut zum Magus und erstmals auch in Abelardos Gesicht, der kaum merklich nickte."
Erneut sprang die Edle auf. Diesmal war die Hand des Großinquisitors zu langsam, um sie aufzuhalten.
"Richeza!", rief die alte Wildenfester Junkerin aus ihrem Sessel. Doch da stürmte Richeza von Scheffelstein y da Vanya bereits aus dem Salon. Krachend fiel die Tür hinter ihr ins Schloss. Die Stille in dem Salon war noch drückender als zuvor. Der Schrei, der nach einer Weile gedämpft von draußen herein drang, markerschütternd, machte das Schweigen im Raum nur noch schwerer erträglich.
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'''Autor:''' [[Benutzer:Lindholz|Lindholz]]
"Euer Eminenz, Euer Hochgeboren, Euer Wohlgeboren, es ist mir ein Bedürfnis, die Trauer, tiefe Sympathie und Kondolenz zum Ausdruck zu bringen, die ich anhand der Verluste empfinde, die Eure Familie aber auch die heilige Kirche hinnehmen musste", brachte Amaros von Lindholz schließlich hervor. "Viele tapfere Seelen haben uns verlassen, und vielleicht wäre es der Herrin Rondra wohlgefällig gewesen, wenn auch ich an jenem Tage meinen letzten Atemzug getan hätte. Es hätte jedoch den Ausgang der Ereignisse nicht ändern können. Ich kann keine Feuerzungen über das Schlachtfeld schicken oder gar Kreaturen aus anderen Sphären herbeirufen. So hoffe ich, dass Ihr die Worte eines lebenden Mannes mehr zu schätzen wisst, als die schweigenden Lippen eines Toten. Wenn es etwas gibt, Euer Eminenz, was ich tun kann, um der Gerechtigkeit den Weg zu ebnen, dann zögert nicht, es zu sagen."
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'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]]
Die Stirn des Großinquisitors legte sich in Falten, als der Magus von seinen Künsten und auch den nicht vorhandenen Fähigkeiten sprach, insbesondere, als er die Wesen aus anderen Sphären erwähnte.
"Euer Wort wird zu gegebener Zeit vielleicht noch Gewicht haben", erklärte Amando Laconda da Vanya. "Einstweilen werden wir unsere Toten im Vanyadâl beisetzen. Auch das Begräbnis der Reichsvogtin wird zu veranlassen sein. Nachricht an Graf, Fürst und Kaiserin wurden bereits ausgesandt." Er strich sich nachdenklich durch den weißen Bart.
"Wir haben es hier mit zwei Fehden zu tun, in die unser Haus verwickelt ist. Die eine wurde vor langer Zeit an uns herangetragen, die andere hat meine Nichte über unser Haus gebracht. Mit dem Tode Domna Praiosmins sollte sie als beendet gelten, gleichwohl werden die Umstände näher zu untersuchen sein. Insbesondere, da noch herauszufinden ist, unter wessen Einfluss die Reichsvogtin mutmaßlich gestanden hat. Was die Fehde mit den Harmamunds angeht, hat mein Haus schwerwiegende Vorwürfe vorzubringen. Was immer Ihr möglicherweise auch in diesem Casus zu bezeugen habt, sollt Ihr zu passender Zeit und an anderer Stelle beschwören."
Amando Laconda da Vanya wandte sich an seinen Neffen. "Lucrann, du wirst dich um die Veranlassung der Begräbnisse kümmern."
Er nickte dem Caballero von Leuendâl zu. "Auch der ehrenwerte Dom Hesindian soll Nachricht erhalten über die Vorfälle, von denen sein Haus durch seine Großtochter ebenfalls betroffen ist."
"Ich hoffte, sie werde mich nach Hause begleiten", wandte Abelardo ein.
Amando Lacondas Blick ruhte einen Moment auf dem alten Caballero, ehe er antwortete. "Gewiss wird Domna Richeza der Trauerfeier ihrer Anverwandten beiwohnen wollen. Alsdann haben wir noch einiges mit ihr zu besprechen. So Ihr mögt, begleitet uns ins Vanyadâl, von dort aus werden wir Nachricht senden an Dom Hesindian. Denn auch ihn betrifft manches von dem, was unser Haus nun bewegt."
Abelardo Mansarez von Leuendâl öffnete den Mund, aber Amando Laconda hob die Hand, offenbar nicht gewillt, an dieser Stelle Fragen zu beantworten.
"Meine Herren: Seid unsere Gäste an diesem Tag. Im Morgengrauen werden wir aufbrechen ins Vanyadâl."
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'''Autor:''' [[Benutzer:Lindholz|Lindholz]]
'''16. Tsa, am späten Abend'''
Amaros von Lindholz atmete erleichtert aus, als er die schwere Tür zum Speisesaal hinter sich schließen konnte. Nicht, dass das Essen schlecht gewesen wäre, ganz im Gegenteil: Der Wildschweinbraten war zart und die Soße von vollendetem Geschmack gewesen; sie trug das Aroma eines schweren, roten Weines und fein abgestimmter Gewürze in sich. Doch im Angesicht der Ereignisse war es mehr als offensichtlich, welche Mühe es die da Vanyas kostete, ihrem Gast mit der erforderlichen Courtoisie zu begegnen. So überließ er sie ihrer Trauer sobald es die Höflichkeit gestattete und wandte sich den Weg zu den Räumlichkeiten zu, die ihm seine Eminenz freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte.
Der Tag der Abreise war zum Greifen nah. Doch wie oft hatte er schon gedacht, nur noch einen Katzensprung von den Toren [[Ratzingen]]s entfernt zu sein, nur um sich dann erneut in einer misslichen Lage wiederzufinden. Und das alles nur, weil seine Schwester einen albernen Brief nicht einem einfachen Boten anvertrauen wollte. Dafür war sie ihm etwas schuldig!
Immerhin hatte er sich Stück für Stück aus der Wildnis näher an das Herz der [[Grafschaft Ragath]] vorgearbeitet. So war der junge Magier guter Dinge, in Bälde die Ländereien seines Vaters wiedersehen zu können. Solcherart in Gedanken versunken, dauerte es eine ganze Weile, bis  es Amaros auffiel, dass er völlig  vom Weg abgekommen war.
Er stand auf einer Wendeltreppe, war sich jedoch sicher, dass die Stufen im rechten Winkel angestiegen waren, als er zu seinem Zimmer geführt worden war. Verdattert sah er sich um. Kein Diener weit und breit. Nach kurzem Zögern entschied Amaros von Lindholz sich, den Aufstieg in das nächste Stockwerk dennoch fortzusetzen. Vielleicht führte der Gang ja lediglich von der anderen Seite zum gleichen Ort.
Stattdessen fand sich der Magier kurz darauf  in einem langgestreckten Gang, der von einer Reihe Öllampen zu seiner Rechten erhellt wurden. Ihr Licht fiel auf eine Ansammlung von Gemälden. Die abgebildeten Personen waren in  edle Gewänder gehüllt und mit Symbolen der Macht versehen. Neugierig musterte die stolzen Gestalten; offenkundig jene Grafen und Fürsten auf die die Familia da Vanya ihren altehrwürdigen Stolz stützte. Den Schritt deutlich verlangsamt, bewegte sich Amaros von Portrait zu Portrait, blickte in erhabene Gesichter und schüchterne, solche, aus denen Frohsinn, Trauer, Verständnis und Eigensinn sprachen. Den jungen Amando Laconda da Vanya hätte er beinahe nicht erkannt!
Derart gebannt von vergangenen Zeiten, glaubte Amaros fast, der Geist eines Ahnen würde sich erheben, als nur wenige Schritte neben ihm sich jemand aufrichtete: Zuvor verborgen von den Schatten einer Fensternische, konnte er nun die Züge der Domna Richeza erkennen, die es vorgezogen hatte, der Vesper fernzubleiben. Seine Überraschung überspielend verbeugte er sich tief und warf einen Blick auf das Portrait neben dem sich die dle Dame erhoben hatte: Es zeigte die junge Rifada, lachend, selbstsicher, einen Helm unter dem Arm, ein Schwert in der Rechten.
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'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]]
Richeza von Scheffelstein y da Vanya sah den Magier schweigend an. Ihr Blick folgte dem seinem zu dem Bild der verstorbenen Junkerin und verharrte dann eine Weile auf dem Gemälde, das neben dem Domna Rifadas hing. Es zeigte eine junge Frau mit verträumtem Gesichtsausdruck, gekleidet in ein blaues Samtkleid. Sie trug eine Kette mit einem schwarzgrün gemaserten Stein um ihren Hals, eingefasst in bronzene Blattranken.
Amaros und der Edlen Blicke begegneten sich wieder. Ihr Schweigen hatte etwas Unangenehmes, fast Anklagendes. Als sie sprach, war ihre Stimme leise und gefasst. "Ihr habt gesagt, Ihr wäret erst, nachdem diese Briganten abgezogen seien, an den Ort des Hinterhalts zurückgekehrt. Wer sagt Euch, dass sie nicht weiter geritten ist? Habt Ihr den Leichnam Domna Rifadas gesehen? Woher wollt Ihr wissen, was wirklich passiert ist?"
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'''Autor:''' [[Benutzer:Lindholz|Lindholz]]
"Verzeiht, ich dachte, man hätte Euch über die weiteren Ereignisse in Kenntnis gesetzt", antwortete Amaros von Lindholz mit belegter Stimme "Es ist wahr, dass ich Domna Rifada nach unserem Gespräch nicht wiedergesehen habe, aber nachdem wir Dom Lucrann in Schrotenstein Bericht erstattet hatten, schickte er sofort Männer aus, die sich an die Bergung machten. Die Schlucht ist vom Höhenweg nicht erreichbar, aber es gibt einen Zugang. Es wird jedoch eine Weile dauern, bis man zur Kutsche vorgedrungen ist. Eurem Onkel war die Ungewissheit ebenso unerträglich wie die Vorstellung, womöglich den Leib der Domna Rifada auch nur einen Herzschlag länger als nötig den wilden Tieren auszusetzen. So ließ er einen Mann mit ausreichend Vorräten abseilen, der über sie wachen möge. Durch ein abgemachtes Signal bestätigte dieser unsere Befürchtungen."
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'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]]
Richeza von Scheffelstein y da Vanya blickte den Magier stumm an. Ihr Gesicht war blass, ihre Lippen trocken und rissig, unter den dunklen Augen lagen tiefe Schatten. Die altmodische Kleidung hing an ihr herab und verbarg ihren Leib, als steckte dieser in einem unförmigen Sack. An der Rechten trug sie einen Siegelring an einem Finger, dessen rosige Haut sich von der Farbe der restlichen Hand abhob wie eine jüngst verheilte Wunde. Um den Hals trug die Edle zwei Lederbänder. Eines lag unter der Kleidung, das andere darüber. An diesem hing ein schwarzgrün gemaserter Stein, eingefasst in bronzene Blattranken.
Die Edle schwieg. Schließlich sagte sie: "Aber Ihr habt nicht gesehen, wer sie da hinunter gestoßen hat? Ob sie wer gestoßen hat? Ob es einen Kampf gegeben hat?"
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'''Autor:''' [[Benutzer:Lindholz|Lindholz]]
