Chronik.Ereignis1036 Besuch im Vanyadâl 32: Unterschied zwischen den Versionen
Keine Bearbeitungszusammenfassung |
Keine Bearbeitungszusammenfassung |
||
Zeile 56: | Zeile 56: | ||
''Schneller! Bitte, schneller!'' Herzrasen bis zum Zerbersten. Die bloßen Schenkel kalt und wund am rauen Fell des Rosses. ''Schneller!'' Ein plötzlicher Ruck, das Pferd bäumte sich auf, einen Bolzen im Muskel. Jetzt bloß nicht stürzen! Richeza krallte sich an Mähne und Zügel fest, das Pferd buckelte, dann galoppierte es los, rannte wie besessen, den Hinterfuß schleifend. Die Zügel fester, runtergleiten? Aber wohin? Bloß weg hier! Aber das Pferd verletzt! Wie lange es durchhielt? Es lief noch, langsamer, hinkte, stolperte. ''Ihr Götter, bitte, falls Ihr nur einmal ...'' Fast völlige Dunkelheit, der Weg weiß, der Wald schwarz, aber da vorne kaum noch Licht. Und das Pferd lahmte, stolperte schon wieder! ''Weiter, weiter! Bitte, Ihr Götter, irgendwer, Hilfe!'' Kaum möglich, sich im Sattel zu halten. Kein Blick zurück, weiter! Solange die drei Beine des Pferdes sie tragen würden ... Hinter ihr ein Gemetzel, die Reiter hoffnungslos, der Stier-Mann brüllend. Und keine Zweifel, wie es ihr erginge, wenn man sie einholte ... | ''Schneller! Bitte, schneller!'' Herzrasen bis zum Zerbersten. Die bloßen Schenkel kalt und wund am rauen Fell des Rosses. ''Schneller!'' Ein plötzlicher Ruck, das Pferd bäumte sich auf, einen Bolzen im Muskel. Jetzt bloß nicht stürzen! Richeza krallte sich an Mähne und Zügel fest, das Pferd buckelte, dann galoppierte es los, rannte wie besessen, den Hinterfuß schleifend. Die Zügel fester, runtergleiten? Aber wohin? Bloß weg hier! Aber das Pferd verletzt! Wie lange es durchhielt? Es lief noch, langsamer, hinkte, stolperte. ''Ihr Götter, bitte, falls Ihr nur einmal ...'' Fast völlige Dunkelheit, der Weg weiß, der Wald schwarz, aber da vorne kaum noch Licht. Und das Pferd lahmte, stolperte schon wieder! ''Weiter, weiter! Bitte, Ihr Götter, irgendwer, Hilfe!'' Kaum möglich, sich im Sattel zu halten. Kein Blick zurück, weiter! Solange die drei Beine des Pferdes sie tragen würden ... Hinter ihr ein Gemetzel, die Reiter hoffnungslos, der Stier-Mann brüllend. Und keine Zweifel, wie es ihr erginge, wenn man sie einholte ... | ||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Das Pferd wurde immer langsamer, versuchte mehrmals, stehen zu bleiben, aber Richeza trieb es immer wieder an, mit Tritten in die Flanken. Es zitterte bereits, wenn sie es weiter so voran triebe, würde sie es zuschanden reiten. Richeza zweifelte nicht daran, dass sie verfolgt wurde. Mehrmals meinte sie, trotz des noch immer fallenden Schnees, einen Reiter oder auch zwei hinter sich vernommen zu haben. Vielleicht hatte sie es sich nur eingebildet, doch Licht hatte sie gesehen, das hatte sie sich nicht eingebildet, Fackellicht. Nicht lange, und man würde sie eingeholt haben. Und dann? | |||
Der Weg lag dunkel vor ihr, durch die dicht stehenden Bäume fiel kaum Licht. Diese Geschwindigkeit zu halten, war halsbrecherisch, wäre es selbst gewesen auf einem gesunden Pferd. Zweimal hatte sie nur im letzten Moment einem tief hängenden Ast ausweichen können, seither duckte sie sich über den Hals des Tieres. | |||
