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Der Priester griff eine der Rauchlampen, die vor dem Eingang ins Sanktuarium hingen, und schritt entschlossen auf das Tor zu. | Der Priester griff eine der Rauchlampen, die vor dem Eingang ins Sanktuarium hingen, und schritt entschlossen auf das Tor zu. | ||
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'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Rifada vergewisserte sich mit einem Schulterblick, dass auch Richeza und Rahjeline ihr und dem Abt folgten. Sie selbst verspürte keine Angst, sie hatte sich dieses nur hinderliche Gefühl schon lange abgewöhnt, aber sie hörte die panischen Schreie der Verrückten aus dem Obergeschoss des Refektoriums und – besonders schrill – vom einstigen Galgenturm her. Tatsächlich setzte nun vom benachbarten Glockenturm her das durch Mark und Bein gehende Läuten der Alarmglocke ein. | |||
"Wer auch immer dafür verantwortlich ist?", wiederholte Rifada während des Laufens argwöhnisch die Worte des Abts, obwohl sie sie nur zu dessen Rücken sprach. "Das kann ich Euch ganz genau sagen: Der missratene Sohn der Reichsvogtin von Selaque, den sie vor zwanzig Jahren mit dem schwarzen Rakolus in die Welt gesetzt hat! Wie sein Vater beschäftigt er sich mit Hexenwerk, und wenn er auf dessen unheilvolle Schriften zugreifen kann, dann ist er auch in der Lage, so etwas hier heraufzubeschwören! Wir haben fünf volle Jahre gebraucht, um Burg Schrotenstein mit zahllosen Exorzisemen wieder bewohnbar zu machen – und noch immer geschehen dort zuweilen sehr seltsame Dinge, die mich an das hier erinnern! Wenn ein Mann wie Ihr, ein Mann des Glaubens, darob einmal einen Brief an die Hofkanzlei in Punin schreiben würde, dann würde er gewiss eine ganz andere Beachtung finden, als wenn ich dort solche Vorgänge anzeigen würde, da sich meine gegenseitige Feindschaft mit der Elenterin mittlerweile überall herumgesprochen hat. Und Eure sauberen Nachbarn, die Harmamunds, stecken auch mit drin! Ich traue Domnatella Morena durchaus zu, gemeinsame Sache mit dem Junghexer zu machen, da sie weiß, dass wir hier sind und sie uns schaden will, wie Ihr vorhin gesehen habt!" | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Borlando di Aragança|di Aragança ]] | |||
Rahjeline konnte es nicht fassen. Jetzt liefen ihre Befreierinnen auf einmal weiter hinein auf das Klostergelände, wo sie doch eigentlich alle das Kloster hätten verlassen sollten. Und zwar schleunigst. Dabei wäre gerade jetzt, im allgemeinen Tumult, die beste Möglichkeit zur Flucht gewesen. Der Torwächter war mit dem Läuten der großen Glocke beschäftigt und hatte keine Augen für das Tor mehr. Somit war der Weg eigentlich frei um es Lucrann da Vanya gleichzutun, und durch das Klostertor zu entfliehen. | |||
Rund um sie herum war bereits so mancher Holzpfosten in Flammen aufgegangen, und Rahjeline hätte überhaupt kein Problem damit gehabt, wenn dieser üble Ort in einer Feuersbrunst untergehen würde. Es würde ihr sogar ein gewisses Vergnügen bereiten. | |||
In all diesem Chaos verstand Rahjeline sich nun selbst nicht mehr. Warum um alles in der Welt lief sie Domna Rifada überhaupt hinterher? Rahjeline war ihren beiden Retterinnen wirklich dankbar, aber sie selbst war im Kampf völlig ungeübt, und hatte die Freiheit ja schon vor Augen gehabt. Da blieb einer vernünftigen Frau doch überhaupt keine andere Wahl als die Flucht auf eigene Faust zu versuchen?!? Vielleicht war sie wirklich wahnsinnig? Verrückt? Unzurechnungsfähig?!? | |||
Mit diesen Gedanken folgte sie Rifada und Richeza, innerlich völlig zerrissen, hinaus auf den Boronanger. Bei jedem Schritt schwor sie sich, das sie bei der ersten sich bietenden Möglichkeit auf das Haupttor und die dahinterliegende Freiheit zulaufen würde. Hatte sie dieses Tor erstmal passiert, würde sie einfach nur noch weiterlaufen müssen. Immer weiter. | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Das Erste, was die Frauen sahen, als sie den Friedhof erreichten, war der Reiter. Wie ein Feldherr thronte er auf seinem unheimlichen Ross, das sich nachtschwarz von dem schneebedeckten Hügel abhob. Sein Mantel bauschte sich im Wind, sein wirrer Bart bebte, als er ihnen götterlästerliche Flüche entgegen schrie. | |||
Zu seinen Füßen taumelte ein halbes Dutzend brennender Leichname den Hang herab, noch einmal so viele Tote irrten zwischen den Gräbern umher, wo die Getreuen des Schrotensteiners sie zurückzudrängen suchten. Einer der Soldaten wand sich schreiend am Boden, der Wappenrock im Flammen, und versuchte verzweifelt, das Feuer im Schnee zu ersticken, stattdessen aber setzte er einen kahlen Mastixbusch in Brand und verschlimmerte seine Lage. | |||
Wolpert Dragentodt versuchte, dem Brennenden zu Hilfe zu eilen, doch sein Pferd scheute das Feuer, und er hatte Mühe, es unter Kontrolle zu bringen. Der Schrotensteiner lenkte sein Ross den Hügel hinauf, sah sich jedoch sogleich von dem halben Dutzend Brandleichen umgeben, das ihm entgegen kam. | |||
Richeza starrte einen Moment lang erschrocken auf das sich ihr bietende Inferno, dann fasste sie den Abt am Arm. "Könnt Ihr nicht irgendwas tun?" | |||
Marbodano nickte grimmig. "Ich kann, doch muss ich dazu jede Kreatur einzeln berühren." | |||
"Berühren?", fragte Richeza ungläubig und blickte zu der Soldatin hinüber, die sich gleich zweier Brandleichen zugleich erwehren musste, die tumb auf sie einhieben, sie verfehlten und stattdessen ein hölzernes Boronsrad in Flammen aufgehen ließen. "Ich schätze, uns bleibt nicht viel Zeit, kommt mit, ich gebe Euch Deckung. Ihr bleibt hier oder lauft ins Kloster zurück!", befahl sie Rahjeline und achtete nicht weiter auf die Domna, während sie mit blanker Waffe auf den nächstbesten Leichnam zustürzte. | |||
Der Abt begann mit tiefer, tragender Stimme seinen Gott anzurufen, während er ihr folgte. | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Lindholz|Lindholz]] | |||
Grordan atmete erleichtert aus, als seine Untoten sich dem ungestümen Reiter in den schrotensteiner Farben entgegenstellten. Dessen Versuch, nicht von den Untoten eingekreist zu werden, drängte ihn zwangsläufig von der verschneiten Erhebung ab, von der aus der Nekromant das Areal übersah. Dennoch war ihm der Sieg nicht so sicher, wie er es erwartet hatte: Trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit seiner Dienerschaft, konnten sie ihre Gegner bisher nicht überwinden. Der anfängliche Schock hatte die Schrotensteiner zwei Mann gekostet, doch inzwischen war weitere Verstärkung eingetroffen und die ersten begannen damit sich zu formieren. Grordans Brandleichen hingegen hatten selbst zu Lebzeiten kaum vergleichbare taktische Fähigkeiten besessen und seine Kontrolle über die Untoten reichte bei weitem nicht aus, um diesen Nachteil auszugleichen. Auch fehlte ihm die nötige arkane Kraft, die beiden gefallenen Schrotensteiner zu erheben oder direkt in das Kampfgeschehen einzugreifen: Die Kälte der Niederhöllen berührte schon seine Seele; er konnte es nicht wagen, noch mehr aus dieser Quelle zu schöpfen. | |||