"Ich sah nur die Entschlossenheit in Ihren Zügen; den unbeugsamen Willen in Ihren Augen, als sie dem Überfall entgegen ritt, obwohl sie wusste, welche Übermacht sie erwartete", gab der Baronssohn zur Antwort. "Was dann geschah, können wohl nur die Toten sagen. Und jene gottlosen Briganten. Vielleicht hören wir schon bald Gerüchte, wenn der Wein ihre Zungen in der nächsten Taverne löst."
Mit Interesse musterte Amaros von Lindholz die Halskette. Ein Erbstück von überraschend wenig weltlichem Wert für eine so altehrwürdige Familie. Das Licht der Öllampen ließ sein Haar wie Gold erstrahlen als er erneut zu den Portraits hinübersah, um den Blick nicht ungebührlich auf das Rahjafenster der Domna Richeza zu richten deren Schönheit selbst durch die Erschöpfung, die unförmige Kleidung, den abweisenden Blick schimmerte, wie der silberne Mond durch graue Regenwolken.
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'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]]
"Und diese ... Briganten?", fragte die Domna weiter. "Wer waren die? Wen habt Ihr erkannt? Wieso wussten die von dem Wagenzug? Denn sie werden kaum zufällig in dieser Zahl ausgerechnet auf diesem abgelegenen Höhenzug aufgetaucht sein. Und so, wie Ihr und wie Abelardo ihre Kleidung beschrieben hat, waren sie keine Bauern. Also: Woher wussten die, dass sämtliche Schätze des Hauses da Vanya und die alte Praiosmin an diesem Tag zu dieser Stunde dort auftauchen würden? Und vielleicht auch meine Tante?" Der Blick der Edlen war grimmig, als Amaros sich ihr wieder zuwandte.
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'''Autor:''' [[Benutzer:Lindholz|Lindholz]]
"Ich stimme Euch zu: Es ist anzunehmen, dass der Wagenzug erwartet wurden. Gut möglich, dass jemand aus der Dienerschaft des Castillo Albacim die Absichten seiner Eminenz bewusst oder unwissend weitergegeben hat", mutmaßte Amaros von Lindholz. "Erkannt habe ich niemanden, aber das dürfte kaum überraschen, denn schließlich bin ich hier fremd. Es wäre vermutlich erfolgsversprechender, Ihr fragt Euch selbst, Domna Belisetha oder einen beliebigen Bewohner Selaques, wer Eure Familia solch ein Unglück wünscht, wer so gierig und gottlos ist oder wer der Reichsvögtin so treu-dumm dient, statt eine Antwort von mir zu erwarten. Oder wollt Ihr mich in Wahrheit nur zu einem Geständnis bringen?"
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'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]]
Richeza von Scheffelstein y da Vanya musterte den Magus unverfroren, ehe sie den Blick ab- und den Gemälden wieder zu wandte, das Funkeln in ihren Augen erlosch und mit der Anspannung jede Kraft aus ihrem Körper zu weichen schien. "Nein", sagte sie nur. "Es werden Schergen der Elenterin gewesen sein. Vielleicht auch der Harmamund. Was spielt das auch für eine Rolle?"
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'''Autor:''' [[Benutzer:Lindholz|Lindholz]]
"Sie haben Kämpfer erschlagen, die das Banner des Götterfürsten trugen. Wenn sie und jene, in deren Auftrag sie handelten, die Strafe für Ihr Tun nicht schon in dieser Welt trifft, so wird es sie in der nächsten Welt erwarten", antwortete Amaros. "Ob das Eurem Herzen an Genugtuung ausreicht, vermag ich freilich nicht zu sagen. Es ist nicht einfach, das Feuer eine Blutfehde zu löschen. Meinem Vater war es wohl nur möglich, da er uns in der Fremde, fern von allem groß gezogen hat."
Dass weder seine Schwester Alisea noch er selbst die Entscheidung ihres Vaters sonderlich zu schätzen gewusst hatten, verschwieg er lieber.
"Einer meiner Vorfahren, nach dem ich benannt wurde, lenkte einst das Schicksal Almadas, wie es auch Eure Ahnen taten. Meine Schwester hat unseren Namen gegen den einer anderen Familia getauscht. Wir wenigen Verbliebenen, die wir dieses Erbe auf unseren Schultern tragen, müssen gut auf uns acht geben. Nicht nur für unser eigenes Wohl, sondern auch für das jener, die nach uns kommen."
Der junge Magier räusperte sich: "Entschuldigt, Domna Richeza, ich sollte Euch nicht mit solchen Geschichten langweilen."
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'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]]
Richeza von Scheffelstein y da Vanya schwieg wieder. Einmal sah es so aus, als wolle sie etwas fragen, aber sie öffnete und schloss den Mund und zuckte dann mit den Schultern. "Es ist mir gleich, in welcher anderen Welt irgendwer bestraft wird oder auch nicht. Das nützt den Toten nichts und mir auch nicht. Das macht niemanden wieder lebendig, und es beseitigt auch keine Probleme in diesem Leben. Weder Probleme, noch Frauen, die meinethalben in den Niederhöllen erfrieren könnten." Düster betrachtete sie den Magus, ließ den Blick weiter über die Gemälde schweifen. Ihrer Kehle entsprang ein merkwürdiges, halb ersticktes Seufzen.
Sie wandte sich dem Magier wieder zu. "Kann ich noch irgendetwas für Euch tun, Dom Amaros?"
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'''Autor:''' [[Benutzer:Lindholz|Lindholz]]
Amaros von Lindholz schüttelte den Kopf: "Nein, zu großzügig, Domna Richeza, aber ich denke, das wird nicht nötig sein. Ich wünschte mir nur, dass Ihr meiner Anteilnahme gewahr seid. Habt eine borongesegnete Nacht."
Mit diesen Worten verbeugte er sich und machte kehrt. Er hatte beschlossen, in den Speisesaal zurück zu kehren und hoffte, dass sich entweder der Hausherr oder Domna Belisetha noch nicht zur Ruhe gebettet hatten. Es mochte die geringste Sorge der Domna Richeza sein, doch bei all den Widrigkeiten der letzten Zeit, sollte sie sich nun wirklich nicht noch mit einem Kleid belasten, in dem sie sich kaum bewegen konnte. Die Edle sah aus, als hätte eine gigantisch blaue Tulpe sie verschluckt! Er hoffte, Ihr mit etwas Unterstützung eines da Vanyas und eines Accuratum vor der Abreise wenigstens diese Sorge nehmen zu können.
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'''Autor:''' [[Benutzer:Lindholz|Lindholz]]
'''16. Tsa, am späten Abend, wenig später'''
Domna Belisetha starrte auf den gewürzten Wein, der langsam in ihren mageren Händen abkühlte. Sie hatte sich von ihrem Bruder und ihrem Sohn verabschiedet und war alleine, nahe dem wärmenden Feuer, zurück geblieben. Die Müdigkeit zehrte an ihr, doch noch wehrte sie sich dagegen, dem Drängen Bishdariels nachzugeben. Sie wusste, dass Borons Traumbote ihr in diesen Tagen keine erkleckliche Ruhe schenken konnte. Vielleicht war nur noch sein Rabenbruder überhaupt in der Lage dazu. Doch noch wollte sie nicht gehen, konnte nicht gehen. Sie seufzte, richtete sich auf und bereute es, als Feuerwogen ihren Körper fluteten.
"Euer Hochgeboren, was für ein Glück, Euch noch anzutreffen." Belisetha da Vanya erkannte die Stimme des Yaquirtaler Magiers, noch bevor er in ihr Blickfeld trat. Sein Eintreten hatte sie nicht bemerkt, versuchte sich jedoch weder ihre Überraschung, noch ihre Schmerzen anmerken zu lassen, als sie ihm ein gütiges Lächeln schenkte: "Dom Amaros, Ihr seid noch wach? Ein alter Körper wie der meine wird genügsam, doch ein junger Mann wie Ihr sollte sich den Schlaf gönnen, das ihm sein jugendliches Leben abverlangt."
"Ich danke Euch für diesen weisen Rat, Domna Belisetha, doch die Cortezza hält mich wach", erwiderte Amaros von Lindholz. "Verzeiht meine Dreistigkeit, doch mir scheint, die Reisegeraderobe der Domna Richeza ist für die derzeit herrschenden Wetterbedingungen nur im begrenzten Maße vorteilhaft. Wenn Ihr mir entsprechende Materialien zur Verfügung stellen könntet, würde ich diesem Umstand gern entgegenwirken."
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'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]]
Belisetha da Vanya betrachtete den Magier einige Augenblicke aufmerksam, ehe sie erneut lächelte. "Sehr freundlich, Dom Amaros, Eure Fürsorglichkeit ehrt Euch. Gleichwohl: Domna Richeza ist ... sehr eigenwillig, was ihre ... Garderobe angeht. Seid gewiss, dass wir bereits alles in die Wege geleitet haben, um ihr eine angemessene Gewandung schneidern zu lassen. Einstweilen wird sie mit dem Vorlieb nehmen, was sich in den Beständen unseres Hauses findet. In diesen ehrwürdigen Sälen residierte seit Langem keine junge Dame mehr, die nicht in Kette, Platte und Wappenrock gekleidet war."
Sie stellte den Becher auf einem kleinen Tisch neben ihrem Sessel ab und lehnte sich ächzend wieder zurück. "Aber dies ist gewiss nicht der Grund Eures Besuches. Habt Ihr gefunden, was Ihr über den Prozess des Ben Nasreddin herauszufinden hofftet?"
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'''Autor:''' [[Benutzer:Lindholz|Lindholz]]
"Tatsächlich war dies der einzige Grund, warum ich Euch heute Abend noch einmal aufgesucht habe.  Es stimmt mich traurig, dass Ihr mir nicht so viel Höflichkeit", 'und Guten Geschmack', wie er innerlich ergänzte, "zutraut. Ihr seht mich aber erleichtert, dass meine Sorge unbegründet war.
Und es freut mich, dass Ihr Euch noch an den Grund meines Hierseins erinnert", fuhr Amaros von Lindholz fort. "Was den Prozess gegen die Ben Nasreddin angeht, waren die Anschuldigungen wegen Hexerei wohl nicht haltbar und die Aufzeichnungen enthüllen wenig, was sonst von Interesse wäre. Doch die Zeit wird zeigen, ob dieses Wissen nicht trotzdem seinen Nutzen hat."
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'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]]
Domna Belisetha nickte bedächtig. "Die Zeit wird es zeigen, Dom Amaros." Sie sah an ihm vorbei in den Kamin. "Die Zeit heilt wenig, aber sie lässt uns das Vergangene in einem neuen Licht erscheinen. In einem anderen Licht."
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==[[Kaiserlich Selaque]], 18. und 19. Tsa 1036 BF==
==[[Kaiserlich Selaque]], 18. und 19. Tsa 1036 BF==
===Im [[Junkergut Vanyadâl|Vanyadâl]] und auf dem [[Castillo da Vanya]]===
===Im [[Junkergut Vanyadâl|Vanyadâl]] und auf dem [[Castillo da Vanya]]===