Vielleicht sollte sie einfach herunterspringen. Und dann? Man würde ihre Spuren im Schnee sehen, sie verfolgen! Sie war erschöpft und durstig und würde im Unterholz nicht schnell genug fliehen können vor diesem tierhaften Riesen mit den überderischen Kräften! Wenn sie sich nur irgendwo verstecken könnte, wo er sie nicht fände! | |||
Bald würde das Tier unter ihr zusammenbrechen! Sich auf seine schwindenden Kräfte zu verlassen, war lebensgefährlich! Aber wohin? | |||
Ein vager Plan reifte in Richeza, tollkühn, verzweifelt, vielleicht dumm. Sich aus dem Ritt heraus an einen Ast klammern, in den Baum hinaufziehen, vielleicht in einen anderen Baum hinüber springen, fernab des Weges herabspringen, wo man die Spuren nicht sähe, dann durch den Wald weglaufen. Aber wohin? – Erst einmal weg hier, weg vom Weg, weg von möglichen Verfolgern! | |||
Richeza nestelte am Sattelknauf, dem festgezurrten Degen. Ihre Hände so klamm, trotz der Handschuhe! Sie bekam ihn noch immer nicht frei! Ein tief hängender Ast über ihr, aber das Pferd zu schnell, die Gelegenheit verpasst, sie musste das Tier langsamer laufen lassen, ohne, dass es stehen bliebe. Und dann lange nichts mehr: Keine Äste, keine Laubbäume, nur Tannen, Fichten, was-auch-immer. Hinter ihr im Wald Lichtschein. Pferde, jetzt war sie sich sicher! Wenn nur dieser verdammte Degen ... | |||
Da, endlich! Wieder ein Ast über ihr. Sie zögerte nicht, griff mit beiden Armen zu – und wurde von ihrem eigenen, ungewohnten Gewicht überrascht: Der Bauch, das Kleid, der schneebedeckte Mantel. Das Pferd lief einfach weiter. Um ein Haar wäre sie gefallen. Sie konnte sich nicht hochziehen! Sie würde sich überhaupt nicht lange halten können! Wie ein nasser Sack hing sie über dem Weg. Versuchte, sich den Ast wenigstens entlang zu hangeln. Hand. Um Hand. Um Hand. Wäre fast abgerutscht. Ihre Arme brannten. Kraftlos! Irrte sie, oder kam der Reiter näher? Die Reiter? Sie durfte nicht loslassen! Noch ein Stück! Der Ast wurde breiter, führte aufwärts. Noch anstrengender! Sie begann, abzurutschen, fing sich gerade noch. Ihr Mantel streifte einen Strauch unter ihr. Wenn sie nicht hängen bleiben wollte, musste sie die Beine anziehen! Solche Schmerzen in den Armen! Die Muskeln begannen zu zittern. Die Hände taub. Noch ein Stück! Fast am Stamm des Baumes, auf der anderen Seite des schneebedeckten Strauchs, konnte sie nicht mehr, ließ sich fallen. Wenigstens nicht auf dem Weg. Aber so dicht daneben! Zum Glück war es dunkel! | |||
Richeza raffte Mantel und Kleid und begann, in die Dunkelheit hinein zu stolpern, bloß weg vom Weg. Orientierungslos. Waffenlos, denn den Dolch, den sie im Stiefel zu tragen pflegte, hatte man ihr auf Harmamund abgenommen. Verfluchtes Dreckspack! | |||
Nach einigen Schritt blieb sie stehen. Sie war zu laut! Sie musste langsamer gehen, damit man ihre Schritte nicht hörte! Zwischen den Bäumen tauchte Fackellicht auf, jetzt waren Pferde zu hören, zwei Reiter? So nah, verdammt, viel zu nah am Weg ... | |||
---- | ---- | ||
'''Autoren:''' [[Benutzer:Der Sinnreiche Junker von Aranjuez|Der Sinnreiche Junker]] | '''Autoren:''' [[Benutzer:Der Sinnreiche Junker von Aranjuez|Der Sinnreiche Junker]] | ||
'''Am Abend''' | |||
