Chronik.Ereignis1036 Besuch im Vanyadâl 32: Unterschied zwischen den Versionen
KKeine Bearbeitungszusammenfassung |
Keine Bearbeitungszusammenfassung |
||
(19 dazwischenliegende Versionen von 3 Benutzern werden nicht angezeigt) | |||
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
==[[Mark Ragathsquell]], 10. Tsa 1036 BF== | ==[[Mark Ragathsquell]], 10. Tsa 1036 BF== | ||
===Grafenwald, am späten Nachmittag=== | ===Im Grafenwald, am späten Nachmittag=== | ||
'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | '''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | ||
Zeile 20: | Zeile 20: | ||
Der Wind rauschte in den Bäumen; er hatte an Stärke zugenommen. Schnee wirbelte vom Boden auf. | Der Wind rauschte in den Bäumen; er hatte an Stärke zugenommen. Schnee wirbelte vom Boden auf. | ||
Richeza nagte an ihrer Unterlippe, die Handschuhe fest um die Zügel des Gauls geschlossen, den Blick auf den Rücken der Capitana geheftet. Gerade überlegte sie, wie es einer Unbewaffneten gelingen sollte, eine geharnischte Reiterin zu töten, als etwas gänzlich Unvorhergesehenes geschah ... | Richeza nagte an ihrer Unterlippe, die Handschuhe fest um die Zügel des Gauls geschlossen, den Blick auf den Rücken der Capitana geheftet. Gerade überlegte sie, wie es einer Unbewaffneten gelingen sollte, eine geharnischte Reiterin zu töten, als etwas gänzlich Unvorhergesehenes geschah ... | ||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Eine Bewegung aus den Augenwinkeln ließ Richeza zusammenzucken. Instinktiv duckte sie sich über den Hals des Tieres. Zeitgleich war aus Richtung der Capitana vor ihr ein hässliches Schmatzen zu hören, begleitet von einem Krachen, als spalte eine Axt einen Brennholzscheit. Mit einem erstickten Gurgeln kippte die Gardistin aus dem Sattel und stürzte rücklings in den verharschten Schnee, der sich sofort dunkel färbte. Ein Fuß hing noch im Steigbügel, aus dem, was mal ihr Gesicht gewesen war, ragte der Schaft eines Armbrustbolzens. Der Helm hatte ihr nichts genützt, zumal sie das Visier wegen der Dunkelheit offen getragen hatte. Das Pferd schnaubte, trabte an, schleifte die Tote hinter sich her, blieb stehen und tänzelte auf der Stelle. | |||
"Schilde hoch!" – "Das kam von vorne!" – "Da, rechts, Achtung!", schrien die Soldaten durcheinander. Gegen das flackernde Licht der Fackel war in der Dunkelheit niemand zu sehen. | |||
Richezas Herz raste, in ihrer Magengrube flatterte die Angst. Dennoch zögerte sie keinen Augenblick. Sie trieb ihr Pferd an das der toten Capitana heran, ließ sich aus dem Sattel gleiten und stürzte geduckt zu der gefallenen Soldation hinüber, zerrte – die Deckung, die das Ross ihr gab, nutzend – an deren Stiefel, bekam den Fuß frei, schwang sich in den Sattel. Vom Waldrand her vernahm sie ein mehrstimmiges Brüllen. Richeza trat dem Pferd die Hacken in die Flanken, tief über den Hals des Tieres gebeugt, versuchte zugleich, den Degen blank zu ziehen, fluchte, weil sie die Klinge nicht frei bekam. | |||
"Schützt die da Vanyas!", schrie jemand hinter ihr. | |||
Erleichterung mischte sich in die Furcht: Jemand kam, sie zu befreien! Den Göttern – oder besser noch: den Rettern – sei Dank! Jetzt nur rasch aus dem Kampfgetümmel heraus, aus der Schusslinie, den Degen ziehen ... | |||
Das Tier sprang vorwärts, schnell auf dem unebenen Weg. Wenn nur jemand die Harmamunder aufhielt! | |||
Richeza warf einen Blick zurück; das Blut gefror ihr in den Adern ... | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Am Waldrand mehrere Bewaffnete, dunkle Kapuzenmäntel. Der Anführer: bulliger Hüne in Kettenhemd und Leder-Harnisch, in der Hand eine übergroße Falcata, beinahe klafterlang, als sei sie ein Dolch, nicht schwerer. Geschwärzter Maskenhelm mit Hörnern, Visier und Nasenschutz, wie ein Stiergesicht. | |||
Drei der Harmamunder um Belisethas Zelter, ein vierter kam auf Richeza zu, der fünfte attackierte den Stier-Mann. | |||
Der Schwarzbehelmte parierte den Streich mühelos, holte seinerseits zum Schlag aus. Der Schild des Reiters splitterte wie Zunderholz, die Klinge traf auf Bauchhöhe, fegte den Reiter einfach aus dem Sattel, schleuderte ihn drei Schritt weit. | |||
Richeza starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das Unbegreifliche. Merkte zu spät, wie eine der Gestalten am Waldrand die Armbrust hob. Starr ... Zu spät! Aber der Schuss hatte nicht ihr gegolten. Ihr Harmamunder Verfolger fiel vornüber auf das Pferd, das einfach weiter lief, begann, aus dem Sattel zu rutschen, wurde durch das Auf und Ab des fliehenden Tieres wieder hoch gedrückt. ''Wie eine Puppe!'' | |||
Ein weiterer Hieb des Stier-Behelmten, ein Harmamunder stürzte samt Pferd. Gedärme quollen aus dem zerschlagenen Harnisch. ''Unmenschlich stark!'' Das Pferd fiel gegen den Zelter, brachte diesen zu Fall, Belisethas Beine unter dem Tier begraben ... | |||
Die Armbrust, jetzt auf Richeza gerichtet. ''Wieder nach vorn, tiefer ducken!'' | |||
"Die will ich lebend!" Stier-Mann. | |||
''Schneller! Bitte, schneller!'' Herzrasen bis zum Zerbersten. Die bloßen Schenkel kalt und wund am rauen Fell des Rosses. ''Schneller!'' Ein plötzlicher Ruck, das Pferd bäumte sich auf, einen Bolzen im Muskel. Jetzt bloß nicht stürzen! Richeza krallte sich an Mähne und Zügel fest, das Pferd buckelte, dann galoppierte es los, rannte wie besessen, den Hinterfuß schleifend. Die Zügel fester, runtergleiten? Aber wohin? Bloß weg hier! Aber das Pferd verletzt! Wie lange es durchhielt? Es lief noch, langsamer, hinkte, stolperte. ''Ihr Götter, bitte, falls Ihr nur einmal ...'' Fast völlige Dunkelheit, der Weg weiß, der Wald schwarz, aber da vorne kaum noch Licht. Und das Pferd lahmte, stolperte schon wieder! ''Weiter, weiter! Bitte, Ihr Götter, irgendwer, Hilfe!'' Kaum möglich, sich im Sattel zu halten. Kein Blick zurück, weiter! Solange die drei Beine des Pferdes sie tragen würden ... Hinter ihr ein Gemetzel, die Reiter hoffnungslos, der Stier-Mann brüllend. Und keine Zweifel, wie es ihr erginge, wenn man sie einholte ... | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Das Pferd wurde immer langsamer, versuchte mehrmals, stehen zu bleiben, aber Richeza trieb es immer wieder an, mit Tritten in die Flanken. Es zitterte bereits, wenn sie es weiter so voran triebe, würde sie es zuschanden reiten. Richeza zweifelte nicht daran, dass sie verfolgt wurde. Mehrmals meinte sie, trotz des noch immer fallenden Schnees, einen Reiter oder auch zwei hinter sich vernommen zu haben. Vielleicht hatte sie es sich nur eingebildet, doch Licht hatte sie gesehen, das hatte sie sich nicht eingebildet, Fackellicht. Nicht lange, und man würde sie eingeholt haben. Und dann? | |||
Der Weg lag dunkel vor ihr, durch die dicht stehenden Bäume fiel kaum Licht. Diese Geschwindigkeit zu halten, war halsbrecherisch, wäre es selbst gewesen auf einem gesunden Pferd. Zweimal hatte sie nur im letzten Moment einem tief hängenden Ast ausweichen können, seither duckte sie sich über den Hals des Tieres. | |||
Vielleicht sollte sie einfach herunterspringen. Und dann? Man würde ihre Spuren im Schnee sehen, sie verfolgen! Sie war erschöpft und durstig und würde im Unterholz nicht schnell genug fliehen können vor diesem tierhaften Riesen mit den überderischen Kräften! Wenn sie sich nur irgendwo verstecken könnte, wo er sie nicht fände! | |||
Bald würde das Tier unter ihr zusammenbrechen! Sich auf seine schwindenden Kräfte zu verlassen, war lebensgefährlich! Aber wohin? | |||
Ein vager Plan reifte in Richeza, tollkühn, verzweifelt, vielleicht dumm. Sich aus dem Ritt heraus an einen Ast klammern, in den Baum hinaufziehen, vielleicht in einen anderen Baum hinüber springen, fernab des Weges herabspringen, wo man die Spuren nicht sähe, dann durch den Wald weglaufen. Aber wohin? – Erst einmal weg hier, weg vom Weg, weg von möglichen Verfolgern! | |||
Richeza nestelte am Sattelknauf, dem festgezurrten Degen. Ihre Hände so klamm, trotz der Handschuhe! Sie bekam ihn noch immer nicht frei! Ein tief hängender Ast über ihr, aber das Pferd zu schnell, die Gelegenheit verpasst, sie musste das Tier langsamer laufen lassen, ohne, dass es stehen bliebe. Und dann lange nichts mehr: Keine Äste, keine Laubbäume, nur Tannen, Fichten, was-auch-immer. Hinter ihr im Wald Lichtschein. Pferde, jetzt war sie sich sicher! Wenn nur dieser verdammte Degen ... | |||
Da, endlich! Wieder ein Ast über ihr. Sie zögerte nicht, griff mit beiden Armen zu – und wurde von ihrem eigenen, ungewohnten Gewicht überrascht: Der Bauch, das Kleid, der schneebedeckte Mantel. Das Pferd lief einfach weiter. Um ein Haar wäre sie gefallen. Sie konnte sich nicht hochziehen! Sie würde sich überhaupt nicht lange halten können! Wie ein nasser Sack hing sie über dem Weg. Versuchte, sich den Ast wenigstens entlang zu hangeln. Hand. Um Hand. Um Hand. Wäre fast abgerutscht. Ihre Arme brannten. Kraftlos! Irrte sie, oder kam der Reiter näher? Die Reiter? Sie durfte nicht loslassen! Noch ein Stück! Der Ast wurde breiter, führte aufwärts. Noch anstrengender! Sie begann, abzurutschen, fing sich gerade noch. Ihr Mantel streifte einen Strauch unter ihr. Wenn sie nicht hängen bleiben wollte, musste sie die Beine anziehen! Solche Schmerzen in den Armen! Die Muskeln begannen zu zittern. Die Hände taub. Noch ein Stück! Fast am Stamm des Baumes, auf der anderen Seite des schneebedeckten Strauchs, konnte sie nicht mehr, ließ sich fallen. Wenigstens nicht auf dem Weg. Aber so dicht daneben! Zum Glück war es dunkel! | |||
Richeza raffte Mantel und Kleid und begann, in die Dunkelheit hinein zu stolpern, bloß weg vom Weg. Orientierungslos. Waffenlos, denn den Dolch, den sie im Stiefel zu tragen pflegte, hatte man ihr auf Harmamund abgenommen. Verfluchtes Dreckspack! | |||
Nach einigen Schritt blieb sie stehen. Sie war zu laut! Sie musste langsamer gehen, damit man ihre Schritte nicht hörte! Zwischen den Bäumen tauchte Fackellicht auf, jetzt waren Pferde zu hören, zwei Reiter? So nah, verdammt, viel zu nah am Weg ... | |||
---- | |||
===Am Rand des Grafenwalds, am frühen Abend=== | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Laut zerriss das Gekläff und Gefiepe der drei Spürhunde die Stille der Nacht. Das grünlich gefärbte Licht der Öllampen aus buntem Butzenglas, die die sie begleitenden Lakaien und auch [[Rohaja von Ragathsquell|Rohaja]] und [[Efferdane von Ragathsquell]] selbst vor sich her trugen, reichte nur wenige Schritt weit. | |||
"ESLAM! ESLAM! WO STECKST DU NUR?", rief die Junkerstochter Efferdane zum x-ten Male, aber ihre weitaus pragmatischer veranlagte Zwillingsschwester Rohaja winkte nur ab. | |||
"Er ist hier nicht! Die Dämonen der Hölle mögen wissen, wo er sich herumtreibt. Vielleicht hat er heimlich eine Liebste? Vielleicht liegt er mit ihr im Lotterbett, während sich Mutter und Vater halb zu Tode sorgen?" | |||
"Niemals!", schüttelte Efferdane sofort den Kopf, die ihren jüngeren Brüdern näher stand, als die unlängst außer Haus gegangene Rohaja. "Eslam hat noch nie etwas mit einer Frau gehabt - andernfalls hätte er mir davon erzählt. Ich mache mir genauso Sorgen wie die Eltern! Vier Tage haben wir nichts von ihm gehört! Er wollte nach Quazzano reiten, das war das Letzte, was ich mit Sicherheit weiß. Er hatte ein Gespräch zwischen Vater und dieser Kriegerin von den Da Vanyas belauscht, als sie vor kurzem bei uns war. Es heißt, es wird Krieg geben - die Da Vanyas gegen die Harmamunds - und wir stehen mitten drin! Mit beiden verwandt und zwischen ihnen wohnend ..." | |||
"Wir müssten hier auf den Feldern um Schloss Quazzano sein", stellte Domnatella Rohaja nüchtern fest, die von ihrem Vater gelernt hatte, dass es das Beste war, sich aus den Streitigkeiten anderer Leute herauszuhalten. Andererseits ... sie mochte die Harmamunds nicht. Die alte [[Aldea von Harmamund|Aldea]] war ein irgendwie unheimliches Weib gewesen, und ihre Kinder [[Morena von Harmamund|Morena]] und [[Amando von Harmamund|Amando Almadarich]] kamen ganz nach ihr - abweisend und bösartig wirkende Leute. | |||
"Vorsicht, Jungherrinnen! Da kommt etwas aus dem Wald! Deswegen spielen die Hunde verrückt! Da drüben!", rief einer der Diener und deutete auf den Saum des weitläufigen Grafenwaldes, dem sie sich nun angenähert hatten. Eigentlich hatten sie nur nach Grioli und Quazzano reiten wollen - was sollte ihr vermisster Bruder schon im Wald suchen, den sie jetzt zur Nachtzeit bestimmt nicht betreten würden? | |||
"Es ist nur ein Pferd ... ein gesatteltes Pferd?", stieß Rohaja teils erleichtert, teils rätselnd aus, die beim Warnruf des Dieners schon ihr Rapier gezogen hatte. | |||
"Es scheint verletzt zu sein, es lahmt!", stellte die tierliebe Efferdane bestürzt fest, die schon zu dem Tier hinüber eilen wollte - aber ihre Zwillingsschwester hielt sie zurück. | |||
"''Ich'' sehe mir das an! Bleib hier zwischen den Hunden und Dienern!" | |||
Mit blank gezogener Waffe, aber ganz langsam, um es nicht zu verschrecken, näherte sich Rohaja von Ragathsquell dem schwerverletzten Ross an, das am ganzen Leib zitterte und trotz der beißenden Kälte verschwitzt war. Sein Hinterlauf war blutüberströmt, etwas stak dort tief aus dem Muskelfleisch ... möglicherweise ein Armbrustbolzen. | |||
Durch das viele Blut war es zwar nicht mehr gut zu erkennen, aber wenn Rohaja nicht alles täuschte, trug das Pferd einen Drachen als Brandzeichen - also ein Pferd von den Weiden der Harmamunds. Am Sattelknauf hing eine Degenscheide, die Rohaja dem Tier vorsichtig abhing. Ohne eine Waffenexpertin zu sein, genügte ihr ein einziger Blick auf die Scheide, den Griff und die Klinge, um zu wissen, dass dies eine wertvolle Waffe von vielfach besserer Qualität als ihre eigene war. Einige Kerben auf der Klinge deuteten darauf hin, dass ihr Besitzer - vermutlich der Reiter des unglücksseligen Rosses - sie schon häufiger mit gegnerischen Klingen in Kontakt gebracht hatte. Dennoch war die Waffe scharf nachgeschliffen und in sehr gepflegtem Zustand. Kleine Löwenköpfe zierten die Enden der Parierstange, während in der Hohlkehle eine bosparanische Inschrift prangte: ''Amicus certus in re incerta cernitur.'' – Der wahre Freund zeigt sich in der Not. | |||
Auf der Rückseite, dort wo der Parierring die Klinge umfasste, in der Fehlschärfe, war eine Windmühle eingraviert. | |||
"Was immer demjenigen passiert ist, dem dieses Pferd und die Waffe hier gehören", schlussfolgerte Rohaja, als sie in den Halbkreis ihrer Schwester und des Gefolges zurückkehrte, "so etwas gibt man nicht freiwillig auf. Ich fürchte, die Fehde hat schon begonnen. Und möglicherweise steckt unser naseweiser Eslamino da mittendrin! Wie alle ''Muchachos'' überschätzt er sein Kampfgeschick. Wir sollten diesen Fund hier Vater zeigen." | |||
Die Hunde, die sich kurzzeitig etwas beruhigt hatten, begannen wieder zu kläffen und zu knurren. "Jungherrinnen - irgendetwas geht da gerade im Wald vor sich!", stotterte einer der Diener beunruhigt, "da seht nur! Fackelschein!" | |||
