Chronik.Ereignis1036 Besuch im Vanyadâl 09: Unterschied zwischen den Versionen

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Wo waren bloß die beiden Elenter? Er konnte hier jeden Leib gebrauchen und von dem jungen Paar war nichts zu sehen! Nach längerer Suche entdeckte Grordan zumindest die Frau: In ein zerschlissenes Nachthemd gekleidet, näherte sich ihre bleiche Gestalt einer Unbewaffneten nicht weit entfernt von dem Diener des falschen Totengottes und seiner Hüterin, die von einer Brandleiche abgelenkt waren. In ihren Armen, verborgen von einem Überwurf - der wollenen Decke, mit deren Hilfe er sie erstickt hatte - regte sich etwas und fast war Grordan als könne er das schwächliche Wimmern bis hierhin hören. Seine bläulichen Lippen verzogen sich zu einem bösartigen Lächeln, während er das Geschehen verfolgte.
Wo waren bloß die beiden Elenter? Er konnte hier jeden Leib gebrauchen und von dem jungen Paar war nichts zu sehen! Nach längerer Suche entdeckte Grordan zumindest die Frau: In ein zerschlissenes Nachthemd gekleidet, näherte sich ihre bleiche Gestalt einer Unbewaffneten nicht weit entfernt von dem Diener des falschen Totengottes und seiner Hüterin, die von einer Brandleiche abgelenkt waren. In ihren Armen, verborgen von einem Überwurf - der wollenen Decke, mit deren Hilfe er sie erstickt hatte - regte sich etwas und fast war Grordan als könne er das schwächliche Wimmern bis hierhin hören. Seine bläulichen Lippen verzogen sich zu einem bösartigen Lächeln, während er das Geschehen verfolgte.
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'''Autor:''' [[Benutzer:Borlando di Aragança|di Aragança]]
Die kühle Luft klärte Rahjelines Sinne zunehmend auf. Mit großer Erleichterung bemerkte sie dass das einstmals unüberwindliche Klostertor nun endlich hinter ihr lag. Sie wunderte sich darüber, dass es wirklich niemand gewagt hatte sie am Verlassen des Klosters zu hindern. Das Wort ihrer Retterin schien in dieser Region doch etwas zu zählen. Nun musste sie nur davonschleichen und soviel Entfernung wie möglich zwischen sich und das Kloster bringen.
Aber anstatt sich zu überlegen wie sie auf dem schnellsten Weg ins nächste Dorf kommen könnte, wurde Rahjeline von der irrwitzigen Szene, die sich auf dem Boronsanger abspielte, völlig in den Bann gezogen. Hier kämpften brennende Körper mit regulären Soldaten, ein Irrer auf einem toten Pferd schien die Brandvögel zu kontrollieren, die schon im Kloster für Schrecken gesorgt hatten. Domna Richeza rief ihr irgend etwas von "ins Kloster fliehen" zu, wobei Rahjeline sofort protestierte: "Ich bin doch nicht verrückt und gehe freiwillig in dieses Kloster zurück. Lieber sterbe ich beim Versuch es für immer hinter mir zu lassen, und bleibe an Eurer Seite!"
Rahjeline war aber gar nicht in der Lage den anderen zu helfen, denn zum kämpfen war sie ja nie wirklich ausgebildet worden.
Aber sie konnte wenigstens versuchen die Leiden der verletzten Soldaten zu lindern. Na gut, Heilerin war sie ja eigentlich auch keine, aber wenigstens könnte sie den Versuch unternehmen, die verletzten Soldaten von den Flammen zu befreien. Der Erzfeind des Feuers ist doch Wasser, dachte sie sich logisch. Und Wasser ist hier wirklich mehr als genug vorhanden! Zumindest in der Form von Schnee! Also Rahjeline kniete sich hin und schaufelte eifrig Schnee über den brennenden Körper des sich windenden Soldaten. Doch dieses elende Feuer wollte und wollte nur schwerlich ausgehen. "So muss wohl auch Hylailer Feuer sein!" murmelte sie vor sich hin. Kurz kam ihr der Scherz mit dem gelben Schnee hinter der Hütte in den Sinn, doch dieser konnte sie heute leider überhaupt nicht erheitern.
Rahjeline war gerade damit beschäftigt weiteren Schnee auf das Brandopfer zu schaufeln, als sie plötzlich ein unter die Haut gehendes Geräusch vernahm. Irgendwie manifestierte es sich aus der Dunkelheit und gewann Rahjelines vollste Aufmerksamkeit.
Als Mutter hatte ihr die Natur ein feines Ohr für Babygeräusche verliehen. Doch war dies kein hilfloses Flehen nach Aufmerksamkeit und Geborgenheit, sondern hier war nur ein zorniges Wimmern zu vernehmen.
Mit schaudern konnte Rahjeline eine hagere Frauengestalt auf sich zustaksen sehen. Direkt aus der Dunkelheit, und direkt auf sie zu. Dem Bündel und dem Wimmern zufolge, schien sie ein Baby in ihren Armen zu tragen. Wie unverantwortlich dies doch war, in solch pechschwarzer, kalter Nacht ein Baby durch die Wildnis zu tragen. Abgesehen von Feuerleichen, Brandvögeln und anderen Geschmeiß waren ja auch genügend Wildtiere in den Wäldern unterwegs.
Die Frauengestalt strauchelte, aber konnte sich im letzten Moment gerade noch erfangen, wobei der Überwurf seitlich total verrutschte. Rahjeline, die reflexartig zur Hilfe eilen wollte, erstarrte mitten im Lauf. Die Nackenhaare der Abundilerin sträubten sich, und mit schreckensgeweiteten Augen wich sie entsetzt zurück! Aus der aufgebrochenen, graugrünen Bauchdecke der Mutter quollen halbverweste Gedärme heraus, sowie die Nabelschnur an der das untote Baby noch hing. Da es nicht auf natürlichem Weg in die Welt fand, schien es sich selbst aus dem Bauch seiner Mutter herausgebissen zu haben. Die Körper dieses unnatürlichen Paares waren fahl, faulig und äußerst widerwärtig anzusehen und langsam stieg Rahjeline auch der widerlich süßliche Gestank der Fäulnis in die Nase.
Die vollends geschockte Rahjeline kotzte sich in hohem Bogen die Seele aus dem Leib, und begann erst langsam, dann immer schneller davonzukriechen. Trotzdem waren ihr die beiden schon gefährlich nahe gekommen.