Gerade mochte sich bei den beiden Anführern der [[Almadaner Heerbann#Fürstliche Truppen|fürstlichen Reitertruppe]] schon so etwas wie Zuversicht breit gemacht haben, denn immerhin war man auf die Spuren mehrerer Berittener gestoßen, die der leichte Schneefall noch nicht völlig verwischt hatte, und die demzufolge entsprechend frisch sein mussten - und andererseits hatte man wenige Augenblicke zuvor den Markstein von [[Castillo Quazzano|Quazzano]] passiert, sodass man berechtigterweise hoffen durfte, in Kürze das [[Castillo]] zu erreichen, wo die beiden Domnas längst in wohliger Wärme angekommen waren, auf dass sich die leidige Angelegenheit möglichst rasch aufklären mochte. Doch witterten die Rösser, dass irgendetwas nicht stimmte, noch bevor ihre Reiter des Gemetzels angesichtig wurden. | Gerade mochte sich bei den beiden Anführern der [[Almadaner Heerbann#Fürstliche Truppen|fürstlichen Reitertruppe]] schon so etwas wie Zuversicht breit gemacht haben, denn immerhin war man auf die Spuren mehrerer Berittener gestoßen, die der leichte Schneefall noch nicht völlig verwischt hatte, und die demzufolge entsprechend frisch sein mussten - und andererseits hatte man wenige Augenblicke zuvor den Markstein von [[Castillo Quazzano|Quazzano]] passiert, sodass man berechtigterweise hoffen durfte, in Kürze das [[Castillo]] zu erreichen, wo die beiden Domnas längst in wohliger Wärme angekommen waren, auf dass sich die leidige Angelegenheit möglichst rasch aufklären mochte. Doch witterten die Rösser, dass irgendetwas nicht stimmte, noch bevor ihre Reiter des Gemetzels angesichtig wurden. |
Version vom 1. März 2016, 08:29 Uhr
Mark Ragathsquell, 10. Tsa 1036 BF
Grafenwald, am späten Nachmittag
Autor: von Scheffelstein
Bald nach ihrem Aufbruch aus Harmamund hatte es zu schneien begonnen. Dicke Flocken bedeckten die Kapuzen und Schultern ihrer Mäntel und hingen nass und schwer in den Mähnen der Pferde.
Richeza fluchte leise. Der Grauschimmel, auf dem sie saß, war ein Arbeitstier, alt, behäbig, unbequem zu reiten. Zumal er den Damensattel, den man ihm aufgeschnallt hatte, ebenso wenig gewohnt zu sein schien wie sie selbst. Richeza verfluchte das Kleid, das sie trug, den Schnee, den Wind und die hereinbrechende Dunkelheit. Argwöhnisch spähte sie zu den schneegebeugten Spitzen den Fichten hinauf, weiße Zipfelmützen vor der rasch hereinbrechenden Nacht.
Welch ein Irrsinn, zu so später Stunde aufzubrechen. Selbst Belisetha hatte ihr verzweifeltes Loblied auf die baldige Heimkehr zu singen aufgehört und ritt schweigend dicht hinter ihr, eine kleine gebeugte Gestalt auf dem weißen Zelter, der sich kaum vor dem verschneiten Weg abzeichnete. Hinter Belisetha ritten drei bewaffnete Gardisten der Harmamund, schwer gerüstet und auf Kriegspferden. Ein weiterer Mann und eine Frau flankierten die beiden da Vanyas, die Capitana ritt voran.
Richezas sehnsüchtiger Blick wanderte zum Sattelknauf der Hauptfrau, an dem ihr Degen festgemacht war. Auf Quazzano werde sie ihn zurückerhalten, hatte man ihr gesagt. Richeza glaubte nicht daran, ihn je wieder führen zu werden. Zorn und Angst verspürte sie bei dem Gedanken an das, was sie ihrer Ansicht nach erwartete: ein rascher, grausamer Tod. Sechs ihrer besten Gardisten hatte die Harmamund ihnen an die Seite gestellt. Als Bedeckung, wie es geheißen hatte. Als Henker, glaubte Richeza. Selbst unter anderen Umständen, in besserer Verfassung, in geeigneter Kleidung, mit ihrer Waffe in der Hand, auf einem schnellen, kampferprobten Ross, wäre es schwer geworden gegen sechs Gegner, die ihr Handwerk verstanden. Aber so? Und mit Belisetha als Klotz am Bein? Und dem Kind ...