Aktuelle Version vom 1. Dezember 2016, 18:47 Uhr

Mark Ragathsquell, 16. Tsa 1036 BF[Quelltext bearbeiten]

Castillo Quazzano, vormittags[Quelltext bearbeiten]

Autor: von Scheffelstein

Caballero Abelardo Mansarez von Leuendâl und Magus Amaros Desidero von Lindholz wurden im Roten Salon des Castillo Quazzano von Seiner Eminenz Amando Laconda da Vanya empfangen. Die Nachrichten, die sie dem Großinquisitor nun persönlich überbringen würden, waren für diesen nicht neu. Vor drei Tagen hatten sie von Schrotenstein aus eine Brieftaube gen Albacim gesandt, die dem Familienoberhaupt der da Vanyas die unglückliche Kunde vom Tod seiner Nichte Rifada und der Reichsvogtin Praiosmin von Elenta überbracht hatte. Die Antwort hatten sie schon bald darauf erhalten: Man solle sich umgehend auf den Weg nach Quazzano machen, wo der Großinquisitor einen in wenigen Tagen empfangen werde.

Der Schrotensteiner Baron, Lucrann da Vanya, hatte die Bergung der Leichen veranlasst. Die sterblichen Überreste seiner Base hatte er ins Vanyadâl bringen lassen, wo sie in wenigen Tagen in der Familiengruft beigesetzt werden sollten. Von Dom Lucrann hatte Abelardo auch erfahren, dass die Domnas Belisetha und Richeza zwischenzeitlich mehr oder weniger lebendig auf Quazzano eingetroffen seien. Dies hatte ihn dazu veranlasst, auf dem Weg nach Quazzano umgehend einen Abstecher nach Norderwacht einzulegen. Doch der gefangene Harmamund war verschwunden. Er sei, hatte die Burgherrin verlauten lassen, vor einigen Tagen zusammen mit dem Gardisten Gambron zu 'irgendeinem Boronkloster' aufgebrochen.

Abelardo war erleichtert gewesen, dass Gambron und der junge Norre den Harmamund nicht, wie es Domna Rifadas Wille gewesen war, einfach umgebracht hatten. Dennoch fürchtete er die Folgen, die die Entführung des Geweihten noch nach sich ziehen konnten. Gleichwohl war er zunächst dem Wunsch des Großinquisitors nachgekommen.

Dieser hatte am Kopfende des kleinen Tisches Platz genommen. In dem Brokatsessel neben ihm, saß seine Schwester, Belisetha da Vanya. Eine schwere Decke lag auf ihren Knien. Sie war bleich wie der Tod und stöhnte bei jeder Bewegung, als habe sie große Schmerzen, war aber sichtlich um Fassung bemüht. In dem Sessel rechts der alten Domna und links des Magus saß Lucrann da Vanya, das Gesicht so düster wie die Wolken, die an diesem Tag über dem Raschtulswall hingen.

"Ich danke Euch, dass Ihr den Weg hierher auf Euch genommen habt", begann der Großinquisitor. Seinem faltigen Gesicht war der Kummer in keiner Weise anzusehen. Er strahlte dieselbe Würde aus wie das Bildnis des Götterfürsten an der Wand hinter ihm. "Bitte berichtet noch einmal genau, was sich auf dem Höhenweg zugetragen hat!"

In diesem Moment ging wurde eine der drei Türen des Salons geöffnet, und herein trat Richeza von Scheffelstein y da Vanya. Sie trug ein sehr weit geschnittenes blaues Oberkleid mit einer Brokatborte über einem weißen Unterkleid, das zu lang war und dessen Saum über den Boden schleifte – eine Mode, wie sie schon seit bald Hundert Jahren nicht mehr bei Hofe getragen wurde.

"Eure Eminenz haben mich ...", begann sie, verstummte jedoch augenblicklich, als sie bemerkte, dass der Soberan des Hauses keineswegs allein war.