Wo waren bloß die beiden Elenter? Er konnte hier jeden Leib gebrauchen und von dem jungen Paar war nichts zu sehen! Nach längerer Suche entdeckte Grordan zumindest die Frau: In ein zerschlissenes Nachthemd gekleidet, näherte sich ihre bleiche Gestalt einer Unbewaffneten nicht weit entfernt von dem Diener des falschen Totengottes und seiner Hüterin, die von einer Brandleiche abgelenkt waren. In ihren Armen, verborgen von einem Überwurf - der wollenen Decke, mit deren Hilfe er sie erstickt hatte - regte sich etwas und fast war Grordan als könne er das schwächliche Wimmern bis hierhin hören. Seine bläulichen Lippen verzogen sich zu einem bösartigen Lächeln, während er das Geschehen verfolgte. | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Borlando di Aragança|di Aragança]] | |||
Die kühle Luft klärte Rahjelines Sinne zunehmend auf. Mit großer Erleichterung bemerkte sie dass das einstmals unüberwindliche Klostertor nun endlich hinter ihr lag. Sie wunderte sich darüber, dass es wirklich niemand gewagt hatte sie am Verlassen des Klosters zu hindern. Das Wort ihrer Retterin schien in dieser Region doch etwas zu zählen. Nun musste sie nur davonschleichen und soviel Entfernung wie möglich zwischen sich und das Kloster bringen. | |||
Aber anstatt sich zu überlegen wie sie auf dem schnellsten Weg ins nächste Dorf kommen könnte, wurde Rahjeline von der irrwitzigen Szene, die sich auf dem Boronsanger abspielte, völlig in den Bann gezogen. Hier kämpften brennende Körper mit regulären Soldaten, ein Irrer auf einem toten Pferd schien die Brandvögel zu kontrollieren, die schon im Kloster für Schrecken gesorgt hatten. Domna Richeza rief ihr irgend etwas von "ins Kloster fliehen" zu, wobei Rahjeline sofort protestierte: "Ich bin doch nicht verrückt und gehe freiwillig in dieses Kloster zurück. Lieber sterbe ich beim Versuch es für immer hinter mir zu lassen, und bleibe an Eurer Seite!" | |||
Rahjeline war aber gar nicht in der Lage den anderen zu helfen, denn zum kämpfen war sie ja nie wirklich ausgebildet worden. | |||
Aber sie konnte wenigstens versuchen die Leiden der verletzten Soldaten zu lindern. Na gut, Heilerin war sie ja eigentlich auch keine, aber wenigstens könnte sie den Versuch unternehmen, die verletzten Soldaten von den Flammen zu befreien. Der Erzfeind des Feuers ist doch Wasser, dachte sie sich logisch. Und Wasser ist hier wirklich mehr als genug vorhanden! Zumindest in der Form von Schnee! Also Rahjeline kniete sich hin und schaufelte eifrig Schnee über den brennenden Körper des sich windenden Soldaten. Doch dieses elende Feuer wollte und wollte nur schwerlich ausgehen. "So muss wohl auch Hylailer Feuer sein!" murmelte sie vor sich hin. Kurz kam ihr der Scherz mit dem gelben Schnee hinter der Hütte in den Sinn, doch dieser konnte sie heute leider überhaupt nicht erheitern. | |||
Rahjeline war gerade damit beschäftigt weiteren Schnee auf das Brandopfer zu schaufeln, als sie plötzlich ein unter die Haut gehendes Geräusch vernahm. Irgendwie manifestierte es sich aus der Dunkelheit und gewann Rahjelines vollste Aufmerksamkeit. | |||
Als Mutter hatte ihr die Natur ein feines Ohr für Babygeräusche verliehen. Doch war dies kein hilfloses Flehen nach Aufmerksamkeit und Geborgenheit, sondern hier war nur ein zorniges Wimmern zu vernehmen. | |||
Mit schaudern konnte Rahjeline eine hagere Frauengestalt auf sich zustaksen sehen. Direkt aus der Dunkelheit, und direkt auf sie zu. Dem Bündel und dem Wimmern zufolge, schien sie ein Baby in ihren Armen zu tragen. Wie unverantwortlich dies doch war, in solch pechschwarzer, kalter Nacht ein Baby durch die Wildnis zu tragen. Abgesehen von Feuerleichen, Brandvögeln und anderen Geschmeiß waren ja auch genügend Wildtiere in den Wäldern unterwegs. | |||
Die Frauengestalt strauchelte, aber konnte sich im letzten Moment gerade noch erfangen, wobei der Überwurf seitlich total verrutschte. Rahjeline, die reflexartig zur Hilfe eilen wollte, erstarrte mitten im Lauf. Die Nackenhaare der Abundilerin sträubten sich, und mit schreckensgeweiteten Augen wich sie entsetzt zurück! Aus der aufgebrochenen, graugrünen Bauchdecke der Mutter quollen halbverweste Gedärme heraus, sowie die Nabelschnur an der das untote Baby noch hing. Da es nicht auf natürlichem Weg in die Welt fand, schien es sich selbst aus dem Bauch seiner Mutter herausgebissen zu haben. Die Körper dieses unnatürlichen Paares waren fahl, faulig und äußerst widerwärtig anzusehen und langsam stieg Rahjeline auch der widerlich süßliche Gestank der Fäulnis in die Nase. | |||
Die vollends geschockte Rahjeline kotzte sich in hohem Bogen die Seele aus dem Leib, und begann erst langsam, dann immer schneller davonzukriechen. Trotzdem waren ihr die beiden schon gefährlich nahe gekommen. | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Rifada besah sich das um sie herum hereinbrechende Chaos kopfschüttelnd, mit zusammengepressten Lippen und zunehmendem Unglauben. Was ging hier vor sich? Sie stürmte einem der heran wankenden wandelnden Toten entgegen, holte weit mit dem Bastardschwert aus und schlug ihm mit einem kräftigen Schlag den Kopf von den Schultern. Der Untote fiel zwar um, aber mehr von der Wucht des Schlages, als dass der Streich seinem widernatürlichen Dasein wirklich ein Ende gesetzt hätte. Er kroch am Boden auf allen Vieren weiter orientierungslos durch den Schnee. Rifada wich angewidert und ungläubig einige Schritte zurück. Sie wusste von Amando oder auch aus eigener Erfahrung aus ihrem Kampf mit dem Dämon, dass derische Waffen gegen solche Kreaturen zwecklos waren. Ihre Finger tasteten suchend nach ihrem Medaillon – [[Griphonis Solaris]], der heilige Talisman ihres Hauses seit Jahrhunderten, würde ihr gewiss auch hier wieder Schutz, Schild und eine große Hilfe sein. Mit Schrecken fiel ihr ein, dass sie das Amulett am Tage vor ihrer Abreise an Belisetha gegeben hatte. Belisetha! Wo steckte sie überhaupt? Sie musste noch im brennenden Refektorium sein! | |||
"Richeza!", brüllte sie gegen das laute Knistern der Flammen und das schauderhafte Krächzen der untoten Krähen an. "Wir müssen Belisetha holen! Sie ist noch dort drin!" | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Richeza und Marbodano liefen inmitten des Gräberfelds auf einen der Untoten zu. Der Abt schwenkte die Weihrauchlampe und rief mit tiefer Stimme den Totengott um seine Gnade an, während Richeza versuchte, sich die Brandleiche vom Leib zu halten. Wieder einmal musste sie feststellen, dass all jene, die ihren Raufedegen für eine in ernsthaften Gefechten wenig geeignete Waffe hielten, leider recht hatten: Die Klinge hatte ihr gegen lebende Gegner in Ehrduellen und selbst tödlichen Gefechten Frau gegen Mann zwar manche gute Dienste geleistet, im Kampf gegen die Untoten erwies sie sich jedoch als wenig brauchbar. | |||