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Version vom 4. September 2014, 14:37 Uhr

Mark Ragathsquell, 2. Tsa 1036 BF

Im Kloster La Dimenzia

Autor: von Scheffelstein

Die Wolken waren aufgerissen, die Dächer des Klosters glitzerten im Sternenlicht. Richeza von Scheffelstein y da Vanya saß, noch angezogen, an dem kleinen Tisch unter dem offenen Fenster. Den Ellenbogen aufgestützt, zupfte sie an ihrer Oberlippe und starrte in das flackernde Licht der Kerze, die Rechte fest geschlossen um das Papier, das ihr in den letzten Wochen so viel Kummer bereitet hatte. War das seine Schrift? Oder hatte jemand anderes versucht, sie nachzuahmen? Schwer zu sagen, hatte der Schreiber doch nur Großbuchstaben verwendet. Sie hatte sich nicht bemüht, ihn aufzusuchen, um ihn zu fragen. Ihr Stolz war ohnehin verletzt, weitere Demütigungen konnte sie nicht ertragen. Falls er es war: Woher wusste er von dem Kind? Und falls nicht, was noch viel schlimmer wäre: Was wusste der Erpresser noch? Ihre Briefe – all ihre Briefe! – waren verschwunden ...

Ein lautes Poltern riss sie jäh aus ihren Grübeleien. "Macht das Tor auf!", hörte sie eine laute Stimme. Richeza sah aus dem Fenster. "Öffnet, in Borons Namen!" Wieder und wieder donnerte es gegen die Klosterpforte, bis endlich ein Licht auf dem Hof erschien und einer der Mönche das schwere Tor entriegelte.

Sechs Reiter drängten in den Hof. Im schwachen Licht schimmerten Rüstungen und Waffen. Die Reiter wechselten Worte mit dem Mönch, die Richeza nicht verstehen konnte, dann saßen sie ab und hielten auf das Haupthaus zu.

Richeza zögerte keinen Augenblick. Sie stopfte ihre wenigen Habseligkeiten zurück in die Reisetasche, griff ihren Degen, riss den Umhang vom Haken und eilte den Gang hinunter zu den Zimmern ihrer Anverwandten, die zu einem kleinen Atrium hinaus gelegen waren.

Sie klopfte an der Kammertür der Vanyadâlerin, erst leise, dann, als sie das Schnarchen vernahm, heftig. "Macht auf!", rief sie halblaut. Sie klopfte abermals, bis das Schnarchen verstummte und kurz darauf ein misstrauisches "Wer ist da?" erklang.

"Richeza!", rief sie und legte die Wange an die Tür, damit ihre Stimme das schwere Holz besser durchdringe. "Macht auf! Wir müssen hier weg! Reiter, sechs Reiter sind gekommen, schwer bewaffnet, mindestens eine Armbrust. Vielleicht ist die Harmamund zurück! Beeilt Euch!"


Autor: SteveT

Richeza hörte von innen ein metallisches Schleifen, vermutlich das eines Schwertes, das aus seiner Scheide gezogen wurde. Die Tür öffnete sich erst einen Spalt breit, dann ruckartig ganz und Rifadas zerzauster Pagenkopf verriet, dass sie wohl sofort aus dem Bett zu ihrer Waffe gesprungen war. Rifada trat zu Richeza hinaus auf den Gang und schloss die Tür zu ihrer Kammer wieder, die ohnehin stockdunkel war. Sie deutete mit dem blanken Schwert auf eine Tür schräg gegenüber. "Da hinein! Ganz egal war drinliegt! Wir warten, bis sie in meine Kammer treten um mich zu holen und fallen ihnen dann in den Rücken! Ehe sie wissen, wie ihnen geschieht, haben du und ich schon die hintersten zwei abgestochen!"

Sie schob Richeza an der Schulter auf die besagte Tür zu, und bevor ihre Nichte fragen konnte, wie sie die Tür überhaupt aufbekommen sollten, verpasste Rifada der Tür mit dem blanken Fuß einen Tritt. dass sie wuchtig nach innen aufflog und der ganze Türgriff verbogen war. Nur ihre verzerrte Miene und die zusammengepressten Zähne verrieten, dass sie sich dabei selber ordentlich wehgetan hatte – aber Rifada gab nicht einen Mucks von sich, sondern schob Richeza humpelnd in den dunklen Raum.


Autor: von Scheffelstein

"Was in der Götter ...", ertönte eine verschlafene Frauenstimme und erstarb mit einem leisen Seufzen, das von einem dumpfen Schlag begleitet wurde.

Richeza hielt noch immer ihre Tasche und den Umhang umklammert in der einen und den Degen in seiner Scheide in der anderen Hand. Unbehaglich lauschte sie in die Dunkelheit. Nach der erschreckenden Begegnung am späten Nachmittag war ihr weniger denn je nach Kämpfen zumute. Zum ersten Mal seit etlichen Jahren hatte sie Angst verspürt. Angst um ihr Leben, das sie stets so gering geschätzt hatte. Aber ihre Tante hatte recht gehabt: Sie war nun nicht mehr nur für ihr eigenes Leben verantwortlich, und es war, als mahte das Kind in ihr sie zur Vorsicht.

Herzschlag um Herzschlag verging, ohne dass etwas geschah. Bald war ein gefühlter Wasserlauf vergangen. Boronsstille lag über dem Kloster. Richezas Unruhe wuchs. "Wir sollten gehen!", wisperte sie. "Lasst uns Belisetha holen und verschwinden, vielleicht war das nur die Vorhut!"


Autor: SteveT

"Verschwinden?" Richeza konnte Rifadas Stirnrunzeln in der Dunkelheit beinahe hören. "Das Kloster ist umgeben von Harmamund-Land!", kam schließlich von ihr im leicht vorwurfsvollen Flüsterton zurück. "Nur auf der Königlich-Großfürstlichen Landstraße können wir halbwegs ungehindert und legitim nach Quazzano reiten! Aber bei Nacht? Außerdem wollte ich unserem alten 'Freund', dem Aranjuezer, einen Besuch abstatten. Sein zukünftiges Eheweib ist mir zwar höchst suspekt - aber was habe ich für eine Wahl, wenn ich nicht alleine nach Albacim reiten will? Ich kann dich in diesem Zustand ja nicht mit dorthin nehmen. Du wirst bei unserer Rückkehr nach Selaque auf unserem Castillo die Stellung halten - gerade auch dann, falls ich nicht zurückkehre. Aber davon gehe ich nicht aus, denn die bosquirische Jungfer ist feige und träge. Ich kenne sie ja leider besser als jeder andere!"