Die beiden Ragathsqueller Zwillingsschwestern folgten seinem Fingerzeig. Tatsächlich war zwischen den Bäumen des Waldes, trotz des leichten Schneefalls, das Licht zweier Fackeln zu sehen, die sich so schnell vorwärts bewegten, dass sie unmöglich von jemandem zu Fuß getragen werden konnten. Da waren Reiter im Grafenwald - und möglicherweise verfolgten sie das verletzte Pferd, das gerade aus dem Wald herausgekommen war und sich nun auf den Feldern um Quazzano tödlich erschöpft zu Boden sacken ließ. | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Da niemand wissen konnte, wer in diesen unsicheren Zeiten zu dieser Tageszeit aus dem Walde kam, hieß Rohaja ihre Begleiter, vorsichtshalber die Laternen abzudecken. Efferdane sprach leise und beruhigend auf die Hunde ein und gab ihnen kleine Stückchen von dem Trockenfleisch, das sie stets bei sich zu tragen pflegte. | |||
Im Schein einer Fackel nahten zwei Reiter. Der Fackelträger hünenhaft und bullig, der kleinere Reiter, ebenfalls kräftig, mit einer Armbrust bewaffnet. Das Gesicht des Armbrustträgers blieb unter einem Kapuzenmantel verborgen, das des Größeren unter einem geschwärzten Hörner-Helm, der das Fackellicht zu schlucken schien. Er trug ein Kettenhemd und einen Lederharnisch. Als er den Kopf wandte, schien es, als handle es sich nicht einmal um einen Menschen: Augenlöcher und Nasenschutz des Helms erinnerten an ein Stiergesicht. | |||
Wie vermutet, hielten die beiden auf das sterbende Pferd zu, sprachen miteinander. Ohne dass ihre Worte zu verstehen gewesen wären, ließ der hitzige Tonfall einen Streit vermuten. Der Armbrustträger saß ab, ging zu dem Pferd, untersuchte das Tier und ganz offenkundig auch die Spuren im Schnee – Rohajas Spuren! | |||
Einen Augenblick sahen die beiden Gestalten zu ihnen herüber. Die Hunde knurrten leise, aber Efferdane redete weiter flüsternd auf sie ein und tätschelte ihre Hälse. Der Armbrustträger spannte seine Waffe, näherte sich. Der andere rief ihm scharf etwas zu. Wieder stritten sie. Einer der Diener nieste. Die Armbrust fuhr herum, und ehe die Zwillingsschwestern auch nur reagieren konnten, sackte der Mann mit einem Gurgeln in sich zusammen, einen gefiederten Bolzen im Brustbein. Sein sprudelndes Blut färbte den Schnee dunkel. | |||
Der Stierbehelmte gab ein zorniges Brüllen von sich, zog eine fast klafterlange Falcata aus einer Rückenscheide und ließ sie in einer einzigen schwungvollen Bewegung auf den Kopf des Schützen niederfahren. Die Klinge teilte Kapuze, Lederhelm, Schädel und Hals des Mannes bis zum Brustbein, als bestünde er aus Butter statt aus Fleisch und Knochen. Mühelos riss der Behelmte das Schwert zurück, versetzte dem Fallenden einen beiläufigen Tritt in den Schnee und trat seinem Ross in die Flanken. Die Waffe erhoben, kam er genau auf die Ragathsqueller zu ... | |||
---- | |||
'''Autor:'''[[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Efferdane von Ragathsquell stieß einen erstickten Schrei aus, als sich der unheimliche Stierhelmträger in ihre Richtung in Bewegung setzte. Auch die Dienerschaft hatte den Tod ihres eigenen Dienstkollegen wie auch den des Begleiters des Angreifers mit vor Unglauben und Entsetzen weit aufgerissenen Augen verfolgt. | |||
Nur Domnatella Rohaja blieb vergleichsweise kühl. "Lasst die Hunde los!", befahl sie und brüllte dann "FASST!", sobald die Diener die Halsleinen der drei ohrenbetäubend kläffenden Hunde gelöst hatten. Wie von der Tarantel gestochen schossen die drei Rüden dem Stierbehelmtem in pfeilschnellem Lauf entgegen, ihre Zähne gebleckt und ihre Augen voller Hass und Mordlust. Es waren drei große Caldaier Hirtenhunde, jeder so groß und stämmig wie ein ausgewachsener Wolf. Am Fuße von Amboss und Raschtulswall verteidigten diese Hunde 'ihre' Schaf- oder Ziegenherde notfalls sogar gegen Goblins, Schwarzbären, Harpyen oder Berglöwen - aber diese drei – ''Wildfang, Brigant und Kuhschreck'' mit Namen - waren eigentlich an den tagtäglichen Umgang mit vielerlei Menschen gewöhnt, die etwa drei Dutzend Bewohner von Burg Ragathsquell. | |||
Rohaja hatte sie noch nie in einer solchen Raserei gesehen, wie sie der Anblick und die Witterung des stierbehelmten Riesen hervorgerufen hatte. "Schnell! Zieht euch alle nach dort hinten zurück! Dort muss Grioli liegen! Verschafft euch Einlass im Gasthaus und verrammelt dann hinter euch die Tür! Ich werde ihn aufhalten und dann Vater verständigen! Das war zwiefacher Mord auf Grafenland! Graf Brandil muss davon erfahren!" | |||
"Komm mit uns! Flieh auch!", rief Efferdane, während die Diener dem Befehl ihrer Jungherrin nur zu gerne nachkamen und die Beine in die Hand nahmen und losrannten. "Der Kerl hat auch etwas mit dem Verschwinden Eslams zu tun! Das spüre ich!", rief Efferdane schrill. | |||
"Reit los! Du musst die Diener führen!", rief Rohaja nochmals und widerwillig kam ihre wenige Minuten nach ihr geborene Schwester dem Geheiß der "Älteren" nach. | |||
Die Hunde hatten das Ross des Fremden erreicht und schnappten kläffend nach dessen Beinen. Das Pferd stieg angstvoll auf die Hinterbeine und trat aus. Brigant wurde von seinen Hufen getroffen und sprang elendiglich jaulend zurück. Kuhschreck aber verbiss sich im linken Hinterlauf des Pferdes, das nun ebenfalls in Todesangst wieherte. Wildfang biss nach dem Bein des Reiters im Steigbügel, der aber mit seinem Riesenschwert nach dem Hund schlug, als ob es federleicht wäre, worauf auch Wildfang jaulend rückwärts sprang. Er war verletzt. | |||
Rohaja zog das edle Rapier, das sie gefunden hatte, aus der Scheide. Just der richtige Zeitpunkt, um die Schärfe der neuen Klinge zu prüfen. "Im Namen meines Vaters, dem Junker von Ragathsquell und Herrn dieses Landes; Keinen Schritt weiter!", rief sie so laut sie konnte. "Ihr seid hier auf unserem Land nicht willkommen!" | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Mit der Falcata stach der Reiter rückwärts nach dem Hund, der sich im Bein des Rosses verbissen hatte. Die Waffe spießte das Tier regelrecht auf, aber schon im selben Moment wirbelte das Schwert um das Handgelenk des Mannes – wenn es denn ein Mann war, das war in der Dunkelheit nicht sicher auszumachen. Als ob ein Gaukler einen Messertrick vorführte. Der Stierkopf wandte sich Rohaja zu. Die beiden verletzten Hunde bellten noch immer, wagten aber nicht mehr anzugreifen. | |||
Einen Augenblick lang musterte der Behelmte die junge Ragathsquellerin, dann ließ er das Pferd steigen, um es auf die Frau niedertrampeln zu lassen. Ein kriegsgeschultes Pferd, erkannte diese, als sie erschrocken zur Seite sprang, ein Pferd, das dasselbe Brandzeichen trug wie das tote am Waldrand ... | |||
Mit einem Satz war der Reiter aus dem Sattel, hob die Falcata – und Rohaja riss den Raufedegen zur Parade hoch. Doch der Angriff war so hart, als hätte des Pferd sie doch getroffen. Die Waffe wurde ihr aus der Hand gerissen und wirbelte mit einem singenden Ton durch die Luft, sie selbst sah den vereisten Schnee auf sich zukommen und ... | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Die Frau rührte sich nicht mehr. Er griff in ihren Mantel und zerrte sie auf den Rücken. Sie war bewusstlos, aus einer Platzwunde an ihrer Stirn floss Blut über ihre Wangen, ihre Nase war gebrochen. Sie war nicht die, die er suchte, erkannte er. Aber sie war eine Frau ... Grob befingerte er ihren Hals, ihre Brüste, von einer plötzlich auflodernden Wildheit übermannt. Er hob den Kopf. Die Geflohenen waren vielleicht noch in der Nähe. Grunzend stieß er sie zurück in den Schnee, hob die Waffe, um sie zu töten. Etwas hielt ihn zurück. Sie hatte einen Namen gesagt. Einen adligen Namen. Es wäre etwas anderes, einen Reisigen zu erschießen – und das war er nicht gewesen – oder eine wehrlose Edelfrau zu erschlagen. Es war schon zu viel schief gegangen ... | |||
Einige Augenblicke lang stand er mit erhobener Falcata über ihr, dann versetzte er ihr einen Tritt in die Rippen, vernahm beinahe erschrocken und zugleich berauscht von der eigenen, ungewohnten Kraft das Knacken der Knochen, wandte sich ab und führte das Ross zu dem toten Tier am Waldrand, besah sich nun selbst die Spuren im Schnee. Seine eigenen, andere, die zu dem Tier hin- und wieder fort führten. Nein, eine Reiterin hatte das Pferd nicht aus dem Wald getragen, es musste die kleine da Vanya bereits vorher abgeworfen haben. Verdammt! Sie hatten keine Spuren auf dem Weg gesehen als die des fliehenden Pferdes. Ob es gebuckelt und seine Reiterin ins Gebüsch geworfen hatte? | |||
Fluchend saß er auf und ritt zurück in den Wald, auf demselben Weg, den er gekommen war. | |||
---- | |||
===Im Grafenwald, am Abend=== | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Der Sinnreiche Junker von Aranjuez|Der Sinnreiche Junker]] | |||
Gerade mochte sich bei den beiden Anführern der [[Almadaner Heerbann#Fürstliche Truppen|fürstlichen Reitertruppe]] schon so etwas wie Zuversicht breit gemacht haben, denn immerhin war man auf die Spuren mehrerer Berittener gestoßen, die der leichte Schneefall noch nicht völlig verwischt hatte, und die demzufolge entsprechend frisch sein mussten - und andererseits hatte man wenige Augenblicke zuvor den Markstein von [[Castillo Quazzano|Quazzano]] passiert, sodass man berechtigterweise hoffen durfte, in Kürze das [[Castillo]] zu erreichen, wo die beiden Domnas längst in wohliger Wärme angekommen waren, auf dass sich die leidige Angelegenheit möglichst rasch aufklären mochte. Doch witterten die Rösser, dass irgendetwas nicht stimmte, noch bevor ihre Reiter des Gemetzels angesichtig wurden. | |||
[[Hernán von Aranjuez]] sog scharf die Luft ein, als er sein Reittier zügelte, um sich einen Überblick zu verschaffen. "''Mierda!''", entfuhr es ihm ganz unstandesgemäß, als er nicht nur die wohlbekannten [[Familia von Harmamund|harmamunder]] Farben erkannte, sondern auch Domna Belisetha, deren Unterleib unter ihrem Ross begraben war. Welches freilich in seinen Qualen weit mehr lebendig schien als die [[Baronie Schrotenstein|Alt-Baronin]]. Mit einem Blick auf die Rüstung des [[Königlich Khahirios|Khahiriosers]] - er selbst trug ja nur Reisekleidung und einen Degen - wies er den Weg voran: "Zwei zu mir, der Rest folgt Dom [[Boraccio D'Altea|Boraccio]]!" | |||
Zweifellos bedurfte auch der Aracener keiner genaueren Untersuchung der Toten und Verwundeten, um zu dem Schluss zu gelangen, dass Richeza von Scheffelstein y da Vanya wohl kaum einen Wappenrock in den Farben des Hauses Harmamund trug, und sich demzufolge nicht unter ihnen befand. Während also bis auf zwei Streiter des [[Gwain von Harmamund|Fürsten]] die übrigen Reiter hinter dem einäugigen Cronvogt drein preschten, zog der [[Baronie Dubios|Dubianer]] seinen Degen, eine Waffe, mit der er sich im Sattel reichlich unwohl fühlte. Demzufolge ließ er sein Ross auch nur ein, zwei Mal auf der Stelle im Kreis tänzeln, um sich zu vergewissern, dass keiner der Angreifer mehr in der Nähe war. | |||
Die vielen gefiederten Bolzenschäfte ließen es unklug erscheinen, aufgesessen zu bleiben, sodass die drei Zurückgebliebenen sich aus den Sätteln schwangen, die blanken Klingen in der Faust. "Ihr haltet die Augen offen", wies er die Soldatin an, während ihr Kamerad sich nacheinander über die Gardisten Domna Morenas beugte. Hernán von Aranjuez indes ging neben Belisetha da Vanya auf ein Knie, biss in die Fingerspitzen seines linken Handschuhs um das Leder von den Fingern zu streifen, und am Halse der alten Junkerin den Puls zu prüfen. | |||
"Der hier lebt noch!", rief der Soldat, schränkte aber gleich mit Blick auf den eingeschlagenen Schädel ein: "Sieht aber übel aus." | |||
Erleichtert stellte der [[Condottiere]] fest, dass es sich bei Belisetha da Vanya ähnlich verhielt. Auch wenn das verwundete Pferd ihre Beine unter sich begraben hatte, mochte die Körperwärme des Tieres der altem Domna das Leben gerettet haben, wäre sie ansonsten hier draußen womöglich schon erfroren. Das verwundete Tier wieherte elend, als der Baron und [[Junkergut Aranjuez|Junker]] es am Zügel griff. Ein rascher Blick auf den in hässlichem Winkel offen aus der Hüfte ragenden Oberschenkel genügte um zu wissen, dass das Tier nicht mehr zu retten war. Womöglich hätte man es mit grober Gewalt noch einmal leidlich aufrichten können, fiel es jedoch wieder um, risikierte man weitere Verletzungen bei der Reiterin. So schleuderte er den Handschuh mit einer Kopfbewegung zur Seite, legte dem Tier die bloße Hand beruhigend an den Hals und setzte sorgfältig die Degenspitze auf Höhe des Herzens an. Ein kurzes Zustechen mit der eleganten Klinge, ein leises Wiehern des Pferdes, und in gleichem Maße wie das warme Blut aus der kleinen Stichwunde strömte, erstarben die Bewegungen des Tieres. | |||
Derweil hatten sich seine beiden Begleiter über den Zustand des Verwundeten verständigt, und ein kurzes Kopfschütteln war dem Veteranen Zeichen genug, dass auch hier nichts mehr zu retten war. Ein knappes Nicken bedeutete dem Soldaten, dass er den bedauernswerten Gardisten gleichermaßen von seinem Leid erlösen sollte. | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Boraccio D'Altea|Boraccio D'Altea]] | |||
"Heiliger Golgari!" entfuhr es Boraccios Lippen. Sein Blick überflog die blutige Szenerie vor seinen Augen als er die Lage erfasste. Fieberhaft suchte er nach Richeza, konnte aber den zierlichen Körper der Edlen nirgendwo erblicken. War sie entkommen oder wurde sie entführt? Er verspürte ein Gefühl wie ein Schlag in die Magengrube. | |||
Er realisierte, dass er nun auch den größten Teil von Dom Hernâns Mannen kommandierte. "Alles halt!" befahl er. "Niemand bewegt sich vom Fleck! Schilde hoch und Schützen die Waffen spannen! Achtet auf Schützen! Simyane, ich brauche eine Spur!" | |||
Die Halbelfe glitt elegant aus dem Sattel und begann die Spuren im Schnee mit den Sinnen ihres Volkes zu untersuchen. "Ein Pferd, im Galopp aber hinkend, diese Richtung!" Simyane zeigte in Dunkelheit. "Mindestens zwei Verfolger, ebenfalls beritten." | |||
Der Cronvogt hatte mittlerweile seinen Schild vom Sattel genommen und trug ihn nun so am Arm, dass er noch die Zügel führen konnte. Als seine Kundschafterin ihm eine Richtung angab setzte er unverzüglich seinen Rappen in Bewegung. "Das muss sie sein! Alles mir nach! Simyane, Du führst! Haltet die Augen auf und zögert nicht!" | |||
---- | |||
'''Autoren:''' [[Benutzer:Der Sinnreiche Junker von Aranjuez|Der Sinnreiche Junker]] | |||
Nachdenklich strich sich der Baron und Junker über die unrasierte Wange. Boraccio D'Altea hatte die Szenerie verlassen, und nun fiel ihm ein, dass er womöglich doch noch zwei oder vier helfende Hände hätte gebrauchen können, um die bewusstlose Domna Belisetha von der Last des toten Rosses zu befreien. "Sammelt alles an Lanzen, Speeren, Schwertern und dergleichen ein, und bringt mir die Gürtel der Toten. Wir müssen etwas zum Hochstemmen des toten Pferdes basteln, ansonsten bekommen wir die Domna hier nicht weg", befahl er seinen verbliebenen beiden Leuten, rammte den Degen in den Boden und löste die Spange seines schweren, schwarzen Umhanges, um ihn über der Verletzten auszubreiten. "Und gebt mir die Umhänge, zumindest soweit sie trocken sind." | |||