Verbissen hieb sie auf den Leichnam ein, der sie am Arm traf und ihr Hemd in Brand setzte. Fluchend wich sie zurück und riss sich den brennenden Stoff vom Arm, da hatte der Tote sich bereits dem Abt zugewandt. "Boron, beende dieses unheilige Leben und schenke der gepeinigten Seele Frieden!", rief Marbodano, schwenkte die Laterne, und harzig-süßer Rauch umwölkte den Untoten, der nun mit beiden Klauen nach dem Boroni griff und ihm einen blutigen Kratzer an der Wange zufügte. | |||
Richeza schnellte vor und versetzte dem Toten einen weiteren Hieb, der ihm eine Hand vom Arm trennte. "Vorsicht!", hörte sie eine Frauenstimme und wirbelte gerade noch rechtzeitig herum, um sich eines zweiten untoten Angreifers zu erwehren. | |||
Die Soldatin, die sie gewarnt hatte, streckte soeben einen weiteren Leichnam zu Boden und hieb mit dem Schwert wild auf den zuckenden Toten ein. | |||
Richeza hatte Mühe, dem neuen Angreifer auszuweichen, er war weit größer als der Tote, der auf den Abt eindrang, und er war mit einer Pechfackel bewaffnet, die ihren Haaren mehrmals bedrohlich nahe kam und schließlich ihren Umhang streifte. Es stank nach verschmorter Wolle, aber Richeza gelang es, dem Toten die Fackel aus der Hand zu schlagen. Der setzte nach und riss an ihrem Haar, das in Flammen aufging. Richeza schrie und warf sich rückwärts zu Boden, drückte ihr Gesicht in den nassen Schnee. Irgendwo schrie auch ihre Tante, aber Richeza hörte kaum, was sie ihr zurief. Ihr Herz raste in ihrer Brust, und sie merkte, wie ihre Kräfte allmählich schwanden. Rückwärts robbte sie durch den Schnee, um sich aus der Reichweite des Toten zu bringen, sah, wie die Soldatin heran eilte und mit wuchtigen Schlägen auf den riesigen Leichnam eindrang. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie der Tote, der den Abt angegriffen hatte, in sich zusammen sank und reglos liegen blieb. Er brannte noch immer, doch alles Unleben hatte ihn verlassen. Der Abt wandte sich nun dem Riesen zu, noch immer singend. Die Soldatin trennte dem Leichnam ein Bein vom Leib, der Riese knickte ein, griff im Fallen nach Marbodano und riss ihn mit zu Boden. | |||
"Boron, lasse Asche zu Asche werden und Staub zu Staub, führe in deine heilige Erde zurück, was begraben und vergessen sein soll!" Die Stimme des Boronis klang angestrengt. Der Tote hielt seinen Arm umklammert, während die Soldatin auf die unheilige Kreatur einschlug. Weihrauch benebelte Richezas Sinne und ließ sie husten. Zitternd versuchte sie, aufzustehen, als eine Hand in rauem Handschuh sich ihr entgegen streckte und die Soldatin ihr aufhalf. Der riesige Tote lag reglos im Schnee, der Abt richtete sich soeben wieder auf und wankte auf einen weiteren Toten zu, der im Kampf mit zwei Schrotensteinern war und diesen mit seiner Fackel mächtig zusetzte. Marbodanos Robe war zerrissen, der Saum angesengt, und er hinterließ eine blutige Spur im Schnee, hielt aber unbeirrt singend auf die Kreaturen zu, die den Frieden des heiligen Angers störten. | |||
"Seid Ihr verletzt?", fragte die Soldatin. Richeza schüttelte benommen den Kopf, blickte zu ihrer Tante hinüber, die etwas von Belisetha rief und dann herumfuhr, zu einer Toten in einem Nachtgewand, die – konnte das möglich sein? – anscheinend einen Säugling in ihren Armen hielt. | |||
Irgendwo auf dem Hügel schrie der verfluchte Nekromant ihnen noch immer Verwünschungen entgegen, und Lucrann da Vanya kämpfte sich hoch zu Ross durch eine Reihe von Brandleichen, die unter seinen mächtigen Schwerthieben zu Boden fielen und weiterbrannten, was ihm das Vorankommen erschwerte, da das Streitross ihnen auswich. Plötzlich wandte der Reiter auf seinem grausigen Pferd sich zur Flucht und ritt nach Süden über die Hügelkuppe davon. | |||
"Ihm nach!", brüllte der Schrotensteiner Baron eisern durch sein Visier, und sein Vogt, der abgestiegen war, um – vergeblich – der Abundilerin beim Löschen des brennenden Soldaten zu helfen und darauf von einem jungen Untoten attackiert worden war, streckte diesen zu Boden, rannte seinem Pferd nach, das kopflos durch die Gräberreihen preschte, bis er es endlich am Zügel zu fassen bekam und aufsitzen konnte. | |||
Der Abt war in Bedrängnis, seine Robe hatte Feuer gefangen, doch er rief weiter Boron um Beistand an und schwenkte die Weihrauch-Lampe, deren Duft den Toten mehr zu schaden schien als alle Schwerter der Soldaten. Kurz überlegte Richeza, ihm zur Hilfe zu eilen, doch brennende Büsche und Boronräder versperrten Richeza den Weg, und ihre Tante, die die Tote Frau und das Kind in einen blutigen Haufen aus Fleisch und Gedärm verwandelt hatte, schrie ihr wieder zu, man müsse sich um Belisetha kümmern. | |||
Keuchend eilte Richeza zu ihr herüber, zu ihr und der Abundilerin, die kotzend und wimmernd im Schnee kniete. | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
So schnell, wie es ihr mit dem lädierten Bein nur möglich war, eilte Rifada zurück zum Refektorium, auf dessen Dach bereits die Flammen mannshoch züngelten. Auch hinter den Fensternischen im Obergeschoss, wo sie selbst allzu kurz genächtigt hatten, war bereits orangeroter Feuerschein zu sehen, der nichts Gutes verhieß. | |||
Jetzt wo sie direkt vor der Tür stand, hörte Rifada auch Schreie und angsterfüllte Rufe aus dem Obergeschoss – wenn auch 'glücklicherweise' nicht die raue Greisenstimme Belisethas, sondern eher in der Tonlage mehrerer junger Frauen und auch eines Mannes. Rifada blickte kritisch zum Dachfirst hinauf – es war Wahnsinn, dort jetzt noch hineinzugehen. Aber was blieb ihr übrig? Ihre Muhme war ihr Blut – kein Da Vanya, zumindest nicht die jetzt lebenden, hatte je einen anderen im Stich gelassen. Sie trat die Tür mit einem kräftigen Fußtritt auf – sofort quoll ihr eine Wolke beißenden schwarzen Qualms entgegen. Sie zog den Kragen ihres Gewandes nach oben über Mund und Nase, nahm sich vor, so wenig wie möglich zu atmen und hastete dann mit gesenktem Kopf und zusammengekniffenen Augen durch die Eingangshalle, etwa in die Richtung, in der sie die Treppe zur Empore vemutete. | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Richeza hatte die Abundilerin unsanft auf die Füße gezerrt und sie geheißen, mitzukommen, kümmerte sich jedoch nicht darum, ob diese ihr folgte, sondern stürzte schwer atmend hinter ihrer Tante zurück in den Hof. Trotz der alten Verletzung war Rifada schneller als sie, und als Richeza das Hoftor passierte, verschwand die Vayadâlerin bereits in dem brennenden Gebäude. Entsetzt beobachtete Richeza, wie die Flammen immer höher aus den Fenstern schlugen. Die Hitze, die von den Gebäuden ausging, war noch am anderen des Hofes zu spüren, statt Schnee, bedeckte stinkender Schlamm den Boden. | |||
