Chronik.Ereignis1033 Feldzug Gwain 03: Unterschied zwischen den Versionen

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==In der [[Baronie Schrotenstein]], 18. Rondra [[Annalen:1033|1033]] BF==
==In der [[Grafschaft Yaquirtal]], 16. Rondra [[Annalen:1033|1033]] BF==
=== Heerlager wenige Wegmeilen südlich von Schrotenstein ===
=== Heerlager des Marschalls auf der Schwanenhöhe nahe [[Punin]]===


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=====18. Rondra, abends=====
=====16. Rondra, morgens =====
'''Autor:''' [[Benutzer:Der Sinnreiche Junker von Aranjuez|Der Sinnreiche Junker]]
'''Autor:''' [[Benutzer:Ancuiras|Ancuiras]]


"Vielleicht wollen Euer Hochgeboren sich ... etwas ... Repräsentableres anziehen?", näselte der Herold beim Blick auf die blinde, verbeulte Rüstung des Aranjuezers. Auch ein Besuch beim Barbier hätte gewiss nicht geschadet, doch wagte der Mann wohl keinen ganz so offensichtlichen Tadel. Als der Condottiere ihn freilich verständnislos anblickte, zuckte der in Brokat und Seide gehüllte Höfling nur mit den Schultern, und schlug die Plane am Eingang des Feldherrenzeltes beiseite, sodass der Neuankömmling eintreten konnte.


Beinahe einen Mond war sein letzter Abstecher in die Zivilisation nach Aranjuez beziehungsweise [[Ragath]] her, länger noch der Aufbruch von der Landständeversammlung gen Kornhammer. Entsprechend heruntergekommen sah [[Hernán von Aranjuez]] aus, wiewohl er sich damit prächtig ins Bild seiner Leute einfügte, die vor einem halben Wassermaß erschöpft das Nachtlager des langersehnten Entsatzheeres erreicht hatten. Oder zumindest eines Teiles desselben, denn der Marschall hatte wohlweislich nur die beweglicheren Teile seiner Streitmacht soweit nach Osten befohlen, derweil der Hauptteil des Heeres auf der Reichsstraße gen Norden zog. 


[[Gualterio Colonna]] indes mochte etwas enttäuscht drein geblickt haben, dass sich der Eingang zum Feldherrenzelt nur für seinen Onkel geöffnet hatte, doch hatte ihn [[Rondago Farugor von Aranjuez|Rondago von Aranjuez]] rasch hinfort geschoben. Und letztendlich waren beide froh, endlich die müden Glieder ausstrecken zu können. Der Magier, da man ihm noch immer ansah, dass es einiges seiner Kräfte bedurft hatte, um die Verwundeten in Grezzano soweit wiederherzustellen, dass man sie guten Gewissens auf einem Karren transportieren konnte. Und der junge Bastard, weil er die vergangenen Tage im Sattel verbracht hatte. Einmal [[Punin]] und zurück steckten in seinen Knochen, und dem musste nun auch das Ungestüm der Jugend Tribut zollen.


Einzig der scheinbar unverwüstliche [[Anzures Ballan]] hatte sich verabschiedet. Mit dem Arm in der Schlinge war er ohnehin keine große Hilfe beim Aufschlagen des eigenen Lagers, sodass er sich mit einem gemurmelten "Mal sehen, ob sich hier nicht irgendwo eine Würfelrunde auftreiben lässt ..." unter die Kaiserlichen gemischt hatte.
Gwain rannte, so schnell er konnte, doch er schien nicht vom Fleck zu kommen. Er wusste, dass die Bestien hinter ihm her waren, doch er rannte immer geradeaus auf der Straße weiter. Aus irgendeinem Grund kam er nicht auf die Idee, die Straße zu verlassen und sich zu verstecken.
Er war nicht allein. Neben ihm lief Kaiser Reto, wie Gwain ihn noch als junger Knappe kannte: Ein kräftiger Mann im besten Alter, ebenso alt wie Gwain zu Zeiten der Ogerschlacht, mit rotem Haar und Bart. Auch der Kaiser floh, doch sie konnten noch so schnell rennen, das Grunzen und Stampfen der Oger kam immer näher. Gwain wusste, wie furchtbar diese Ungeheuer aussahen, doch als sie sich umdrehten, erstarrte er trotzdem vor Schreck: Die Oger war nicht zwei oder drei, sondern fünf Schritt groß und hatten die Körper muskelbepackter Krieger! Doch am fürchterlichsten war ihr Antlitz: Reto und Gwain blickten in ihre eigenen, zu Fratzen entstellten Gesichter, die voller Zorn auf sie herab blickten. Fast waren da die Ungeheuer, die Riesenmenschen heran, schon konnte er ihren Atem in seinem Nacken spüren...
In diesem Augenblick erschollen Fanfaren. War das die Rettung, war das Reichsheer schon heran?