"Setze dich, mein Kind!", sprach der Großinquisitor sie an, ohne ihr mehr als nur einen flüchtigen Blick zu schenken, und legte seine beringte Hand auf die Lehne des Sessels zu seiner Linken.

Richeza von Scheffelstein y da Vanya trat zögernd näher, wich dem Blick Abelardos aus, den sie doch von Kindesbeinen an kannte, und grüßte auch den Magus nicht, der ihr vor Tagen ins Vanyadâl einen Brief gebracht hatte. Auch sie war auffallend blass, unter den dunklen Augen lagen tiefe Schatten, und sie hielt den Blick auf ihre unter dem Kleid verborgenen Füße gerichtet, während der Großinquisitor die Hand hob und den Magus bat, zu beginnen.


Autor: Lindholz

Amaros von Lindholz fasste in wenigen Sätzen den Verlauf seiner Reise an der Seite der arretierten Reichsvogtin bis zu den Ereignissen auf dem Höhenweg zusammen. Ihm erschien es wichtig, deutlich zu machen, dass – zumindest aus seiner Sicht – nichts darauf hingedeutet hatte, wie sich die Lage entwickeln würde. Im Anschluss berichtete er von dem Überfall auf den Transport und dessen kirchliche Begleiter.

Auch wenn Gegenwehr seinen Tod bedeutet hätte: Gerne hätte er sein eigenes, wenig rühmliches Verhalten verschwiegen oder in einem anderen Licht dargestellt, doch im Angesicht seiner Eminenz war dies ein vergebliches Unterfangen. So ließ er nichts aus, von dem, was er von den Angreifern, ihrem Vorgehen und dem Geschehen berichten konnte und endete schließlich mit seiner Rückkehr an den Ort der Tragödie in Begleitung des Doms Abelardo.

Schwerer noch als die eigene Bloßstellung, fiel es dem jungen Magier, die sich an seinen Bericht anschließenden Momente der Stille zu ertragen.


Autor: von Scheffelstein

Diese Stille jedoch währte nur wenige Augenblicke. Augenblicke, in denen Richeza von Scheffelstein y da Vanya den jungen Magus mit leicht geöffnetem Mund und unverhohlener Abneigung anstarrte. "Was?", fragte sie. "Rifada – tot? Ihr scherzt wohl! Niemand, nicht zwanzig Reiter, vermögen ihr etwas anzuhaben! Nicht, wenn sie nicht …" Sie stockte. Dann sprang sie aus ihrem Sessel auf. "Auf wessen Seite steht Ihr eigentlich, Lindholz? In wessen Diensten? Der Harmamund? Ihr gebt erst Fersengeld, um dann ganz zufällig auf meine Tante zu treffen und sie allein in diesen Hinterhalt reiten zu lassen? War das der Plan: Sie in eine Falle zu locken?" Sie schrie jetzt. "WEM HABT IHR Euch angedient?"

Eine Hand fasste sie an ihrem Unterarm, und die schneidende Stimme des Goßinquisitors brachte sie zum Schweigen. "Setz dich!", befahl er. Einmal, ein zweites Mal, ehe Domna Richeza sich langsam in den Sessel zurücksinken ließ, noch immer mit vor Zorn geröteten Wangen.

"Der junge Dom Amaros handelte in meinem Ansinnen, als er Praiosmin von Elenta gen Quazzano und weiter nach Ragath zu begleiten gedachte." Amando Laconda da Vanya nickte dem Magus zu, ehe er sich an die Scheffelsteinerin wandte. "Du solltest deine Tante inzwischen gut genug kennen, um um ihre Tollkühnheit zu wissen. Was du jedoch noch nicht weißt: Auf Albacim wurde deine Base Gujadanya von der Reichsvogtin ermordet. Es ist anzunehmen, dass dieser Umstand Rifada, als sie – wie auch immer – davon erfuhr, dazu bewegte, blutige Rache zu nehmen."

Die Farbe wich aus Domna Richezas Gesicht, so schnell, wie sie gekommen war. "Gu…jadanya? A…a.. Ermordet?", hauchte sie. "U… und Rifada …?" Sie blickte erneut zum Magus und erstmals auch in Abelardos Gesicht, der kaum merklich nickte."

Erneut sprang die Edle auf. Diesmal war die Hand des Großinquisitors zu langsam, um sie aufzuhalten.

"Richeza!", rief die alte Wildenfester Junkerin aus ihrem Sessel. Doch da stürmte Richeza von Scheffelstein y da Vanya bereits aus dem Salon. Krachend fiel die Tür hinter ihr ins Schloss. Die Stille in dem Salon war noch drückender als zuvor. Der Schrei, der nach einer Weile gedämpft von draußen herein drang, markerschütternd, machte das Schweigen im Raum nur noch schwerer erträglich.


Autor: Lindholz

"Euer Eminenz, Euer Hochgeboren, Euer Wohlgeboren, es ist mir ein Bedürfnis, die Trauer, tiefe Sympathie und Kondolenz zum Ausdruck zu bringen, die ich anhand der Verluste empfinde, die Eure Familie aber auch die heilige Kirche hinnehmen musste", brachte Amaros von Lindholz schließlich hervor. "Viele tapfere Seelen haben uns verlassen, und vielleicht wäre es der Herrin Rondra wohlgefällig gewesen, wenn auch ich an jenem Tage meinen letzten Atemzug getan hätte. Es hätte jedoch den Ausgang der Ereignisse nicht ändern können. Ich kann keine Feuerzungen über das Schlachtfeld schicken oder gar Kreaturen aus anderen Sphären herbeirufen. So hoffe ich, dass Ihr die Worte eines lebenden Mannes mehr zu schätzen wisst, als die schweigenden Lippen eines Toten. Wenn es etwas gibt, Euer Eminenz, was ich tun kann, um der Gerechtigkeit den Weg zu ebnen, dann zögert nicht, es zu sagen."


Autor: von Scheffelstein

Die Stirn des Großinquisitors legte sich in Falten, als der Magus von seinen Künsten und auch den nicht vorhandenen Fähigkeiten sprach, insbesondere, als er die Wesen aus anderen Sphären erwähnte.

"Euer Wort wird zu gegebener Zeit vielleicht noch Gewicht haben", erklärte Amando Laconda da Vanya. "Einstweilen werden wir unsere Toten im Vanyadâl beisetzen. Auch das Begräbnis der Reichsvogtin wird zu veranlassen sein. Nachricht an Graf, Fürst und Kaiserin wurden bereits ausgesandt." Er strich sich nachdenklich durch den weißen Bart.

"Wir haben es hier mit zwei Fehden zu tun, in die unser Haus verwickelt ist. Die eine wurde vor langer Zeit an uns herangetragen, die andere hat meine Nichte über unser Haus gebracht. Mit dem Tode Domna Praiosmins sollte sie als beendet gelten, gleichwohl werden die Umstände näher zu untersuchen sein. Insbesondere, da noch herauszufinden ist, unter wessen Einfluss die Reichsvogtin mutmaßlich gestanden hat. Was die Fehde mit den Harmamunds angeht, hat mein Haus schwerwiegende Vorwürfe vorzubringen. Was immer Ihr möglicherweise auch in diesem Casus zu bezeugen habt, sollt Ihr zu passender Zeit und an anderer Stelle beschwören."

Amando Laconda da Vanya wandte sich an seinen Neffen. "Lucrann, du wirst dich um die Veranlassung der Begräbnisse kümmern."

Er nickte dem Caballero von Leuendâl zu. "Auch der ehrenwerte Dom Hesindian soll Nachricht erhalten über die Vorfälle, von denen sein Haus durch seine Großtochter ebenfalls betroffen ist."

"Ich hoffte, sie werde mich nach Hause begleiten", wandte Abelardo ein.

Amando Lacondas Blick ruhte einen Moment auf dem alten Caballero, ehe er antwortete. "Gewiss wird Domna Richeza der Trauerfeier ihrer Anverwandten beiwohnen wollen. Alsdann haben wir noch einiges mit ihr zu besprechen. So Ihr mögt, begleitet uns ins Vanyadâl, von dort aus werden wir Nachricht senden an Dom Hesindian. Denn auch ihn betrifft manches von dem, was unser Haus nun bewegt."

Abelardo Mansarez von Leuendâl öffnete den Mund, aber Amando Laconda hob die Hand, offenbar nicht gewillt, an dieser Stelle Fragen zu beantworten.

"Meine Herren: Seid unsere Gäste an diesem Tag. Im Morgengrauen werden wir aufbrechen ins Vanyadâl."