Ohne zu zögern stürzte Richeza auf den Eingang des Refektoriums zu. Rauch quoll aus der Eingangshalle und versperrte ihr die Sicht. Der beißende Gestank war so stark, dass ihre Augen brannten und ihr schlagartig wieder übel wurde. | |||
"Rifada!", rief sie über das Prasseln und Tosen des Feuers hinweg, erhielt aber keine Antwort. Angst schnürte ihr die Kehle zu. Es wäre Irrsinn, dort hineinzugehen! Selbst, wenn sie im Vollbesitz ihrer Kräfte gewesen wäre, wäre es ein lebensgefährliches Wagnis gewesen, so aber war sie sich beinahe sicher, dass sie nicht wieder lebend herauskommen würde. ''Bedenke, dass du jetzt nicht mehr nur für dich alleine verantwortlich bist!'', hörte sie die vorwurfsvolle Stimme ihrer Tante in ihrem Geist. Sie schluckte und tat, was sie seit Langem nicht getan hatte: Beten! Für das Heil ihrer Verwandten, dass sie es unversehrt wieder herausschafften. Mehr konnte sie nicht für sie tun. | |||
Stattdessen lief sie zum Stall hinüber, dessen Dach ebenfalls in Flammen stand, und half den Burschen, die schreienden Pferde hinauszuführen und runter vom Hof, hinaus auf die Straße. Die Tiere rissen an den Zügeln und waren kaum zu halten. Gerade hatte sie Rifadas Schlachtross an einem Baum auf der anderen Straßenseite festgemacht, als die Soldatin sie anrief, die ihr gegen den hünenhaften Untoten beigestanden hatte. | |||
"Schnell", rief sie, "holt die Mönche, einen Heiler, Magier, irgendwen! Rasch!" Zusammen mit einem ihrer Gefährten schleppte sie den reglosen Körper eines Mannes auf das Tor zu. "Der Abt! Er stirbt! Beeilt Euch!" | |||
Richeza rannte zurück auf den Hof, so schnell sie konnte. Einige der Geweihten, Laienpriester und Bediensteten waren damit beschäftigt, eine Eimerkette vom Brunnen zum Haupthaus zu bilden, in dem verzweifelten Versuch, der Flammen Herr zu werden. Es dauerte einen Moment, bis die Edle sich Gehör zu verschaffen vermochte, da kamen die Soldaten auch schon auf den Hof und ließen den Abt auf einer steinernen Bank nieder. Richeza eilte mit einem der Priester herbei, der neben dem Sterbenden niederkniete. Er sah grauenvoll aus: Sein Gesicht eine unförmige, rot-schwarze Masse, seine Robe verkohlt, seine Brust von Blasen und nässenden Wunden überdeckt. | |||
"Bruder Boron", sprach der Geweihte leise und drückte die versehrte Hand des Abtes, "geleite diese Seele in dein Gemach, wo alles Leid und aller Schmerz Vergangenheit sind. Lasse deinen treuen Diener an deiner Seite ruhen und seine Seele Frieden finden in deiner Ewigkeit …" | |||
"Wollt Ihr ihn gar nicht heilen?", rief die Soldatin entsetzt. | |||
Der Priester antwortete nicht. Als er nach einer Weile aufsah, war sein Gesicht eine bleiche, harte Maske. "Der Herr hat Marbodano bereits zu sich gerufen." | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Rifada stürzte durch den schwarzen beißenden Qualm die ins Obergeschoss des brennenden Refektoriums führende Treppe empor. Die wenige Luft, die ihr zum Atmen blieb, brannte bei jedem Atemzug in der Lunge. Rechts neben ihr stürzte ein schwerer Holzbalken von der Decke zu Boden und blieb lichterloh brennend quer über der Treppe liegen. ''Auch das noch!'', dachte sie still bei sich - dieser Rückweg war ihr versperrt, und es konnte ihr auch niemand von draußen mehr folgen. Im Obergeschoss angekommen war zumindest die Sicht ein ganz kleines bisschen besser, weil der lange Korridor zu den Schlafstuben von den brennenden Deckenbalken und lodernden Wandvorhängen in ein unwirkliches orangerotes Licht getaucht wurde. Rifada hörte panische Schreie hinter der Tür zu ihrer Linken, die sie rabiat mit einem Fusstritt auftrat. | |||
"... sterben! Wir werden alle sterben! Ich bin noch so jung! Rettet mich! Rettet mich!", plärrte die tatsächlich noch junge Bewohnerin dieser Zelle Rifada ins Gesicht und packte sie so hart und angsterfüllt am Gewand, dass sich ihre Fingernägel in Rifadas Arme bohrten. "Wir werden verbrennen! Allesamt! Das ist die Strafe Borons für unsere Sünden!" | |||
Im Gegensatz zu der Insassin, der sie versprochen hatte, sie nach Ragath zu geleiten, machte dieses junge Ding wirklich einen reichlich verwirrten Eindruck. Ohne ein Wort zu sagen schickte ihr Rifada eine rechte Gerade ans Kinn. Die junge Frau verdrehte die Augen und wäre wie ein nasser Sack nach hinten gekippt, hätte ihr Rifada nicht schnell den anderen Arm um die Taille gelegt. Schwer schnaufend warf sie sich die Ohnmächtige über die Schulter und wankte mit ihr den Gang hinab in Richtung ihrer eigenen Nachtgemächer. Sie brüllte so laut sie konnte "Bel-iiii-se-thaaaa?" Aber sie erhielt keine Antwort. Dort wo sie selbst und die ihren geschlafen hatten, sah sie nichts mehr außer lodernden Flammen. | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Schon immer hatte Belisetha da Vanya es verabscheut, ihre Notdurft des nachts auf einem Topf zu verrichten und den Unrat dann anderntags von einer Kammermagd entfernen zu lassen, die mit stoischer Miene ihrer Pflicht nachkam und sich möglicherweise doch ihren Teil dabei dachte. Mit Grauen sah die alte Junkerin seit einigen Jahren zu, wie ihr Körper nach und nach seine Dienste versagte. Der größte Schrecken, den die ungewisse Zukunft jedoch für sie bereit hielt, war der, dereinst im Bette zu liegen und sich nicht mehr rühren zu können, während irgendein armes Ding ihr den Brei zum Munde hinein löffelte und hernach vom Hinterteil wieder abwischte. | |||
Wenn es soweit wäre, dann würde sie Gebrauch von dem kleinen Fläschchen machen, dass sie daheim auf Wildenfest in ihrem Nachtschrank verwahrte oder einem weiteren, das sie auf Reisen stets bei sich trug. Der Inhalt, das war ihr wohl bewusst, war so tödlich, dass man sie niemals damit erwischen durfte, doch Belisetha da Vanya war keine Mörderin, nur sich selbst wünschte sie einen raschen und gnadenvollen Tod und keinen Zerfall, bei dem sie womöglich klaren Geistes noch jahrelang zusehen musste. | |||
Der Weg zum Latrinenhaus auf der Rückseite des Konversenhauses, in dem die Akoluthen schliefen, war weit, und so war Belisetha schon beim ersten Drücken und Grummeln des Bauches aufgebrochen, denn sie war nicht mehr gut zu Fuß, und auf den schmalen Fluren blieb sie mit dem Gehstock des Öfteren an einer Ecke hängen, zumal sie in der Linken ein kleines Nachtlicht hielt. Als sie die Latrinen endlich erreichte, blieb ihr gerade noch Zeit, das Nachtgewand zu heben und sich auf den eisigen Stein fallen zu lassen, ehe sie sich sturzbachartig entleerte. Noch so ein Übel des Alterns. | |||