"Hernán von Aranjuez", meldete derweil der Herold im Inneren des Feldherrenzeltes, sobald [[Gwain von Harmamund]] den Blick vom Kartentisch gehoben hatte.  
Langsam wachte Marschall Gwain von Harmamund auf, noch langsamer kam die Erkenntnis, dass er nur die Fanfaren zur sechsten Stunde hörte, die ihn jeden Morgen weckten.


"Exzellenz", hieb sich der Condottiere die gepanzerte Rechte zum Gruß auf die Brust.  
Er fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und versuchte die Bilder zu vertreiben, die in all der Zeit nichts von ihrem Schrecken verloren hatten. Wie ein Gemälde hatten sie sich in seiner Erinnerung eingegraben. Oger, die aussahen wie menschlicher Krieger, was für ein Unsinn! Er hatte diesen Traum schon oft gehabt, das erste Mal in den Tagen vor der Ogerschlacht vor mittlerweile... verdammter Satinav, vor  dreißig Jahren! Und er war schon damals nicht mehr ganz jung gewesen.


"Caballeras y Caballeros, ich denke, für heute ist alles besprochen", entließ der Marschall Seiner Majestät seine Offiziere, die daraufhin nacheinander das Zelt verließen, mancher noch mit einem Nicken für den Neuankömmling, während andere ihn bewusst ignorierten. Folgen einer bewegten Vergangenheit.
Er verspürte keine Lust aufzustehen, dabei war heute doch der große Tag. Vielleicht wirst du zu alt? fragte eine garstige Stimme in seinem Kopf, und du hast gerade deshalb keine Lust dich zu erheben, eben weil heute der große Tag ist?


"Willkommen zurück", begrüßte ihn Gwain von Harmamund knapp, sie ergriffen für einige Momente den rechten Unterarm des jeweils anderen, dann bat der Marschall seinen ehemaligen Adjutanten an den Kartentisch. Sie hatten manchen Strauß zusammen gefochten, doch bestand kein Grund für Sentimentalitäten. "Ihr seid verwundet?", wies der Marschall auf den Gehstock, auf welchen sich sein Gast auffällig stützte.  
Stöhnend setzte er sich auf. Seine Schulter schmerzte, seit dieser unsägliche Vesijo ihn dort beim Übungskampf getroffen hatte. Trotz Rüstung, wohlgemerkt! Früher hätte er mit eben jener Schulter gezuckt und gelacht, aber heute? So sollte er sich den Ogern zum Kampf stellen? Er würde Jüngere in die erste Reihe lassen müssen, dafür war er ja nun der Marschall, aber trotzdem...  


Dieser vollführte eine wegwerfende Geste, ließ sich aber dennoch dankbar auf den angebotenen Feldstuhl nieder. "Also?", fuhr der Marschall fort. "Wie ist die Lage in [[Kaiserlich Selaque]]?"
Während er sich ankleidete, ging er noch einmal alles in seinem Kopf durch und bald kehrte auch die Zuversicht zurück. Endlich konnte er handeln, endlich hatte der Kaiser die Erlaubnis erteilt, gegen die Oger und die Wilden vorzurücken. Es war eine Schande, dass er so lange hatte warten müssen, den bedrängten Baronien entlang des Raschtulswalls zur Hilfe zu eilen, aber der Kaiser musste ja zunächst gebührend seine Heirat feiern, seine Heirat mit einer Ungläubigen!