Kurze Zeit später war die zierliche alte Dame unter einem Berg an Stoff geradezu begraben, und man hatte neben ihr eine wenig vertrauenserweckende Konstruktion aus zersplitterten Schäften und Schwertern, zusammengebunden mit einem halben Dutzend Gürteln, unter dem Pferdeleib hindurch geschoben. Glücklicherweise erleichterte die Schneedecke das Vorhaben. Hernán von Aranjuez stand an der Kruppe, der Gardist zwischen den Beinen des Pferdes, beide tief gebückt und die wieder behandschuhten Hände am jeweiligen Ende der improvisierten Stange. Die Gardistin derweil hatte die Decken aus Umhänge beiseite geschlagen, und die glücklicherweise nicht mehr allzu schwere Junkerin unter den Schultern gefasst. "Auf Drei stemmen wir den Kadaver etwa auf Kniehöhe, und Ihr zieht die Domna auf den Umhang dort. Womöglich sind Beine und Hüfte gebrochen, und ich möchte nicht, dass das Pferd ihr ein zweites Mal auf die Knochen fällt, wenn uns die Kraft verlässt", wies er an. "Fertig? Eins, zwei, drei!" | |||
Ein Ächzen ging durch den Wald, als die beiden Männer den hinteren Teil des Rosses zwei [[:avwik:Spann|Spann]] weit in die Höhe stemmten. Geschwind zog die Gardistin Belisetha da Vanya, die dabei in ihrer Ohnmacht ein unruhiges Stöhnen von sich gab, unter dem Pferdeleib hervor, der nur Augenblicke später wieder vom Schnee gedämpft zu Boden krachte. | |||
"Es können nur wenige Meilen bis Quazzano sein", schnaufte er durch. "Ihr...", nickte er der Gardistin zu "...reitet spornstreichs dorthin, und veranlasst, dass man uns umgehend zwei Wagen hierher schickt. Einen für Domna Belisetha, ausgekleidet mit reichlich Stroh - und einen für die Gefallenen. Wir kommen euch dann entgegen." | |||
Obgleich der Condottiere auch in den vergangenen Götterläufen immer wieder im Feld gestanden hätte, war es freilich schon ein Weilchen her, dass er sich höchstselbst um Verletzungen gekümmert hatte. Glücklicherweise ergab das Aufschneiden der Beinkleider der da Vanya, dass es sich um keine offenen Brüche handelte. Die Reposition entlockte der greisen Edeldame freilich abermals ein Stöhnen, doch leisteten ihnen dann immerhin die gebrochenen Lanzenschäfte und Gürtel gute Dienste beim Schienen der Beine. | |||
Nachdem er seinen Degen wieder verstaut hatte, griff sich der [[Familia Aranjuez|Aranjuezer]] die beiden Zipfel am Kopfende des Umhanges, auf welchem Belisetha da Vanya, mittlerweile wieder so gut es ging mit den übrigen Umhängen gegen die Kälte geschützt, lag, und begann in Richtung Quazzanos zu ziehen. "Wir wechseln uns ab. Der Schnee dämpft zum Glück die Unebenheiten des Bodens. Ihr führt die Pferde, und haltet die Augen offen." | |||
*''Die Geschichte um Domna Belisetha und Dom Hernán wird hier fortgesetzt: [[Chronik.Ereignis1036 Besuch im Vanyadâl 33|Schauplatz: Im Grafenwald nahe Quazzano, Teil 33]].'' | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Es war bitterkalt durch den scharfen Wind, der in den Wipfeln der Bäume rauschte und pfeifend zwischen ihren Stämmen hindurch fuhr. Mit einer Fackel in der Hand lief Simyane voran, beugte sich immer wieder über den Weg. Das verletzte Pferd sei ein hohes Tempo gelaufen, sagte sie, das es so nicht lange würde gehalten haben können. Die anderen Reiter würden es bald eingeholt haben. | |||
Schweigend liefen sie weiter. Das Heulen des Windes, die bittere Kälte auf der Haut, hatten etwas Abweisendes, Lebensfeindliches. Bald, sagte Simyane, würden die Spuren verschwunden sein. | |||
Dann aber blieb sie stehen: Neue Spuren waren da, so offensichtlich, dass auch Boraccio die Veränderung bemerkte: Reiterspuren in die entgegen gesetzte Richtung. Auf einer Fläche von einigen Schritt führten die Spuren durcheinander. | |||
"Bis hierher kam er auf uns zu, dann ist er umgekehrt", deutete Simyane in den Schnee. Sie folgten dem Weg, der nur als verschneite Fläche zwischen den links und rechts aufragenden Bäumen zu erkennen war. Die neuen Spuren waren eindeutig: hin und wieder zurück. Aber sie verdeckten die älteren. Ab und an führten die Spuren bis an die Sträucher am Wegesrand heran oder kreuz und quer über den Weg. "Als ob er etwas gesucht hätte." | |||
"Ob einer zurückgekommen ist, weil er etwas verloren hat?" | |||
Simyane zuckte mit den Schultern. "Die älteren Spuren werden nicht mehr lange zu sehen sein." Der Wind riss ihr die Worte aus dem Mund und trug sie fort. "Wir sollten aufsitzen und uns beeilen." | |||
Eine weitere halbe Stunde mochte vergehen, vielleicht mehr, vielleicht weniger. Bei der Witterung schien es eine Ewigkeit zu sein. Schließlich lichtete sich der Wald, und bald gab er den Blick frei auf hügeliges Weideland. In der Ferne Lichtschein, wie von Häusern. Näher Hundegebell. | |||
Nur wenige Schritt vom Waldrand entfernt lag ein Pferd. Ein Bolzen steckte in seinem Hinterlauf, überall war Blut. Zahlreiche Fuß- und Hufspuren führten hin und her, vom Wind schon fast verweht. Das Pferd lag auf der Seite, das Auge halb geöffnet, aber blicklos. | |||
"Da liegt einer!", rief Simyane, die bereits wieder abgestiegen war, und deutete auf eine halb im Schnee versunkene Gestalt. Dunklem Schnee ... "Und da hinten noch weitere!" Sie hatte eine Hand über die Augen gelegt, um sie vor dem schneidenden Wind zu schützen. | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Rohaja von Ragathsquell hob den Kopf, als sie knirschende Schritte im Schnee hörte, dazu das Schnauben von Rössern. | |||
Sie musste einige Zeit ohnmächtig gewesen sein, ihr Gesicht brannte wie Feuer - teils wegen dem eisigen Wind, der über ihre Wangen, Nase und Ohren schmirgelte und sie schon halb mit Schnee zugedeckt hatte, teils aber auch, weil von ihrer Nase und Stirn ein pochender Schmerz ausging, als habe sie ein Kriegshammer frontal im Gesicht getroffen. Die Neuankömmlinge waren zahlreiche Reiter, die von einer schlanken Frau - nein, einer Elfe - angeführt wurden. | |||
"Zur Hilf'!" rief Rohaja. "Bitte helft mir auf und dass ich zur Burg meines Vaters zurück gelange. Er wird Euch das großzügig vergelten! Hier sind gerade zwei Morde auf dem Land des Grafen geschehen, und der Mörder ist flüchtig. Er muss ergriffen werden!" | |||
Sie streckte Simyane bittend die Hand entgegen. | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
[[Boraccio D'Altea]] betrachtete die schlanke Waffe, die er vor sechs Jahren schon einmal in der Hand gehalten hatte. Sie habe sie bei dem toten Ross gefunden, hatte die junge Ragathsquellerin erzählt. Er hatte sich alles genau berichten lassen: Zusammen mit ihrer Schwester und einigen Dienern und Hunden hatten sie das verwundete und reiterlose Pferd aus dem Wald kommen sehen, verfolgt von zwei Reitern, zwischen denen es einen Streit gegeben hatte. Einer der Reiter hatte einen Ragathsqueller Diener mit einer Armbrust erschossen, woraufhin ihn der andere erschlagen hatte. Den Verletzungen des Schützen nach zu urteilen, musste es sich bei dem Angreifer um einen Oger gehandelt haben. Die Ragathsquellerin hatte jedoch behauptet, es sei ein Mensch gewesen, ob Mann oder Frau, wusste sie nicht recht zu sagen, ein sehr großer, kräftiger Mensch, der sein Gesicht hinter einem Stierhelm verborgen hatte. Dieser habe sie angegriffen und mutmaßlich verletzt, allerdings könne sie sich an den genauen Hergang nicht erinnern und sich auch nicht recht erklären, warum er sie nicht getötet hatte. | |||
Ob der Mann – oder etwa doch eine Frau? – von der Ragathsquellerin abgelassen hatte, weil er die eigentlich Gesuchte entdeckt hatte? | |||
Eine große Unruhe erfasste Boraccio. Er ballte die Hände zu Fäusten, bis seine Knöchel in den Handschuhen knackten. Wenn Richeza von Scheffelstein noch lebte, würde er die Edle finden! Und falls nicht – dann mochte Boron ihrem Mörder gnaden, denn er würde es nicht tun! – Und falls es der Wind und die Kälte waren, die sie töteten oder ein wildes Tier? Boraccio schluckte und beeilte sich, zu seinem Ross zurückzukehren, von dem er zur Befragung der Verletzten abgestiegen war. | |||
"Zwei Männer bringen die junge Domnatella hier zu dem Dorf, von dem sie gesprochen hat. Sorgt dafür, dass sie sicher in die Obhut ihrer Leute kommt!", befahl er den Fürstlichen. | |||
Dann rief er seine Leute zusammen, um sich auf die Suche nach der Vermissten zu machen. Das Pferd war reiterlos aus dem Wald gekommen. Aber ein Reiter war noch einmal zurückgekehrt. Hatte der Kerl die Domna gefunden? Aber sie hatten keine Fußspuren im Wald gesehen. Nachdenklich zupfte er sich am Bart, während die Sorgenfalten auf seiner Stirn noch tiefer wurden. Wenn er sich falsch entschied, konnte sie das das Leben kosten. Oder Schlimmeres. Er spürte Zorn in sich aufwallen. Der Dubianer und die beiden Fürstlichen waren noch im Wald. Wenn sich die Domna in der Nähe des Weges befand oder auf diesem, vielleicht würden sie sie entdecken. Jedenfalls schien der andere Reiter wieder aus dem Wald herausgekommen zu sein, wenn Simyane sich nicht täuschte, und das tat sie selten. Wenn der aber die Domna entführt haben sollte ... | |||
"Simyane!", rief er die Halbelfe herbei. "Folgen wir den Spuren dieses Mistkerls, solange sie noch zu sehen sind." Vielleicht fanden sie ihn ja, auch wenn der starke Wind die Spurensuche immer schwieriger machte. Und falls nicht ... Dann würde er jeden verdammten Strauch in diesem Wald absuchen, bis er sie gefunden hatte, lebendig oder ... Nein, daran wagte er nicht zu denken. | |||
Der Vogt befestigte den Degen der Edlen an seinem Sattel und trieb das Pferd zur Eile an. | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
===In der Taberna zu Grioli, am späten Abend=== | |||
Zärtlich strich [[Efferdane von Ragathsquell]] ihrer schlafenden Schwester eine Strähne aus der Stirn. [[Rohaja von Ragathsquell|Rohaja]] hatte darauf bestanden, gleich aufzubrechen gen Ragathsquell, um ihren Vater von den ungeheuerlichen Mordtaten der unheimlichen Bandidos aus dem Wald zu unterrichten. Aber es war bereits dunkel gewesen und stürmte noch immer, und da sie selbst zu angeschlagen gewesen war, ihren Dickkopf durchzusetzen, hatte Efferdane sie in das Bett der Kammer gebracht, die die beiden Frauen sich teilten. | |||
Efferdane hatte das Blut aus Rohajas Gesicht gewaschen. Unter den Augen trug die Schwester noch immer blaurote Ergüsse unter der Haut. Einer der Diener, der sich gut auf die Heilkunde verstand – bei Tieren, aber immerhin – hatte Rohaja mit einem Griff beider Hände die Nase gerichtet und ihr anschließend aus Leinen und Lehm einen Verband ins Gesicht geklatscht und sie gemahnt, die Nacht besser ruhend zu verbringen, zumal auch mindestens eine der Rippen auf der linken Seite gebrochen war und Rohaja unter starken Schmerzen litt. Efferdane hatte ihr einen doppelten Ragatzo eingeflößt, und bald darauf war sie in einen unruhigen Schlaf gefallen. | |||
Efferdane konnte nicht schlafen. Der Wind rüttelte an den Fensterläden und pfiff durch die Ritzen im Holz und brachte die Öllampe zum Flackern. Im Gebälk knackte es hin und wieder bedrohlich, und aus dem Schlafsaal nebenan drang lautes Schnarchen. Doch all das war nicht der Grund, warum Efferdane keine Ruhe fand. Sie dachte an den erschossenen Diener. Und an seinen erschlagenen Mörder. Und die Hunde, die armen Hunde! Vor allem aber dachte sie an den unheimlichen Riesen mit dem Stierhelm. Was, wenn er irgendwo da draußen herum ritt, sein blutiges Schwert gewetzt, und nur darauf wartete, bis sie einschliefe, um in die Taberna zu stürmen und sie und Rohaja im Schlaf zu erschlagen? Efferdane zog sich die Decke bis zum Kinn hoch und kroch etwas näher an Rohaja heran. Ihre Schwester stöhnte im Schlaf. "Ihr guten Götter: Beschützt uns!", murmelte Efferdane. Sie hatte Angst. Große Angst. | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
===Nahe Quazzano, eine Stunde vor Morgengrauen=== | |||
Der Mantel lag nass und schwer auf [[Boraccio D'Altea|Boraccios]] Schultern. Das plattenverstärkte Kettenhemd hatte ein Gewicht, wie er es sonst nur nach einer Schlacht verspürt hatte, wenn das Feuer des Gefechts der Ernüchterung danach gewichen war. Unter der Sturmhaube schmerzte sein Schädel, die Finger in den Handschuhen waren ihm klamm geworden. Das viele Metall am Körper strahlte eine Kälte aus, die ihm allmählich in die Knochen kroch. | |||
Der Wind hatte nachgelassen, nur noch vereinzelte Flocken taumelten auf den verschneiten Weg. Sie hatten die Spur des Reiters verloren, noch ehe der Weg in die Straße von Harmamund nach La Dimenzia eingemündet war; zu stark waren die Böen gewesen. Als sie umgekehrt waren, um noch einmal den Wald abzusuchen, hatten sie die Spuren des Aranjuezers gefunden und weitere, die ihnen entgegen gekommen waren. Anzeichen eines Kampfes hatten sie nicht ausmachen können. Vermutlich hatte der Baron Verstärkung eingefordert. Im Schnee hatten sie Schleifspuren entdeckt, als wenn etwas Schweres durch den Schnee gezogen worden war. Vielleicht jemand Verwundetes, mutmaßte Simyane. Kurz war Hoffnung in Boraccio aufgekeimt, ehe er sich erinnert hatte, dass es sich am ehesten um die unter dem Ross begrabene Junkerin gehandelt haben mochte. Wieso hatte der Dubianer keine Wagen rufen lassen, um den Kampfplatz aufzuräumen? Andererseits war bei dem Schnee so oder so kaum ein Durchkommen ... | |||
Sie waren zum Ort des Gemetzels zurück gekehrt. Der Schnee hatte die Kadaver der Pferde und die Leiber der Toten zugedeckt, es waren nurmehr weiße Hügel auf dem kaum noch erkennbaren Weg. Fluchend hatte Boraccio seinen Leuten befohlen, die Toten freizuschaufeln und am Wegrand zusammenzutragen, während Simyane den Ort nach weiteren Spuren abgesucht hatte. Sie hatte keine gefunden. In den vergangenen Stunden hatte der Schnee alle beseitigt, die sie zuvor hätte finden können. | |||
Also hatten sie noch einmal den Weg und diesmal auch den nahen Wald abgesucht, sofern der begehbar gewesen war. Boraccio war nicht wohl dabei gewesen, die Toten zurückzulassen. Hatte Domna Rifada nicht etwas von einem Boronfrevler in diesen Landen gesagt? Aber was waren die Toten, wenn es galt, ein Leben zu retten? Und nicht irgendeines ... | |||
Irgendwann hatte Simyane gesagt, sie höre ein Pferd im Wald. Also hatte er sie los geschickt, nachzusehen, ob es der Reiter wäre. Oder Richeza. Er mochte keine Überraschungen. Doch zurück kam sie mit einem reiterlosen Tier mit Harmamunder Brandzeichen. Menschenspuren hatte sie keine gesehen. Das Tier, vermutete sie, sei schon eine Weile durch den Wald gestreift. Er hatte sich zu der Stelle führen lassen, wo sie das Tier gefunden hatte. Sie hatten alles abgesucht, seine Spur zurückverfolgt, waren, so schien es, mehrmals im Kreis gegangen, schließlich nach der Domna rufend mit Fackeln und Laternen durchs Unterholz gestapft. Außer kleinen Vögeln hatten sie kein lebendes Wesen vernommen. | |||
Jetzt waren sie auf dem Weg nach Quazzano, denn seinen Leuten konnte er keine weitere Stunde in Dunkelheit, Schnee und Kälte zumuten. Sie waren zerkratzt, durchnässt, erschöpft. Im Osten schienen Boraccio die nachtdunklen Wolken ein wenig grauer zu werden. In einer Stunde spätestens würde die Sonne aufgehen. Mit jeder Meile, die sie sich dem Schloss näherten, verdüsterte sich Boraccios Stimmung. Diese Niederlage wog schwerer als ein verlorener Kampf. | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