Es war kalt in dem Lehmanbau, durch die schmalen Fenster unter der Decke blies der Winterwind einige Schneeflocken herein, und Belisethas hagerer Körper zitterte wie eine Pappel im [[avwik:Beleman|Beleman]]. Beinahe froh war sie daher im ersten Augenblick über den Feuerschein, der vor ihren Augen tanzte, auch wenn das plötzliche Flackern sie erschreckte. Als sie erkannte, dass es ein brennender Vogel war, der zum Fenster hereingeflogen war, machte das Herz der alten Domna einen jähen Satz. Lautlos tanzte das Tier über ihrem Kopf, und Belisetha hieb zeternd mit ihrem Gehstock auf es ein, doch statt, dass der Vogel zu Boden stürzte, fing der Stock Feuer, und mit einem "Heiliger-Herr-Praios-Hilf!" ließ die Junkerin das brennende Holz fahren. | |||
Schreie drangen von draußen herein, über ihrem Kopf aber jagte der Flammenvogel zwischen den Deckenbalken entlang, und es wäre nur eine Frage der Zeit, bis er den Dachstuhl in Brand setzte. "Grundgütiger Herr!", rief Belisetha aus, wischte sich mit zitternder Hand den Hintern ab und mühte sich, das Nachtgewand zu ordnen und, ihrer Stütze beraubt, zur Tür zu kommen. Sie wusch sich die Hand in einem Eimer mit trübem Eiswasser und packte das schwere Gefäß, um das Wasser nach dem Brandvogel zu gießen, doch der Eimer war zu schwer für sie, entglitt ihren Händen, fiel scheppernd zu Boden und riss sie beinahe mit sich. | |||
"Gütiger Herr Praios, erbarme dich und du, Bruder Boron, zeige dich gnädig!", murmelte sie, als sie die Tür aufstieß und auf den Gang hinaus stolperte, der zurück ins Konversenhaus führte und zu der Treppe hinauf zu den Gästegemächern über dem Refektorium. Schritt für Schritt hangelte sie sich die Stiege hinauf, doch als sie die Tür am oberen Treppenabsatz öffnete, stießen ihr beißender Qualm und Flammen entgegen. | |||
Ein Entsetzensschrei entfuhr der alten Domna, die rückwärts taumelte und beinahe die Treppe herabgestürzt wäre. "Hilfe!", rief sie "Hilfe! Feuer! Hilfe!" Mühsam tastete sie sich die Treppe wieder herab und zur unteren Tür ins Konversenhaus, aber der Türgriff war lose, und als sie daran rüttelte, löste er sich ganz, ohne dass die Tür aufging, und Belisetha landete unsanft auf ihrem Hinterteil. "Hilfe!", rief sie mit wachsendem Schrecken und umklammerte das Signum Griphonis Solaris, das ihre Nichte ihr vor Tagen anvertraut hatte. "Hier bin ich! So helft mir doch! Hilfe!" | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Wütend stampfte Rifada mit dem Fuss auf. Nichts war ihr mehr verhasst, als machtlos zu sein und zuzusehen, wie Dinge ihren Lauf nahmen, die ihr ganz und gar nicht gefielen. | |||
"Belisetha?", brüllte sie abermals, ohne dass über das laute Knistern der Flammen und das Knacken des Holzes hinweg eine Antwort zu hören gewesen wäre. Nur die ohnmächtige Irre über ihrer Schulter stöhnte leise. Ohne sie wäre Rifada in die Flammen hineingesprungen, wo sie die Tür zum Gemach ihrer Mutterschwester vermutete. Aber dieses dumme Ding würde mit ihr sterben, wenn sie es wagte, dort hineinzugehen, wo vermutlich sowieso bereits alles brannte. | |||
"Mutter verzeih mir!", murmelte sie in Gedanken an Leonida da Vanya, die sich droben in Rondras Hallen gewiß für sie schämte, dass sie nicht alles riskierte, um ihre greise Schwester zu retten. | |||
Seufzend machte Rifada auf dem Absatz kehrt und kehrte in die schmale Zelle zurück, aus der sie die Verrückte befreit hatte. Sie ließ diese zu Boden plumsen, griff sich einen Schemel und schleuderte ihn gegen den brennenden Fensterladen, der mit einem lauten Knall aufflog. Rifada stürzte zum Fenster und nahm einen tiefen Zug von der etwas weniger verqualmten Nachtluft draußen. Wie sie es erhofft hatte, stand unten auf dem Klosterhof noch immer der Karren, auf den die Knechte bei ihrer Ankuft pralle Säcke gestapelt hatten. Allerdings waren drei dieser Ubglücksraben gerade verzweifelt bemüht, den Karren nur mit ihrer eigenen Muskelkraft wegzuschieben, da sich alle Pferde im Angesicht der Flammen wie toll gebärdeten. | |||
"Holla! Lasst den verdammten Karren stehen, ihr Arschlöcher!", brüllte Rifada hinab. | |||
"Sicher nicht!", zeigte ihr einer der Burschen einen Vogel. "Das gute Korn verbrennt!" | |||
Rifada trat nach hinten in die Stube und zog die benomene Verrückte vom Boden hoch. | |||
"Das wird wehtun, Kindchen! Fall nicht auf den Kopf!", gab sie ihr noch einen gutgemeinten Rat mit auf den Weg. Dann hob sie sie hoch und warf sie zum Fenster hinaus - direkt auf die Kornsäcke auf dem Karren. | |||
Dann nahm sie zwei Schritte Anlauf und sprang mit einem lauten Schrei hinterher. | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Borlando di Aragança|di Aragança]] | |||
Rahjeline hatte einfach nicht die Kraft, sich auf den Beinen zu halten. Sofort nachdem Domna Richeza sie hochgezogen hatte, knickten ihr die Beine wieder ein und die Abundilerin sackte wieder zu Boden. Ihr längst entleerter Magen krampfte sich erneut zusammen, doch außer einem trockenen Reihern war nichts mehr aus ihm herauszubekommen. | |||
Aus den Augenwinkeln konnte Rahjeline erkennen, dass sich ihre Retterinnen in das lichterloh brennende Klostergebäude aufmachten. Waren die beiden denn verrückt geworden? Sie konnte die Hitze bis hierher spüren. Rahjeline würde sicher keinen Fuß mehr in das brennende Kloster setzen, also ersetzte sie Domna Richeza bei ihrer Aufgabe und half, die restlichen Pferde aus dem Stall zu retten. | |||
In dem Moment, als sie eines der panischen Rösser in Sicherheit brachte, schoss ihr plötzlich ein Gedanke durch den Kopf: Was würde mit ihr passieren, wenn ihre Retterinnen hier selbst zu Tode kämen? Wenn sie innerhalb der Mauern von la Dimenzia elendig verbrennen würden? Diese Boronsbrut würde sie dann doch sicher niemals gehen lassen. In Sekundenschnelle war Rahjelines Entschluss nun gefasst. Sie würde fliehen. Und zwar sofort! | |||
Rahjeline machte sich den allgemeinen Tumult zunutze und schleppte anstatt eines Pferdes einen Sattel, und zwei weiche Satteldecken aus dem Stall. Hernach packte sie die Zügel eines der eben geretteten Rösser, führte es ein wenig abseits und sattelte es eilig. Nachdem sie den Gaul fertig aufgezäumt hatte, ritt sie zu der Sammelstelle an der ein Großteil der geretteten Rösser bereits angebunden war. Eilig schnappte sie sich ein weiteres Pferd, warf sich gegen die Kälte die zweite Satteldecke über und trabte damit in Richtung des Klosterweges. Im Moment war es ihr vollkommen egal, wessen Pferde sie hier entwendete, sie wollte nur weg. | |||