Der schneidende Wind fuhr Richeza unters Kleid und ließ sie erschauern. Sie zerrte den Stoff fest und starrte bitter in den verschneiten Wald. Wo würden sie es tun? Gewiss nicht direkt auf dem Weg, oder? Vielleicht würden sie sie in eine Senke führen, in der Hoffnung, dass der jungfräuliche Schnee die Spuren ihres Todes bald verwehen würde. Vielleicht würden sie sie an einen Abgrund führen und hinab stoßen, dorthin, wo niemand sie fände, selbst wenn es bald zu tauen beginnen sollte, auch wenn es derzeit schien, als wolle der Winter doch kein so rasches Ende nehmen. Gab es hier solche Schluchten oder war die Mark zu flach? Oder würde man sie in Stücke hacken, in einen Sack stopfen und irgendwo verbrennen?
Je mehr Richeza sich ihren Gedanken hingab, desto wütender wurde sie. Doch der Zorn richtete sich erstaunlicherweise nicht gegen ihre Bewacher, nicht einmal gegen Morena von Harmamund. Werdet Ihr mir nur eine Träne nach weinen, dachte sie, wenn es zu spät ist? Oder Eurem Kind?
Nein, sie wollte sich nicht kampflos ergeben! Andererseits: Wäre es nicht doch besser zu leben als einen sinnlosen, zornigen Tod zu sterben, einen derart erbärmlichen, dass nicht einmal ihre Tante ihre Todesverachtung preisen würde? Nur: Wie durfte sie hoffen zu entkommen, zu Fuß im dichten Schneetreiben mit dem unbequemen Kleid, das sich sofort voll Wasser saugen würde? Da wäre ein Gerüsteter vielleicht noch schneller als sie!
Der Wind rauschte in den Bäumen; er hatte an Stärke zugenommen. Schnee wirbelte vom Boden auf. Richeza nagte an ihrer Unterlippe, die Handschuhe fest um die Zügel des Gauls geschlossen, den Blick auf den Rücken der Capitana geheftet. Gerade überlegte sie, wie es einer Unbewaffneten gelingen sollte, eine geharnischte Reiterin zu töten, als etwas gänzlich Unvorhergesehenes geschah ...
Autor: von Scheffelstein
Eine Bewegung aus den Augenwinkeln ließ Richeza zusammenzucken. Instinktiv duckte sie sich über den Hals des Tieres. Zeitgleich war aus Richtung der Capitana vor ihr ein hässliches Schmatzen zu hören, begleitet von einem Krachen, als spalte eine Axt einen Brennholzscheit. Mit einem erstickten Gurgeln kippte die Gardistin aus dem Sattel und stürzte rücklings in den verharschten Schnee, der sich sofort dunkel färbte. Ein Fuß hing noch im Steigbügel, aus dem, was mal ihr Gesicht gewesen war, ragte der Schaft eines Armbrustbolzens. Der Helm hatte ihr nichts genützt, zumal sie das Visier wegen der Dunkelheit offen getragen hatte. Das Pferd schnaubte, trabte an, schleifte die Tote hinter sich her, blieb stehen und tänzelte auf der Stelle.
"Schilde hoch!" – "Das kam von vorne!" – "Da, rechts, Achtung!", schrien die Soldaten durcheinander. Gegen das flackernde Licht der Fackel war in der Dunkelheit niemand zu sehen.
Richezas Herz raste, in ihrer Magengrube flatterte die Angst. Dennoch zögerte sie keinen Augenblick. Sie trieb ihr Pferd an das der toten Capitana heran, ließ sich aus dem Sattel gleiten und stürzte geduckt zu der gefallenen Soldation hinüber, zerrte – die Deckung, die das Ross ihr gab, nutzend – an deren Stiefel, bekam den Fuß frei, schwang sich in den Sattel. Vom Waldrand her vernahm sie ein mehrstimmiges Brüllen. Richeza trat dem Pferd die Hacken in die Flanken, tief über den Hals des Tieres gebeugt, versuchte zugleich, den Degen blank zu ziehen, fluchte, weil sie die Klinge nicht frei bekam.
"Schützt die da Vanyas!", schrie jemand hinter ihr.
Erleichterung mischte sich in die Furcht: Jemand kam, sie zu befreien! Den Göttern – oder besser noch: den Rettern – sei Dank! Jetzt nur rasch aus dem Kampfgetümmel heraus, aus der Schusslinie, den Degen ziehen ...