Der Baron und Junker strich mit den in Eisen gekleideten Fingern über jene Stelle des Papieres, welches in etwa dem Gebiet des Cronlehens entsprach. "Unverändert, Eure Exzellenz." Über die augenblickliche Lage hatte er den Marschall bereits mit dem Schreiben informiert, welches sein Neffe Gualterio nach Punin gebracht hatte. Seither war wenig Weltbewegendes geschehen.  
Aber immerhin hatte ihm dies genug Zeit gegeben, ein angemessenes Heer zu sammeln und auszurüsten. Mit Ferkinas hatte er genug Erfahrung, auch wenn sie sich diesmal in ungeahnter Zahl und Wildheit in die Ebene hinab gewagt hatten. Einem wohl gerüsteten kaiserlichen Heer indes hatten sie im Tal, fernab der zerklüfteten Hänge des Raschtulswalls, nur wenig entgegen zu setzen. Die Oger waren indes die schrecklicheren Gegner, das hatte er vor drei Jahrzehnten selbst am eigenen Leib miterlebt. Ihre Kraft wurde nur noch durch ihre Fressgier überboten und sie konnten zwei, drei Reiter mit einem einzigen Hieb ihrer baumstarken Keulen zu Boron schicken. Die Kunst war, es gar nicht so weit kommen zu lassen und sie bereits mit Lanzen, Piken und Geschossen zu schwächen, bevor sie heran waren. Am Ende kam man um einen Nahkampf mit alle seinen Gefahren nicht herum, wenn man ein solches Ungetüm endgültig zur Strecke bringen wollte. Es bedurfte vieler Schwest- oder Axthiebe, bis man einen ausgewachsenen Menschenfresser zur Strecke gebracht hatte. Aber ihm standen genug Soldaten zur Verfügung und im Gegensatz zur Ogerschlacht war es kein tausendköpfiges, durch eine höhere Macht gesteuertes Heer, das sich ihnen entgegen stellte, sondern einige lose zusammenhängende Sippen. Mit überlegener Taktik und Disziplin würde man wie gegen die Ferkinas die Verluste in den eigenen Reihen in Grenzen halten können.


"Ich verstehe. Was könnt Ihr mir über diese unglückselige Fehde berichten?" Gwain von Harmamund war an einen anderen Tisch getreten, und hatte zwei Kelche gefüllt. Mit reichlich Wasser verdünnter Wein, wie Hernán von Aranjuez ohne große Überraschung feststellte. Dieses Thema war freilich ungleich heikler, sodass er es bewusst in seiner Depesche größtenteils ausgespart hatte. Freilich hatte er zuletzt ein wenig Zeit gehabt, sich hinsichtlich eines solchen Gespräches Gedanken zu machen. Natürlich würde man in Punin und Ragath wissen wollen, was in den letzten Wochen in dieser Ecke Almadas vorgefallen war. Und zweifellos würde man gerade in Ragath auch seine Rolle bei dem Ganzen einer kritischen Prüfung unterziehen, entsprechend vorsichtig galt es die Worte abzuwägen. Doch wo beginnen?
Es klopfte an die Tür und Gwain bat seinen Adjutanten herein.


"Nun, wie Eurer Exzellenz bestimmt bekannt ist, brachen wir zunächst von der Landständeversammlung zu Ragath gen Kornhammer auf, Dom [[Hesindian von Kornhammer-Scheffelstein|Hesindian]] dringend benötigte Verstärkung zu bringen. Wer nun diese Eskalation zu verantworten hat, vermag ich nicht zu sagen, jedoch befanden wir uns seit Ragath in der Gesellschaft Domna [[Rifada da Vanya|Rifadas]]. Welche reichlich unangenehm zu sein vermag, wenn Eure Exzellenz mir diese Bemerkung erlauben."
„Geht es Euch wohl, Euer Exzellenz?“


Dom Gwain winkte mit dem Anflug eines Lächelns ab, kannte er als Harmamund die wenig umgängliche Junkerin doch nur allzu gut.
„Mir ging es nie besser! Heute geht es gegen den Feind.“ Er blickte seinen Untergebenen streng an. „Wieso glaubt Ihr, Euch nach meinem Befinden erkundigen zu müssen?“


"Von [[Praiosmin von Elenta]] hingegen keine Spur, weder in Ragath noch in Kornhammer. Dort erhielt Domna [[Richeza von Scheffelstein y da Vanya|Richeza]] Zeitung, dass sich Domna [[Fenia von Culming]], die Witwe ihres Onkels, des [[Ramiro von Alcorta|Alcortas]] mit dessen kleinem Sohne auf den Weg in die Berge gemacht habe, einen Wunderheiler aufzusuchen. Welch Narretei in diesen unruhigen Zeiten!"
Der junge Leutnant rief rot an. „Verzeiht, aus keinem besonderen Grund. Ich hörte Euch nur im Schlaf ausrufen. Ich glaube, Ihr nanntet den Namen Kaiser Retos.