Autor: von Scheffelstein

Richeza schwieg und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Bald hielt sie es nicht mehr aus, trat ans Fenster, schob den Laden einen Spalt weit auf und spähte hinaus in den Hof.

"Seht Euch das an!", flüsterte sie dann. "Sie verteilen sich! Vielleicht hat der Abt sie hingehalten und gesagt, wir seien nicht mehr im Kloster?" Unten liefen die Bewaffneten mit Fackeln über den Hof und strömten zu Fuß aus dem Tor hinaus in Richtung des ummauerten Boronangers auf der anderen Seite des trutzigen Galgenturms.

"Wäre es nicht besser, so schnell wie möglich nach Quazzano zu reiten? Was wollt Ihr beim Aranjuezer? Er ist mit dieser Ehrenstein-Schlange verlobt und außerdem selbst ein halber Harmamund! Wer sagt, dass er nicht selbst gemeinsame Sache macht mit Domna Morena?"

Ein Stöhnen aus der Ecke des Bettes deutete daraufhin, dass die Bewohnerin der Kammer allmählich aus ihrem Dämmerzustand erwachte.


Autor: Borlando di Aragança

Verschlafen bemerkte Rahjeline von Abundil die Unruhe in ihrer sonst so einsamen Zelle. Scheinbar war die Wirkung ihres Schlaftranks heute nicht so stark wie sonst jede Nacht. Trotzdem fühlte sie sich unglaublich schwach, und die Augenlider waren schwer wie Mühlsteine. Als Rahjeline ihre Augen wieder schloss, konnte sie plötzlich ein Flüstern hören. So gut es in ihrem Zustand möglich war, konzentrierte sich Rahjeline, und da war das Flüstern erneut.

Mit aller Kraft öffnete sie ihre Augen und konnte zwei verschwommene Schatten erkennen, die sich am Fenster zu schaffen machten. Ob das wieder diese zudringlichen Boronspriester waren, die ihr diesen widerlichen Schlaftrank einflößen wollten? Ihr war doch noch jetzt ganz schlecht von der letzten Dosis, keinesfalls wollte sie schon wieder ruhiggestellt werden.

In ihrer Verzweiflung erhob sich Rahjeline stöhnend auf ihre wackeligen Beinen und begann mit dem erstbesten, was in ihre Hände fiel, auf die Gestalten einzuschlagen. "Ihr werdet mich nicht schon wieder einschläfern!", stieß sie mit schwacher Stimme hervor.

Rahjelines Kopfpolster schlug eine verheerende Bresche zwischen die Eindringlinge, die völlig überrascht auseinanderstoben. Der nächste Schwung des Polsters schien im stockdusteren Zimmer irgendein Mobiliar getroffen zu haben, welches mit einem hörbaren Rumpeln umfiel. Noch bevor Rahjeline zum nächsten Streich ausholen konnte, war der Polsterzipfel ihren Händen entglitten. Stattdessen konnte sie nun zwei Hände an ihrem Hals fühlen, während das Polster, da war es wieder, auf ihren Mund gedrückt wurde.

Da sie nun kaum mehr Luft bekam und ihre Panik ins Unermessliche wuchs, begann Rahjeline in das Polster zu schreien. Aber mehr als ein paar dumpfe Laute waren nicht zu hören. Die Junkerin steigerte die Intensität und brüllte nun hysterisch in das Polster. Ganz dicht an ihrem Ohr konnte sie eine raue, weibliche Stimme hören, die sie gedrungen anherrschte: "Haltet endlich Euren Mund, ansonsten werdet Ihr Bekanntschaft mit meiner Klinge machen!"

Nun war Rahjeline vollends irritiert. Dies war eine Frauenstimme. Irgendwie schien eine Frau in ihre Zelle gekommen zu sein. Die letzte Frau, die Rahjeline gesehen hatte, war Fenia von Culming gewesen, und das auch nur quer über den Innenhof. Und Domna Fenia war ganz sicher nicht in der Verfassung, hier einfach hereinzuspazieren.

Aus dem Augenwinkel konnte sie sehen, dass der andere Eindringling zum Fenster gegangen war und nach einem kurzen Blick hinaus die dicken Läden wieder vollends zuzog. Sie hörte, wie sich jemand an der Lampe zu schaffen machte, und kurz darauf erglomm in der Zelle ein schwaches Licht.

Rahjeline konnte zwei Frauen erblicken. Diese waren ganz sicher von edlem Blut, und mit einem Blick auf ihre Waffen, wohl auch keine Insassen dieses Klosters. Rahjeline war erleichtert, gab jeglichen Widerstand auf und ließ sich zu Boden gleiten, da sie ihre Kräfte nun vollends zu verlassen schienen. Die raue Frauenstimme erklärte ihr eindringlich, dass sie nun das Polster entfernen würde, und Rahjeline ja keinen Mucks von sich geben solle. Rahjeline nickte zustimmend.

Erstmal seit Jahren war Rahjeline wieder mit weiblichen Personen in einem Raum. Sie würden Rahjeline sicher verstehen und mussten ihr Anliegen unterstützen. Eigentlich war es ihr Plan gewesen, sich Domna Morena anzuvertrauen und um deren Hilfe zu bitten, doch dann wurde ihr klar, dass es sich bei dieser um die Nichte des unrechtmäßig auf dem Fürstenthron sitzenden Harmamund handelte. Die würde ihr sicher niemals helfen.

Doch nun eröffnete sich Rahjeline plötzlich eine wirkliche Chance. Und wohl ihre einzige Chance, endlich die Fesseln dieses verfluchten Ortes abzustreifen. Obwohl sie angehalten war, ja keinen Laut von sich zu geben, hob sie mit kaum hörbarer Stimme an: "Ich bitte Euch, edle Damen, helft mir! Helft einer armen Seele, diesen verfluchten Ort zu verlassen!" Verzweifelt fuhr sie fort: "Ich flehe Euch an, holt mich hier heraus! Ich werde hier gegen meinen Willen gefangen gehalten! Mein Sohn, oh mein kleiner Madaguel, braucht mich, er braucht seine Mutter! Sie haben ihn mir einfach weggenommen! Sie sagten, er sei bei der Geburt zu Tode gekommen, doch ich weiß, dass er lebt, eine Mutter spürt so etwas!"

Rahjeline konnte gar nicht aufhören zu reden, die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. "Ich bin wahrlich nicht in der körperlichen Verfassung, mit Euch zu fliehen, darum bitte ich Euch gar nicht. Auch wäre ich sicher nur ein Hindernis für Euch, aber wenn Ihr so gut wärt und meinem Onkel, Dom Talfan von Abundil, meine Briefe übergeben könntet, auf dass er mich hier herausholen möge. Oder Dom Stordan von Culming. Die Araganças waren immer treue Vasallen des Barons!"