Autor: Lindholz

16. Tsa, am späten Abend

Amaros von Lindholz atmete erleichtert aus, als er die schwere Tür zum Speisesaal hinter sich schließen konnte. Nicht, dass das Essen schlecht gewesen wäre, ganz im Gegenteil: Der Wildschweinbraten war zart und die Soße von vollendetem Geschmack gewesen; sie trug das Aroma eines schweren, roten Weines und fein abgestimmter Gewürze in sich. Doch im Angesicht der Ereignisse war es mehr als offensichtlich, welche Mühe es die da Vanyas kostete, ihrem Gast mit der erforderlichen Courtoisie zu begegnen. So überließ er sie ihrer Trauer sobald es die Höflichkeit gestattete und wandte sich den Weg zu den Räumlichkeiten zu, die ihm seine Eminenz freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte.

Der Tag der Abreise war zum Greifen nah. Doch wie oft hatte er schon gedacht, nur noch einen Katzensprung von den Toren Ratzingens entfernt zu sein, nur um sich dann erneut in einer misslichen Lage wiederzufinden. Und das alles nur, weil seine Schwester einen albernen Brief nicht einem einfachen Boten anvertrauen wollte. Dafür war sie ihm etwas schuldig!

Immerhin hatte er sich Stück für Stück aus der Wildnis näher an das Herz der Grafschaft Ragath vorgearbeitet. So war der junge Magier guter Dinge, in Bälde die Ländereien seines Vaters wiedersehen zu können. Solcherart in Gedanken versunken, dauerte es eine ganze Weile, bis es Amaros auffiel, dass er völlig vom Weg abgekommen war.

Er stand auf einer Wendeltreppe, war sich jedoch sicher, dass die Stufen im rechten Winkel angestiegen waren, als er zu seinem Zimmer geführt worden war. Verdattert sah er sich um. Kein Diener weit und breit. Nach kurzem Zögern entschied Amaros von Lindholz sich, den Aufstieg in das nächste Stockwerk dennoch fortzusetzen. Vielleicht führte der Gang ja lediglich von der anderen Seite zum gleichen Ort.

Stattdessen fand sich der Magier kurz darauf in einem langgestreckten Gang, der von einer Reihe Öllampen zu seiner Rechten erhellt wurden. Ihr Licht fiel auf eine Ansammlung von Gemälden. Die abgebildeten Personen waren in edle Gewänder gehüllt und mit Symbolen der Macht versehen. Neugierig musterte die stolzen Gestalten; offenkundig jene Grafen und Fürsten auf die die Familia da Vanya ihren altehrwürdigen Stolz stützte. Den Schritt deutlich verlangsamt, bewegte sich Amaros von Portrait zu Portrait, blickte in erhabene Gesichter und schüchterne, solche, aus denen Frohsinn, Trauer, Verständnis und Eigensinn sprachen. Den jungen Amando Laconda da Vanya hätte er beinahe nicht erkannt!

Derart gebannt von vergangenen Zeiten, glaubte Amaros fast, der Geist eines Ahnen würde sich erheben, als nur wenige Schritte neben ihm sich jemand aufrichtete: Zuvor verborgen von den Schatten einer Fensternische, konnte er nun die Züge der Domna Richeza erkennen, die es vorgezogen hatte, der Vesper fernzubleiben. Seine Überraschung überspielend verbeugte er sich tief und warf einen Blick auf das Portrait neben dem sich die dle Dame erhoben hatte: Es zeigte die junge Rifada, lachend, selbstsicher, einen Helm unter dem Arm, ein Schwert in der Rechten.


Autor: von Scheffelstein

Richeza von Scheffelstein y da Vanya sah den Magier schweigend an. Ihr Blick folgte dem seinem zu dem Bild der verstorbenen Junkerin und verharrte dann eine Weile auf dem Gemälde, das neben dem Domna Rifadas hing. Es zeigte eine junge Frau mit verträumtem Gesichtsausdruck, gekleidet in ein blaues Samtkleid. Sie trug eine Kette mit einem schwarzgrün gemaserten Stein um ihren Hals, eingefasst in bronzene Blattranken.

Amaros und der Edlen Blicke begegneten sich wieder. Ihr Schweigen hatte etwas Unangenehmes, fast Anklagendes. Als sie sprach, war ihre Stimme leise und gefasst. "Ihr habt gesagt, Ihr wäret erst, nachdem diese Briganten abgezogen seien, an den Ort des Hinterhalts zurückgekehrt. Wer sagt Euch, dass sie nicht weiter geritten ist? Habt Ihr den Leichnam Domna Rifadas gesehen? Woher wollt Ihr wissen, was wirklich passiert ist?"


Autor: Lindholz

"Verzeiht, ich dachte, man hätte Euch über die weiteren Ereignisse in Kenntnis gesetzt", antwortete Amaros von Lindholz mit belegter Stimme "Es ist wahr, dass ich Domna Rifada nach unserem Gespräch nicht wiedergesehen habe, aber nachdem wir Dom Lucrann in Schrotenstein Bericht erstattet hatten, schickte er sofort Männer aus, die sich an die Bergung machten. Die Schlucht ist vom Höhenweg nicht erreichbar, aber es gibt einen Zugang. Es wird jedoch eine Weile dauern, bis man zur Kutsche vorgedrungen ist. Eurem Onkel war die Ungewissheit ebenso unerträglich wie die Vorstellung, womöglich den Leib der Domna Rifada auch nur einen Herzschlag länger als nötig den wilden Tieren auszusetzen. So ließ er einen Mann mit ausreichend Vorräten abseilen, der über sie wachen möge. Durch ein abgemachtes Signal bestätigte dieser unsere Befürchtungen."


Autor: von Scheffelstein

Richeza von Scheffelstein y da Vanya blickte den Magier stumm an. Ihr Gesicht war blass, ihre Lippen trocken und rissig, unter den dunklen Augen lagen tiefe Schatten. Die altmodische Kleidung hing an ihr herab und verbarg ihren Leib, als steckte dieser in einem unförmigen Sack. An der Rechten trug sie einen Siegelring an einem Finger, dessen rosige Haut sich von der Farbe der restlichen Hand abhob wie eine jüngst verheilte Wunde. Um den Hals trug die Edle zwei Lederbänder. Eines lag unter der Kleidung, das andere darüber. An diesem hing ein schwarzgrün gemaserter Stein, eingefasst in bronzene Blattranken.

Die Edle schwieg. Schließlich sagte sie: "Aber Ihr habt nicht gesehen, wer sie da hinunter gestoßen hat? Ob sie wer gestoßen hat? Ob es einen Kampf gegeben hat?"


Autor: Lindholz

"Ich sah nur die Entschlossenheit in Ihren Zügen; den unbeugsamen Willen in Ihren Augen, als sie dem Überfall entgegen ritt, obwohl sie wusste, welche Übermacht sie erwartete", gab der Baronssohn zur Antwort. "Was dann geschah, können wohl nur die Toten sagen. Und jene gottlosen Briganten. Vielleicht hören wir schon bald Gerüchte, wenn der Wein ihre Zungen in der nächsten Taverne löst."

Mit Interesse musterte Amaros von Lindholz die Halskette. Ein Erbstück von überraschend wenig weltlichem Wert für eine so altehrwürdige Familie. Das Licht der Öllampen ließ sein Haar wie Gold erstrahlen als er erneut zu den Portraits hinübersah, um den Blick nicht ungebührlich auf das Rahjafenster der Domna Richeza zu richten deren Schönheit selbst durch die Erschöpfung, die unförmige Kleidung, den abweisenden Blick schimmerte, wie der silberne Mond durch graue Regenwolken.


Autor: von Scheffelstein

"Und diese ... Briganten?", fragte die Domna weiter. "Wer waren die? Wen habt Ihr erkannt? Wieso wussten die von dem Wagenzug? Denn sie werden kaum zufällig in dieser Zahl ausgerechnet auf diesem abgelegenen Höhenzug aufgetaucht sein. Und so, wie Ihr und wie Abelardo ihre Kleidung beschrieben hat, waren sie keine Bauern. Also: Woher wussten die, dass sämtliche Schätze des Hauses da Vanya und die alte Praiosmin an diesem Tag zu dieser Stunde dort auftauchen würden? Und vielleicht auch meine Tante?" Der Blick der Edlen war grimmig, als Amaros sich ihr wieder zuwandte.


Autor: Lindholz

"Ich stimme Euch zu: Es ist anzunehmen, dass der Wagenzug erwartet wurden. Gut möglich, dass jemand aus der Dienerschaft des Castillo Albacim die Absichten seiner Eminenz bewusst oder unwissend weitergegeben hat", mutmaßte Amaros von Lindholz. "Erkannt habe ich niemanden, aber das dürfte kaum überraschen, denn schließlich bin ich hier fremd. Es wäre vermutlich erfolgsversprechender, Ihr fragt Euch selbst, Domna Belisetha oder einen beliebigen Bewohner Selaques, wer Eure Familia solch ein Unglück wünscht, wer so gierig und gottlos ist oder wer der Reichsvögtin so treu-dumm dient, statt eine Antwort von mir zu erwarten. Oder wollt Ihr mich in Wahrheit nur zu einem Geständnis bringen?"