Beim Gedanken daran schüttelte der Baron und Junker abermals ungläubig das Haupt, ehe er fortfuhr: "Sei's drum, wie Eure Exzellenz von Omlad her wissen, war ich Dom Ramiro in vielerlei Hinsicht verbunden, sodass die Ehre es gebot, sich der Suche nach seinen Hinterbliebenen anzuschließen. Und auch Dom [[Stordan von Culming|Stordan]], der Bruder Domna Fenias, ist mir vom Yaquirbruche her kein Unbekannter. Jener Suche jedenfalls war zunächst kein Erfolg beschieden, doch stießen wir immerhin auf Dom [[Gendahar von Streitzig ä. H.|Gendahar von Streitzig]], welcher die Vernichtung des Rossbannerordens durch die Ferkinas überlebt hatte."
„Reto? Was redet Ihr für ein Zeug, Mann? Ihr solltet Euch lieber in Rhetonik üben und den Mund halten, wenn Ihr nichts zu sagen habt.“ Sein Lächeln strafte seine harschen Worte Lügen. Als er heraus ging, klopfte er dem jungen Mann auf die Schulter. „Gebt den Obristen Bescheid. Die Regimenter sollen wie besprochen zur zehnten Stunde aufmarschieren.


"Es heißt ...", unterbrach ihn der Harmamunder "... Graf [[Brandil von Ehrenstein|Brandil]] und seine werte Gemahlin seien außer sich gewesen, über die dahingehend geschickte Nachricht."


Hernán von Aranjuez mit den Schultern, und gönnte sich einen Schluck aus seinem Kelch. "Davon weiß ich nichts. Doch bedenke ich die Art und Weise, wie Domna Rifada ansonsten von Seiner Hochwohlgeboren und den Seinen spricht, meine ich mir den Tonfall jener Depesche ungefähr vorstellen zu können."
Zur befohlenen Stunde stand das Heer des Kaisers, das sich den Gefahren im Osten des Königreichs entgegen stellen sollte, auf der Schwanenhöh vor Punin bereit. Gwain saß auf seinem Rappen, in vollem Plattenharnisch und dem Wappenrock des Kaiserlichen Marschalls. Beim Anblick der mehrhundertköpfigen Armee, die er in den nächsten Wochen befehligen würde, und deren Schicksal in seinen Händen lag, wusste er wieder, weshalb er über Jahre und Jahrzehnte diese Position angestrebt hatte. Vergessen waren die Zweifel der Nacht, des Alters, vergessen, dass er einem Kaiser diente, der sich mit den Erbfeinden südlich des Yaquir verbündet und mit ihm angebandelt hatte.  Die Zeit der Politiker, Intriganten und Ränkeschmiede war vorbei. Jetzt war die Stunde des Marschalls.


"Es heißt auch, Seine Hochwohlgeboren sei außer sich gewesen, als ein gewisser Condottiere später auf Castillo Ragath vor ihn trat?" Der Tonfall des Marschalls war beinahe lauernd.  
Er ritt die Reihen der Soldaten entlang und musterte sie mit wachem Blick. Er wollte sich ihre Gesichter einprägen, die Atmosphäre einfangen, die Begeisterung gar, wie es sie nur in der Stunde vor dem Aufbruch zu einem Kriegszug gab. Die Ernüchterung würde früh genug kommen, das war gewiss, doch daran verschwendete er heute keinen Gedanken. Er nickte der einen oder anderen Pikenierin, dem einen oder anderen Bogenschützen aufmunternd zu und wurde durch das Leuchten in ihren Augen belohnt.


Davon wusste natürlich Hernán von Aranjuez umso mehr. "Aye, doch davon später. Zunächst kehrten wir nach Castillo da Vanya zurück, doch hatte Praiosmin von Elenta sich dessen inzwischen bemächtigt. Dessen wurden wir freilich erst gewahr, als wir schon in den Burghof eingelassen und umzingelt waren. Dies war nun das erste Mal, dass die Elenterin auf den Plan trat, nachdem sie zuvor auf Castillo Albacim die Tore verrammelt hatte, und Land und Leute Selaques ihrem Schicksal und damit den Ferkinas überlassen hatte."
„Ihre Majestät der Kaiser!“, erschallte ein Ruf, der sogleich von Fanfarenklang übertönt wurde. Gwain riss die Zügel seines Rosses herum. Von der Brücke her ritt die Kavalkade des kaiserlichen Gefolges heran, angeführt von der schwarz gekleideten, schlanken Gestalt Hals des Zweiten selbst. Hinter ihm kamen der Kanzler und weitere Höflinge und Magnaten, allen voran die Grafen von Ragath und Yaquirtal. Gwain ritt zurück auf die Anhöhe und erwartete den Kaiser dort.  