Plötzlich gellte ein lauter Schrei aus dem Kloster. Die Stimme schien der ehemaligen Junkerin nur allzu bekannt. Scheinbar war Domna Rifada den Flammen erlegen. Ein Boronspriester, der gerade mit zwei weiteren Gäulen aus dem brennenden Stall kam, wollte Rahjeline noch aufhalten. Doch Rahjeline trat ihrem Pferd die Hacken in die Flanken und galoppierte einige Hundert Schritt davon. | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Sobald sie ihre Tante aus dem Fenster springen sah, rannte Richeza los, ohne weiter auf die Soldaten oder den Boroni zu achten. Sie erreichte den Karren, als Rifada da Vanya gerade von ihm herunterstieg, berührte sie am Ärmel, und als diese sich zu ihr umdrehte, warf sie sich geradewegs in ihre Arme. Eine Welle der Erleichterung rollte über sie hinweg. Dann aber fiel ihr Blick an der breiten Brust der Vanyadâlerin vorbei auf die bewusstlose Frau auf dem Karren. Sie hob den Kopf und starrte Rifada aus großen Augen an. "Das … ist nicht Belisetha!" | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Ein jäher Schmerz, schlimm wie der Biss von zehn Nattern, durchzuckte Rifada, als sie vom Karren herunterrutschte und ihr ohnehin halblahmes Bein auf dem Boden auftraf. Die knallharte Landung auf den Kornsäcken war Gift für sie gewesen - hoffentlich war nichts gebrochen; zumindest konnte sie das Bein kaum belasten. | |||
Als sie Richeza wahrnahm und ihre Frage vernahm, musste sie schlucken und schaute eine Weile betreten zu Boden. Dann murmelte sie halblaut, da sie ihre eigenen Worte hasste: "Ich kam zu spät! Ich ... ich konnte sie nicht mehr retten. Wo wir schliefen, gab es nichts mehr außer Flammen. Ich habe sie zweimal gerufen, aber niemand antwortete." Sie schlug wütend mit der Faust gegen den Karren. | |||
"Es ist sündig so zu denken, aber langsam beginne ich zu glauben, dass sich die guten Götter von uns abgewandt haben und dass nun die Dämonen der Hölle die Welt regieren, die uns auf die Probe stellen wollen. Erst Moritatio, dann Berengar – nun auch noch Belisetha! Und wenn du ein Kind erwartest, wenn eine kleine Hoffnung für den Fortbestand unseres Hauses aufflammt, muss dafür sogleich eine andere sterben." Sie schüttelte den Kopf und deutete auf die Brandvögel, die wandelnden Leichname, die inzwischen alle bis auf einen zu Boden gesunken waren. "Sieh dir das an! Das ist doch alles nicht normal. Ich weiß nicht, ob die Elenterin dahintersteckt oder ob die Macht ihres missratenen Sohnes groß genug für so etwas ist ... aber irgendwer oder irgendetwas will uns vernichten. Und wir beide müssen dafür Sorge tragen, dass ihm das nicht gelingt." | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Richeza schluckte, ließ ihre Tante los und trat einen Schritt zurück. Ein unbestimmtes Schuldgefühl stieg in ihr auf, das ihr allzu vertraut war, sie viel zu lange schon Tag für Tag und Jahr um Jahr begleitete. Doch sie sprach nicht aus, was sie dachte, ihre Tante hätte es als Unfug angetan. Sie war nicht schuld an Belisethas Tod. Die Zweifel, die Rifada da Vanya äußerte, trafen Richeza bis ins Mark, nährten ihre eigenen Ängste, rührten an ihrer Bitterkeit. Aber auch hierzu schwieg sie. | |||
Einige Augenblicke lang starrte die Edle stumm in die Flammen, dann griff sie nach Rifadas Hand. "Kommt!", sagte sie. "Lasst uns hier fortreiten, nach [[Castillo Quazzano|Quazzano]], irgendwohin. Der Abt ist tot, das Kloster ist verloren. Wir können hier nichts mehr tun." | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Rifada nickte finster - auch sie konnte den Blick nicht von dem Hügel aus Flammen nehmen, der bis vor Kurzem das Refektorium La Dimenzias gewesen war. Auch die anderen Gebäude, mit Ausnahme des kleinen Borontempels und des Galgenturms, brannten mittlerweile lichterloh. | |||
"Das wird nicht ungesühnt bleiben - das schwör' ich dir, Belisetha!", sprach sie in Richtung der lodernden Flammen, das Antlitz hart und kalt wie eine Maske. | |||
"Abt Marbodano ist auch tot, sagst du?", drehte sie sich schließlich doch zu Richeza herum, als ihr deren Worte erst richtig gewahr wurden. "Damit verlieren wir auch noch einen unserer treusten Clientes hier in Ragatien! Die verfluchten Harmamunds strecken seit Langem ihre gierigen Finger nach diesem trutzigen Kloster inmitten ihres vorgeblichen Grund und Bodens aus. Ein Sohn der Hexe Aldea ist meiner Kenntnis nach selber ein Fraternello des Schweigsamen - na ja, zumindest hat er dessen Weihen empfangen. Es würde mich nicht wundern, wenn dieser schwarzberobte Hundsfott, den ich bislang als Einzigen der ganzen Dreckssippschaft noch nicht von Angesicht zu Angesicht kennengelernt habe, schon sehr bald hier klerikale Herrschaftsansprüche stellen wird. Der Rabe von Punin könnte es verhindern - das Kloster anderweitig vergeben, aber ich habe nicht die Zeit und die Kraft, um dorthin zu reiten und ihn um etwas zu bitten. Wir haben genug andere Sorgen!" | |||
Sie stützte sich kurz auf Richeza auf und deutete in Richtung des Gatters, wo die wiehernden Pferde in der Not hingetrieben worden waren. Es war wirklich höchste Zeit, diesen verstörenden Ort zu verlassen - auch wenn Morena von Harmamund dann gewiss glaubte, dass die Da-Vanya-Frauen etwas mit dem verheerenden Großbrand zu tun hatten. Aber es war ihr einerlei, was dieses miese Aas dachte! | |||
Nach wenigen humpelnden Schritten kam ihr in den Sinn, dass es nicht unbedingt ratsam war, sich mit ihrem für eine Frau doch recht hohen Gewicht auf eine zierliche und vor allem schwangere Frau aufzustützen, und so entließ sie ihre Nichte wieder aus ihrem Klammergriff. "Ich wollte eigentlich nur Belisetha nach Quazzano bringen, damit sie zu der Zeit, in der du niederkommst, nicht im Vanyadâl ist. Da sich die Dinge nun geändert haben, schlage ich vor, wir reiten stattdessen zum Stammsitz des Aranjuez und fragen ihn, ob wir auf seine Hilfe zählen können, wenn es gegen die Elenterin und Albacim geht. Vorher geleiten wir nur dieses Frauenzimmer nach Ragath, denn ich halte meine Versprechen. Wir hören uns dort im Spital nach einer fähigen Hebamme um, die bereit ist, uns bei diesem orkschen Wetter ins Vanyadâl zu folgen." | |||
Sie blieb plötzlich wie angewurzelt stehen und deutete mit starrem Blick geradeaus: "Moment mal ... sag mir ... sag mir, dass das da nicht mein Schlachtross ist, auf dem unsere angebliche ''Nicht-Irre'' da hinten davonreitet?" Sie begann mit schmerzverzerrtem Gesicht immer schneller zu humpeln und reckte drohend ihr Schwert in die Luft. "KOMM ZURÜCK, DU ELENDE CANAILLE! ICH HAU DICH IN TAUSEND STÜCKE! NIEMAND KLAUT MIR DAS PFERD - NIEMAND, HÖRST DU?" Sie stieß einen Wutschrei aus und hackte mit einem beidhändigen Schlag die Spitze eines Holzpfostens ab, der zur Umzäunung des Viehgatters gehörte. Sie trat den abgehackten Klotz zehn Schritt weit davon und rammte ihr Schwert tief in den Boden. "Was ist das bloß für eine dämonenverfluchte Nacht?", rief sie, die Arme weit ausgebreitet und anklagend gen Himmel gereckt. | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Richeza wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Jetzt, da sie sich von den Flammen entfernten, brannte die kalte Nacht auf ihrem nassen Gesicht. Erschöpft sah sie der Abundilerin nach, die sich immer weiter vom Kloster entfernte – tatsächlich auf Rifada da Vanyas Rappen. Sie hatte ein zweites Ross am Zügel, das brav hinter dem ersten her trabte. Kurz überlegte Richeza, ob sie sich kurzerhand auf das nächstbeste Tier schwingen und der Flüchtenden hinterher reiten sollte. Wenn sie sich eilte, würde sie sie einholen können. Und dann? Sie vom Pferd stoßen? Niederstechen? Warten, bis Rifada herangehumpelt wäre und ihren Zorn an der Unbewaffneten ausließe? | |||