Allmählich dämmerte es den Domnas, dass sie es mit Rahjeline von Abundil, der Witwe von Borlando di Aragança, zu tun haben könnten. Dom Borlandos Versuch, den Kanzler zu töten, war lange Zeit in aller Munde gewesen.

Rahjeline tastete an der Unterseite ihres Nachttisches herum und zog schließlich ein Bündel Briefe hervor, die sie den beiden entgegenstreckte.

"Ich bitte Euch, tut es für meinen kleinen Sohn ..."


Autor: von Scheffelstein

Richeza schirmte das Licht mit den Händen ab und blickte die Frau misstrauisch an.

"Wie alt ist Euer Sohn?", fragte sie, während sie beinahe mechanisch die ihr entgegengestreckten Briefe annahm.

"Keine zwei Jahre alt", stieß die Frau erstickt hervor.

"Und Ihr seid? Rahjeline von Abundil? Die Frau des Herolds, was?"

Als sie nickend bestätigte, verfinsterte sich Richezas Gesicht. Borlando di Aragança hatte dem verstorbenen Kaiser bis zuletzt die Treue gehalten. Er hatte zusammen mit anderen Kaisertreuen in der Nacht vom 23. auf den 24. Travia 1034 BF Dutzende Menschen getötet oder töten lassen. Sie waren in ihre Zelle im Kerker von Al'Muktur eingedrungen. Richeza hatte Dom Borlando zugerufen, dass Wahsinn sei, was sie da taten, ihn beschworen, abzulassen und sich Almadas zu besinnen, das mehr wäre als der verfluchte Kaiser und seine widerwärtige rechte Hand, Vesijo de Fuente y Beiras. Der Aragança hatte sie abfällig eine Reichsverräterin geheißen. Sie hatte gehofft, doch noch an seine Ehre appellieren zu können, aber da waren Rufe laut geworden, die Disentes hätten de Palast gestürmt, seien bereits in den Kerkern.

Macht hier fertig!, hatte der Aragança den Mondmündeln befohlen. Wir müssen den Kanzler finden, ehe es zu spät ist!

Und dann hatten sie fertig gemacht, sie fertig gemacht, und sie, an die Wand gekettet und wehrlos, hatte nichts tun können, gar nichts. Einer der Männer hatte ihr das Rapier in den Leib gestoßen, mehrmals, dann waren sie aus der Zelle geeilt, während Richezas Welt hinter einem roten Schleier und in Schmerz versunken war.

Als sie wieder zu sich gekommen war, hatte sie in sein Gesicht geblickt, als sei sie aus einem bösen Traum erwacht in eine Wirklichkeit, die ihr kaum glaubhafter erschienen war. Vielleicht, dachte Richeza, waren die vergangenen Jahre wirklich nichts mehr als ein Traum gewesen. Vielleicht erwachte sie erst jetzt wieder und hatte sich alles im Fieberwahn nach dem Massaker, das sie wie durch ein Wunder – nein: dank seiner Fürsorge – überlebt hatte, nur eingebildet?

Einige Augenblicke starrte Richeza die Frau vor sich düster an. Es wäre ein Leichtes, sich zu rächen, ihr mit besten Grüßen an ihren verstorbenen Gemahl den Degen ins Gedärm zu stoßen, wieder und wieder, einige erregte Herzschläge lang das ungläubige Entsetzen in den weit aufgerissenen Augen zu genießen, dem ersterbenden Flehen auf den bleichen Lippen zu lauschen.

Doch Richeza spürte keinen Hass mehr. Nicht einmal Wut. Sie dachte nur an den Jungen, der ohne einen Vater aufwuchs und ohne eine Mutter. Es war, als lasse das wachsende Leben in ihr keinen Raum für Rache und Tod.

"Wir werden sehen!", sagte sie heiser und drehte sich zu ihrer Tante um.


Autor: SteveT

Rifada strich sich nachdenklich über das Kinn und schaute wechselweise zu der hier eingesperrten Edeldame und dann wieder in den Klosterhof zum Fenster hinaus.

"Ich weiss nur zu gut, was es heißt, in Gefangenschaft zu leben und vom eigenen Fleisch und Blut getrennt zu sein!", murmelte sie schließlich. Normalerweise war alles, was man hier an diesem Ort von den Klosterinsassen hörte, mit allergrößter Vorsicht zu genießen, denn das Kloster trug seinen Namen zurecht - viele der hier in Obhut befindlichen waren völlig irre. Aber Rifada kannte auch wie jeder Bewohner Ragatiens und der angrenzenden Regionen die Gerüchte, dass hierher gerne auch missliebige Verwandte abgeschoben würden, die geistig völlig gesund ankamen und erst nach einer Weile in La Dimenzia zu Irren wurden. Da ihre Nichte die Frau zu kennen schien, war sie wohl wirklich diejenige, als die sie sich ausgab.

"Abt Marbodano, der Vorsteher dieses Klosters, ist eigentlich ein enger Vertrauensmann unseres Hauses", fuhr Rifada schließlich flüsternd fort, was bei ihrer normalen Sprechlautstärke immer noch ein ziemlich lautes Raunen war. "Er hat viele monetäre Zuwendungen von uns erhalten und war meiner Sippe dafür auch in der Vergangenheit manches Mal zu Diensten." Sie blickte wieder zum Fenster in die nur vom annähernd vollen Madamal erhellte Nacht hinaus, die durch den weißen Schnee doch viel heller als gewöhnlich wirkte. "Wenn ich nun aber sehe, wie dieser Hundsfott den Harmamunds getreulich Tür und Tor öffnen lässt, um uns gefangen zu nehmen oder ungewarnt in einen Hinterhalt tappen zu lassen, dann sage ich: Zu den Dämonen der Hölle mit dieser treulosen Krähe! Ich schulde ihm keine Gewogenheit, wenn er die unsrige so gering schätzt! Ich rate Euch deshalb dazu, uns jetzt gleich zu begleiten, Domna, wenn wir diesen unsicheren Ort verlassen! Wir bringen Euch bis nach Ragath - dort könnt Ihr dann tun und lassen, was Ihr wollt!"