Das Tier sprang vorwärts, schnell auf dem unebenen Weg. Wenn nur jemand die Harmamunder aufhielt!
Richeza warf einen Blick zurück; das Blut gefror ihr in den Adern ...
Autor: von Scheffelstein
Am Waldrand mehrere Bewaffnete, dunkle Kapuzenmäntel. Der Anführer: bulliger Hüne in Kettenhemd und Leder-Harnisch, in der Hand eine übergroße Falcata, beinahe klafterlang, als sei sie ein Dolch, nicht schwerer. Geschwärzter Maskenhelm mit Hörnern, Visier und Nasenschutz, wie ein Stiergesicht.
Drei der Harmamunder um Belisethas Zelter, ein vierter kam auf Richeza zu, der fünfte attackierte den Stier-Mann.
Der Schwarzbehelmte parierte den Streich mühelos, holte seinerseits zum Schlag aus. Der Schild des Reiters splitterte wie Zunderholz, die Klinge traf auf Bauchhöhe, fegte den Reiter einfach aus dem Sattel, schleuderte ihn drei Schritt weit.
Richeza starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das Unbegreifliche. Merkte zu spät, wie eine der Gestalten am Waldrand die Armbrust hob. Starr ... Zu spät! Aber der Schuss hatte nicht ihr gegolten. Ihr Harmamunder Verfolger fiel vornüber auf das Pferd, das einfach weiter lief, begann, aus dem Sattel zu rutschen, wurde durch das Auf und Ab des fliehenden Tieres wieder hoch gedrückt. Wie eine Puppe!
Ein weiterer Hieb des Stier-Behelmten, ein Harmamunder stürzte samt Pferd. Gedärme quollen aus dem zerschlagenen Harnisch. Unmenschlich stark! Das Pferd fiel gegen den Zelter, brachte diesen zu Fall, Belisethas Beine unter dem Tier begraben ...
Die Armbrust, jetzt auf Richeza gerichtet. Wieder nach vorn, tiefer ducken!
"Die will ich lebend!" Stier-Mann.
Schneller! Bitte, schneller! Herzrasen bis zum Zerbersten. Die bloßen Schenkel kalt und wund am rauen Fell des Rosses. Schneller! Ein plötzlicher Ruck, das Pferd bäumte sich auf, einen Bolzen im Muskel. Jetzt bloß nicht stürzen! Richeza krallte sich an Mähne und Zügel fest, das Pferd buckelte, dann galoppierte es los, rannte wie besessen, den Hinterfuß schleifend. Die Zügel fester, runtergleiten? Aber wohin? Bloß weg hier! Aber das Pferd verletzt! Wie lange es durchhielt? Es lief noch, langsamer, hinkte, stolperte. Ihr Götter, bitte, falls Ihr nur einmal ... Fast völlige Dunkelheit, der Weg weiß, der Wald schwarz, aber da vorne kaum noch Licht. Und das Pferd lahmte, stolperte schon wieder! Weiter, weiter! Bitte, Ihr Götter, irgendwer, Hilfe! Kaum möglich, sich im Sattel zu halten. Kein Blick zurück, weiter! Solange die drei Beine des Pferdes sie tragen würden ... Hinter ihr ein Gemetzel, die Reiter hoffnungslos, der Stier-Mann brüllend. Und keine Zweifel, wie es ihr erginge, wenn man sie einholte ...
Autor: von Scheffelstein
Das Pferd wurde immer langsamer, versuchte mehrmals, stehen zu bleiben, aber Richeza trieb es immer wieder an, mit Tritten in die Flanken. Es zitterte bereits, wenn sie es weiter so voran triebe, würde sie es zuschanden reiten. Richeza zweifelte nicht daran, dass sie verfolgt wurde. Mehrmals meinte sie, trotz des noch immer fallenden Schnees, einen Reiter oder auch zwei hinter sich vernommen zu haben. Vielleicht hatte sie es sich nur eingebildet, doch Licht hatte sie gesehen, das hatte sie sich nicht eingebildet, Fackellicht. Nicht lange, und man würde sie eingeholt haben. Und dann?
Der Weg lag dunkel vor ihr, durch die dicht stehenden Bäume fiel kaum Licht. Diese Geschwindigkeit zu halten, war halsbrecherisch, wäre es selbst gewesen auf einem gesunden Pferd. Zweimal hatte sie nur im letzten Moment einem tief hängenden Ast ausweichen können, seither duckte sie sich über den Hals des Tieres.