===In der Taberna zu Grioli, kurz vor Tagesanbruch des 11. Tsa=== | |||
Die Hunde schlugen an. Erst einer im Dorf, dann ihre überlebenden, Wildfang und Brigant. Efferdane schreckte aus ihrem leichten Schlaf. Die Öllampe brannte noch mit rötlichem Schein. Efferdane stellte die Flamme höher, redete beruhigend auf die Hunde ein, auch wenn ihr eigenes Herz ihr bis zum Halse schlug. Rohaja stöhnte im Schlaf. Die Decke bis zum Kinn hochgezogen, lauschte sie, unentschlossen, was zu tun sei. Vermutlich war es ja ohnehin nur irgendein von der Kälte aus dem Wald getriebenes wildes Tier, das den Dorfhund alarmierte. Ein Fuchs, ein Luchs, ein Wolf. Und wenn es ein Bär war? Oder der Stiermann? | |||
Der Hund draußen bellte, bellte seltener, verstummte. Brigant winselte, Wildfang leckte sich das verwundete Bein. Der Wind schien nachgelassen zu haben, und jetzt, da die Tiere ruhiger wurden, lastete die Stille der Winternacht auf der Kammer. Im Gebälk ächzte es. Rohaja bewegte sich, das Bett knarrte. | |||
"Was ist?" | |||
Efferdane zuckte ein wenig zusammen, so angestrengt hatte sie gehorcht, dass die plötzliche Stimme nah ihrem Ohr sie erschreckte. | |||
"Ich weiß nicht", gab sie zurück. "Draußen hat ein Hund angeschlagen. Und dann unsere. Aber vermutlich war nichts. Irgendein Tier vielleicht." | |||
Rohaja runzelte die Stirn. Der Verband rutschte ihr halb übers Auge. | |||
"Bleib liegen!", sagte Efferdane. "Du sollst dich doch ausruhen!" | |||
"Wenn der Kerl zurückkommt, dann sind wir hier nicht sicher", erwiderte Rohaja und machte Anstalten, aufzustehen, sank aber stöhnend wieder zurück auf das strohgefüllte Kissen. | |||
"Ich schau mal raus", beeilte sich Efferdane zu sagen, ehe die Schwester noch auf dumme Gedanken kam. Barfuß trat sie ans Fenster, öffnete vorsichtig den schweren Laden, spähte durch einen Spalt hinaus. Draußen war es noch dunkel, aber es hatte zu schneien aufgehört, und auch der Wind hatte nachgelassen. | |||
Einen Moment war es still in der Kammer. | |||
"Und?", fragte Rohaja ungeduldig. | |||
"Es wird bald Morgen." | |||
"Siehst du was?" | |||
Keine Antwort. Rohaja nieste und gab einen gequälten Laut von sich, fasste sich an den Verband in ihrem Gesicht, griff in Lehm, fluchte, schloss die Augen. | |||
"Rohaja?" | |||
"Hmmm?" | |||
Efferdane warf einen kurzen Blick zurück aufs Bett. "Rohaja", flüsterte sie. "Ich glaube, da liegt was im Schnee. Ein totes Tier vielleicht?" | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Auch wenn ihr alles weh tat, besonders ihr Schädel, hob Rohaja von Ragathsquell ächzend den Kopf. "Unter anderen Umständen würde ich rausgehen und nachschauen ... aber so." Sie überlegte. "Geh runter und sag den Dienern Bescheid, einer oder zwei von ihnen sollen nachsehen und zur Sicherheit mein Rapier und Brigant mitnehmen. Nicht, dass es am Ende noch Eslam ist! Ich hoffe und bete, dass das spurlose Verschwinden unseres Bruderherzes nichts mit diesem Kerl mit dem Stierhelm zu tun hat. Ich weiß nicht, ob ich heute schon reisen kann – aber wenigstens du musst dann Vater verständigen und ihm alles berichten, was wir gesehen haben. Wenn du nicht alleine nach Hause zurückkehren willst, dann gehe heute wenigstens – zu einer etwas angenehmeren Zeit – nach Schloss Quazzano hinüber. Der Großinquisitor kennt und schätzt Vater, er wird dich empfangen und dann besser als wir wissen, was zu tun ist." | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Efferdane eilte die Treppe hinunter in den Schlafsaal, in dem die Diener nächtigten. Rohaja hörte Schritte im Schankraum, das Klappen der Haustür. Kurz zog es kalt die Stiege herauf und durch den Türspalt, denn ihre Schwester hatte die Tür nicht hinter sich geschlossen. | |||
Kurz darauf klappte die Tür erneut, wieder eilige Schritte, aufgeregte Stimmen – Efferdanes darunter, doch was sie sagte, konnte Rohaja nicht verstehen – dann noch einmal die Tür – und lange nichts. | |||
Rohaja lauschte dem Knarren der Balken, starrte hinauf in das reetgedeckte Dach. | |||
Lautes Gepolter und wieder Rufe von unten. Rohaja tastete nach dem Dolch auf der Truhe neben dem Bett, zog die Waffe unter die Decke. Schritte auf der Treppe, schnelle Schritte. | |||
Efferdane platzte herein, aufgeregt. "Da war eine Frau", keuchte sie atemlos. "Da im Schnee lag eine Frau. Sehr wohlhabend gekleidet. Halb erfroren." Sie stützte die Hände auf ihre Oberschenkel und rang nach Luft, atmete ein paarmal tief aus, kam dann herüber und setzte sich auf die Bettkante. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie die Schwester an. "Wo kommt mitten in der Nacht diese Frau her? Sie war zu Fuß, ohne Pferd, ohne Waffe, ohne Begleiter. Ob sie überfallen wurde? Was machen wir jetzt? Sie spricht nicht, ist zu schwach, rot und blau gefroren, hat einen schlimmen Husten und Fieber. Ich fürchte, sie wird sterben, wenn wir nichts tun." Sie sprang wieder auf. "Wenn sie nun überfallen wurde? Vielleicht war sie in einer Kutsche unterwegs und ist weggelaufen? Was, wenn das dieser unheimliche Mann war, der dich so übel zugerichtet hat." | |||
"Oder ein Weib", unterbrach Rohaja den Redeschwall. | |||
"Ja, aber wenn ..." | |||
Rohaja griff nach Efferdanes Arm, hielt sie fest, um das kopflose Umherzappeln zu beenden, das die Dielen knarzen ließ und ihr Kopfschmerzen bereitete. | |||
Fragend sah Efferdane die Schwester an. | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
"Ist ja gut, ist ja gut!", stöhnte Rohaja, in der die Einsicht reifte, dass ihr Zwilling ihr ohnehin keine Ruhe zur Wiedererlangung ihrer Kräfte lassen würde. "Bettet die Frau unten direkt vor dem Kaminfeuer. Du selbst, der Wirt und wer-auch-sonst-noch kümmert euch um sie. Ich selbst werde, sobald das Praiosrund aufgegangen ist und sich normale Leute aus dem Bett erhoben haben, hinüber nach Schloss Quazzano reiten und dem alten Da Vanya alles berichten. Er und Vater sind Freunde, die Da Vanyas bekamen dieses Schloss von uns - deswegen wird er mir kaum seine Hilfe verweigern. Vielleicht weiß er auch über unseren Bruder mehr? Um ihn mache ich mir mehr Sorgen, als um diese Fremde. Aber nichtsdestotrotz wollen wir uns mühen, ihr zu helfen, vielleicht steht das, was ihr widerfahren ist, ja mit dem Verschwinden unseres Bruders in Zusammenhang?" Sie erhob sich stöhnend - hui, was war ihr schwindelig. "Hilf mir, mich anzukleiden, ehe du wieder hinunter rennst!", befahl sie ihrer Schwester noch. "Eine von Ragathsquell tritt nicht verlottert wie ein Wildfang vor den Großinquisitor." | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Die Schwestern blickten auf die schlafende Frau hinab. Sie mochte Mitte dreißig sein, vielleicht auch schon um die vierzig, hatte lange schwarze Haare und eine lange blasse Narbe auf ihrer linken Wange. Sie hatte blaurote Erfrierungen im Gesicht, und ihre Stirn glänzte fiebrig, aber wenn man davon absah, war sie für eine Frau ihres Alters ausgesprochen hübsch. | |||
Sie trug Efferdanes Wechselkleidung: Reithosen, knielange Wollstrümpfe, ein besticktes Hemd und ein gefüttertes Wams. Alles war ihr zu groß: Obwohl die Frau nicht so schlank war wie Efferdane, war Letztere doch ein Stück größer. Es war mühsam gewesen, sie davon zu überzeugen, sich den nassen Mantel und das nasse Kleid auszuziehen. Besser: ausziehen zu lassen, denn auch ihre Hände wiesen Erfrierungen auf, und so kraftlos, wie sie war, hatte sie es alleine nicht geschafft. Obwohl sie zu schwach zum Sprechen gewesen war, hatte sie sich gegen jede Hilfe gesträubt. Beinahe so, als schäme sie sich ihres Körpers. Oder als seien ihr die Blicke und Berührungen anderer Menschen unangenehm. | |||
Efferdane schüttelte verständnislos den Kopf. Wie konnte jemand mit einem solchen Äußeren so frigide sein, dass selbst die Gegenwart einer anderen Frau sie einschüchterte? Andererseits ... Efferdane dachte an den unheimlichen Stier-Mann und schauderte bei den Gedanken, den Bildern, die ihr in den Kopf kamen. Unwillkürlich griff sie nach der Hand ihrer Schwester, wie sie es als Kind schon getan, wenn etwas sie geängstigt hatte, denn auch, wenn Rohaja die Jüngere der beiden war, war sie doch auch stets die Forschere und Wagemutigere gewesen. | |||
Man hatte die Arme und Beine der Frau mit Schnee abgerieben, ihr Efferdanes Kleidung angezogen – da sie edel gekleidet gewesen war, hatte Efferdane es für unangemessen gehalten, ihr die Kleidung einer Magd geben zu lassen –, dann hatte man sie zugedeckt und ihr Weidenrindentee, etwas Suppe und einen Weinbrand eingeflößt, und sehr bald war die Fremde vor Erschöpfung eingeschlafen. | |||
Efferdane wandte sich vollends ihrer Schwester zu und betrachtete diese besorgt. Die Verbände unter dem Wams ließen Rohaja unförmig aussehen, und der Verband um ihre geschundene Nase verrutschte ständig. | |||
"Bist du sicher, dass du das schaffst?", fragte sie. Aber was für eine unsinnige Frage: Rohaja war hartgesotten und fest entschlossen! Also rückte Efferdane ihr fürsorglich den Mantel zurecht, drückte ihre Hände und gab ihr einen Kuss auf die Wange. "Pass auf dich auf, ja? Und verzichte auf alle Tollkühnheiten!" | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
===Auf Burg Harmamund, bei Sonnenaufgang am 11. Tsa=== | |||
[[Morena von Harmamund|Morena Solivai von Harmamund]] tobte. Rastlos schritt sie in ihrem Gemach auf und ab, die Fäuste geballt, sodass ihre Fingernägel schmerzhaft in ihre Handflächen drückten, die Kiefer aufeinander gepresst, bis ihre Zähne schmerzten. Ab und an entfuhr ihr ein zorniger Schrei, und sie fegte ein Schriftstück vom Schreibpult oder gar die hässliche Vase ihrer armseligen Großmutter gegen die Wand. | |||
Dieser hirnbefreite Ochse von einem Junker hatte sie wahrlich in Schwierigkeiten gebracht! Was, zur niedersten Niederhölle!, war so schwer daran, mit dem Segen Ras'Raghs ein paar Reiter und zwei wehrlose Frauen niederzumachen? Aber nein, er hatte es wieder einmal vermasselt! Und warum? Dieser unverfrorene Kerl hatte die Impertinenz besessen, es ihr direkt ins Gesicht zu sagen: ''Glaubt Ihr, wenn ich die Gelegenheit habe, die schönste Frau Almadas in die Finger zu kriegen, dass ich die dann nicht nutzen werde?'' | |||
Dieser ...! Morena wusste kaum, was sie mehr erzürnte. ''Die schönste Frau Almadas.'' Dieser Hundsfott! Wut und Eifersucht loderten in ihrem Herzen. Dabei hasste sie den Pferdejunker in diesem Augenblick vor allem für seine Dummheit! Alles, was sie sonst an ihm anzog, die brachiale, animalische Gewalt, die Unbeherrschtheit und ursprüngliche Wildheit, stießen sie in diesem Augenblick ab. Beinahe wünschte sie, einen ihrer anderen Geliebten mit der delikaten Aufgabe betraut zu haben. Den Kanzler vielleicht. [[Rafik von Taladur ä. H.|Rafik]] war ein Langweiler, aber ein kluger Kopf, der diese Angelegenheit gewiss zu einem erfolgreichen Ende gebracht hätte. Aber nein, hätte er nicht: Er war zwar stets auf den eigenen Vorteil bedacht, aber viel zu weichherzig, um über Leichen zu gehen. Schöne Leichen jedenfalls. | |||
Da war es schon wieder, dieses Wort, das einer anderen galt! Aber nicht einmal seine Geilheit hatte der Trottel-Junker befriedigen können. Die kleine Scheffelstein, die sich neuerdings nach ihrer Mutter nannte, war ihm entkommen. Und nach allem, was ihre Späher Morena zugetragen hatten, war auch die alte Wildenfesterin nicht so richtig tot! Ja, schlimmer noch: Die Einzigen, die ganz sicher tot waren, waren ''ihre eigenen Leute''! Unter ihnen ihre treue Capitana! | |||
Verfluchte Ferkinakkenscheiße! Wusste dieser Bauer denn nicht, was sie das alles gekostet hatte? Einen guter Stier aus ihrer Zucht, sechs Soldaten und eine Menge Ärger, der noch auf sie warten würde! | |||
Morena von Harmamund zertrat die Scherben der Vase unter ihrem Stiefel. Das Knirschen befriedigte ihren Zorn. Sie wischte sich eine Strähne des schwarzen Haars aus dem Gesicht und atmete langsam fauchend aus. Sie musste nachdenken. Die Tatsache, dass nur sie zu Schaden gekommen war, musste sich doch irgendwie nutzen lassen. Was für ein übler Zufall sollte das wohl sein: Sie schickte ihre besten Soldaten als Leibwache der beiden da Vanyas, und dann wurden diese ausgerechnet von ein paar scheinbar als Stierkultisten verkleideten Strauchdieben niedergemacht? Es war nun einmal leider allgemein bekannt, dass ihre [[Aldea von Harmamund|Mutter]] zuletzt dem Schwarzen Stier gehuldigt hatte und ihre Götzenergebenheit mit dem Leben bezahlt hatte. Glaubte denn irgendjemand allen Ernstes, auch sie, Morena Solivai von Harmamund, habe sich mit diesem Stiergötzen eingelassen, nachdem dies ihrer Mutter zum Verhängnis geworden war? Also bitte! | |||
Nein, hier spielte ihr jemand ganz übel mit: Auf Quazzano-Land wurden ihre Leute überfallen von vermeintlichen Kultisten, die jeder mit den Harmamunds in Verbindung bringen würde, aber die Einzigen, die starben, waren ihre eigenen Leute, während die da Vanyas irgendwie überlebten? Was für eine Posse war das denn? Nein, nein, hier ''wollte'' es jemand so ''aussehen'' lassen, als sei ''sie'', Morena, eine ganz hinterhältige Schlange, hier wollte jemand ihren ''Ruf'' ruinieren! | |||
Und es war glasklar, wer dieser Jemand war. Morena schlug sich mit grimmiger Miene eine Faust in die Hand. Eine Stierkultistin – oder ein Kultist, ja, ja! –, so stark wie ein Oger, metzelte alleine sechs Leute nieder. Das alleine war ja schon unglaubwürdig. Aber hinter so einer Maske ließ sich ja trefflich eine so hässliche Visage wie die der da Vanya-Krähe verbergen. Und wenn es doch wer anders gewesen sein sollte unter dieser Maske, so stand doch eindeutig fest, dass diese Schelkin dieses Schurkenstück aufgeführt hatte und niemand sonst. | |||
Zorn flammte erneut auf, gerechter Zorn. Beinahe glaubte Morena selbst bereits an diese Version der Geschichte. So sehr, dass sie fast bereit gewesen wäre, dem Pferdejunker, [[Rasdan di Vascara]], zu verzeihen. Zu dumm, dass sie ihn fortgejagt hatte nach seiner Beichte. Zu dumm, dass sie, nachdem sie ihn geschlagen und er sie gepackt und an die Wand gedrückt hatte, ihm mit ihrem Giftdolch gedroht hatte. Zu dumm, dass er von ihr abgelassen und in die Nacht hinaus verschwunden war. Jetzt, da ihr Zorn auf ihn sich in Zorn auf die da Vanya verwandelt hatte, wollte sie ihn. Lustvoll stöhnend ließ Morena eine Hand unter ihr Nachtgewand und sich auf alle Viere nieder gleiten. Zu dumm, dass sie Rascha nun allein würde opfern müssen. Mit halb geschlossenen Lidern blinzelte sie durch das offene Fenster ins Licht der soeben hinter dem Raschtulswall aufgehenden Sonne. | |||
Aktuelle Version vom 7. April 2016, 20:30 Uhr
Mark Ragathsquell, 10. Tsa 1036 BF[Quelltext bearbeiten]
Im Grafenwald, am späten Nachmittag[Quelltext bearbeiten]
Autor: von Scheffelstein
Bald nach ihrem Aufbruch aus Harmamund hatte es zu schneien begonnen. Dicke Flocken bedeckten die Kapuzen und Schultern ihrer Mäntel und hingen nass und schwer in den Mähnen der Pferde.