Sie verstummte und presste ihr Gesicht noch enger an die Ritzen der Fensterläden, als könne sie dadurch noch besser nach draußen sehen. "Was zum ...? Das ist doch ... der Kerl, der da über den Hof schleicht, das ist doch Wolpert, wenn mich nicht alles täuscht - ein Weidener Cumpan von Lucrann, der Schrotenstein als Administrador für ihn und Belisetha verwest! Ich kenne ihn ebenfalls! Entweder der Scheißkerl ist ein elender Verräter, dann gehe ich runter und steche ihn ab - oder aber die Reiter die du sahst, sind Schrotensteiner. Dann gehe ich runter und frage, was sie hier wollen!" Sie schritt schnurstracks zur Tür und öffnete diese schwungvoll. "Los!" befahl sie, womit neben Richeza offenbar auch die Abundilerin gemeint war. "Wir gehen!"


Autor: von Scheffelstein

Als sie wenig später den Hof erreichten, war von den Fackelträgern nichts zu sehen, dafür sahen sie den Schrotensteiner Baron und seinen Weidener Gefolgsmann, bereits wieder hoch zu Ross, am Tor mit dem Abt des Klosters sprechen.

"Halt!", rief Rifada, als die Reiter die Pferde antraben ließen. Der Schrotensteiner und sein Mann hielten inne, und der Abt wandte sich den Frauen zu.

"Domna Rifada, Domna Richeza." Mit gefurchten Brauen bemerkte er die Abundilerin, die im Nachtgewand und an eine der Mauern gestützt, hinter den anderen beiden her wankte. Er gab dezent dem Akoluthen am Tor einen Wink, und dieser näherte sich der geschwächten Domna. Als die Vanyadâlerin zu wissen verlangte, was hier vorgehe, wandte Abt Marbodano sich ihr zu. "Domnas, wie der ehrenwerte Baron uns mitteilte, ist ihnen ein gefangener Boronfrevler entkommen, der es möglicherweise auf die Toten unseres Klosters abgesehen hat. Freundlicherweise hat er uns einige Bewaffnete abgestellt, während er selbst auf dem Weg nach Ragath ist, um Meldung an die … Suprema zu machen." Der Priester wirkte nicht allzu glücklich über diese Tatsache.


Autor: di Aragança

Rahjeline konnte ihr Glück kaum fassen! Es sah wirklich so aus als wäre die Freiheit nun zum Greifen nahe. Sie stammelte Worte des Dankes. Das kleine Bündel mit ihren wenigen Habseligkeiten, alles Dinge mit denen man sich beim besten Willen nicht mal selber verletzen konnte, war schnell geschnürt. Mit schwankendem Gang folgte sie daraufhin ihren beiden Retterinnen.

Als Domna Rifada einen der Bewaffneten zur Rede stellte, mischte sich der Abt plötzlich ein. Plötzlich fühlte Rahjeline erneut die kalte Angst im Nacken, wieder in ihre Zelle geführt zu werden, obwohl der Abt eigentlich gerade ganz andere Probleme zu haben schien.

Von einem Boronsfrevler war die Rede. Was interessierte Rahjeline ein einzelner Boronsfrevler? Der war ihr herzlich egal. Für sie waren die Priester hier selbst die größten Boronsfrevler, wenn sie eine unschuldige Frau nur wegen politischer Ränkespiele festhielten. Ungeduldig wartete sie das Domna Rifada und Domna Richeza endlich aufsassen, und Rahjeline das Tor von la Dimenzia endlich hinter sich lassen konnte.


Autor: SteveT

Rifada war missmutig aus dem Refektorium des Klosters gestapft und hielt zunächst geradewegs auf Abt Marbodano zu. "Sie begleitet uns nach Ragath!", deutete sie auf die ihr wankend folgende Rahjeline. "Sie war lange genug hier!" Ihr Tonfall verriet schon, dass es sich dabei ihrerseits um eine Verkündung von feststehenden Tatsachen handelte, nicht um etwas, was noch der Diskussion bedurfte. Eigentlich hatte sie sich Fra Marbodano zur Brust nehmen wollen, wieso er den Harmamunds Tür und Tor öffnete und seine eigenen Gönner ungewarnt in einen Hinterhalt laufen ließ. Doch seine Worte ließen sie innehalten. "Ein Boronfrevler?", fragte sie. "Seid Ihr Euch sicher, dass es sich nicht bloß um eines der Schauermärchen handelt, die man normalerweise unserem schönen Bosquiria andichtet? Solche Geschichten nun auch hier in Ragatien aufgetischt zu bekommen, erstaunt mich doch!"

Sie ließ den Abt stehen und ging hinüber zu ihrem Vetter, den sie schon seit vier oder fünf Götterläufen nicht mehr gesehen hatte. Sie fasste Lucranns Ross am Zügel, ehe er davonreiten konnte. "Deine Mutter ist ebenfalls hier!", ließ sie ihn wissen. "Was hat es mit deiner Rückkehr auf sich? Und hinter wem seid ihr her?"


Autor: von Scheffelstein

Lucrann da Vanya klappte das Visier seines Helmes hoch und blickte auf die Frauen herab. Hätte Rifada nicht behauptet, dass der Mann dort Lucrann da Vanya sei, Richeza hätte ihn nicht erkannt. Sie hatte nie viel mit dem Schrotensteiner zu tun gehabt, aber den Vetter ihrer Mutter als schneidigen Offizier mit kurzem Haar, glatt rasiertem Kinn und gepflegtem Äußeren in Erinnerung. Der Mann dort auf dem Ross, ein massiger Hüne mit langem schwarzen Haar, graumeliertem Vollbart und düsteren Augen, hatte nichts gemein mit dem redegewandten Baron, den sie von den Landständeversammlungen her kannte.

"Du hast es gehört, Rifada", donnerte der Schrotensteiner. "Wir suchen einen Frevler, der uns entkommen ist und sich in Schrotenstein und auf dem Weg hierher mehr als einmal an Boron versündigt hat. Bestell meiner Mutter einen Gruß, und nun lass mein Pferd los, wir müssen bis morgen Mittag beim alten Amando in Ragath sein, das wird eine lange Nacht!"

Er griff selbst nach dem Zügel, und einen Moment lang blickten Rifada und Lucrann sich Auge in Auge, während beide den Lederriemen fest in der Hand hielten, als ein lauter Schrei die Nacht zerriss, gefolgt von weiteren Rufen, die vom Totenanger hinter dem Galgenturm kamen.

"Das war Selinde!", rief der Gefährte des Barons, Wolpert Dragentodt, und zog noch im selben Atemzug sein Schwert.