Autor: von Scheffelstein

Richeza von Scheffelstein y da Vanya musterte den Magus unverfroren, ehe sie den Blick ab- und den Gemälden wieder zu wandte, das Funkeln in ihren Augen erlosch und mit der Anspannung jede Kraft aus ihrem Körper zu weichen schien. "Nein", sagte sie nur. "Es werden Schergen der Elenterin gewesen sein. Vielleicht auch der Harmamund. Was spielt das auch für eine Rolle?"


Autor: Lindholz

"Sie haben Kämpfer erschlagen, die das Banner des Götterfürsten trugen. Wenn sie und jene, in deren Auftrag sie handelten, die Strafe für Ihr Tun nicht schon in dieser Welt trifft, so wird es sie in der nächsten Welt erwarten", antwortete Amaros. "Ob das Eurem Herzen an Genugtuung ausreicht, vermag ich freilich nicht zu sagen. Es ist nicht einfach, das Feuer eine Blutfehde zu löschen. Meinem Vater war es wohl nur möglich, da er uns in der Fremde, fern von allem groß gezogen hat."

Dass weder seine Schwester Alisea noch er selbst die Entscheidung ihres Vaters sonderlich zu schätzen gewusst hatten, verschwieg er lieber.

"Einer meiner Vorfahren, nach dem ich benannt wurde, lenkte einst das Schicksal Almadas, wie es auch Eure Ahnen taten. Meine Schwester hat unseren Namen gegen den einer anderen Familia getauscht. Wir wenigen Verbliebenen, die wir dieses Erbe auf unseren Schultern tragen, müssen gut auf uns acht geben. Nicht nur für unser eigenes Wohl, sondern auch für das jener, die nach uns kommen."

Der junge Magier räusperte sich: "Entschuldigt, Domna Richeza, ich sollte Euch nicht mit solchen Geschichten langweilen."


Autor: von Scheffelstein

Richeza von Scheffelstein y da Vanya schwieg wieder. Einmal sah es so aus, als wolle sie etwas fragen, aber sie öffnete und schloss den Mund und zuckte dann mit den Schultern. "Es ist mir gleich, in welcher anderen Welt irgendwer bestraft wird oder auch nicht. Das nützt den Toten nichts und mir auch nicht. Das macht niemanden wieder lebendig, und es beseitigt auch keine Probleme in diesem Leben. Weder Probleme, noch Frauen, die meinethalben in den Niederhöllen erfrieren könnten." Düster betrachtete sie den Magus, ließ den Blick weiter über die Gemälde schweifen. Ihrer Kehle entsprang ein merkwürdiges, halb ersticktes Seufzen.

Sie wandte sich dem Magier wieder zu. "Kann ich noch irgendetwas für Euch tun, Dom Amaros?"


Autor: Lindholz

Amaros von Lindholz schüttelte den Kopf: "Nein, zu großzügig, Domna Richeza, aber ich denke, das wird nicht nötig sein. Ich wünschte mir nur, dass Ihr meiner Anteilnahme gewahr seid. Habt eine borongesegnete Nacht."

Mit diesen Worten verbeugte er sich und machte kehrt. Er hatte beschlossen, in den Speisesaal zurück zu kehren und hoffte, dass sich entweder der Hausherr oder Domna Belisetha noch nicht zur Ruhe gebettet hatten. Es mochte die geringste Sorge der Domna Richeza sein, doch bei all den Widrigkeiten der letzten Zeit, sollte sie sich nun wirklich nicht noch mit einem Kleid belasten, in dem sie sich kaum bewegen konnte. Die Edle sah aus, als hätte eine gigantisch blaue Tulpe sie verschluckt! Er hoffte, Ihr mit etwas Unterstützung eines da Vanyas und eines Accuratum vor der Abreise wenigstens diese Sorge nehmen zu können.


Autor: Lindholz

16. Tsa, am späten Abend, wenig später

Domna Belisetha starrte auf den gewürzten Wein, der langsam in ihren mageren Händen abkühlte. Sie hatte sich von ihrem Bruder und ihrem Sohn verabschiedet und war alleine, nahe dem wärmenden Feuer, zurück geblieben. Die Müdigkeit zehrte an ihr, doch noch wehrte sie sich dagegen, dem Drängen Bishdariels nachzugeben. Sie wusste, dass Borons Traumbote ihr in diesen Tagen keine erkleckliche Ruhe schenken konnte. Vielleicht war nur noch sein Rabenbruder überhaupt in der Lage dazu. Doch noch wollte sie nicht gehen, konnte nicht gehen. Sie seufzte, richtete sich auf und bereute es, als Feuerwogen ihren Körper fluteten.

"Euer Hochgeboren, was für ein Glück, Euch noch anzutreffen." Belisetha da Vanya erkannte die Stimme des Yaquirtaler Magiers, noch bevor er in ihr Blickfeld trat. Sein Eintreten hatte sie nicht bemerkt, versuchte sich jedoch weder ihre Überraschung, noch ihre Schmerzen anmerken zu lassen, als sie ihm ein gütiges Lächeln schenkte: "Dom Amaros, Ihr seid noch wach? Ein alter Körper wie der meine wird genügsam, doch ein junger Mann wie Ihr sollte sich den Schlaf gönnen, das ihm sein jugendliches Leben abverlangt."

"Ich danke Euch für diesen weisen Rat, Domna Belisetha, doch die Cortezza hält mich wach", erwiderte Amaros von Lindholz. "Verzeiht meine Dreistigkeit, doch mir scheint, die Reisegeraderobe der Domna Richeza ist für die derzeit herrschenden Wetterbedingungen nur im begrenzten Maße vorteilhaft. Wenn Ihr mir entsprechende Materialien zur Verfügung stellen könntet, würde ich diesem Umstand gern entgegenwirken."


Autor: von Scheffelstein

Belisetha da Vanya betrachtete den Magier einige Augenblicke aufmerksam, ehe sie erneut lächelte. "Sehr freundlich, Dom Amaros, Eure Fürsorglichkeit ehrt Euch. Gleichwohl: Domna Richeza ist ... sehr eigenwillig, was ihre ... Garderobe angeht. Seid gewiss, dass wir bereits alles in die Wege geleitet haben, um ihr eine angemessene Gewandung schneidern zu lassen. Einstweilen wird sie mit dem Vorlieb nehmen, was sich in den Beständen unseres Hauses findet. In diesen ehrwürdigen Sälen residierte seit Langem keine junge Dame mehr, die nicht in Kette, Platte und Wappenrock gekleidet war."

Sie stellte den Becher auf einem kleinen Tisch neben ihrem Sessel ab und lehnte sich ächzend wieder zurück. "Aber dies ist gewiss nicht der Grund Eures Besuches. Habt Ihr gefunden, was Ihr über den Prozess des Ben Nasreddin herauszufinden hofftet?"


Autor: Lindholz

"Tatsächlich war dies der einzige Grund, warum ich Euch heute Abend noch einmal aufgesucht habe. Es stimmt mich traurig, dass Ihr mir nicht so viel Höflichkeit", 'und Guten Geschmack', wie er innerlich ergänzte, "zutraut. Ihr seht mich aber erleichtert, dass meine Sorge unbegründet war. Und es freut mich, dass Ihr Euch noch an den Grund meines Hierseins erinnert", fuhr Amaros von Lindholz fort. "Was den Prozess gegen die Ben Nasreddin angeht, waren die Anschuldigungen wegen Hexerei wohl nicht haltbar und die Aufzeichnungen enthüllen wenig, was sonst von Interesse wäre. Doch die Zeit wird zeigen, ob dieses Wissen nicht trotzdem seinen Nutzen hat."


Autor: von Scheffelstein

Domna Belisetha nickte bedächtig. "Die Zeit wird es zeigen, Dom Amaros." Sie sah an ihm vorbei in den Kamin. "Die Zeit heilt wenig, aber sie lässt uns das Vergangene in einem neuen Licht erscheinen. In einem anderen Licht."



Kaiserlich Selaque, 18. und 19. Tsa 1036 BF[Quelltext bearbeiten]

Im Vanyadâl und auf dem Castillo da Vanya[Quelltext bearbeiten]

Autor: von Scheffelstein

18. Tsa, morgens

Unheilvoll leuchteten die schneeschwangeren Wolken im Süden: schwarz und gelb und rot. Als hätte der Schänder der Elemente einen Höllenschlund über dem Gebirge geöffnet. Und wie viel eher mochte Richeza von Scheffelstein y da Vanya in diesem Moment glauben, der Djer Ragaz sei ein Tor in eine Domäne der ewigen Verderbnis der Niederhöllen als vielmehr, wie manche über die Feuerberge behaupteten, ein Zugang zu Ingerimms Esse in Alveran?

