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(Ein Beitrag zum wackeren Herrn Streitzig) |
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Gendahar schüttelte den Schrecken ab und wandte sich den Hütten zu. Was für ein Irrsinn! Was für ein wundersamer Irrsinn! So etwas hatte er noch nie erlebt! | Gendahar schüttelte den Schrecken ab und wandte sich den Hütten zu. Was für ein Irrsinn! Was für ein wundersamer Irrsinn! So etwas hatte er noch nie erlebt! | ||
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'''Autor:''' [[Benutzer:von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Wer hatte so etwas schon einmal gesehen: Ein alter Zauselbart, der mit einem bunten Tuch vor dem Gesicht eines fettglänzenden Ogerweibchens herumfuchtelte und mit sanften Worten auf das Ungeheuer einredete? Und was tat dieses? Biss es dem Alten etwa den Kopf ab, wie es zu erwarten gewesen wäre? Nein: Es brüllte und grunzte und knurrte und wich doch allmählich vor dem wehenden Banner zurück wie ein Dämon vor dem Weihwasser der Praioskirche! | |||
Verzweifeltes Schreien aus der Hütte, die das Ogerweib fast zum Einsturz gebracht hatte, rissen Gendahar aus seinem Staunen. Eine Frau schrie! Und der Alte hatte um Hilfe für die Dörfler gebeten! Gendahar stürzte durch die zerstörte Eingangstür der Hütte, in der es aussah, als habe ein Unwetter in ihr gewütet. Eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, lag unter den Trümmern einer Truhe. Holzsplitter ragten aus ihrem blutenden Bein, der Fuß stand in widernatürlichem Winkel ab. Vergeblich versuchte die Frau, aufzustehen, streckte schreiend die Hände nach einer umgestürzten Wiege aus, die nahe des Eingangs stand. Die aus den Angeln gebrochene Tür drohte jeden Moment auf den brüllenden Säugling zu fallen, der zwischen den Bruchstücken des Rahmens am Boden lag. | |||
Keinen Augenblick zu früh riss Gendahar das Kind vom Boden hoch, schon kippte die Tür und bedeckte die Wiege mit einem Splitterregen. | |||
"Nein, nein!", schrie die junge Frau, als Gendahar das Kind dem Söldner in die Arme drückte, der vor der Hütte aufgetaucht war. "Hier, nehmt!", sagte er zu Anzures Ballan und wandte sich der Dörflerin zu, die weinend vor ihm zurückwich. | |||
Er steckte das Schwert weg und klappte das Visier des Helmes hoch. "Keine Angst!", hob er beschwichtigend die Hände und befreite sie von den Trümmerstücken. "Wir bringen euch in Sicherheit!" Ob sie das wirklich konnten, ja, ob es irgendwo in Kaiserlich Selaque überhaupt noch einen sichern Ort gab, dessen war er sich allerdings nicht so sicher. | |||
Sie war so dürr und leicht, dass es ihm selbst in der Rüstung keine Mühe bereitete, sie zu tragen, und dennoch wäre er fast auf der schlammigen Straße ausgeglitten. Furchtsam klammerte die Frau sich um seinen Hals, als sie die Ungeheuer erblickte, die sich Tsacharias Krähenfreund noch immer fahnenschwenkend vom Leib hielt. | |||
"Mir nach!", schrie Gendahar den Dörflern zu, die aus ihren Hütten flohen. Der Wind war stärker geworden, riss seine Stimme fort, doch einige Menschen folgten ihm zögernd, als er auf das andere Ende des Dorfes zuhielt. Andere aber rannten auf die Felder hinter den Hütten oder verschwanden zwischen den Felsen am Wegesrand, und einige Verzweifelte versuchten gar, ihr Hab und Gut auf Handkarren in Sicherheit zu bringen. | |||
"Wohin?", rief er dem alten Heiler zu, als er an ihm vorüber eilte. | |||
"Dort, dort, der Felsen: Seht Ihr die kleine Birke zwischen den Steinen? Dorthin, rasch!", rief der Alte zurück und schloss sich ihnen an, rückwärtsgewandt, die Oger nie aus den Augen lassend. | |||
Nicht lang, und sie standen vor dem Geröllhaufen, aus der die verkrüppelte Birke wuchs. "Und jetzt?", fragte Gendahar, als Tsacharias Krähenfreund zu ihnen aufschloss. Gut zwei Dutzend Dörfler hatten sich um sie geschart. | |||
Der alte Heiler wies auf einen Felsüberhang rechts des Geröllhaufens. Beim zweiten Blick entdeckte Gendahar ein kindshohes Gittertor unter dem Felsen. Es stand offen. | |||
Er drückte die junge Frau einem kräftigen Bauern in die Arme und erntete einen bitterbösen Blick der Bäuerin, die neben diesem stand. Doch was kümmerte ihn Eifersucht, wenn sie nicht einmal ihm selbst galt? | |||
Der Regen trommelte auf seinen Helm, und er nahm ihn ab und zog auch die Panzerhandschuhe aus. Sie würden ihn in dem engen Gang nur behindern. Von den Ogern war nichts zu sehen, aber das konnte sich rasch ändern. | |||
"Da geht es zur Burg, ja?", wies er auf die Gittertür. | |||
"Dort sind Eure Domna und der junge Herr da Vanya und ihr Begleiter hineingegangen", sagte Tsacharias Krähenfreund. "Mögen die Götter Euch schützen!" | |||
"Werdet Ihr uns nicht begleiten?", fragte Gendahar erstaunt. | |||
Der Alte schüttelte den Kopf. Sein buntes Gewand klebte regennass an seinem Körper. "Nein", sagte er mit einem Blick hinauf zum Castillo da Vanya, das hoch über ihnen auf dem Burgberg thronte. "Ich war zu lange den Orten fern, an denen Tsas Stimme zu mir sprach und ich ihr Wirken in aller Pracht erleben durfte. Und mein armer Hund ist mir davongelaufen. Der dumme Junge bringt es fertig und verläuft sich oder belästigt die Bauern und gerät in Schwierigkeiten." Tsacharias Krähenfreund lächelte wehmütig. | |||
"Na, dann", sagte Gendahar, der sich nicht sicher war, ob er die Hilfe des Alten bald vermissen würde oder nicht eher froh war, den Verrückten los zu sein. "Ich danke Euch für Eure Hilfe!" | |||
Der alte Mann winkte ab. Gendahar versteckte Helm und Handschuhe zwischen Moos und Steinen unter der Birke und nickte Anzures Ballan zu. "Auf ins Castillo da Vanya!" | |||
Der geheime Fluchttunnel der da Vanyas war nun die längste Zeit geheim gewesen. Domna Rifada würde sich bedanken, dass er das halbe Dorf in ihr Castillo führte. Andererseits: Wahrscheinlich hätte sie es selbst nicht anders gehalten, immerhin konnte sie kaum wollen, dass ihre Schutzbefohlenen von Ogern abgeschlachtet und gefressen wurden. Mit gezogener Waffe betrat er den dunklen Gang hinter der Gittertür. | |||
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