Sachte hob Gwain von Harmamund die Rechte. "Seid Ihr dessen gewiss? Habt Ihr unwiderlegbaren Beweis dafür? Oder handelt es sich dabei viel eher um Hörensagen? Bedenket, immerhin sind dies keine geringe Anschuldigungen wider eine bedeutende Vasallin Seiner Majestät."
„Euer Kaiserliche Majestät“, sprach er und senkte das Haupt, „das Heer steht bereit. Wir können noch heute Mittag aufbrechen.


Zähneknirschend senkte Hernán von Aranjuez sein Haupt. "Hörensagen", räumte er widerwillig ein. "Doch würd' ich meine Hand dafür ins Feuer legen, dass dem so war. Vielleicht nicht die Rechte, wohl aber die Linke. Unwiderlegbaren Beweis freilich ..."
Hal II. ließ seinen Blick über die Reihen der Soldaten schweifen, ohne irgendeine Gefühlsregung erkennen zu lassen. Stille hatte sich über die Gesellschaft und das ganze Heer gelegt, nur ein gelegentliches Hufscharren und Wiehern war zu vernehmen.  


Der Marschall nickte verstehend, und bedeutete seinem Gast mit einer Handbewegung fortzufahren. Und dieses Thema wohl besser auszusparen. "Zurück zum Burghof."
Es war nicht zu erkennen, ob ihn der Anblick des Heeres mit ebensolchen Stolz erfüllt wie seinen Marschall. Er mochte die Truppen ebenso für einen jämmerlichen Haufen halten, der seiner nicht würdig war. Gwain hatte noch immer nicht gelernt, im Antlitz des Kaisers zu lesen. Er bezweifelte, dass irgendjemand bei Hofe dazu wirklich in der Lage war, seit Ihre Majestät wieder von den Toten auferstanden war und bisweilen seltsam entrückt schien. Alle bei Hofe versuchten indes, aus den Worten, der Mimik und den Gesten das heraus zu lesen, was sie hören und sehen wollten, was ihnen genehm war und ihren Absichten entsprach. Die Meisterschaft der Kunst, den Willen des Kaisers im eigenen Interesse zu deuten, hatte unzweifelhaft der Kanzler erlangt, Rafik von Taladur, der sich jetzt neben dem Kaiser positioniert hatte.


"Wie gesagt fanden wir uns dort umzingelt und mit Waffengewalt bedroht wieder. Man verdeutlichte uns, dass wir, das heißt Dom Gendahar, welcher verwundet und bei schlechter Gesundheit war, und ich, ‒ dass man uns als Feinde erachten würde, sofern wir uns nicht von Leuten der Vogtin aus Kaiserlich Selaque hinaus begleiten ließen."
„Wollt Ihr das Wort an die Frauen und Männer richten?“, fragte der Marschall, als der Kaiser keine Anstalten machte, etwas zu sagen. „Oder soll ich das übernehmen?“, schob er hinterher, was Dom Rafik mit hochgezogenen Brauen quittierte. Im Hintergrund sah er, wie die Grafen von Ragath und Yaquirtal tuschelten. Hätte er den Kaiser das nicht fragen dürfen? Hätte er warten sollen, bis er das Wort von selbst ergriff?


"Welches Ihr zuvor ohne Erlaubnis der Cronvogtin betreten hattet ...", flocht der Gastgeber scheinbar leidenschaftslos ein.  
Der Kaiser blickte ihn stumm an und für einen kurzen Moment erkannte Gwain, dass er trotz seiner Erhabenheit nichts anderes war als ein Jüngling, dessen bisheriger Werdegang von so vielen schicksalhaften Wendungen bestimmt worden war, wie sie die meisten Menschen ihr ganzes Leben lang nicht erlitten. Sogleich  bemächtigte sich seiner aber wieder die Maske der Kaiserlichen Majestät, des Herrschers über das Neue Reich. Er nickte seinem Marschall zu.


Verdammt! Hatte der Kaiserliche Marschall, hatte Punin bereits einen Bericht der Bosquirischen Jungfer erhalten? Das sähe ihr ähnlich, dass sie ihre Widersacher längst angeschwärzt, längst ihre Version der Geschichte in Umlauf gebracht hatte! Zeit genug hatte sie ja gehabt, nachdem sie auf Castillo Albacim die Hände in den Schoß gelegt hatte.  
Das hieß wohl, dass er nicht selbst sprechen wollte.  