Autor: Lindholz

Wie ein Feldherr ritt Grordan auf den niedrigen Hügel und blickte auf das Kloster der Heiligen Noiona. Im Rondra wäre er von hunderten Praiosblumen umgeben gewesen, die Köpfe wiegend mit jeder Sommerbrise. Nun sah er nur Ödnis um sich, in der sich sein untotes Gefolge sammelte. Das Ross mit seinen glühenden Augen schüttelte den skelettierten Schädel, also wolle es irgendein Ungeziefer vertreiben. Eine nutzlose Geste, doch manche Erinnerungen saßen tief.

Der bedeckte Himmel hatte ihm in die Hände gespielt. Nichts hatte den Zug der Knochen und toten Leiber behindert. Nie zuvor hatte Grordan so viele von ihnen erhoben und es hatte einen hohen Preis gefodert: Sein ganzer linker Arm stank nach Fäulnis, doch was bedeutete das nun noch, da seine Seele ohnehin verloren war? Über Jahre hatte er den Versuchungen widerstanden; den schnellen, einfachen Pfaden. Nun hatten die Truppen dieses Schrotensteiners ihn in die Verdammung getrieben und er hatte den Schritt kaum bemerkt, der alles verändert hatte.

"Ich werde Euch mit in die Tiefen der Höllen reißen. Glaubt nicht, dass Ihr diesem Schicksal entkommt, indem Ihr Euch hinter heiligen Mauern verkriecht", schrie er voller Wut in die Nacht hinaus, auch wenn nur seine seelenlosen Diener ihn hören konnten. Ihre hohlen Blicke ruhten auf ihm und warteten auf Anweisungen, doch noch war die Zeit für den Angriff nicht gekommen. Erst musste er seinen Feinden vor Augen führen, wie kläglich der Schutz des Gottes war, in dessen Arme sie sich geflüchtet hatten.

Grordan löste ein Bündel von seinem Ross und Pechfackeln fielen auf den geforenen Boden aus dem die gebrochenen Stiele der Praiosblumen ragten. Eine Berührung seiner Brandleichen reichte, um sie lichterloh brennen zu lassen. Stöhnend reckten die Verbrannten das flammende Holz in den sternenlosen Himmel, wo die Geisterkrähen sie ihnen aus den Händen rissen. Die Flammen umfingen die flatternden schwarzen Körper, doch der Flug war nur kurz und sobald sie ihren Auftrag erledigt hatten, waren sie von ihrem Schicksal erlöst. Mögen sie die einzigen sein, die heute Nacht Erlösung finden, beschwor Grordan die Mächte, denen er sich verschrieben hatte. Fast war ihm, als könne er ein knackendes Lachen, ohne jede Menschlichkeit vernehmen, doch war es sicher nur das Brennen der letzten Fackeln, die in die Luft aufstiegen, um auf die Hütten, das Kloster und dessen Stallungen zu regnen oder durch die Fenster ins Innere zu fallen.


Autor: von Scheffelstein

Wie aus dem Nichts tauchten die Vögel über dem Klosterhof auf, lautlose Feuerpunkte am wolkenverhangenen Himmel, die sich hoch über den Dächern und Bäumen teilten in Schatten und Flammen, und während das Feuer auf die kahlen Äste niederregnete, auf die schneebedeckten Ziegel des Konventsgebäudes, aber auch auf die Bretterverschläge in den Gärten, begannen die Schatten zu taumeln, und dann regnete es Knochen und Federn und stinkendes, angesengtes Fleisch.

"Was bei allen Höllen ...?", entfuhr es Richeza, die ihren Degen zog. Abt Marmodano entfuhr ein Schrei des Entsetzens, als einige der Kreaturen zwischen den Pfeilern der überdachten Gänge hindurchflogen und das Gebälk von unten in Brand setzten.

"Mir nach!", schrie Lucrann da Vanya, und gemeinsam mit seinem Getreuen preschte er zum Tor hinaus und in Richtung des Boronangers.


Autor: SteveT

"Was ist das schon wieder für ein Dämonenwerk?", brüllte Rifada, die den Kopf weit in den Nacken gelegt hatte und in den Nachthimmel voller fliegender Feuerpunkte sah. Seit ihrer schrecklichen Begegnung mit einer grauenvollen Kreatur jenseitiger Sphären auf der Insel im Schwarzen See von Schrotenstein, die sie fast das Leben gekostet hatte, hielt sie sich für eine Expertin auf diesem Gebiet. Auch wenn sie nichts auf die Ammenmärchen von Schwarzhexen und sinistren Zauberern gab, die man sich andernorts abergläubisch über ihre bosquirische Heimat erzählte, so hatte sie doch mit eigenen Augen sehen müssen, dass solche Ausgeburten der Niederhöllen tatsächlich existierten – auch wenn sie sich wünschte, es wäre nicht so.

Sie wechselte ihr Schwert reflexartig von der linken in die rechte Hand und schlug nach einer der brennenden Fledermäuse oder was immer das war. Aber diese flogen viel zu hoch, als dass sie sie hätte treffen können. Sie drehte sich zu Richeza um und bedeutete dieser, ein Auge auf die Domna zu haben, der sie zugesagt hatte, sie nach Ragath zu eskortieren. Vielleicht war dieses Versprechen voreillig gewesen. Sie glaubte nicht an diesen Totenbeschwörer, von dem ihr Vetter gesprochen hatte. Dahinter musste der Bastard der Elenterin stecken! Nur das missratene Balg des schwarzen Rakolus konnte sich so ein Hexenwerk ausdenken!

"Was nun, Bruder Marbodano?", rief sie den entsetzt und entgeistert auf sein Feuer fangendes Kloster starrenden Abt mit einem kräftigen Rüttler an seiner Robe in die Wirklichkeit zurück. "Könnt Ihr nicht zum Schwarzen Cumpan beten, dass er diesem lästerlichen Spuk ein Ende bereitet? Ich fürchte, ich weiß nämlich, wer dahinter steckt! Auch wenn ihn außer meiner Nichte Richeza und mir noch nicht viele Leute zu Gesicht bekommen haben."


Autor: von Scheffelstein

Marbodano starrte Rifada einen Moment lang ungläubig an, dann rief er den Torwächter herbei und befahl ihm, die Glocken zu läuten und das Gesinde zu wecken, um die Brandherde zu löschen. Mit dem Fuß stieß er einen der toten Vögel an, und ein grimmiger Zug legte sich um seinen Mund. "Kommt mit mir!", hieß er die Vanyadâlerin. "Dieses Unheil darf nicht weiter um sich greifen, und welcher Frevler auch immer dafür verantwortlich ist, dem Gnade der Unerbittliche!"

Der Priester griff eine der Rauchlampen, die vor dem Eingang ins Sanktuarium hingen, und schritt entschlossen auf das Tor zu.