Und der Schnee, der, weiß und unschuldig, in dicken, schweren Flocken auf die Särge fiel, war er nicht auch das Element des siebenmal verfluchten Fürsten von Frost und Kälte? Hatten die Pforten der Hölle sich geöffnet, um ihre grausamen Herren in die Welt zu entlassen? War das letzte Zeitalter gekommen, der letzte Tag, war die letzte Stunde schon eingeläutet?

Gong-gong-gong!, hallte es aus der Burg. Dort, wo sich einst die Waffenkammer der Burgherrin im Bergfried befunden hatte, ragte noch immer das vom Blitzschlag vor mehr als drei Jahren zerstörte Mauerwerk auf. Bis vor wenigen Tagen hatte es an Geld gefehlt, den Turm vollständig wieder errichten zu lassen. Stattdessen hing dort unter freiem Himmel eine Glocke an einem Seil, um die Vanyadâler vor nahenden Ferkinas zu warnen. Heute aber verkündete die Glocke nicht den Angriff der Wilden, sondern, so schien es Richeza, das Ende der Welt.

"Und so mögen sie ruhen in des Herrn Boron Namen und auferstehen an der Herrin Rondra Seite, bis die Leuin sie wird rufen zur letzten Schlacht. Frieden ihren Seelen von jetzt ab auf immerdar."

Ein Grollen zerriss die Eisesstille, und die Wolken über den Hängen des Raschtulswalls leuchteten für einige Augenblicke heller als zuvor.

Die letzte Schlacht. Vielleicht sehen wir uns bald wieder, dachte Richeza. Aber nein. Wenn das Ende nahte, würde sie in ewige Finsternis und Kälte stürzen. Sie war keine Heldin. Niemand wartete auf sie. Niemand brauchte sie.

Stumpf sah die Edle den Boronknechten dabei zu, wie sie die Eichensärge aufnahmen und, einen nach dem anderen, in die Gruft trugen.

"Komm, mein Kind", sagte der Großinquisitor. Seine Finger berührten weich und kalt Richezas Wange. "Lass uns hinauf gehen zu Belisetha. Es gibt vieles zu besprechen."

Richeza antwortete nicht. Belisetha war nicht herunter gekommen. Sie saß in Decken gehüllt am Kamin. Würde vermutlich nie wieder laufen können. Der Inquisitor und sein Neffe, der Schrotensteiner Baron, machten sich auf den Rückweg zur Burg. Amando Laconda in einer Sänfte, Lucrann zu Ross.

Nur die Achmad'sunni betrat die Gruft hinter dem Prediger und seinen Dienern. Richeza hörte sie weinen. Jelissa Al'Abastra war keine Frau, die nah am Wasser gebaut hatte. Aber wer wollte es ihr verdenken? Sie hatte ihre Geliebte verloren und deren Tochter, die ihr wie eine eigene gewesen war. Richeza trat in den Eingang, blickte die Stufen hinab in den von Fackeln beleuchteten Grabraum. Steinsärge, alt. Eichensärge, zwei davon neu. Zwischen ihnen die Amazone, eine Hand auf jedem Sarg, kniend, den Rücken vor Gram gebeugt.

Richeza hatte keine Tränen. Man weinte nicht am letzten Tag um ein einzelnes Leben. Nicht einmal um zwei. Der Widerschein des Höllenfeuers am Horizont hieß jede Träne verfrüht gefallen. Entweder, dies war ein Alptraum, und sie würde bald erwachen. Oder es war ohnehin alles egal.

Jelissa Al'Abastra hörte ihr Atmen und hob den Kopf. Richeza begegnete ihrem Blick stumm, ihren Tränen ohne Gefühl. Als die ältere Frau den Mund öffnete, um sich zu erklären, wandte die Edle sich ab, schritt durch den knirschenden Schnee und die klirrende Kälte hinauf zur Burg. Zu Fuß. Wartend auf den Morgen, auf die Sonne, die sie wecken würde. Aber dieser Tag kannte keine Sonne und keinen Morgen. Die ewige Nacht hatte gerade erst begonnen.


Autor: von Scheffelstein

19. Tsa, vormittags

Richeza wischte mit dem Handschuh Schnee von dem Mauerstumpf. Ein falscher Schritt, und sie fiele dreißig Schritt in die Tiefe und zerschellte auf dem gefrorenen Burghof wie eine überreife Frucht. Der Vergleich ließ sie schaudern. Ihrer Kehle entrang sich ein Schluchzen. Alle Tränen, die am Vortag undenkbar geschienen waren, waren an diesem Morgen in Sturzbächen über ihre Wange geflossen und hatten kleine Löcher in den Schnee getropft.

Über dem Raschtulswall schien die Morgensonne blass durch den Wolkenvorhang. Der Djer Ragaz schwieg. Über seinen Hängen hing grauer Rauch. Als wäre nichts gewesen. Als würde das Leben nach dem Weltenende einfach weitergehen.

Wieder schluchzte Richeza auf, griff schwankend nach dem Glockenzug, und ein einzelner heller Ton dröhnte über die Burg, das trauernde Vanyadâl. Ihre Burg. Ihr Dorf. Ihr Tal.

"Ich hasse Euch für dieses Erbe!", brach sie mit zitternder Stimme hervor, ehe ein weiterer Tränenschwall gänzlich andere Laute aus ihrem Munde lockten, das Heulen und Wimmern einen gequälten Tieres.

In ihren Ohren klang nicht ihr eigenes Weinen wider, nur ein Lachen, erfreut, amüsiert, stolz. Gerade hier, an diesem verfluchten Ort, hatte sich in wenigen Augenblicken die von Furcht und Ärger bestimmte Beziehung zu ihrer Tante verwandelt in ... ja was? Hoffnung? Zugehörigkeit? Tochterliebe? Na, sieh mal einer an, hörte sie Rifada da Vanyas Stimme in ihrem Kopf. Sah ihr Grinsen, die in die Hüften gestemmten Hände, spürte deren grobe Finger anerkennend auf ihrer Schulter.

Ein neuer Gedanke: Ich würde Dich jederzeit mit meinem eigenen Leben verteidigen. Namenloser Schmerz. "Eine Lüge!", flüsterte Richeza. "Eine Lüge!" Und später, vor gar nicht langer Zeit, hatte ihre Tante nicht da gesagt, sie, Richeza, sei wie eine Tochter für sie? "Eine Lüge!", schrie Richeza heiser in den verräterischen Morgen hinaus und ließ das Glockenseil los, und die Glocke schwang mit einem weiteren Dröhnen zurück. Rifada war ihrer geliebten Tochter in den Tod nachgefolgt. Ihrer wahren Tochter. Ihrer einzigen Tochter. Ihrer geliebten, zu früh verstorbenen, grausam getöteten Erbin. Rifada hatte ihr Leben für eine Tote gegeben. Für blindwütige Rache.

Und jetzt saßen sie gewiss schon zusammen, Mutter und Tochter, lachend an Rondras Tafel, tranken Wein bis in alle Ewigkeit, bis zum letzten Tag, wenn sie wider das Böse ziehen würden, wider die Finsternis. Und dann, an diesem Tag, würde Richeza auf der anderen Seite stehen. Als Sünderin und Frevlerin und Lügnerin, als Götterlästerin und Götterhasserin, als diejenige, die alles Übel über jene gebracht hatte, die sie liebte und die ... – Richeza trat einen Schritt näher an den Abgrund heran – ... die zurückgelassen worden war. Wieder einmal. Alle starben. Oder verließen sie. Verstießen sie. Verlachten sie. Allen war sie gleichgültig. Ihr Schmerz. Ihre Angst. Ihre Einsamkeit.

Kleine Steine lösten sich unter Richezas Füßen, sprangen einmal, zweimal auf und fielen dann beinahe senkrecht in die Tiefe. Hier war sie also: schwanger mit einem Bastard, Erbin einer Ruine, einer Blutfehde und eines ewig währenden Schuldgefühls. Wenn sie sich nie an ihre Tante gewandt hätte in ihrer Not, wenn nur ein einziger Augenblick anders verlaufen wäre, wäre Gujadanya dann noch am Leben und Rifada auch?

Hör auf!, schrie es stumm in ihrem Kopf. Noch ein Schritt. War das rutschig! Hör auf, Richeza! Ein verklärtes Lächeln. Stets war sie zu feige gewesen für den letzten Schritt. Das unterschied sie von ihrer Tante. Richezas Todesverachtung war nicht mutig. Es war nur eine kindische Albernheit. Ein Hilferuf. Aber diesmal würde kein Graf in schimmernder Rüstung auf weißem Ross sie von Golgaris Schwingen heben und zurück ins Leben küssen. Richeza atmete tief ein. Einfach Augen zu und ... Hör auf, Mutter!