Schritt um Schritt entfernte sich die Südpforterin, Richeza aber stand noch immer wie angewurzelt. Die Müdigkeit lastete bleiern auf ihren Schultern, sie hatte Kopfschmerzen und fühlte sich elend. Nur eines wollte sie: So rasch wie möglich fort von diesem Ort. So löste sie die Zügel eines der Pferde vom Gatter und hielt das Tier fest, sodass ihre Tante aufsteigen konnte. Als diese selbst nach den Zügeln griff, ließ die Edle sie nicht los. | |||
"Bitte", sagte sie, "wir können uns später um Euer Pferd kümmern! Wir wissen doch, wer die Diebin ist, können sie immer noch zur Rechenschaft ziehen." Sie folgte Rifadas zerknirschtem Blick nicht, sondern musterte ihre Tante. Wahrlich, auch diese sah nicht allzu gut aus. Doch es wäre sinnlos gewesen, an ihre Vernunft zu appellieren – um ihre eigene Gesundheit hatte sich Rifada da Vanya noch nie geschert, im Gegenteil, trotz ihres Alters und ihrer Verletzungen schien sie sich immer noch für mehr oder weniger unverwundbar zu halten. Also verstärkte Richeza den Griff um die Zügel und setzte einen flehentlichen Blick auf. | |||
"Mir … geht es nicht gut. Bringt mich nach Quazzano, bitte! Ihr könnt hernach noch immer zum Aranjuez reiten, falls der überhaupt gerade hier auf seinem Junkergut weilt. Er sollte mich ohnehin nicht zu Gesicht bekommen, er würde misstrauisch werden, warum nicht einfach ich Euch zu der Elenterin begleite. Außerdem …" Sie sah an sich herab. Lange würde sie das Elend nicht mehr vor den Augen der Welt verbergen können. Und was dann? Sie fürchtete nichts mehr als den Hohn und das Geschwätz des Adels, auch wenn wohl niemand ahnte, dass ihre zornige, unnahbare Art nichts als eine Maske war, hinter der sie – so lange schon! – die namenlose Furcht verbarg, die ihr ganzes Leben beherrschte wie ein tyrannischer Gott. | |||
Sie ließ die Zügel los, saß auf einem Grauschimmel auf und ritt an Rifadas Seite. "Quazzano?", fragte sie leise. | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Rifada wendete abwägend das Haupt erst in die eine, dann in die andere Richtung. Ihre verärgerte Miene machte ihr Hin- und Hergerissen-Sein deutlich. "Wir können hier nichts mehr retten", bilanzierte sie mit Bitterkeit in der Stimme, "weder Belisetha noch das Kloster. Aber ich denke auch an Griphonis Solaris - unser Amulett und Schutzzeichen seit Praiana der Gleißenden. Wenn Belisethas alter Leib diese Flammenhölle auch nicht überleben konnte - das Signum wird sie fraglos überstehen! Ich kann nicht zu Amando reiten und ihm sagen, dass wir nicht nur seine einzige verbliebene Schwester, sondern auch noch das Schutzzeichen unseres Hauses verloren haben. Nicht auszudenken, wenn es nach seiner güldenen Greifen-Monstranz auch noch in die Hände der Elenterin gerät ... oder – schlimmer noch – gar in die der Harmamunds." | |||
Sie schüttelte den Kopf, diesen Gedanken besser nicht weiter fortzuführen. "Aber wenn es nicht regnet oder äußerst starker Schneefall einsetzt, wird das Refektorium noch mindestens drei Tage weiter brennen und glimmen, bevor man seine Überreste überhaupt betreten kann. Das heißt, in drei Tagen müssen wir wieder hier sein - das Signum finden und es mit uns ins Vanyadâl nehmen." | |||
Sie deutete mit einem Kopfnicken in die Richtung, in die Rahjeline mit Rifadas Schlachtross geflohen war. "Da mich diese treulose Pferdediebin ja gerade selbst von meinem gegebenen Versprechen entbunden hat, sie nach Ragath zu eskortieren, steht es uns also frei, wohin wir uns in den nächsten drei Tagen wenden - wir müssen nur bei Erlöschen des Feuers wieder hier sein! Der Grund nach Quazzano zu reiten, war Belisetha, die ich dorthin in Sicherheit und gleichzeitig mit ihrer Neugier fort aus dem Vanyadâl bringen wollte. Wenn wir dennoch dorthin reiten, sind wir Amando viele Erklärungen schuldig - und glaube mir, es gibt keinen Menschen in Almada, vielleicht sogar im ganzen Reich oder in Aventurien, vor dem es schwerer ist, irgendetwas zu verschweigen - er schaut dir nur mit seinem stechenden Blick tief in die Augen und weiß sogleich alles, auch das, was du nie aussprechen wolltest." | |||
Sie deutete in Richtung Nordosten. "Ich würde deshalb vorschlagen, dass wir zuerst nach Aranjuez reiten. Wir wollen doch einmal sehen, ob sich unser alter Freund Dom Hernán freut, uns wiederzusehen?" | |||
Ihr ironischer Unterton machte deutlich, dass sie davon selbst überrascht wäre - aber immerhin hatte man ob der gemeinsam durchlebten Schrecken des Ferkinasturms in der Elenterin eine gemeinsame Feindin. | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Richeza schluckte schwer, machte jedoch keine Anstalten, ihr Pferd in Bewegung zu setzen. Wie versteinert saß sie auf dem Rücken des ungesattelten Tieres. Sie hatte noch keinen Augenblick geschlafen in dieser Nacht, die Müdigkeit brannte wie eine alles verzehrende Säure in ihrem Brustkorb, und eine plötzliche Furcht schnürte ihr die Kehle zu. Sie war alles andere als erpicht darauf, den Aranjuezer wiederzusehen. Mochte sie auch das Ehrduell gegen ihn für sich entschieden haben, im Stillen trug sie ihm ihre Gefangennahme noch immer nach. Schlimmer aber: Sie traute ihm nicht mehr, wie sie es einst getan hatte. Außerdem hatte er vor wenigen Monden seine Verlobung mit der mittleren Ragather Grafentochter bekannt gegeben. ''Seiner'' Nichte! Was, wenn aus irgendeinem unwahrscheinlichen Grund auch ''er'' dort anwesend wäre? Was, wenn die kleine Ehrenstein mehr von ihrem Onkel wusste, als sie, Richeza, ahnte? Zu der jüngsten Nichte, [[Romina von Ehrenstein-Streitzig|Romina]] hatte er stets ein gutes Verhältnis gepflegt. Was, wenn dies auch für die mittlere galt? Was, wenn sie dort gemeinsam mit dem Aranjuezer am Feuer saßen und längst schon über sie lachten? – Das war absurd! Und doch lähmte Richeza die Angst, der Schmerz, die unendliche Trauer über ''seinen'' Verrat. | |||
"Ich kann Euch nicht begleiten", sagte sie deshalb mit starrer Miene. "Ich werde in Quazzano auf Euch warten!" Sie nickte Rifada zu, ohne sie anzusehen, und ließ das Pferd antraben, langsam, Richtung Westen. Ja, ihre Tante mochte recht haben: Amando Laconda würde ihr vielleicht bis auf den Grund der Seele sehen und all das hervorbringen, was dort so lange schon verborgen lag. Ihr ganzes Leben war sie davongerannt, hatte die Praioten gemieden wie die Zorganer Pocken, genau aus diesem Grund. Aber etwas in ihr drängte der Wahrheit zu wie ein nach langen Regenfällen angeschwollener, unterirdischer Bach der Oberfläche. Sie hatte die Kraft nicht mehr, zu lügen, sich zu verstecken, zu kämpfen. Und immerhin war Amando ihr Großonkel. Er würde sie nicht verdammen. Man würde einen Weg finden. Wie auch immer der aussah: Das Leid konnte gar nicht größer werden. | |||