"Eure Exzellenz wissen, dass es weder Dom Gendahar noch mir möglich war, einer solchen Aufforderung nachzukommen. Wir hatten weder Domna Fenia, noch ihren Sohn gefunden, und dazu kam nun auch die vermisste Tochter Graf Brandils. Ehre und Pflicht geboten es, sich nicht einfach so aus dem Staube zu machen. Und wir konnten doch nicht einfach zusehen, wie diese Hinterwälderinnen sich in einer solchen Lage selbst zerfleischen!"
Gwain verbeugte sich noch einmal vor seinem Kaiser und ignorierte den Rest des Hofstaats. Er wendete sein Pferd und wandte sich den Soldaten zu. Sonst war er nicht verlegen, wenn er zu seinen Männern und Frauen sprach, aber die Anwesenheit des schweigsamen Herrschers und seines  Gefolges und Hofstaats irritierte ihn. Nun, er würde sich kurz fassen. 


Ob der alte Kämpe ihm da zustimmte, mochte er nur erahnen. Wiederum bedeutete ihm eine Handbewegung fortzufahren. Seufzend hob Hernán von Aranjuez wieder an: "Doch Praiosmin von Elenta wollte nicht mit sich reden lassen. Man sollte doch meinen, dass sie zumindest Dom Gendahar, immerhin einen Anverwandten des Kaisers wie des Grafen, anhören würde. Stattdessen hat sie uns angegriffen." Nun ja, das war womöglich etwas vereinfacht dargestellt, wollte man es ganz genau nehmen.
„Caballeros und Soldaten des Königreichs“, rief er, so dass man ihn bis in die hintersten Reihen hören würde.  


"Domna Richeza, Dom Gendahar, Dom [[Moritatio da Vanya|Moritatio]] und ich konnten uns in den Bergfried und von dort in die Freiheit retten. Domna Rifada hielten wir für tot, doch geriet sie, wie wir erst später erfuhren, in Gefangenschaft. Wir haben uns dann getrennt, da insbesondere mit Dom Gendahars Verwundung wenig Aussicht bestand, den Verfolgern zu entkommen. Während die anderen sich in einer verlassenen Steinbrechersiedlung namens Grezzano versteckten, habe ich mich mit meinen Leuten nach Ragath durchgeschlagen. Wo ich im Übrigen meinem Vetter Rafik ein Bündel von Briefen übergeben habe, welches dem Ansehen der Elenterin kaum zum Vorteile gereichen wird."
„Des Kaiserreichs“, hörte er Dom Rafiks besserwisserische Stimme in seinem Rücken.


"Es wird Euch freuen zu hören, dass Dom Rafik knapp einem Überfall entronnen ist. In seiner Herberge geschahen grässliche Morde, doch Euer Vetter ist wohlauf. Man munkelt freilich gar etwas von der Heiligen Inquisition ..."
Der Marschall hielt inne. Konnte der Mann nicht einmal seinen Mund halten? Natürlich war Hal II. Kaiser, aber heute waren nun einmal nur die Truppen des Königreichs versammelt. Vermutlich würde der Kaiser es aber genauso sehen wie Dom Rafik.


Der Baron und Junker überlegte fieberhaft. Die Heilige Inquisition beschäftigte sich mit dem Fall? Hinsichtlich der angeblichen Liebschaft Praiosmin von Elentas mit Rakolus dem Schwarzen? Oder aus anderen Gründen? Hatte sein Vetter die belastenden Briefe noch? Der Elenterin war vieles zuzutrauen, aber schwarze Magie?
„... und des ganzen Kaiserreichs!“, ergänzte Gwain mit einem verärgerten Seitenblick auf den Kanzler, der ihm hingegen ein aufmunterndes Lächeln schenkte. „Heute sind wir hier versammelt, um gemeinsam eine Gefahr zu bannen, wie wir sie lange nicht mehr gegenwärtigen mussten. Horden menschenfressender Ungeheuer und blutsaufender Wilder sind in das Land eingefallen und haben ganze Dörfer, ja ganze Landstriche verwüstet! Es gilt, diesem Treiben Einhalt zu gebieten und die rahjawärtige Grenze unseres geliebten Kö... Kaiserreiches zu verteidigen.“


So nickte er nur knapp, und setzte seine Geschichte mit einem schiefen Grinsen fort: "Von meinem Besuch in Ragath haben Eure Exzellenz ja offensichtlich bereits gehört. Dort erhielt ich von Seiner Hochwohlgeboren den Auftrag, seine Tochter Domna Romina zu finden, welche sich nicht unter den Gefallen befunden hatte, sodass zu befürchten stand, dass die Wilden sich ihrer bemächtigt hatten. Hierzu stellte Seine Hochwohlgeboren mir den gräflichen Castellan, Dom [[Rondrigo vom Eisenwalde]], mit einer entsprechenden Bedeckung zur Seite."
Er machte eine weitere Pause. Hatte da hinter ihm jemand gelacht?