Autor: SteveT

Rifada vergewisserte sich mit einem Schulterblick, dass auch Richeza und Rahjeline ihr und dem Abt folgten. Sie selbst verspürte keine Angst, sie hatte sich dieses nur hinderliche Gefühl schon lange abgewöhnt, aber sie hörte die panischen Schreie der Verrückten aus dem Obergeschoss des Refektoriums und – besonders schrill – vom einstigen Galgenturm her. Tatsächlich setzte nun vom benachbarten Glockenturm her das durch Mark und Bein gehende Läuten der Alarmglocke ein.

"Wer auch immer dafür verantwortlich ist?", wiederholte Rifada während des Laufens argwöhnisch die Worte des Abts, obwohl sie sie nur zu dessen Rücken sprach. "Das kann ich Euch ganz genau sagen: Der missratene Sohn der Reichsvogtin von Selaque, den sie vor zwanzig Jahren mit dem schwarzen Rakolus in die Welt gesetzt hat! Wie sein Vater beschäftigt er sich mit Hexenwerk, und wenn er auf dessen unheilvolle Schriften zugreifen kann, dann ist er auch in der Lage, so etwas hier heraufzubeschwören! Wir haben fünf volle Jahre gebraucht, um Burg Schrotenstein mit zahllosen Exorzisemen wieder bewohnbar zu machen – und noch immer geschehen dort zuweilen sehr seltsame Dinge, die mich an das hier erinnern! Wenn ein Mann wie Ihr, ein Mann des Glaubens, darob einmal einen Brief an die Hofkanzlei in Punin schreiben würde, dann würde er gewiss eine ganz andere Beachtung finden, als wenn ich dort solche Vorgänge anzeigen würde, da sich meine gegenseitige Feindschaft mit der Elenterin mittlerweile überall herumgesprochen hat. Und Eure sauberen Nachbarn, die Harmamunds, stecken auch mit drin! Ich traue Domnatella Morena durchaus zu, gemeinsame Sache mit dem Junghexer zu machen, da sie weiß, dass wir hier sind und sie uns schaden will, wie Ihr vorhin gesehen habt!"


Autor: di Aragança

Rahjeline konnte es nicht fassen. Jetzt liefen ihre Befreierinnen auf einmal weiter hinein auf das Klostergelände, wo sie doch eigentlich alle das Kloster hätten verlassen sollten. Und zwar schleunigst. Dabei wäre gerade jetzt, im allgemeinen Tumult, die beste Möglichkeit zur Flucht gewesen. Der Torwächter war mit dem Läuten der großen Glocke beschäftigt und hatte keine Augen für das Tor mehr. Somit war der Weg eigentlich frei um es Lucrann da Vanya gleichzutun, und durch das Klostertor zu entfliehen.

Rund um sie herum war bereits so mancher Holzpfosten in Flammen aufgegangen, und Rahjeline hätte überhaupt kein Problem damit gehabt, wenn dieser üble Ort in einer Feuersbrunst untergehen würde. Es würde ihr sogar ein gewisses Vergnügen bereiten.

In all diesem Chaos verstand Rahjeline sich nun selbst nicht mehr. Warum um alles in der Welt lief sie Domna Rifada überhaupt hinterher? Rahjeline war ihren beiden Retterinnen wirklich dankbar, aber sie selbst war im Kampf völlig ungeübt, und hatte die Freiheit ja schon vor Augen gehabt. Da blieb einer vernünftigen Frau doch überhaupt keine andere Wahl als die Flucht auf eigene Faust zu versuchen?!? Vielleicht war sie wirklich wahnsinnig? Verrückt? Unzurechnungsfähig?!?

Mit diesen Gedanken folgte sie Rifada und Richeza, innerlich völlig zerrissen, hinaus auf den Boronanger. Bei jedem Schritt schwor sie sich, das sie bei der ersten sich bietenden Möglichkeit auf das Haupttor und die dahinterliegende Freiheit zulaufen würde. Hatte sie dieses Tor erstmal passiert, würde sie einfach nur noch weiterlaufen müssen. Immer weiter.


Autor: von Scheffelstein

Das Erste, was die Frauen sahen, als sie den Friedhof erreichten, war der Reiter. Wie ein Feldherr thronte er auf seinem unheimlichen Ross, das sich nachtschwarz von dem schneebedeckten Hügel abhob. Sein Mantel bauschte sich im Wind, sein wirrer Bart bebte, als er ihnen götterlästerliche Flüche entgegen schrie.

Zu seinen Füßen taumelte ein halbes Dutzend brennender Leichname den Hang herab, noch einmal so viele Tote irrten zwischen den Gräbern umher, wo die Getreuen des Schrotensteiners sie zurückzudrängen suchten. Einer der Soldaten wand sich schreiend am Boden, der Wappenrock im Flammen, und versuchte verzweifelt, das Feuer im Schnee zu ersticken, stattdessen aber setzte er einen kahlen Mastixbusch in Brand und verschlimmerte seine Lage.

Wolpert Dragentodt versuchte, dem Brennenden zu Hilfe zu eilen, doch sein Pferd scheute das Feuer, und er hatte Mühe, es unter Kontrolle zu bringen. Der Schrotensteiner lenkte sein Ross den Hügel hinauf, sah sich jedoch sogleich von dem halben Dutzend Brandleichen umgeben, das ihm entgegen kam. Richeza starrte einen Moment lang erschrocken auf das sich ihr bietende Inferno, dann fasste sie den Abt am Arm. "Könnt Ihr nicht irgendwas tun?"

Marbodano nickte grimmig. "Ich kann, doch muss ich dazu jede Kreatur einzeln berühren."

"Berühren?", fragte Richeza ungläubig und blickte zu der Soldatin hinüber, die sich gleich zweier Brandleichen zugleich erwehren musste, die tumb auf sie einhieben, sie verfehlten und stattdessen ein hölzernes Boronsrad in Flammen aufgehen ließen. "Ich schätze, uns bleibt nicht viel Zeit, kommt mit, ich gebe Euch Deckung. Ihr bleibt hier oder lauft ins Kloster zurück!", befahl sie Rahjeline und achtete nicht weiter auf die Domna, während sie mit blanker Waffe auf den nächstbesten Leichnam zustürzte.

Der Abt begann mit tiefer, tragender Stimme seinen Gott anzurufen, während er ihr folgte.