Verbissen lenkte Richeza das Ross durch den verharschten Schnee in die sternenlose Dunkelheit. | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Zu Richezas Überraschung - und auch zu ihrer eigenen - kam keinerlei Widerspruch von Rifada auf die plötzliche Entscheidung ihrer Nichte. Sie brummte nur ein "Rondra sei mit dir!" und ritt dann selbst in firunwärtiger Richtung davon, wo irgendwo hinter einigen Meilen abgeernteter Bausch- und Praiosblumenfelder die Latifundias des Hauses Aranjuez beginnen mussten. Natürlich hätte sie auf ihr Entscheidungsrecht als ältere bestehen können, aber insgeheim gefiel ihr sogar, dass Richeza stets ihrem eigenen Kopf folgte. Da ihre Mutter, Madalena, eine Seele von Mensch gewesen war, und auch [[Alondo Joselito von Scheffelstein|Richezas Vater]] oder ihr Großvater [[Hesindian von Kornhammer-Scheffelstein|Hesindian]] nicht unbedingt rebellische Charaktere waren, musste das Kind diese Halsstarrigkeit und seinen Trotzkopf wohl von ihr selbst - seiner Tante haben, was Rifada durchaus heimlich mit ein wenig Stolz erfüllte, sodass sich zum ersten Mal in dieser vermaledeiten Nacht so etwas wie ein kleines Lächeln in ihre Mundwinkel schlich. Der Gedanke an Belisetha ließ es jedoch sofort wieder verschwinden. Sie blickte noch einmal zum brennenden Kloster zurück. Was für ein unglückliches und unwürdiges Ende für so eine große Frau! | |||
Wenige Hundert Schritt weiter hatten zwei Reiter im Schutze der nachtschwarzen Dunkelheit die beiden sich voneinander trennenden Reiterinnen beobachtet, jedenfalls solange, wie ihre Silhouetten noch gut vor dem Feuerschein auszumachen gewesen waren. | |||
"Es sind die da Vanyas!", stellte der eine flüsternd fest. "Sie haben das Kloster niedergebrannt und fliehen jetzt!" | |||
"Ich glaube nicht, dass das Kloster wegen ihnen brannte. Hast du nicht diese fliegenden Feuerfunken, so groß wie brennende Vögel, bemerkt?", schüttelte Giordan Cronbiegler den Kopf und zog sein wärmendes Cape enger um die Schultern, da es ihn fröstelte. "Ich habe den Eindruck da war Zauberei im Spiel, auch wenn ich noch nie zuvor welche gesehen habe." | |||
"Was nun?", fragte sein Begleiter Garanos, einer der altgedienten Waffenknechte des [[Familia Harmamund|Hauses Harmamund]], der bis zur Fürstenkrönung Gwain von Harmamunds drei Jahre lang zu dessen Leibwache gehört hatte. "Welche von beiden verfolgen wir? Oder teilen wir uns auf? Wenn ja, dann folge ich der jüngeren, der kleinen Hübschen. Ihr folgt der Ogerfresse – aber passt auf, denn sie sieht auch so stark wie ein Oger aus. Ihre Oberarme sind ja fast so dick wie die Beine eines Ochsen!" | |||
"Nichts da!", schüttelte Giordan Cronbiegler den Kopf. Soweit kam es gerade noch, dass er sich als Zweitgeborener des reichsten Patriziers von Ragath irgendetwas von einem reisigen Mercenario sagen lassen musste. "Du reitest zurück und informierst Domna [[Morena von Harmamund|Morena]] über alles! Ich selbst folge der Kleinen! Wenn sie nach Ragath will, kann ich sie dort notfalls mit den Knechten meiner Famiglia dingfest machen. Diese Rifdada zu verfolgen, wäre für einen zu gefährlich. Sogar die Wilden machen einen Bogen um dieses Weibsstück. Domna Morena wird dir sagen, was weiter zu tun ist. Ich melde mich dann selbst oder per Boten, sobald ich weiß, wo die Kleine hin will." | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Borlando di Aragança|di Aragança]] | |||
Einige hundert Schritt vom lichterloh brennenden Kloster entfernt ließ Rahjeline die Pferde kurz wenden, und glotzte ratlos in Richtung des flammenden Infernos. | |||
So weit war sie nun gekommen. Dummerweise war sie aber komplett allein, und erstmals seit zwei Jahren, ausserhalb der Klostermauern. Schlagartig wurde ihr klar, dass sie noch niemals zuvor in dieser göttervergessenen Gegend gewesen war. Rahjeline hatte also nicht den Funken einer Ahnung wo sie gerade war, beziehungsweise in welche Richtung sie nun weiterreisen sollte. | |||
Vor allem, was würde sie tun wenn ihr wieder diese Feuervögel um die Ohren flogen oder gar dieser gruselige Reiter über den Weg lief? Unentschlossen blickte Rahjeline abwechselnd in Richtung des Klosters, dann wieder den Klosterweg hinab, der in die unbekannte Dunkelheit führte. Das alles sah nun ganz und gar nicht mehr gut aus. Wie soll es denn nun weitergehen? | |||
Plötzlich konnte sie Fragmente eines wilden Fluches ausmachen der vom Kloster zu kommen schien. Eine schaurige, sich überschlagende Stimme schrie etwas wie "Canaille" und "in Stücke hauen". Domna Rahjeline lief es eiskalt den Rücken runter. | |||
Als sie kurz danach, aus der Richtung des Klosters, näherkommendes Pferdegetrappel ausmachen konnte, war Rahjeline der Panik nahe. Das waren nun sicher die Boronspriester die sie wieder einfangen wollten. Jetzt wo mindestens eine ihrer Retterinnen zu Tode gekommen war hatte Rahjeline gar niemanden mehr dem sie vertrauen konnte. Sie musste hier weg! Schleunigst! | |||
An ein Abweichen vom Wege war hier, war nicht zu denken, ohne sich dabei den Hals zu brechen. Also verstecken fiel aus. So gab die verlorene Abundilerin dem Pferd, ein überaus erfahrenes Tier übrigens, die Sporen, und versuchte so viel Abstand zu ihren Verfolgern zu gewinnen wie möglich. Das Packpferd trabte derweil unverdrossen hintendrein. | |||
Nach einer Ewigkeit, zumindest kam es Rahjeline so vor, erreichte sie ein Dorf Names Valenca, und machte sich sofort auf die Suche nach einer wärmenden Schenke. Zum Glück war diese schnell gefunden, denn Rahjeline fror seit geraumer Zeit wie ein Schneider. Im Gasthof "Zur Goldenen Weinrebe" wurde ihr erst klar, dass sie als Adelige aus sehr gutem Hause über keinerlei Barschaft verfügte. Eine äußerst befremdende Erfahrung. Einzig die beiden Pferde waren in Rahjelines "Besitz". Sie würde sich wohl von einem der Tiere trennen müssen. | |||
Der Wirt, ein harter Verhandler, war bereit für das edlere der beiden Pferde eine warme Mahlzeit, warme Bekleidung und ein wenig Proviant herauszurücken. Rahjeline die gar keine andere Wahl hatte, sondern einfach nur so schnell wie möglich weiterreiten wollte, ging auf den unfairen Handel zwangsläufig ein. | |||
Sie stürzte das warme Essen so schnell es ging hinunter, und kleidete sich in die warmen Sachen welche die Wirtin nur äusserst ungern herausgab. Das unwillige Brummen ihres Gemahls, veranlasste die stattliche Dame dann aber doch dazu sich auch von ihrem warmen Lieblingsmantel zu trennen. Auf Rahjelines Bitte erklärte der Wirt noch kurz den Weg nach Schrotenstein und weiter nach Ragath. | |||
Danach verließ Domna Rahjeline, endlich warm, aber viel zu vulminös angezogen, die goldene Weinrebe, sattelte um auf das verbleibende Packpferd, und ritt vom Gasthof. | |||