Dass er ohnehin vorgehabt hatte zurückzukehren und dementsprechend bereits bei Dom [[Ludovigo Sforigan|Vigo]] Mercenarios geworben hatte, war ein Detail, welches er nicht explizit erwähnte, doch war dem Marschall ohnehin klar, dass ein Hernán von Aranjuez diese Geschichte nicht so auf sich hätte beruhen lassen.
Gwain räusperte sich. „Ihre Kaiserliche Majestät, Hal der Zweite von Gareth und Almada, hat uns zusammen gerufen, um gegen diesen Feind zu Felde zu ziehen und ihn zu vernichten!“ Er zog sein Schwert und streckte es gen Alveran. „Mit dem Beistand Rondras und der Zwölfe werden wir siegreich sein!“


"Zurück in Grezzano ...", fuhr er nach einem abermaligen Befeuchten der Kehle fort "... trafen wir schließlich auf jene, die zurückgeblieben waren. Glücklicherweise hatte sich Domna Romina befreien können, und auch der kleine Praiodor war gefunden worden. Seine närrische Mutter freilich ist zu Boron gefahren, möge ihre Seele Frieden finden. Auch Eurer Exzellenz Nichte, Domna [[Morena Solivai von Harmamund|Morena]] traf schließlich dort ein, um mir Eurer Exzellenz Befehl zu überbringen. Es gab einige Komplikationen bis zur schlussendlichen Abreise Domna Rominas und ihrer Bedeckung, doch will ich Eure Exzellenz nicht mit derlei Details langweilen."
Rondra plus zwölf macht dreizehn, sagte eine innere Stimme, die sich verdächtig nach dem Kanzler anhörte. Noch ein Schnitzer. Es wurde Zeit, zum Ende zu kommen.
 
„Gemeinsam werden wir im Namen des Kaisers streiten und siegen.“ Weitere Male fuhr seine Klinge in die Höhe, als er rief: „Vivat Hal Secundo, Vivat Almada!“
 
Sein Ruf wurde von vielen hundert Kehlen aufgegriffen. Das Echo war so erhebend und wirkte so aufrichtig, dass er wieder mit Stolz und Zuversicht erfüllt wurde. Für die Männer und Frauen war es gleich, ob seine Ansprache den höfischen Gepflogenheiten entsprach. Für sie zählten nur seine Fähigkeiten als Heerführer, dass er sie mit möglichst geringen Verlusten zum Sieg führte. Noch mehrmals brandeten Jubel und Hochrufe auf und als sich Gwain zum Kaiser umdrehte, sah er, dass der Funken auf ihn übergesprungen war und seine Augen leuchteten.
 
Die Zeiten wohlfeiler Reden waren vorbei. Die Stunde Rondras war gekommen - die Stunde des Marschalls.
 
 
Noch eine ganze Weile hatte der Kaiser auf der Schwanenhöh ausgeharrt und seinen Truppen die Ehre seiner Anwesenheit gegeben. Nun, nachdem er und der Kanzler mit den restlichen Höflingen wieder in die Stadt aufgebrochen waren, versammelte Gwain die wichtigsten Magnaten und Offiziere in seinem Zelt, um sein Vorgehen zu erläutern. Während er bei seinen Offizieren hoch im Ansehen stand, gab es unter den Magnaten noch immer viele, die noch immer nur einen Answinisten in ihm sahen. Nun, auch sie würde sich der Befehlsgewalt beugen müssen, die ihm der Kaiser verliehen hatte.
 
In der Mitte des Zeltes war auf einem Tisch eine Karte der Grafschaft Ragath ausgebreitet, auf der alle wichtigen Festungen, Straßen und Ansiedlungen eingezeichnet waren.
 
„Die Hauptmacht wird sich auf der Reichsstraße II nach Norden bewegen, etwa bis zur Quelle des Yaquir, damit wir keine Zeit verlieren. Falls sie früher dort eintreffen als ich, werden sie dort auf mich warten. In Caldaia ist der Ansturm am stärksten, so dass der größte Teil der Truppen möglichst schnell dorthin gelangen sollte. Vor allem die schwer gerüsteten Pikeniere und Hellebardiere müssen sich ohne Umschweife dorthin auf den Weg machen. In Ragath werden die Truppen noch durch schwere Gardereiter ergänzt.“
 
Er blickte in die Runde, aber soweit schienen keine Fragen zu bestehen.
 