Richeza fluchte leise. Der Grauschimmel, auf dem sie saß, war ein Arbeitstier, alt, behäbig, unbequem zu reiten. Zumal er den Damensattel, den man ihm aufgeschnallt hatte, ebenso wenig gewohnt zu sein schien wie sie selbst. Richeza verfluchte das Kleid, das sie trug, den Schnee, den Wind und die hereinbrechende Dunkelheit. Argwöhnisch spähte sie zu den schneegebeugten Spitzen den Fichten hinauf, weiße Zipfelmützen vor der rasch hereinbrechenden Nacht.
Welch ein Irrsinn, zu so später Stunde aufzubrechen. Selbst Belisetha hatte ihr verzweifeltes Loblied auf die baldige Heimkehr zu singen aufgehört und ritt schweigend dicht hinter ihr, eine kleine gebeugte Gestalt auf dem weißen Zelter, der sich kaum vor dem verschneiten Weg abzeichnete. Hinter Belisetha ritten drei bewaffnete Gardisten der Harmamund, schwer gerüstet und auf Kriegspferden. Ein weiterer Mann und eine Frau flankierten die beiden da Vanyas, die Capitana ritt voran.
Richezas sehnsüchtiger Blick wanderte zum Sattelknauf der Hauptfrau, an dem ihr Degen festgemacht war. Auf Quazzano werde sie ihn zurückerhalten, hatte man ihr gesagt. Richeza glaubte nicht daran, ihn je wieder führen zu werden. Zorn und Angst verspürte sie bei dem Gedanken an das, was sie ihrer Ansicht nach erwartete: ein rascher, grausamer Tod. Sechs ihrer besten Gardisten hatte die Harmamund ihnen an die Seite gestellt. Als Bedeckung, wie es geheißen hatte. Als Henker, glaubte Richeza. Selbst unter anderen Umständen, in besserer Verfassung, in geeigneter Kleidung, mit ihrer Waffe in der Hand, auf einem schnellen, kampferprobten Ross, wäre es schwer geworden gegen sechs Gegner, die ihr Handwerk verstanden. Aber so? Und mit Belisetha als Klotz am Bein? Und dem Kind ...
Der schneidende Wind fuhr Richeza unters Kleid und ließ sie erschauern. Sie zerrte den Stoff fest und starrte bitter in den verschneiten Wald. Wo würden sie es tun? Gewiss nicht direkt auf dem Weg, oder? Vielleicht würden sie sie in eine Senke führen, in der Hoffnung, dass der jungfräuliche Schnee die Spuren ihres Todes bald verwehen würde. Vielleicht würden sie sie an einen Abgrund führen und hinab stoßen, dorthin, wo niemand sie fände, selbst wenn es bald zu tauen beginnen sollte, auch wenn es derzeit schien, als wolle der Winter doch kein so rasches Ende nehmen. Gab es hier solche Schluchten oder war die Mark zu flach? Oder würde man sie in Stücke hacken, in einen Sack stopfen und irgendwo verbrennen?
Je mehr Richeza sich ihren Gedanken hingab, desto wütender wurde sie. Doch der Zorn richtete sich erstaunlicherweise nicht gegen ihre Bewacher, nicht einmal gegen Morena von Harmamund. Werdet Ihr mir nur eine Träne nach weinen, dachte sie, wenn es zu spät ist? Oder Eurem Kind?
Nein, sie wollte sich nicht kampflos ergeben! Andererseits: Wäre es nicht doch besser zu leben als einen sinnlosen, zornigen Tod zu sterben, einen derart erbärmlichen, dass nicht einmal ihre Tante ihre Todesverachtung preisen würde? Nur: Wie durfte sie hoffen zu entkommen, zu Fuß im dichten Schneetreiben mit dem unbequemen Kleid, das sich sofort voll Wasser saugen würde? Da wäre ein Gerüsteter vielleicht noch schneller als sie!
Der Wind rauschte in den Bäumen; er hatte an Stärke zugenommen. Schnee wirbelte vom Boden auf. Richeza nagte an ihrer Unterlippe, die Handschuhe fest um die Zügel des Gauls geschlossen, den Blick auf den Rücken der Capitana geheftet. Gerade überlegte sie, wie es einer Unbewaffneten gelingen sollte, eine geharnischte Reiterin zu töten, als etwas gänzlich Unvorhergesehenes geschah ...
Autor: von Scheffelstein
Eine Bewegung aus den Augenwinkeln ließ Richeza zusammenzucken. Instinktiv duckte sie sich über den Hals des Tieres. Zeitgleich war aus Richtung der Capitana vor ihr ein hässliches Schmatzen zu hören, begleitet von einem Krachen, als spalte eine Axt einen Brennholzscheit. Mit einem erstickten Gurgeln kippte die Gardistin aus dem Sattel und stürzte rücklings in den verharschten Schnee, der sich sofort dunkel färbte. Ein Fuß hing noch im Steigbügel, aus dem, was mal ihr Gesicht gewesen war, ragte der Schaft eines Armbrustbolzens. Der Helm hatte ihr nichts genützt, zumal sie das Visier wegen der Dunkelheit offen getragen hatte. Das Pferd schnaubte, trabte an, schleifte die Tote hinter sich her, blieb stehen und tänzelte auf der Stelle.
"Schilde hoch!" – "Das kam von vorne!" – "Da, rechts, Achtung!", schrien die Soldaten durcheinander. Gegen das flackernde Licht der Fackel war in der Dunkelheit niemand zu sehen.
Richezas Herz raste, in ihrer Magengrube flatterte die Angst. Dennoch zögerte sie keinen Augenblick. Sie trieb ihr Pferd an das der toten Capitana heran, ließ sich aus dem Sattel gleiten und stürzte geduckt zu der gefallenen Soldation hinüber, zerrte – die Deckung, die das Ross ihr gab, nutzend – an deren Stiefel, bekam den Fuß frei, schwang sich in den Sattel. Vom Waldrand her vernahm sie ein mehrstimmiges Brüllen. Richeza trat dem Pferd die Hacken in die Flanken, tief über den Hals des Tieres gebeugt, versuchte zugleich, den Degen blank zu ziehen, fluchte, weil sie die Klinge nicht frei bekam.
"Schützt die da Vanyas!", schrie jemand hinter ihr.
Erleichterung mischte sich in die Furcht: Jemand kam, sie zu befreien! Den Göttern – oder besser noch: den Rettern – sei Dank! Jetzt nur rasch aus dem Kampfgetümmel heraus, aus der Schusslinie, den Degen ziehen ...
Das Tier sprang vorwärts, schnell auf dem unebenen Weg. Wenn nur jemand die Harmamunder aufhielt!
Richeza warf einen Blick zurück; das Blut gefror ihr in den Adern ...
Autor: von Scheffelstein
Am Waldrand mehrere Bewaffnete, dunkle Kapuzenmäntel. Der Anführer: bulliger Hüne in Kettenhemd und Leder-Harnisch, in der Hand eine übergroße Falcata, beinahe klafterlang, als sei sie ein Dolch, nicht schwerer. Geschwärzter Maskenhelm mit Hörnern, Visier und Nasenschutz, wie ein Stiergesicht.
Drei der Harmamunder um Belisethas Zelter, ein vierter kam auf Richeza zu, der fünfte attackierte den Stier-Mann.
Der Schwarzbehelmte parierte den Streich mühelos, holte seinerseits zum Schlag aus. Der Schild des Reiters splitterte wie Zunderholz, die Klinge traf auf Bauchhöhe, fegte den Reiter einfach aus dem Sattel, schleuderte ihn drei Schritt weit.
Richeza starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das Unbegreifliche. Merkte zu spät, wie eine der Gestalten am Waldrand die Armbrust hob. Starr ... Zu spät! Aber der Schuss hatte nicht ihr gegolten. Ihr Harmamunder Verfolger fiel vornüber auf das Pferd, das einfach weiter lief, begann, aus dem Sattel zu rutschen, wurde durch das Auf und Ab des fliehenden Tieres wieder hoch gedrückt. Wie eine Puppe!
Ein weiterer Hieb des Stier-Behelmten, ein Harmamunder stürzte samt Pferd. Gedärme quollen aus dem zerschlagenen Harnisch. Unmenschlich stark! Das Pferd fiel gegen den Zelter, brachte diesen zu Fall, Belisethas Beine unter dem Tier begraben ...
Die Armbrust, jetzt auf Richeza gerichtet. Wieder nach vorn, tiefer ducken!
"Die will ich lebend!" Stier-Mann.
Schneller! Bitte, schneller! Herzrasen bis zum Zerbersten. Die bloßen Schenkel kalt und wund am rauen Fell des Rosses. Schneller! Ein plötzlicher Ruck, das Pferd bäumte sich auf, einen Bolzen im Muskel. Jetzt bloß nicht stürzen! Richeza krallte sich an Mähne und Zügel fest, das Pferd buckelte, dann galoppierte es los, rannte wie besessen, den Hinterfuß schleifend. Die Zügel fester, runtergleiten? Aber wohin? Bloß weg hier! Aber das Pferd verletzt! Wie lange es durchhielt? Es lief noch, langsamer, hinkte, stolperte. Ihr Götter, bitte, falls Ihr nur einmal ... Fast völlige Dunkelheit, der Weg weiß, der Wald schwarz, aber da vorne kaum noch Licht. Und das Pferd lahmte, stolperte schon wieder! Weiter, weiter! Bitte, Ihr Götter, irgendwer, Hilfe! Kaum möglich, sich im Sattel zu halten. Kein Blick zurück, weiter! Solange die drei Beine des Pferdes sie tragen würden ... Hinter ihr ein Gemetzel, die Reiter hoffnungslos, der Stier-Mann brüllend. Und keine Zweifel, wie es ihr erginge, wenn man sie einholte ...
Autor: von Scheffelstein
Das Pferd wurde immer langsamer, versuchte mehrmals, stehen zu bleiben, aber Richeza trieb es immer wieder an, mit Tritten in die Flanken. Es zitterte bereits, wenn sie es weiter so voran triebe, würde sie es zuschanden reiten. Richeza zweifelte nicht daran, dass sie verfolgt wurde. Mehrmals meinte sie, trotz des noch immer fallenden Schnees, einen Reiter oder auch zwei hinter sich vernommen zu haben. Vielleicht hatte sie es sich nur eingebildet, doch Licht hatte sie gesehen, das hatte sie sich nicht eingebildet, Fackellicht. Nicht lange, und man würde sie eingeholt haben. Und dann?
Der Weg lag dunkel vor ihr, durch die dicht stehenden Bäume fiel kaum Licht. Diese Geschwindigkeit zu halten, war halsbrecherisch, wäre es selbst gewesen auf einem gesunden Pferd. Zweimal hatte sie nur im letzten Moment einem tief hängenden Ast ausweichen können, seither duckte sie sich über den Hals des Tieres.
Vielleicht sollte sie einfach herunterspringen. Und dann? Man würde ihre Spuren im Schnee sehen, sie verfolgen! Sie war erschöpft und durstig und würde im Unterholz nicht schnell genug fliehen können vor diesem tierhaften Riesen mit den überderischen Kräften! Wenn sie sich nur irgendwo verstecken könnte, wo er sie nicht fände!
Bald würde das Tier unter ihr zusammenbrechen! Sich auf seine schwindenden Kräfte zu verlassen, war lebensgefährlich! Aber wohin?
Ein vager Plan reifte in Richeza, tollkühn, verzweifelt, vielleicht dumm. Sich aus dem Ritt heraus an einen Ast klammern, in den Baum hinaufziehen, vielleicht in einen anderen Baum hinüber springen, fernab des Weges herabspringen, wo man die Spuren nicht sähe, dann durch den Wald weglaufen. Aber wohin? – Erst einmal weg hier, weg vom Weg, weg von möglichen Verfolgern!
Richeza nestelte am Sattelknauf, dem festgezurrten Degen. Ihre Hände so klamm, trotz der Handschuhe! Sie bekam ihn noch immer nicht frei! Ein tief hängender Ast über ihr, aber das Pferd zu schnell, die Gelegenheit verpasst, sie musste das Tier langsamer laufen lassen, ohne, dass es stehen bliebe. Und dann lange nichts mehr: Keine Äste, keine Laubbäume, nur Tannen, Fichten, was-auch-immer. Hinter ihr im Wald Lichtschein. Pferde, jetzt war sie sich sicher! Wenn nur dieser verdammte Degen ...
Da, endlich! Wieder ein Ast über ihr. Sie zögerte nicht, griff mit beiden Armen zu – und wurde von ihrem eigenen, ungewohnten Gewicht überrascht: Der Bauch, das Kleid, der schneebedeckte Mantel. Das Pferd lief einfach weiter. Um ein Haar wäre sie gefallen. Sie konnte sich nicht hochziehen! Sie würde sich überhaupt nicht lange halten können! Wie ein nasser Sack hing sie über dem Weg. Versuchte, sich den Ast wenigstens entlang zu hangeln. Hand. Um Hand. Um Hand. Wäre fast abgerutscht. Ihre Arme brannten. Kraftlos! Irrte sie, oder kam der Reiter näher? Die Reiter? Sie durfte nicht loslassen! Noch ein Stück! Der Ast wurde breiter, führte aufwärts. Noch anstrengender! Sie begann, abzurutschen, fing sich gerade noch. Ihr Mantel streifte einen Strauch unter ihr. Wenn sie nicht hängen bleiben wollte, musste sie die Beine anziehen! Solche Schmerzen in den Armen! Die Muskeln begannen zu zittern. Die Hände taub. Noch ein Stück! Fast am Stamm des Baumes, auf der anderen Seite des schneebedeckten Strauchs, konnte sie nicht mehr, ließ sich fallen. Wenigstens nicht auf dem Weg. Aber so dicht daneben! Zum Glück war es dunkel!
Richeza raffte Mantel und Kleid und begann, in die Dunkelheit hinein zu stolpern, bloß weg vom Weg. Orientierungslos. Waffenlos, denn den Dolch, den sie im Stiefel zu tragen pflegte, hatte man ihr auf Harmamund abgenommen. Verfluchtes Dreckspack!
Nach einigen Schritt blieb sie stehen. Sie war zu laut! Sie musste langsamer gehen, damit man ihre Schritte nicht hörte! Zwischen den Bäumen tauchte Fackellicht auf, jetzt waren Pferde zu hören, zwei Reiter? So nah, verdammt, viel zu nah am Weg ...
Am Rand des Grafenwalds, am frühen Abend[Quelltext bearbeiten]
Autor: SteveT
Laut zerriss das Gekläff und Gefiepe der drei Spürhunde die Stille der Nacht. Das grünlich gefärbte Licht der Öllampen aus buntem Butzenglas, die die sie begleitenden Lakaien und auch Rohaja und Efferdane von Ragathsquell selbst vor sich her trugen, reichte nur wenige Schritt weit.
"ESLAM! ESLAM! WO STECKST DU NUR?", rief die Junkerstochter Efferdane zum x-ten Male, aber ihre weitaus pragmatischer veranlagte Zwillingsschwester Rohaja winkte nur ab.
"Er ist hier nicht! Die Dämonen der Hölle mögen wissen, wo er sich herumtreibt. Vielleicht hat er heimlich eine Liebste? Vielleicht liegt er mit ihr im Lotterbett, während sich Mutter und Vater halb zu Tode sorgen?"
"Niemals!", schüttelte Efferdane sofort den Kopf, die ihren jüngeren Brüdern näher stand, als die unlängst außer Haus gegangene Rohaja. "Eslam hat noch nie etwas mit einer Frau gehabt - andernfalls hätte er mir davon erzählt. Ich mache mir genauso Sorgen wie die Eltern! Vier Tage haben wir nichts von ihm gehört! Er wollte nach Quazzano reiten, das war das Letzte, was ich mit Sicherheit weiß. Er hatte ein Gespräch zwischen Vater und dieser Kriegerin von den Da Vanyas belauscht, als sie vor kurzem bei uns war. Es heißt, es wird Krieg geben - die Da Vanyas gegen die Harmamunds - und wir stehen mitten drin! Mit beiden verwandt und zwischen ihnen wohnend ..."
"Wir müssten hier auf den Feldern um Schloss Quazzano sein", stellte Domnatella Rohaja nüchtern fest, die von ihrem Vater gelernt hatte, dass es das Beste war, sich aus den Streitigkeiten anderer Leute herauszuhalten. Andererseits ... sie mochte die Harmamunds nicht. Die alte Aldea war ein irgendwie unheimliches Weib gewesen, und ihre Kinder Morena und Amando Almadarich kamen ganz nach ihr - abweisend und bösartig wirkende Leute.
"Vorsicht, Jungherrinnen! Da kommt etwas aus dem Wald! Deswegen spielen die Hunde verrückt! Da drüben!", rief einer der Diener und deutete auf den Saum des weitläufigen Grafenwaldes, dem sie sich nun angenähert hatten. Eigentlich hatten sie nur nach Grioli und Quazzano reiten wollen - was sollte ihr vermisster Bruder schon im Wald suchen, den sie jetzt zur Nachtzeit bestimmt nicht betreten würden?
"Es ist nur ein Pferd ... ein gesatteltes Pferd?", stieß Rohaja teils erleichtert, teils rätselnd aus, die beim Warnruf des Dieners schon ihr Rapier gezogen hatte.
"Es scheint verletzt zu sein, es lahmt!", stellte die tierliebe Efferdane bestürzt fest, die schon zu dem Tier hinüber eilen wollte - aber ihre Zwillingsschwester hielt sie zurück.
"Ich sehe mir das an! Bleib hier zwischen den Hunden und Dienern!"
Mit blank gezogener Waffe, aber ganz langsam, um es nicht zu verschrecken, näherte sich Rohaja von Ragathsquell dem schwerverletzten Ross an, das am ganzen Leib zitterte und trotz der beißenden Kälte verschwitzt war. Sein Hinterlauf war blutüberströmt, etwas stak dort tief aus dem Muskelfleisch ... möglicherweise ein Armbrustbolzen.