Vielleicht sollte sie einfach herunterspringen. Und dann? Man würde ihre Spuren im Schnee sehen, sie verfolgen! Sie war erschöpft und durstig und würde im Unterholz nicht schnell genug fliehen können vor diesem tierhaften Riesen mit den überderischen Kräften! Wenn sie sich nur irgendwo verstecken könnte, wo er sie nicht fände!
Bald würde das Tier unter ihr zusammenbrechen! Sich auf seine schwindenden Kräfte zu verlassen, war lebensgefährlich! Aber wohin?
Ein vager Plan reifte in Richeza, tollkühn, verzweifelt, vielleicht dumm. Sich aus dem Ritt heraus an einen Ast klammern, in den Baum hinaufziehen, vielleicht in einen anderen Baum hinüber springen, fernab des Weges herabspringen, wo man die Spuren nicht sähe, dann durch den Wald weglaufen. Aber wohin? – Erst einmal weg hier, weg vom Weg, weg von möglichen Verfolgern!
Richeza nestelte am Sattelknauf, dem festgezurrten Degen. Ihre Hände so klamm, trotz der Handschuhe! Sie bekam ihn noch immer nicht frei! Ein tief hängender Ast über ihr, aber das Pferd zu schnell, die Gelegenheit verpasst, sie musste das Tier langsamer laufen lassen, ohne, dass es stehen bliebe. Und dann lange nichts mehr: Keine Äste, keine Laubbäume, nur Tannen, Fichten, was-auch-immer. Hinter ihr im Wald Lichtschein. Pferde, jetzt war sie sich sicher! Wenn nur dieser verdammte Degen ...
Da, endlich! Wieder ein Ast über ihr. Sie zögerte nicht, griff mit beiden Armen zu – und wurde von ihrem eigenen, ungewohnten Gewicht überrascht: Der Bauch, das Kleid, der schneebedeckte Mantel. Das Pferd lief einfach weiter. Um ein Haar wäre sie gefallen. Sie konnte sich nicht hochziehen! Sie würde sich überhaupt nicht lange halten können! Wie ein nasser Sack hing sie über dem Weg. Versuchte, sich den Ast wenigstens entlang zu hangeln. Hand. Um Hand. Um Hand. Wäre fast abgerutscht. Ihre Arme brannten. Kraftlos! Irrte sie, oder kam der Reiter näher? Die Reiter? Sie durfte nicht loslassen! Noch ein Stück! Der Ast wurde breiter, führte aufwärts. Noch anstrengender! Sie begann, abzurutschen, fing sich gerade noch. Ihr Mantel streifte einen Strauch unter ihr. Wenn sie nicht hängen bleiben wollte, musste sie die Beine anziehen! Solche Schmerzen in den Armen! Die Muskeln begannen zu zittern. Die Hände taub. Noch ein Stück! Fast am Stamm des Baumes, auf der anderen Seite des schneebedeckten Strauchs, konnte sie nicht mehr, ließ sich fallen. Wenigstens nicht auf dem Weg. Aber so dicht daneben! Zum Glück war es dunkel!
Richeza raffte Mantel und Kleid und begann, in die Dunkelheit hinein zu stolpern, bloß weg vom Weg. Orientierungslos. Waffenlos, denn den Dolch, den sie im Stiefel zu tragen pflegte, hatte man ihr auf Harmamund abgenommen. Verfluchtes Dreckspack!
Nach einigen Schritt blieb sie stehen. Sie war zu laut! Sie musste langsamer gehen, damit man ihre Schritte nicht hörte! Zwischen den Bäumen tauchte Fackellicht auf, jetzt waren Pferde zu hören, zwei Reiter? So nah, verdammt, viel zu nah am Weg ...
Autoren: Der Sinnreiche Junker
Am Abend
Gerade mochte sich bei den beiden Anführern der fürstlichen Reitertruppe schon so etwas wie Zuversicht breit gemacht haben, denn immerhin war man auf die Spuren mehrerer Berittener gestoßen, die der leichte Schneefall noch nicht völlig verwischt hatte, und die demzufolge entsprechend frisch sein mussten - und andererseits hatte man wenige Augenblicke zuvor den Markstein von Quazzano passiert, sodass man berechtigterweise hoffen durfte, in Kürze das Castillo zu erreichen, wo die beiden Domnas längst in wohliger Wärme angekommen waren, auf dass sich die leidige Angelegenheit möglichst rasch aufklären mochte. Doch witterten die Rösser, dass irgendetwas nicht stimmte, noch bevor ihre Reiter des Gemetzels angesichtig wurden.