Autor: Lindholz

Grordan atmete erleichtert aus, als seine Untoten sich dem ungestümen Reiter in den schrotensteiner Farben entgegenstellten. Dessen Versuch, nicht von den Untoten eingekreist zu werden, drängte ihn zwangsläufig von der verschneiten Erhebung ab, von der aus der Nekromant das Areal übersah. Dennoch war ihm der Sieg nicht so sicher, wie er es erwartet hatte: Trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit seiner Dienerschaft, konnten sie ihre Gegner bisher nicht überwinden. Der anfängliche Schock hatte die Schrotensteiner zwei Mann gekostet, doch inzwischen war weitere Verstärkung eingetroffen und die ersten begannen damit sich zu formieren. Grordans Brandleichen hingegen hatten selbst zu Lebzeiten kaum vergleichbare taktische Fähigkeiten besessen und seine Kontrolle über die Untoten reichte bei weitem nicht aus, um diesen Nachteil auszugleichen. Auch fehlte ihm die nötige arkane Kraft, die beiden gefallenen Schrotensteiner zu erheben oder direkt in das Kampfgeschehen einzugreifen: Die Kälte der Niederhöllen berührte schon seine Seele; er konnte es nicht wagen, noch mehr aus dieser Quelle zu schöpfen.

Wo waren bloß die beiden Elenter? Er konnte hier jeden Leib gebrauchen und von dem jungen Paar war nichts zu sehen! Nach längerer Suche entdeckte Grordan zumindest die Frau: In ein zerschlissenes Nachthemd gekleidet, näherte sich ihre bleiche Gestalt einer Unbewaffneten nicht weit entfernt von dem Diener des falschen Totengottes und seiner Hüterin, die von einer Brandleiche abgelenkt waren. In ihren Armen, verborgen von einem Überwurf - der wollenen Decke, mit deren Hilfe er sie erstickt hatte - regte sich etwas und fast war Grordan als könne er das schwächliche Wimmern bis hierhin hören. Seine bläulichen Lippen verzogen sich zu einem bösartigen Lächeln, während er das Geschehen verfolgte.


Autor: di Aragança

Die kühle Luft klärte Rahjelines Sinne zunehmend auf. Mit großer Erleichterung bemerkte sie dass das einstmals unüberwindliche Klostertor nun endlich hinter ihr lag. Sie wunderte sich darüber, dass es wirklich niemand gewagt hatte sie am Verlassen des Klosters zu hindern. Das Wort ihrer Retterin schien in dieser Region doch etwas zu zählen. Nun musste sie nur davonschleichen und soviel Entfernung wie möglich zwischen sich und das Kloster bringen.

Aber anstatt sich zu überlegen wie sie auf dem schnellsten Weg ins nächste Dorf kommen könnte, wurde Rahjeline von der irrwitzigen Szene, die sich auf dem Boronsanger abspielte, völlig in den Bann gezogen. Hier kämpften brennende Körper mit regulären Soldaten, ein Irrer auf einem toten Pferd schien die Brandvögel zu kontrollieren, die schon im Kloster für Schrecken gesorgt hatten. Domna Richeza rief ihr irgend etwas von "ins Kloster fliehen" zu, wobei Rahjeline sofort protestierte: "Ich bin doch nicht verrückt und gehe freiwillig in dieses Kloster zurück. Lieber sterbe ich beim Versuch es für immer hinter mir zu lassen, und bleibe an Eurer Seite!"

Rahjeline war aber gar nicht in der Lage den anderen zu helfen, denn zum kämpfen war sie ja nie wirklich ausgebildet worden. Aber sie konnte wenigstens versuchen die Leiden der verletzten Soldaten zu lindern. Na gut, Heilerin war sie ja eigentlich auch keine, aber wenigstens könnte sie den Versuch unternehmen, die verletzten Soldaten von den Flammen zu befreien. Der Erzfeind des Feuers ist doch Wasser, dachte sie sich logisch. Und Wasser ist hier wirklich mehr als genug vorhanden! Zumindest in der Form von Schnee! Also Rahjeline kniete sich hin und schaufelte eifrig Schnee über den brennenden Körper des sich windenden Soldaten. Doch dieses elende Feuer wollte und wollte nur schwerlich ausgehen. "So muss wohl auch Hylailer Feuer sein!" murmelte sie vor sich hin. Kurz kam ihr der Scherz mit dem gelben Schnee hinter der Hütte in den Sinn, doch dieser konnte sie heute leider überhaupt nicht erheitern.

Rahjeline war gerade damit beschäftigt weiteren Schnee auf das Brandopfer zu schaufeln, als sie plötzlich ein unter die Haut gehendes Geräusch vernahm. Irgendwie manifestierte es sich aus der Dunkelheit und gewann Rahjelines vollste Aufmerksamkeit. Als Mutter hatte ihr die Natur ein feines Ohr für Babygeräusche verliehen. Doch war dies kein hilfloses Flehen nach Aufmerksamkeit und Geborgenheit, sondern hier war nur ein zorniges Wimmern zu vernehmen.

Mit schaudern konnte Rahjeline eine hagere Frauengestalt auf sich zustaksen sehen. Direkt aus der Dunkelheit, und direkt auf sie zu. Dem Bündel und dem Wimmern zufolge, schien sie ein Baby in ihren Armen zu tragen. Wie unverantwortlich dies doch war, in solch pechschwarzer, kalter Nacht ein Baby durch die Wildnis zu tragen. Abgesehen von Feuerleichen, Brandvögeln und anderen Geschmeiß waren ja auch genügend Wildtiere in den Wäldern unterwegs.

Die Frauengestalt strauchelte, aber konnte sich im letzten Moment gerade noch erfangen, wobei der Überwurf seitlich total verrutschte. Rahjeline, die reflexartig zur Hilfe eilen wollte, erstarrte mitten im Lauf. Die Nackenhaare der Abundilerin sträubten sich, und mit schreckensgeweiteten Augen wich sie entsetzt zurück! Aus der aufgebrochenen, graugrünen Bauchdecke der Mutter quollen halbverweste Gedärme heraus, sowie die Nabelschnur an der das untote Baby noch hing. Da es nicht auf natürlichem Weg in die Welt fand, schien es sich selbst aus dem Bauch seiner Mutter herausgebissen zu haben. Die Körper dieses unnatürlichen Paares waren fahl, faulig und äußerst widerwärtig anzusehen und langsam stieg Rahjeline auch der widerlich süßliche Gestank der Fäulnis in die Nase.

Die vollends geschockte Rahjeline kotzte sich in hohem Bogen die Seele aus dem Leib, und begann erst langsam, dann immer schneller davonzukriechen. Trotzdem waren ihr die beiden schon gefährlich nahe gekommen.