Durch das viele Blut war es zwar nicht mehr gut zu erkennen, aber wenn Rohaja nicht alles täuschte, trug das Pferd einen Drachen als Brandzeichen - also ein Pferd von den Weiden der Harmamunds. Am Sattelknauf hing eine Degenscheide, die Rohaja dem Tier vorsichtig abhing. Ohne eine Waffenexpertin zu sein, genügte ihr ein einziger Blick auf die Scheide, den Griff und die Klinge, um zu wissen, dass dies eine wertvolle Waffe von vielfach besserer Qualität als ihre eigene war. Einige Kerben auf der Klinge deuteten darauf hin, dass ihr Besitzer - vermutlich der Reiter des unglücksseligen Rosses - sie schon häufiger mit gegnerischen Klingen in Kontakt gebracht hatte. Dennoch war die Waffe scharf nachgeschliffen und in sehr gepflegtem Zustand. Kleine Löwenköpfe zierten die Enden der Parierstange, während in der Hohlkehle eine bosparanische Inschrift prangte: Amicus certus in re incerta cernitur. – Der wahre Freund zeigt sich in der Not. Auf der Rückseite, dort wo der Parierring die Klinge umfasste, in der Fehlschärfe, war eine Windmühle eingraviert.
"Was immer demjenigen passiert ist, dem dieses Pferd und die Waffe hier gehören", schlussfolgerte Rohaja, als sie in den Halbkreis ihrer Schwester und des Gefolges zurückkehrte, "so etwas gibt man nicht freiwillig auf. Ich fürchte, die Fehde hat schon begonnen. Und möglicherweise steckt unser naseweiser Eslamino da mittendrin! Wie alle Muchachos überschätzt er sein Kampfgeschick. Wir sollten diesen Fund hier Vater zeigen."
Die Hunde, die sich kurzzeitig etwas beruhigt hatten, begannen wieder zu kläffen und zu knurren. "Jungherrinnen - irgendetwas geht da gerade im Wald vor sich!", stotterte einer der Diener beunruhigt, "da seht nur! Fackelschein!"
Die beiden Ragathsqueller Zwillingsschwestern folgten seinem Fingerzeig. Tatsächlich war zwischen den Bäumen des Waldes, trotz des leichten Schneefalls, das Licht zweier Fackeln zu sehen, die sich so schnell vorwärts bewegten, dass sie unmöglich von jemandem zu Fuß getragen werden konnten. Da waren Reiter im Grafenwald - und möglicherweise verfolgten sie das verletzte Pferd, das gerade aus dem Wald herausgekommen war und sich nun auf den Feldern um Quazzano tödlich erschöpft zu Boden sacken ließ.
Autor: von Scheffelstein
Da niemand wissen konnte, wer in diesen unsicheren Zeiten zu dieser Tageszeit aus dem Walde kam, hieß Rohaja ihre Begleiter, vorsichtshalber die Laternen abzudecken. Efferdane sprach leise und beruhigend auf die Hunde ein und gab ihnen kleine Stückchen von dem Trockenfleisch, das sie stets bei sich zu tragen pflegte.
Im Schein einer Fackel nahten zwei Reiter. Der Fackelträger hünenhaft und bullig, der kleinere Reiter, ebenfalls kräftig, mit einer Armbrust bewaffnet. Das Gesicht des Armbrustträgers blieb unter einem Kapuzenmantel verborgen, das des Größeren unter einem geschwärzten Hörner-Helm, der das Fackellicht zu schlucken schien. Er trug ein Kettenhemd und einen Lederharnisch. Als er den Kopf wandte, schien es, als handle es sich nicht einmal um einen Menschen: Augenlöcher und Nasenschutz des Helms erinnerten an ein Stiergesicht.
Wie vermutet, hielten die beiden auf das sterbende Pferd zu, sprachen miteinander. Ohne dass ihre Worte zu verstehen gewesen wären, ließ der hitzige Tonfall einen Streit vermuten. Der Armbrustträger saß ab, ging zu dem Pferd, untersuchte das Tier und ganz offenkundig auch die Spuren im Schnee – Rohajas Spuren!
Einen Augenblick sahen die beiden Gestalten zu ihnen herüber. Die Hunde knurrten leise, aber Efferdane redete weiter flüsternd auf sie ein und tätschelte ihre Hälse. Der Armbrustträger spannte seine Waffe, näherte sich. Der andere rief ihm scharf etwas zu. Wieder stritten sie. Einer der Diener nieste. Die Armbrust fuhr herum, und ehe die Zwillingsschwestern auch nur reagieren konnten, sackte der Mann mit einem Gurgeln in sich zusammen, einen gefiederten Bolzen im Brustbein. Sein sprudelndes Blut färbte den Schnee dunkel.
Der Stierbehelmte gab ein zorniges Brüllen von sich, zog eine fast klafterlange Falcata aus einer Rückenscheide und ließ sie in einer einzigen schwungvollen Bewegung auf den Kopf des Schützen niederfahren. Die Klinge teilte Kapuze, Lederhelm, Schädel und Hals des Mannes bis zum Brustbein, als bestünde er aus Butter statt aus Fleisch und Knochen. Mühelos riss der Behelmte das Schwert zurück, versetzte dem Fallenden einen beiläufigen Tritt in den Schnee und trat seinem Ross in die Flanken. Die Waffe erhoben, kam er genau auf die Ragathsqueller zu ...
Autor:SteveT
Efferdane von Ragathsquell stieß einen erstickten Schrei aus, als sich der unheimliche Stierhelmträger in ihre Richtung in Bewegung setzte. Auch die Dienerschaft hatte den Tod ihres eigenen Dienstkollegen wie auch den des Begleiters des Angreifers mit vor Unglauben und Entsetzen weit aufgerissenen Augen verfolgt.
Nur Domnatella Rohaja blieb vergleichsweise kühl. "Lasst die Hunde los!", befahl sie und brüllte dann "FASST!", sobald die Diener die Halsleinen der drei ohrenbetäubend kläffenden Hunde gelöst hatten. Wie von der Tarantel gestochen schossen die drei Rüden dem Stierbehelmtem in pfeilschnellem Lauf entgegen, ihre Zähne gebleckt und ihre Augen voller Hass und Mordlust. Es waren drei große Caldaier Hirtenhunde, jeder so groß und stämmig wie ein ausgewachsener Wolf. Am Fuße von Amboss und Raschtulswall verteidigten diese Hunde 'ihre' Schaf- oder Ziegenherde notfalls sogar gegen Goblins, Schwarzbären, Harpyen oder Berglöwen - aber diese drei – Wildfang, Brigant und Kuhschreck mit Namen - waren eigentlich an den tagtäglichen Umgang mit vielerlei Menschen gewöhnt, die etwa drei Dutzend Bewohner von Burg Ragathsquell.
Rohaja hatte sie noch nie in einer solchen Raserei gesehen, wie sie der Anblick und die Witterung des stierbehelmten Riesen hervorgerufen hatte. "Schnell! Zieht euch alle nach dort hinten zurück! Dort muss Grioli liegen! Verschafft euch Einlass im Gasthaus und verrammelt dann hinter euch die Tür! Ich werde ihn aufhalten und dann Vater verständigen! Das war zwiefacher Mord auf Grafenland! Graf Brandil muss davon erfahren!"
"Komm mit uns! Flieh auch!", rief Efferdane, während die Diener dem Befehl ihrer Jungherrin nur zu gerne nachkamen und die Beine in die Hand nahmen und losrannten. "Der Kerl hat auch etwas mit dem Verschwinden Eslams zu tun! Das spüre ich!", rief Efferdane schrill.
"Reit los! Du musst die Diener führen!", rief Rohaja nochmals und widerwillig kam ihre wenige Minuten nach ihr geborene Schwester dem Geheiß der "Älteren" nach.
Die Hunde hatten das Ross des Fremden erreicht und schnappten kläffend nach dessen Beinen. Das Pferd stieg angstvoll auf die Hinterbeine und trat aus. Brigant wurde von seinen Hufen getroffen und sprang elendiglich jaulend zurück. Kuhschreck aber verbiss sich im linken Hinterlauf des Pferdes, das nun ebenfalls in Todesangst wieherte. Wildfang biss nach dem Bein des Reiters im Steigbügel, der aber mit seinem Riesenschwert nach dem Hund schlug, als ob es federleicht wäre, worauf auch Wildfang jaulend rückwärts sprang. Er war verletzt.
Rohaja zog das edle Rapier, das sie gefunden hatte, aus der Scheide. Just der richtige Zeitpunkt, um die Schärfe der neuen Klinge zu prüfen. "Im Namen meines Vaters, dem Junker von Ragathsquell und Herrn dieses Landes; Keinen Schritt weiter!", rief sie so laut sie konnte. "Ihr seid hier auf unserem Land nicht willkommen!"
Autor: von Scheffelstein
Mit der Falcata stach der Reiter rückwärts nach dem Hund, der sich im Bein des Rosses verbissen hatte. Die Waffe spießte das Tier regelrecht auf, aber schon im selben Moment wirbelte das Schwert um das Handgelenk des Mannes – wenn es denn ein Mann war, das war in der Dunkelheit nicht sicher auszumachen. Als ob ein Gaukler einen Messertrick vorführte. Der Stierkopf wandte sich Rohaja zu. Die beiden verletzten Hunde bellten noch immer, wagten aber nicht mehr anzugreifen.
Einen Augenblick lang musterte der Behelmte die junge Ragathsquellerin, dann ließ er das Pferd steigen, um es auf die Frau niedertrampeln zu lassen. Ein kriegsgeschultes Pferd, erkannte diese, als sie erschrocken zur Seite sprang, ein Pferd, das dasselbe Brandzeichen trug wie das tote am Waldrand ...
Mit einem Satz war der Reiter aus dem Sattel, hob die Falcata – und Rohaja riss den Raufedegen zur Parade hoch. Doch der Angriff war so hart, als hätte des Pferd sie doch getroffen. Die Waffe wurde ihr aus der Hand gerissen und wirbelte mit einem singenden Ton durch die Luft, sie selbst sah den vereisten Schnee auf sich zukommen und ...
Autor: von Scheffelstein
Die Frau rührte sich nicht mehr. Er griff in ihren Mantel und zerrte sie auf den Rücken. Sie war bewusstlos, aus einer Platzwunde an ihrer Stirn floss Blut über ihre Wangen, ihre Nase war gebrochen. Sie war nicht die, die er suchte, erkannte er. Aber sie war eine Frau ... Grob befingerte er ihren Hals, ihre Brüste, von einer plötzlich auflodernden Wildheit übermannt. Er hob den Kopf. Die Geflohenen waren vielleicht noch in der Nähe. Grunzend stieß er sie zurück in den Schnee, hob die Waffe, um sie zu töten. Etwas hielt ihn zurück. Sie hatte einen Namen gesagt. Einen adligen Namen. Es wäre etwas anderes, einen Reisigen zu erschießen – und das war er nicht gewesen – oder eine wehrlose Edelfrau zu erschlagen. Es war schon zu viel schief gegangen ...
Einige Augenblicke lang stand er mit erhobener Falcata über ihr, dann versetzte er ihr einen Tritt in die Rippen, vernahm beinahe erschrocken und zugleich berauscht von der eigenen, ungewohnten Kraft das Knacken der Knochen, wandte sich ab und führte das Ross zu dem toten Tier am Waldrand, besah sich nun selbst die Spuren im Schnee. Seine eigenen, andere, die zu dem Tier hin- und wieder fort führten. Nein, eine Reiterin hatte das Pferd nicht aus dem Wald getragen, es musste die kleine da Vanya bereits vorher abgeworfen haben. Verdammt! Sie hatten keine Spuren auf dem Weg gesehen als die des fliehenden Pferdes. Ob es gebuckelt und seine Reiterin ins Gebüsch geworfen hatte?
Fluchend saß er auf und ritt zurück in den Wald, auf demselben Weg, den er gekommen war.
Im Grafenwald, am Abend[Quelltext bearbeiten]
Autor: Der Sinnreiche Junker
Gerade mochte sich bei den beiden Anführern der fürstlichen Reitertruppe schon so etwas wie Zuversicht breit gemacht haben, denn immerhin war man auf die Spuren mehrerer Berittener gestoßen, die der leichte Schneefall noch nicht völlig verwischt hatte, und die demzufolge entsprechend frisch sein mussten - und andererseits hatte man wenige Augenblicke zuvor den Markstein von Quazzano passiert, sodass man berechtigterweise hoffen durfte, in Kürze das Castillo zu erreichen, wo die beiden Domnas längst in wohliger Wärme angekommen waren, auf dass sich die leidige Angelegenheit möglichst rasch aufklären mochte. Doch witterten die Rösser, dass irgendetwas nicht stimmte, noch bevor ihre Reiter des Gemetzels angesichtig wurden.
Hernán von Aranjuez sog scharf die Luft ein, als er sein Reittier zügelte, um sich einen Überblick zu verschaffen. "Mierda!", entfuhr es ihm ganz unstandesgemäß, als er nicht nur die wohlbekannten harmamunder Farben erkannte, sondern auch Domna Belisetha, deren Unterleib unter ihrem Ross begraben war. Welches freilich in seinen Qualen weit mehr lebendig schien als die Alt-Baronin. Mit einem Blick auf die Rüstung des Khahiriosers - er selbst trug ja nur Reisekleidung und einen Degen - wies er den Weg voran: "Zwei zu mir, der Rest folgt Dom Boraccio!"
Zweifellos bedurfte auch der Aracener keiner genaueren Untersuchung der Toten und Verwundeten, um zu dem Schluss zu gelangen, dass Richeza von Scheffelstein y da Vanya wohl kaum einen Wappenrock in den Farben des Hauses Harmamund trug, und sich demzufolge nicht unter ihnen befand. Während also bis auf zwei Streiter des Fürsten die übrigen Reiter hinter dem einäugigen Cronvogt drein preschten, zog der Dubianer seinen Degen, eine Waffe, mit der er sich im Sattel reichlich unwohl fühlte. Demzufolge ließ er sein Ross auch nur ein, zwei Mal auf der Stelle im Kreis tänzeln, um sich zu vergewissern, dass keiner der Angreifer mehr in der Nähe war.
Die vielen gefiederten Bolzenschäfte ließen es unklug erscheinen, aufgesessen zu bleiben, sodass die drei Zurückgebliebenen sich aus den Sätteln schwangen, die blanken Klingen in der Faust. "Ihr haltet die Augen offen", wies er die Soldatin an, während ihr Kamerad sich nacheinander über die Gardisten Domna Morenas beugte. Hernán von Aranjuez indes ging neben Belisetha da Vanya auf ein Knie, biss in die Fingerspitzen seines linken Handschuhs um das Leder von den Fingern zu streifen, und am Halse der alten Junkerin den Puls zu prüfen.
"Der hier lebt noch!", rief der Soldat, schränkte aber gleich mit Blick auf den eingeschlagenen Schädel ein: "Sieht aber übel aus."
Erleichtert stellte der Condottiere fest, dass es sich bei Belisetha da Vanya ähnlich verhielt. Auch wenn das verwundete Pferd ihre Beine unter sich begraben hatte, mochte die Körperwärme des Tieres der altem Domna das Leben gerettet haben, wäre sie ansonsten hier draußen womöglich schon erfroren. Das verwundete Tier wieherte elend, als der Baron und Junker es am Zügel griff. Ein rascher Blick auf den in hässlichem Winkel offen aus der Hüfte ragenden Oberschenkel genügte um zu wissen, dass das Tier nicht mehr zu retten war. Womöglich hätte man es mit grober Gewalt noch einmal leidlich aufrichten können, fiel es jedoch wieder um, risikierte man weitere Verletzungen bei der Reiterin. So schleuderte er den Handschuh mit einer Kopfbewegung zur Seite, legte dem Tier die bloße Hand beruhigend an den Hals und setzte sorgfältig die Degenspitze auf Höhe des Herzens an. Ein kurzes Zustechen mit der eleganten Klinge, ein leises Wiehern des Pferdes, und in gleichem Maße wie das warme Blut aus der kleinen Stichwunde strömte, erstarben die Bewegungen des Tieres.
Derweil hatten sich seine beiden Begleiter über den Zustand des Verwundeten verständigt, und ein kurzes Kopfschütteln war dem Veteranen Zeichen genug, dass auch hier nichts mehr zu retten war. Ein knappes Nicken bedeutete dem Soldaten, dass er den bedauernswerten Gardisten gleichermaßen von seinem Leid erlösen sollte.
Autor: Boraccio D'Altea
"Heiliger Golgari!" entfuhr es Boraccios Lippen. Sein Blick überflog die blutige Szenerie vor seinen Augen als er die Lage erfasste. Fieberhaft suchte er nach Richeza, konnte aber den zierlichen Körper der Edlen nirgendwo erblicken. War sie entkommen oder wurde sie entführt? Er verspürte ein Gefühl wie ein Schlag in die Magengrube.
Er realisierte, dass er nun auch den größten Teil von Dom Hernâns Mannen kommandierte. "Alles halt!" befahl er. "Niemand bewegt sich vom Fleck! Schilde hoch und Schützen die Waffen spannen! Achtet auf Schützen! Simyane, ich brauche eine Spur!"
Die Halbelfe glitt elegant aus dem Sattel und begann die Spuren im Schnee mit den Sinnen ihres Volkes zu untersuchen. "Ein Pferd, im Galopp aber hinkend, diese Richtung!" Simyane zeigte in Dunkelheit. "Mindestens zwei Verfolger, ebenfalls beritten."