Hernán von Aranjuez sog scharf die Luft ein, als er sein Reittier zügelte, um sich einen Überblick zu verschaffen. "Mierda!", entfuhr es ihm ganz unstandesgemäß, als er nicht nur die wohlbekannten harmamunder Farben erkannte, sondern auch Domna Belisetha, deren Unterleib unter ihrem Ross begraben war. Welches freilich in seinen Qualen weit mehr lebendig schien als die Alt-Baronin. Mit einem Blick auf die Rüstung des Khahiriosers - er selbst trug ja nur Reisekleidung und einen Degen - wies er den Weg voran: "Zwei zu mir, der Rest folgt Dom Boraccio!"
Zweifellos bedurfte auch der Aracener keiner genaueren Untersuchung der Toten und Verwundeten, um zu dem Schluss zu gelangen, dass Richeza von Scheffelstein y da Vanya wohl kaum einen Wappenrock in den Farben des Hauses Harmamund trug, und sich demzufolge nicht unter ihnen befand. Während also bis auf zwei Streiter des Fürsten die übrigen Reiter hinter dem einäugigen Cronvogt drein preschten, zog der Dubianer seinen Degen, eine Waffe, mit der er sich im Sattel reichlich unwohl fühlte. Demzufolge ließ er sein Ross auch nur ein, zwei Mal auf der Stelle im Kreis tänzeln, um sich zu vergewissern, dass keiner der Angreifer mehr in der Nähe war.
Die vielen gefiederten Bolzenschäfte ließen es unklug erscheinen, aufgesessen zu bleiben, sodass die drei Zurückgebliebenen sich aus den Sätteln schwangen, die blanken Klingen in der Faust. "Ihr haltet die Augen offen", wies er die Soldatin an, während ihr Kamerad sich nacheinander über die Gardisten Domna Morenas beugte. Hernán von Aranjuez indes ging neben Belisetha da Vanya auf ein Knie, biss in die Fingerspitzen seines linken Handschuhs um das Leder von den Fingern zu streifen, und am Halse der alten Junkerin den Puls zu prüfen.
"Der hier lebt noch!", rief der Soldat, schränkte aber gleich mit Blick auf den eingeschlagenen Schädel ein: "Sieht aber übel aus."
Erleichtert stellte der Condottiere fest, dass es sich bei Belisetha da Vanya ähnlich verhielt. Auch wenn das verwundete Pferd ihre Beine unter sich begraben hatte, mochte die Körperwärme des Tieres der altem Domna das Leben gerettet haben, wäre sie ansonsten hier draußen womöglich schon erfroren. Das verwundete Tier wieherte elend, als der Baron und Junker es am Zügel griff. Ein rascher Blick auf den in hässlichem Winkel offen aus der Hüfte ragenden Oberschenkel genügte um zu wissen, dass das Tier nicht mehr zu retten war. Womöglich hätte man es mit grober Gewalt noch einmal leidlich aufrichten können, fiel es jedoch wieder um, risikierte man weitere Verletzungen bei der Reiterin. So schleuderte er den Handschuh mit einer Kopfbewegung zur Seite, legte dem Tier die bloße Hand beruhigend an den Hals und setzte sorgfältig die Degenspitze auf Höhe des Herzens an. Ein kurzes Zustechen mit der eleganten Klinge, ein leises Wiehern des Pferdes, und in gleichem Maße wie das warme Blut aus der kleinen Stichwunde strömte, erstarben die Bewegungen des Tieres.
Derweil hatten sich seine beiden Begleiter über den Zustand des Verwundeten verständigt, und ein kurzes Kopfschütteln war dem Veteranen Zeichen genug, dass auch hier nichts mehr zu retten war. Ein kurzes Nicken bedeutete dem Soldaten, dass er den bedauernswerten Gardisten gleichermaßen von seinem Leid erlösen sollte.
|