Sie erstarrte. Hör auf, hör auf! Bitte, hör auf! Leben. Sie trug ein Leben in sich. Verantwortung!

Der Wind trug eine Stimme zu ihr herauf. Dumpfe, schwere Schritte auf der steinernen Wendeltreppe. Der Wind zerrte an ihren Haaren, ihren Kleidern. Wie furchtbar nah sie am Abgrund stand, und nirgendwo gab es etwas, wo sie sich festhalten konnte!

Ein Schnaufen und Keuchen hinter ihr, ein Knirschen auf der verschneiten Plattform, die früher einmal eine stolze Rüstkammer gewesen war.

"Ach, hier seid Ihr! Was, bei den Zwölfen ...?" Eine kräftige Hand packte ihren Arm von hinten, zerrte sie vom Abgrund weg, drückte sie gegen die Mauerreste des Treppenaufgangs. "Was macht Ihr da? Seid Ihr verrückt geworden?" Lucrann da Vanyas Atem schlug ihr warm ins Gesicht. Der Wind wehte sein schwarzes Haar zurück. In seinem allmählich ergrauenden Bart hingen Schneeflocken. "Wir haben Euch gesucht." Er hielt sie noch immer fest. Sein Griff, hart und unnachgiebig, erinnerte sie an den Rifadas. Tränen stürzten in Richezas Augen.

Lucrann starrte sie an. Er war viel kräftiger und massiger, als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte, der schwere Wintermantel verlieh ihm etwas Bärenhaftes. Vor vielen, vielen Jahren, als Richeza noch jung und zornig und das Leben noch ein ganz anderes gewesen war, war er ein fröhlicher, stolzer Mann gewesen, glatt rasiert und kurz geschoren, der in blinkender Rüstung in seinem Streitwagen durch Schrotenstein gefahren war. Wortkarg, aber durchaus wortgewandt. Das Leben schien ihn um Sprache und Lächeln betrogen zu haben. Als einer der wenigen, erinnerte sich Richeza, hatte er den unheiligen Krieg und die Schlacht gegen den Dämonenkaiser überlebt.

Sie weinte stumm, und er sah ihr zu, als wären Tränen etwas gänzlich Befremdliches. Dann ließ er sie los, tastete mit Bärenpranken unter dem Fellmantel und zerrte ein Taschentuch hervor, das gewiss auch schon bessere Tage gesehen hatte. "Hier!"

Sie wischte sich das Gesicht ab.

"Ist es wegen Rifada?" Er wartete eine Antwort gar nicht ab. "Das Leben geht weiter, Domna Richeza. Das Leben geht immer weiter." Er nahm ihr das Taschentuch wieder ab und musterte sie. "Und jetzt?", fragte er, und nickte in Richtung ihres Bauches, der unter Kleid und Mantel freilich wohl verborgen lag. "Habt Ihr Euch schon entschieden?"

Richeza öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu. Sie hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, dass ihre ihr bis vor kurzem noch so fremde Familia so unverhohlen über ihre Zukunft diskutierte, als sei sie ... eine Zuchtstute?

"Ihr seid jetzt die Erbin unseres Hauses", verbesserte der Schrotensteiner sie, als habe er ihre Gedanken erraten. "Sie werden Euch nicht in Ruhe lassen, solange Ihr den Namen Eurer Mutter zu tragen gedenkt. Schon gar nicht ... " Er nickte wieder bedeutungsvoll in Richtung ihres Leibes.

Richeza merkte, wie ihr das Blut ins Gesicht kroch, aber ehe seine so nahe Gegenwart ihr unangenehm wurde, wandte er sich ab, legte die bloßen Hände auf einen Mauersims und blickte über das verschneite Land, die Berge, irgendwohin nach Süden, wo fern, aber nicht zu fern, Schrotenstein lag.

"Ich habe nicht darum gebeten", sagte sie heiser.

Er wandte den Kopf, die Hände noch immer aufgestützt, grinste unter dem dichten Vollbart. "Kommt schon: Junkerin und Fürstenerbin ist kein schlechter Aufstieg für eine Landedle."

"Drauf geschissen!", zischte Richeza.

Er nickte. Wandte sich wieder dem Panorama zu. Viel zu sehen gab es allerdings nicht. Berge. Wolken. Ein paar Felder. Schnee. "Sie werden binnen Tagen einen geeigneten Namen von Euch hören wollen. Bevor das mit Euch offensichtlich ist. Gibt es den? Einen geeigneten Namen?" Wieder ein Blick über die Schulter.

"Was geht Euch das an?"

"Eine Menge, werte Domna Richeza. Noch drei Jahre, fünf oder spätestens zehn. Dann werdet Ihr meine Soberana sein."

Richeza klappte die Kinnlade herunter. Ihre Knie zitterten. "Ihr ... Ihr meint ...?"

Er lachte. Dunkel. Freudlos. "Sagt nicht, das war Euch nicht bewusst?"

Panik brach aus. Eine beinahe vernichtende, namenlose Furcht schnürte ihr die Kehle zu. Schluchzend schlug sie sich die Hände vors Gesicht. "Rifada", weinte sie, "warum?", sich wohl bewusst, wie sehr ihr jämmerlicher Anblick ihre Tante verärgert hätte.

Lucrann schien es nicht anders zu gehen. Mit zwei großen Schritten war er wieder heran, zog ihr die Hände vom Gesicht, hielt ihre Handgelenke fest umklammert. "Hört – um der Götter Willen! – auf zu heulen!" Sein Blick war beinahe zornig. "Glaubt Ihr, ich sei froh über ihren Tod? Ihre Querellas haben den Blick stets von mir gezogen. Ihr Tod bereitet mir mehr Probleme, als Ihr Euch vorstellen könnt! Er kommt mir ganz und gar ungelegen!"

Richeza hing wie ein Kind in seinem Griff, ohne jeden Wunsch, sich zu wehren. Erstmals kam ihr der Gedanke, dass Lucrann da Vanya ihr Onkel war. Vielleicht war sie doch nicht allein!

Lucrann ließ sie los, sah sie an, bis das Zittern nachgelassen, sie ihre Tränen abgewischt hatte. Seine Augen wanderten über Ihr Gesicht. "Wisst Ihr", sagte er, "nicht immer kann man heiraten, wen man möchte. Nicht immer, wen man liebt."

"Wie meint Ihr das?"

Sie sahen sich stumm an, dann lächelte er leicht. "So ist das? Wer hätte das gedacht? Die unnahbare kleine Scheffelstein! – Entschuldigt!" Er reichte ihr abermals das Taschentuch. Wie viele Tränen konnte ein Mensch an einem Tag vergießen?

"Aber Ihr werdet ihn nicht heiraten?"

Sie schüttelte mit zitternden Lippen den Kopf.

"Wen dann?"

Ein Achselzucken. Die Antwort ihres gebrochenen Herzens.

"Das wird nicht gehen." Er machte ein paar Schritte durch den verfallenen Raum, blieb vor einem der anderen halbhohen Mauerreste stehen, stützte sich auf, den Blick diesmal nach Norden gewandt.

Der Wind hatte zugenommen, bauschte Richezas Mantel, riss an ihrem Haar. Die Tränen trockneten kalt auf ihren Wangen. Sie fror.

Er kam zurück, blieb einen guten Schritt vor ihr stehen, ein Schild gegen die eisigen Böen. "Das Angebot, das ich Euch mache, mache ich nur einmal", sagte er. "Aber ich bitte Euch, es gut zu überdenken, ehe Ihr antwortet. Um unser beider Willen." Er wartete, bis er ihre Aufmerksamkeit hatte, dann drehte er in einer etwas unbeholfenen Geste die Handflächen nach oben. "Ich biete Euch meinen Namen. Und meine Hand."

Sie starrte ihn an. "Das ... hat noch keiner ... Euer An-ge-bot?"

Er hob die Hand vor ihre Lippen. Berührte sie nicht. Sie verstummte. Seine dunklen, beinahe schwarzen Augen waren ernst. "Dies ist keine Tändelei, Domna Richeza. Es geht um unsere Zukunft. Unsere Freiheit. Um das Überleben unseres Hauses. Überlegt es Euch gut!"

Er drehte sich einfach um. Stieg die Treppe hinunter. Sein Mantel schleifte über die Steine. Er stöhnte bei jeder Stufe. Die Schritte wurden leiser, vom Wind verschluckt.

Richeza starrte. Fassungslos. Die Trauer gänzlich vergessen. Verzweiflung und Selbstmitleid verwandelt in etwas, das Schadenfreude sehr nahe kam. Dies war der unromantischste Antrag, den sie jemals erhalten hatte. Und der vierte, den sie in Erwägung ziehen würde.