Der Cronvogt hatte mittlerweile seinen Schild vom Sattel genommen und trug ihn nun so am Arm, dass er noch die Zügel führen konnte. Als seine Kundschafterin ihm eine Richtung angab setzte er unverzüglich seinen Rappen in Bewegung. "Das muss sie sein! Alles mir nach! Simyane, Du führst! Haltet die Augen auf und zögert nicht!"
Autoren: Der Sinnreiche Junker
Nachdenklich strich sich der Baron und Junker über die unrasierte Wange. Boraccio D'Altea hatte die Szenerie verlassen, und nun fiel ihm ein, dass er womöglich doch noch zwei oder vier helfende Hände hätte gebrauchen können, um die bewusstlose Domna Belisetha von der Last des toten Rosses zu befreien. "Sammelt alles an Lanzen, Speeren, Schwertern und dergleichen ein, und bringt mir die Gürtel der Toten. Wir müssen etwas zum Hochstemmen des toten Pferdes basteln, ansonsten bekommen wir die Domna hier nicht weg", befahl er seinen verbliebenen beiden Leuten, rammte den Degen in den Boden und löste die Spange seines schweren, schwarzen Umhanges, um ihn über der Verletzten auszubreiten. "Und gebt mir die Umhänge, zumindest soweit sie trocken sind."
Kurze Zeit später war die zierliche alte Dame unter einem Berg an Stoff geradezu begraben, und man hatte neben ihr eine wenig vertrauenserweckende Konstruktion aus zersplitterten Schäften und Schwertern, zusammengebunden mit einem halben Dutzend Gürteln, unter dem Pferdeleib hindurch geschoben. Glücklicherweise erleichterte die Schneedecke das Vorhaben. Hernán von Aranjuez stand an der Kruppe, der Gardist zwischen den Beinen des Pferdes, beide tief gebückt und die wieder behandschuhten Hände am jeweiligen Ende der improvisierten Stange. Die Gardistin derweil hatte die Decken aus Umhänge beiseite geschlagen, und die glücklicherweise nicht mehr allzu schwere Junkerin unter den Schultern gefasst. "Auf Drei stemmen wir den Kadaver etwa auf Kniehöhe, und Ihr zieht die Domna auf den Umhang dort. Womöglich sind Beine und Hüfte gebrochen, und ich möchte nicht, dass das Pferd ihr ein zweites Mal auf die Knochen fällt, wenn uns die Kraft verlässt", wies er an. "Fertig? Eins, zwei, drei!"
Ein Ächzen ging durch den Wald, als die beiden Männer den hinteren Teil des Rosses zwei Spann weit in die Höhe stemmten. Geschwind zog die Gardistin Belisetha da Vanya, die dabei in ihrer Ohnmacht ein unruhiges Stöhnen von sich gab, unter dem Pferdeleib hervor, der nur Augenblicke später wieder vom Schnee gedämpft zu Boden krachte.
"Es können nur wenige Meilen bis Quazzano sein", schnaufte er durch. "Ihr...", nickte er der Gardistin zu "...reitet spornstreichs dorthin, und veranlasst, dass man uns umgehend zwei Wagen hierher schickt. Einen für Domna Belisetha, ausgekleidet mit reichlich Stroh - und einen für die Gefallenen. Wir kommen euch dann entgegen."
Obgleich der Condottiere auch in den vergangenen Götterläufen immer wieder im Feld gestanden hätte, war es freilich schon ein Weilchen her, dass er sich höchstselbst um Verletzungen gekümmert hatte. Glücklicherweise ergab das Aufschneiden der Beinkleider der da Vanya, dass es sich um keine offenen Brüche handelte. Die Reposition entlockte der greisen Edeldame freilich abermals ein Stöhnen, doch leisteten ihnen dann immerhin die gebrochenen Lanzenschäfte und Gürtel gute Dienste beim Schienen der Beine.
Nachdem er seinen Degen wieder verstaut hatte, griff sich der Aranjuezer die beiden Zipfel am Kopfende des Umhanges, auf welchem Belisetha da Vanya, mittlerweile wieder so gut es ging mit den übrigen Umhängen gegen die Kälte geschützt, lag, und begann in Richtung Quazzanos zu ziehen. "Wir wechseln uns ab. Der Schnee dämpft zum Glück die Unebenheiten des Bodens. Ihr führt die Pferde, und haltet die Augen offen."
- Die Geschichte um Domna Belisetha und Dom Hernán wird hier fortgesetzt: Schauplatz: Im Grafenwald nahe Quazzano, Teil 33.
Autor: von Scheffelstein
Es war bitterkalt durch den scharfen Wind, der in den Wipfeln der Bäume rauschte und pfeifend zwischen ihren Stämmen hindurch fuhr. Mit einer Fackel in der Hand lief Simyane voran, beugte sich immer wieder über den Weg. Das verletzte Pferd sei ein hohes Tempo gelaufen, sagte sie, das es so nicht lange würde gehalten haben können. Die anderen Reiter würden es bald eingeholt haben.
Schweigend liefen sie weiter. Das Heulen des Windes, die bittere Kälte auf der Haut, hatten etwas Abweisendes, Lebensfeindliches. Bald, sagte Simyane, würden die Spuren verschwunden sein.
Dann aber blieb sie stehen: Neue Spuren waren da, so offensichtlich, dass auch Boraccio die Veränderung bemerkte: Reiterspuren in die entgegen gesetzte Richtung. Auf einer Fläche von einigen Schritt führten die Spuren durcheinander.
"Bis hierher kam er auf uns zu, dann ist er umgekehrt", deutete Simyane in den Schnee. Sie folgten dem Weg, der nur als verschneite Fläche zwischen den links und rechts aufragenden Bäumen zu erkennen war. Die neuen Spuren waren eindeutig: hin und wieder zurück. Aber sie verdeckten die älteren. Ab und an führten die Spuren bis an die Sträucher am Wegesrand heran oder kreuz und quer über den Weg. "Als ob er etwas gesucht hätte."
"Ob einer zurückgekommen ist, weil er etwas verloren hat?"
Simyane zuckte mit den Schultern. "Die älteren Spuren werden nicht mehr lange zu sehen sein." Der Wind riss ihr die Worte aus dem Mund und trug sie fort. "Wir sollten aufsitzen und uns beeilen."
Eine weitere halbe Stunde mochte vergehen, vielleicht mehr, vielleicht weniger. Bei der Witterung schien es eine Ewigkeit zu sein. Schließlich lichtete sich der Wald, und bald gab er den Blick frei auf hügeliges Weideland. In der Ferne Lichtschein, wie von Häusern. Näher Hundegebell.
Nur wenige Schritt vom Waldrand entfernt lag ein Pferd. Ein Bolzen steckte in seinem Hinterlauf, überall war Blut. Zahlreiche Fuß- und Hufspuren führten hin und her, vom Wind schon fast verweht. Das Pferd lag auf der Seite, das Auge halb geöffnet, aber blicklos.
"Da liegt einer!", rief Simyane, die bereits wieder abgestiegen war, und deutete auf eine halb im Schnee versunkene Gestalt. Dunklem Schnee ... "Und da hinten noch weitere!" Sie hatte eine Hand über die Augen gelegt, um sie vor dem schneidenden Wind zu schützen.
Autor: SteveT
Rohaja von Ragathsquell hob den Kopf, als sie knirschende Schritte im Schnee hörte, dazu das Schnauben von Rössern.
Sie musste einige Zeit ohnmächtig gewesen sein, ihr Gesicht brannte wie Feuer - teils wegen dem eisigen Wind, der über ihre Wangen, Nase und Ohren schmirgelte und sie schon halb mit Schnee zugedeckt hatte, teils aber auch, weil von ihrer Nase und Stirn ein pochender Schmerz ausging, als habe sie ein Kriegshammer frontal im Gesicht getroffen. Die Neuankömmlinge waren zahlreiche Reiter, die von einer schlanken Frau - nein, einer Elfe - angeführt wurden.
"Zur Hilf'!" rief Rohaja. "Bitte helft mir auf und dass ich zur Burg meines Vaters zurück gelange. Er wird Euch das großzügig vergelten! Hier sind gerade zwei Morde auf dem Land des Grafen geschehen, und der Mörder ist flüchtig. Er muss ergriffen werden!"
Sie streckte Simyane bittend die Hand entgegen.
Autor: von Scheffelstein
Boraccio D'Altea betrachtete die schlanke Waffe, die er vor sechs Jahren schon einmal in der Hand gehalten hatte. Sie habe sie bei dem toten Ross gefunden, hatte die junge Ragathsquellerin erzählt. Er hatte sich alles genau berichten lassen: Zusammen mit ihrer Schwester und einigen Dienern und Hunden hatten sie das verwundete und reiterlose Pferd aus dem Wald kommen sehen, verfolgt von zwei Reitern, zwischen denen es einen Streit gegeben hatte. Einer der Reiter hatte einen Ragathsqueller Diener mit einer Armbrust erschossen, woraufhin ihn der andere erschlagen hatte. Den Verletzungen des Schützen nach zu urteilen, musste es sich bei dem Angreifer um einen Oger gehandelt haben. Die Ragathsquellerin hatte jedoch behauptet, es sei ein Mensch gewesen, ob Mann oder Frau, wusste sie nicht recht zu sagen, ein sehr großer, kräftiger Mensch, der sein Gesicht hinter einem Stierhelm verborgen hatte. Dieser habe sie angegriffen und mutmaßlich verletzt, allerdings könne sie sich an den genauen Hergang nicht erinnern und sich auch nicht recht erklären, warum er sie nicht getötet hatte.
Ob der Mann – oder etwa doch eine Frau? – von der Ragathsquellerin abgelassen hatte, weil er die eigentlich Gesuchte entdeckt hatte?
Eine große Unruhe erfasste Boraccio. Er ballte die Hände zu Fäusten, bis seine Knöchel in den Handschuhen knackten. Wenn Richeza von Scheffelstein noch lebte, würde er die Edle finden! Und falls nicht – dann mochte Boron ihrem Mörder gnaden, denn er würde es nicht tun! – Und falls es der Wind und die Kälte waren, die sie töteten oder ein wildes Tier? Boraccio schluckte und beeilte sich, zu seinem Ross zurückzukehren, von dem er zur Befragung der Verletzten abgestiegen war.
"Zwei Männer bringen die junge Domnatella hier zu dem Dorf, von dem sie gesprochen hat. Sorgt dafür, dass sie sicher in die Obhut ihrer Leute kommt!", befahl er den Fürstlichen.
Dann rief er seine Leute zusammen, um sich auf die Suche nach der Vermissten zu machen. Das Pferd war reiterlos aus dem Wald gekommen. Aber ein Reiter war noch einmal zurückgekehrt. Hatte der Kerl die Domna gefunden? Aber sie hatten keine Fußspuren im Wald gesehen. Nachdenklich zupfte er sich am Bart, während die Sorgenfalten auf seiner Stirn noch tiefer wurden. Wenn er sich falsch entschied, konnte sie das das Leben kosten. Oder Schlimmeres. Er spürte Zorn in sich aufwallen. Der Dubianer und die beiden Fürstlichen waren noch im Wald. Wenn sich die Domna in der Nähe des Weges befand oder auf diesem, vielleicht würden sie sie entdecken. Jedenfalls schien der andere Reiter wieder aus dem Wald herausgekommen zu sein, wenn Simyane sich nicht täuschte, und das tat sie selten. Wenn der aber die Domna entführt haben sollte ...
"Simyane!", rief er die Halbelfe herbei. "Folgen wir den Spuren dieses Mistkerls, solange sie noch zu sehen sind." Vielleicht fanden sie ihn ja, auch wenn der starke Wind die Spurensuche immer schwieriger machte. Und falls nicht ... Dann würde er jeden verdammten Strauch in diesem Wald absuchen, bis er sie gefunden hatte, lebendig oder ... Nein, daran wagte er nicht zu denken.
Der Vogt befestigte den Degen der Edlen an seinem Sattel und trieb das Pferd zur Eile an.
Autor: von Scheffelstein
In der Taberna zu Grioli, am späten Abend[Quelltext bearbeiten]
Zärtlich strich Efferdane von Ragathsquell ihrer schlafenden Schwester eine Strähne aus der Stirn. Rohaja hatte darauf bestanden, gleich aufzubrechen gen Ragathsquell, um ihren Vater von den ungeheuerlichen Mordtaten der unheimlichen Bandidos aus dem Wald zu unterrichten. Aber es war bereits dunkel gewesen und stürmte noch immer, und da sie selbst zu angeschlagen gewesen war, ihren Dickkopf durchzusetzen, hatte Efferdane sie in das Bett der Kammer gebracht, die die beiden Frauen sich teilten.
Efferdane hatte das Blut aus Rohajas Gesicht gewaschen. Unter den Augen trug die Schwester noch immer blaurote Ergüsse unter der Haut. Einer der Diener, der sich gut auf die Heilkunde verstand – bei Tieren, aber immerhin – hatte Rohaja mit einem Griff beider Hände die Nase gerichtet und ihr anschließend aus Leinen und Lehm einen Verband ins Gesicht geklatscht und sie gemahnt, die Nacht besser ruhend zu verbringen, zumal auch mindestens eine der Rippen auf der linken Seite gebrochen war und Rohaja unter starken Schmerzen litt. Efferdane hatte ihr einen doppelten Ragatzo eingeflößt, und bald darauf war sie in einen unruhigen Schlaf gefallen.
Efferdane konnte nicht schlafen. Der Wind rüttelte an den Fensterläden und pfiff durch die Ritzen im Holz und brachte die Öllampe zum Flackern. Im Gebälk knackte es hin und wieder bedrohlich, und aus dem Schlafsaal nebenan drang lautes Schnarchen. Doch all das war nicht der Grund, warum Efferdane keine Ruhe fand. Sie dachte an den erschossenen Diener. Und an seinen erschlagenen Mörder. Und die Hunde, die armen Hunde! Vor allem aber dachte sie an den unheimlichen Riesen mit dem Stierhelm. Was, wenn er irgendwo da draußen herum ritt, sein blutiges Schwert gewetzt, und nur darauf wartete, bis sie einschliefe, um in die Taberna zu stürmen und sie und Rohaja im Schlaf zu erschlagen? Efferdane zog sich die Decke bis zum Kinn hoch und kroch etwas näher an Rohaja heran. Ihre Schwester stöhnte im Schlaf. "Ihr guten Götter: Beschützt uns!", murmelte Efferdane. Sie hatte Angst. Große Angst.
Autor: von Scheffelstein
Nahe Quazzano, eine Stunde vor Morgengrauen[Quelltext bearbeiten]
Der Mantel lag nass und schwer auf Boraccios Schultern. Das plattenverstärkte Kettenhemd hatte ein Gewicht, wie er es sonst nur nach einer Schlacht verspürt hatte, wenn das Feuer des Gefechts der Ernüchterung danach gewichen war. Unter der Sturmhaube schmerzte sein Schädel, die Finger in den Handschuhen waren ihm klamm geworden. Das viele Metall am Körper strahlte eine Kälte aus, die ihm allmählich in die Knochen kroch.
Der Wind hatte nachgelassen, nur noch vereinzelte Flocken taumelten auf den verschneiten Weg. Sie hatten die Spur des Reiters verloren, noch ehe der Weg in die Straße von Harmamund nach La Dimenzia eingemündet war; zu stark waren die Böen gewesen. Als sie umgekehrt waren, um noch einmal den Wald abzusuchen, hatten sie die Spuren des Aranjuezers gefunden und weitere, die ihnen entgegen gekommen waren. Anzeichen eines Kampfes hatten sie nicht ausmachen können. Vermutlich hatte der Baron Verstärkung eingefordert. Im Schnee hatten sie Schleifspuren entdeckt, als wenn etwas Schweres durch den Schnee gezogen worden war. Vielleicht jemand Verwundetes, mutmaßte Simyane. Kurz war Hoffnung in Boraccio aufgekeimt, ehe er sich erinnert hatte, dass es sich am ehesten um die unter dem Ross begrabene Junkerin gehandelt haben mochte. Wieso hatte der Dubianer keine Wagen rufen lassen, um den Kampfplatz aufzuräumen? Andererseits war bei dem Schnee so oder so kaum ein Durchkommen ...
Sie waren zum Ort des Gemetzels zurück gekehrt. Der Schnee hatte die Kadaver der Pferde und die Leiber der Toten zugedeckt, es waren nurmehr weiße Hügel auf dem kaum noch erkennbaren Weg. Fluchend hatte Boraccio seinen Leuten befohlen, die Toten freizuschaufeln und am Wegrand zusammenzutragen, während Simyane den Ort nach weiteren Spuren abgesucht hatte. Sie hatte keine gefunden. In den vergangenen Stunden hatte der Schnee alle beseitigt, die sie zuvor hätte finden können.
Also hatten sie noch einmal den Weg und diesmal auch den nahen Wald abgesucht, sofern der begehbar gewesen war. Boraccio war nicht wohl dabei gewesen, die Toten zurückzulassen. Hatte Domna Rifada nicht etwas von einem Boronfrevler in diesen Landen gesagt? Aber was waren die Toten, wenn es galt, ein Leben zu retten? Und nicht irgendeines ...
Irgendwann hatte Simyane gesagt, sie höre ein Pferd im Wald. Also hatte er sie los geschickt, nachzusehen, ob es der Reiter wäre. Oder Richeza. Er mochte keine Überraschungen. Doch zurück kam sie mit einem reiterlosen Tier mit Harmamunder Brandzeichen. Menschenspuren hatte sie keine gesehen. Das Tier, vermutete sie, sei schon eine Weile durch den Wald gestreift. Er hatte sich zu der Stelle führen lassen, wo sie das Tier gefunden hatte. Sie hatten alles abgesucht, seine Spur zurückverfolgt, waren, so schien es, mehrmals im Kreis gegangen, schließlich nach der Domna rufend mit Fackeln und Laternen durchs Unterholz gestapft. Außer kleinen Vögeln hatten sie kein lebendes Wesen vernommen.
Jetzt waren sie auf dem Weg nach Quazzano, denn seinen Leuten konnte er keine weitere Stunde in Dunkelheit, Schnee und Kälte zumuten. Sie waren zerkratzt, durchnässt, erschöpft. Im Osten schienen Boraccio die nachtdunklen Wolken ein wenig grauer zu werden. In einer Stunde spätestens würde die Sonne aufgehen. Mit jeder Meile, die sie sich dem Schloss näherten, verdüsterte sich Boraccios Stimmung. Diese Niederlage wog schwerer als ein verlorener Kampf.
Autor: von Scheffelstein
In der Taberna zu Grioli, kurz vor Tagesanbruch des 11. Tsa[Quelltext bearbeiten]
Die Hunde schlugen an. Erst einer im Dorf, dann ihre überlebenden, Wildfang und Brigant. Efferdane schreckte aus ihrem leichten Schlaf. Die Öllampe brannte noch mit rötlichem Schein. Efferdane stellte die Flamme höher, redete beruhigend auf die Hunde ein, auch wenn ihr eigenes Herz ihr bis zum Halse schlug. Rohaja stöhnte im Schlaf. Die Decke bis zum Kinn hochgezogen, lauschte sie, unentschlossen, was zu tun sei. Vermutlich war es ja ohnehin nur irgendein von der Kälte aus dem Wald getriebenes wildes Tier, das den Dorfhund alarmierte. Ein Fuchs, ein Luchs, ein Wolf. Und wenn es ein Bär war? Oder der Stiermann?
Der Hund draußen bellte, bellte seltener, verstummte. Brigant winselte, Wildfang leckte sich das verwundete Bein. Der Wind schien nachgelassen zu haben, und jetzt, da die Tiere ruhiger wurden, lastete die Stille der Winternacht auf der Kammer. Im Gebälk ächzte es. Rohaja bewegte sich, das Bett knarrte.
"Was ist?"
Efferdane zuckte ein wenig zusammen, so angestrengt hatte sie gehorcht, dass die plötzliche Stimme nah ihrem Ohr sie erschreckte.
"Ich weiß nicht", gab sie zurück. "Draußen hat ein Hund angeschlagen. Und dann unsere. Aber vermutlich war nichts. Irgendein Tier vielleicht."
Rohaja runzelte die Stirn. Der Verband rutschte ihr halb übers Auge.
"Bleib liegen!", sagte Efferdane. "Du sollst dich doch ausruhen!"
"Wenn der Kerl zurückkommt, dann sind wir hier nicht sicher", erwiderte Rohaja und machte Anstalten, aufzustehen, sank aber stöhnend wieder zurück auf das strohgefüllte Kissen.
"Ich schau mal raus", beeilte sich Efferdane zu sagen, ehe die Schwester noch auf dumme Gedanken kam. Barfuß trat sie ans Fenster, öffnete vorsichtig den schweren Laden, spähte durch einen Spalt hinaus. Draußen war es noch dunkel, aber es hatte zu schneien aufgehört, und auch der Wind hatte nachgelassen.
Einen Moment war es still in der Kammer.
"Und?", fragte Rohaja ungeduldig.
"Es wird bald Morgen."
"Siehst du was?"
Keine Antwort. Rohaja nieste und gab einen gequälten Laut von sich, fasste sich an den Verband in ihrem Gesicht, griff in Lehm, fluchte, schloss die Augen.
"Rohaja?"
"Hmmm?"
Efferdane warf einen kurzen Blick zurück aufs Bett. "Rohaja", flüsterte sie. "Ich glaube, da liegt was im Schnee. Ein totes Tier vielleicht?"
Autor: SteveT
Auch wenn ihr alles weh tat, besonders ihr Schädel, hob Rohaja von Ragathsquell ächzend den Kopf. "Unter anderen Umständen würde ich rausgehen und nachschauen ... aber so." Sie überlegte. "Geh runter und sag den Dienern Bescheid, einer oder zwei von ihnen sollen nachsehen und zur Sicherheit mein Rapier und Brigant mitnehmen. Nicht, dass es am Ende noch Eslam ist! Ich hoffe und bete, dass das spurlose Verschwinden unseres Bruderherzes nichts mit diesem Kerl mit dem Stierhelm zu tun hat. Ich weiß nicht, ob ich heute schon reisen kann – aber wenigstens du musst dann Vater verständigen und ihm alles berichten, was wir gesehen haben. Wenn du nicht alleine nach Hause zurückkehren willst, dann gehe heute wenigstens – zu einer etwas angenehmeren Zeit – nach Schloss Quazzano hinüber. Der Großinquisitor kennt und schätzt Vater, er wird dich empfangen und dann besser als wir wissen, was zu tun ist."
Autor: von Scheffelstein
Efferdane eilte die Treppe hinunter in den Schlafsaal, in dem die Diener nächtigten. Rohaja hörte Schritte im Schankraum, das Klappen der Haustür. Kurz zog es kalt die Stiege herauf und durch den Türspalt, denn ihre Schwester hatte die Tür nicht hinter sich geschlossen.
Kurz darauf klappte die Tür erneut, wieder eilige Schritte, aufgeregte Stimmen – Efferdanes darunter, doch was sie sagte, konnte Rohaja nicht verstehen – dann noch einmal die Tür – und lange nichts.
Rohaja lauschte dem Knarren der Balken, starrte hinauf in das reetgedeckte Dach.
Lautes Gepolter und wieder Rufe von unten. Rohaja tastete nach dem Dolch auf der Truhe neben dem Bett, zog die Waffe unter die Decke. Schritte auf der Treppe, schnelle Schritte.
Efferdane platzte herein, aufgeregt. "Da war eine Frau", keuchte sie atemlos. "Da im Schnee lag eine Frau. Sehr wohlhabend gekleidet. Halb erfroren." Sie stützte die Hände auf ihre Oberschenkel und rang nach Luft, atmete ein paarmal tief aus, kam dann herüber und setzte sich auf die Bettkante. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie die Schwester an. "Wo kommt mitten in der Nacht diese Frau her? Sie war zu Fuß, ohne Pferd, ohne Waffe, ohne Begleiter. Ob sie überfallen wurde? Was machen wir jetzt? Sie spricht nicht, ist zu schwach, rot und blau gefroren, hat einen schlimmen Husten und Fieber. Ich fürchte, sie wird sterben, wenn wir nichts tun." Sie sprang wieder auf. "Wenn sie nun überfallen wurde? Vielleicht war sie in einer Kutsche unterwegs und ist weggelaufen? Was, wenn das dieser unheimliche Mann war, der dich so übel zugerichtet hat."
"Oder ein Weib", unterbrach Rohaja den Redeschwall.
"Ja, aber wenn ..."
Rohaja griff nach Efferdanes Arm, hielt sie fest, um das kopflose Umherzappeln zu beenden, das die Dielen knarzen ließ und ihr Kopfschmerzen bereitete.
Fragend sah Efferdane die Schwester an.
Autor: SteveT
"Ist ja gut, ist ja gut!", stöhnte Rohaja, in der die Einsicht reifte, dass ihr Zwilling ihr ohnehin keine Ruhe zur Wiedererlangung ihrer Kräfte lassen würde. "Bettet die Frau unten direkt vor dem Kaminfeuer. Du selbst, der Wirt und wer-auch-sonst-noch kümmert euch um sie. Ich selbst werde, sobald das Praiosrund aufgegangen ist und sich normale Leute aus dem Bett erhoben haben, hinüber nach Schloss Quazzano reiten und dem alten Da Vanya alles berichten. Er und Vater sind Freunde, die Da Vanyas bekamen dieses Schloss von uns - deswegen wird er mir kaum seine Hilfe verweigern. Vielleicht weiß er auch über unseren Bruder mehr? Um ihn mache ich mir mehr Sorgen, als um diese Fremde. Aber nichtsdestotrotz wollen wir uns mühen, ihr zu helfen, vielleicht steht das, was ihr widerfahren ist, ja mit dem Verschwinden unseres Bruders in Zusammenhang?" Sie erhob sich stöhnend - hui, was war ihr schwindelig. "Hilf mir, mich anzukleiden, ehe du wieder hinunter rennst!", befahl sie ihrer Schwester noch. "Eine von Ragathsquell tritt nicht verlottert wie ein Wildfang vor den Großinquisitor."
Autor: von Scheffelstein
Die Schwestern blickten auf die schlafende Frau hinab. Sie mochte Mitte dreißig sein, vielleicht auch schon um die vierzig, hatte lange schwarze Haare und eine lange blasse Narbe auf ihrer linken Wange. Sie hatte blaurote Erfrierungen im Gesicht, und ihre Stirn glänzte fiebrig, aber wenn man davon absah, war sie für eine Frau ihres Alters ausgesprochen hübsch.
Sie trug Efferdanes Wechselkleidung: Reithosen, knielange Wollstrümpfe, ein besticktes Hemd und ein gefüttertes Wams. Alles war ihr zu groß: Obwohl die Frau nicht so schlank war wie Efferdane, war Letztere doch ein Stück größer. Es war mühsam gewesen, sie davon zu überzeugen, sich den nassen Mantel und das nasse Kleid auszuziehen. Besser: ausziehen zu lassen, denn auch ihre Hände wiesen Erfrierungen auf, und so kraftlos, wie sie war, hatte sie es alleine nicht geschafft. Obwohl sie zu schwach zum Sprechen gewesen war, hatte sie sich gegen jede Hilfe gesträubt. Beinahe so, als schäme sie sich ihres Körpers. Oder als seien ihr die Blicke und Berührungen anderer Menschen unangenehm.
Efferdane schüttelte verständnislos den Kopf. Wie konnte jemand mit einem solchen Äußeren so frigide sein, dass selbst die Gegenwart einer anderen Frau sie einschüchterte? Andererseits ... Efferdane dachte an den unheimlichen Stier-Mann und schauderte bei den Gedanken, den Bildern, die ihr in den Kopf kamen. Unwillkürlich griff sie nach der Hand ihrer Schwester, wie sie es als Kind schon getan, wenn etwas sie geängstigt hatte, denn auch, wenn Rohaja die Jüngere der beiden war, war sie doch auch stets die Forschere und Wagemutigere gewesen.
Man hatte die Arme und Beine der Frau mit Schnee abgerieben, ihr Efferdanes Kleidung angezogen – da sie edel gekleidet gewesen war, hatte Efferdane es für unangemessen gehalten, ihr die Kleidung einer Magd geben zu lassen –, dann hatte man sie zugedeckt und ihr Weidenrindentee, etwas Suppe und einen Weinbrand eingeflößt, und sehr bald war die Fremde vor Erschöpfung eingeschlafen.
Efferdane wandte sich vollends ihrer Schwester zu und betrachtete diese besorgt. Die Verbände unter dem Wams ließen Rohaja unförmig aussehen, und der Verband um ihre geschundene Nase verrutschte ständig.
"Bist du sicher, dass du das schaffst?", fragte sie. Aber was für eine unsinnige Frage: Rohaja war hartgesotten und fest entschlossen! Also rückte Efferdane ihr fürsorglich den Mantel zurecht, drückte ihre Hände und gab ihr einen Kuss auf die Wange. "Pass auf dich auf, ja? Und verzichte auf alle Tollkühnheiten!"
Autor: von Scheffelstein
Auf Burg Harmamund, bei Sonnenaufgang am 11. Tsa[Quelltext bearbeiten]
Morena Solivai von Harmamund tobte. Rastlos schritt sie in ihrem Gemach auf und ab, die Fäuste geballt, sodass ihre Fingernägel schmerzhaft in ihre Handflächen drückten, die Kiefer aufeinander gepresst, bis ihre Zähne schmerzten. Ab und an entfuhr ihr ein zorniger Schrei, und sie fegte ein Schriftstück vom Schreibpult oder gar die hässliche Vase ihrer armseligen Großmutter gegen die Wand.
Dieser hirnbefreite Ochse von einem Junker hatte sie wahrlich in Schwierigkeiten gebracht! Was, zur niedersten Niederhölle!, war so schwer daran, mit dem Segen Ras'Raghs ein paar Reiter und zwei wehrlose Frauen niederzumachen? Aber nein, er hatte es wieder einmal vermasselt! Und warum? Dieser unverfrorene Kerl hatte die Impertinenz besessen, es ihr direkt ins Gesicht zu sagen: Glaubt Ihr, wenn ich die Gelegenheit habe, die schönste Frau Almadas in die Finger zu kriegen, dass ich die dann nicht nutzen werde?
Dieser ...! Morena wusste kaum, was sie mehr erzürnte. Die schönste Frau Almadas. Dieser Hundsfott! Wut und Eifersucht loderten in ihrem Herzen. Dabei hasste sie den Pferdejunker in diesem Augenblick vor allem für seine Dummheit! Alles, was sie sonst an ihm anzog, die brachiale, animalische Gewalt, die Unbeherrschtheit und ursprüngliche Wildheit, stießen sie in diesem Augenblick ab. Beinahe wünschte sie, einen ihrer anderen Geliebten mit der delikaten Aufgabe betraut zu haben. Den Kanzler vielleicht. Rafik war ein Langweiler, aber ein kluger Kopf, der diese Angelegenheit gewiss zu einem erfolgreichen Ende gebracht hätte. Aber nein, hätte er nicht: Er war zwar stets auf den eigenen Vorteil bedacht, aber viel zu weichherzig, um über Leichen zu gehen. Schöne Leichen jedenfalls.
Da war es schon wieder, dieses Wort, das einer anderen galt! Aber nicht einmal seine Geilheit hatte der Trottel-Junker befriedigen können. Die kleine Scheffelstein, die sich neuerdings nach ihrer Mutter nannte, war ihm entkommen. Und nach allem, was ihre Späher Morena zugetragen hatten, war auch die alte Wildenfesterin nicht so richtig tot! Ja, schlimmer noch: Die Einzigen, die ganz sicher tot waren, waren ihre eigenen Leute! Unter ihnen ihre treue Capitana!
Verfluchte Ferkinakkenscheiße! Wusste dieser Bauer denn nicht, was sie das alles gekostet hatte? Einen guter Stier aus ihrer Zucht, sechs Soldaten und eine Menge Ärger, der noch auf sie warten würde!
Morena von Harmamund zertrat die Scherben der Vase unter ihrem Stiefel. Das Knirschen befriedigte ihren Zorn. Sie wischte sich eine Strähne des schwarzen Haars aus dem Gesicht und atmete langsam fauchend aus. Sie musste nachdenken. Die Tatsache, dass nur sie zu Schaden gekommen war, musste sich doch irgendwie nutzen lassen. Was für ein übler Zufall sollte das wohl sein: Sie schickte ihre besten Soldaten als Leibwache der beiden da Vanyas, und dann wurden diese ausgerechnet von ein paar scheinbar als Stierkultisten verkleideten Strauchdieben niedergemacht? Es war nun einmal leider allgemein bekannt, dass ihre Mutter zuletzt dem Schwarzen Stier gehuldigt hatte und ihre Götzenergebenheit mit dem Leben bezahlt hatte. Glaubte denn irgendjemand allen Ernstes, auch sie, Morena Solivai von Harmamund, habe sich mit diesem Stiergötzen eingelassen, nachdem dies ihrer Mutter zum Verhängnis geworden war? Also bitte!
Nein, hier spielte ihr jemand ganz übel mit: Auf Quazzano-Land wurden ihre Leute überfallen von vermeintlichen Kultisten, die jeder mit den Harmamunds in Verbindung bringen würde, aber die Einzigen, die starben, waren ihre eigenen Leute, während die da Vanyas irgendwie überlebten? Was für eine Posse war das denn? Nein, nein, hier wollte es jemand so aussehen lassen, als sei sie, Morena, eine ganz hinterhältige Schlange, hier wollte jemand ihren Ruf ruinieren!
Und es war glasklar, wer dieser Jemand war. Morena schlug sich mit grimmiger Miene eine Faust in die Hand. Eine Stierkultistin – oder ein Kultist, ja, ja! –, so stark wie ein Oger, metzelte alleine sechs Leute nieder. Das alleine war ja schon unglaubwürdig. Aber hinter so einer Maske ließ sich ja trefflich eine so hässliche Visage wie die der da Vanya-Krähe verbergen. Und wenn es doch wer anders gewesen sein sollte unter dieser Maske, so stand doch eindeutig fest, dass diese Schelkin dieses Schurkenstück aufgeführt hatte und niemand sonst.
Zorn flammte erneut auf, gerechter Zorn. Beinahe glaubte Morena selbst bereits an diese Version der Geschichte. So sehr, dass sie fast bereit gewesen wäre, dem Pferdejunker, Rasdan di Vascara, zu verzeihen. Zu dumm, dass sie ihn fortgejagt hatte nach seiner Beichte. Zu dumm, dass sie, nachdem sie ihn geschlagen und er sie gepackt und an die Wand gedrückt hatte, ihm mit ihrem Giftdolch gedroht hatte. Zu dumm, dass er von ihr abgelassen und in die Nacht hinaus verschwunden war. Jetzt, da ihr Zorn auf ihn sich in Zorn auf die da Vanya verwandelt hatte, wollte sie ihn. Lustvoll stöhnend ließ Morena eine Hand unter ihr Nachtgewand und sich auf alle Viere nieder gleiten. Zu dumm, dass sie Rascha nun allein würde opfern müssen. Mit halb geschlossenen Lidern blinzelte sie durch das offene Fenster ins Licht der soeben hinter dem Raschtulswall aufgehenden Sonne.
|