„Den kleineren Teil des Heeres, vor allem aus leichter Reiter und Infanterie und Bogenschützen bestehend, werde ich zunächst nach Selaque führen, um mit den dortigen Ogern und Ferkinas aufzuräumen. Dreihundert Männer und Frauen sollten dafür ausreichen; zusammen mit den Soldaten und der Landwehr des Barons von Schrotenstein und der Vogtin von Selaque.“
 
„Verzeiht, Exzellenz“, meldete sich Graf Brandil zu Wort. „Nach meinen Erkenntnissen werden sich die letztgenannten Truppen eher gegeneinander an die Gurgel gehen, als gemeinsam gegen den Feind zu streiten...“
 
„Das sollen sie wagen!“ Gwain musterte den als wenig durchsetzungsstark bekannten Grafen abschätzig. „Wenn ein Machtwort von Euch sie bislang nicht zur Räson brachte, hat ein Machwort des Kaisers, vorgetragen durch seinen Marschall, hoffentlich mehr Gewicht. Außerdem habe ich noch einen Mann vor Ort, Dom Hernán.“
 
Brandil von Ehrenstein und Streitzig setzte seine sauertöpfische Miene auf. „Auf ihn solltet Ihr auch nicht allzu viel Hoffnung setzen. Auch er scheint mehr damit beschäftigt zu sein, eigene Fehden auszufechten. Nach allem, was man weiß, hat er das Junkergut Alina niederbrennen lassen.“
 
„Das wird zu einem späteren Zeitpunkt zu besprechen sein“, beschied er dem Grafen. „Aber Ihr habt Recht. Ich werde mich nicht nur auf Dom Hernán verlassen. Ich bedarf auch den Rat weiterer, welche die jüngsten Geschehnisse dort miterlebt haben.“ Er suchte den Blick eines großgewachsenen blonden Mannes, der sich bislang eher desinteressiert im Hintergrund gehalten hatte. „Streitzig, auch Ihr werdet mich nach Selaque begleiten.“
 
Bevor der Thangolforster antworten konnte, trat sein Vater vor, Graf Praiodar von Streitzig. „Exzellenz, das wird leider nicht möglich sein. Wie vereinbart, wird das Yaquirtaler Kontingent mit dem Hauptheer nach Norden ziehen, und ich habe meinem Sohn das Kommando über die Soldaten übertragen.“ Er breitete die Arme aus. „Es tut mir leid, dass es sich nicht anders einrichten lässt, aber mit den Ereignissen in Selaque hat mein Sohn ohnehin nichts zu schaffen.“
 
„Das habt Ihr mir schon bei unserer letzten Unterredung gesagt, aber nach allem, was ich weiß, dürfte er doch das eine oder andere mitbekommen haben.“
 
„Mag sein, aber wie gesagt befehligt er die gräflichen und Soldaten und...“
 
„Seid unbesorgt“, ergriff Dom Gendahar das Wort und legte seinem Vater begütigend die Hand auf die Schulter. „Ich habe in Ahumeda von Lindholz eine fähige Capitana, die unsere Soldaten an meiner Stelle anführen kann, bis wir wieder zum Hauptheer stoßen. Da ich ja nicht mehr Banus der Grafschaft bin, werden die Männer und Frauen es verkraften, mich eine Zeit lang nicht an ihrer Seite zu wissen.“ Er blickte zum Marschall. „Euer Exzellenz, ich stehe zu Eurer vollsten Verfügung.“
 
„Sehr gut“, sprach Gwain und verkniff sich ein Grinsen angesichts des Blicks, den der Vater seinem Sohne zuwarf. „Wir brechen in zwei Stunden auf. Rondra sei mit uns!“
 
„Rondra sei mit uns“, wiederholten fast alle Magnaten und Offizieren wie aus einem Mund und unterbanden damit jeglichen weiteren Disput.


Der Marschall würde früh genug von seiner Nichte erfahren, dass der junge da Vanya ihr Ross gestohlen hatte, sie sich sodann zur Verfolgung zweier seiner Rösser bemächtigt hatte und daraufhin auch Domna Romina und ihre kleine Freundin nichts Besseres eingefallen war, als auf anderer Leute Pferde hinterher zu preschen. Sollte jemand anderes den Denunzianten spielen.


"Im allgemeinen Chaos dieser Augenblicke sah ich mich gezwungen Domna Richeza festsetzen zu lassen. Zu ihrer eigenen Sicherheit, wie auch zur Durchsetzung des Befehles Eurer Exzellenz. Es stand zu befürchten, dass sie sich aufmachen würde, weitere Verstärkungen in die Fehde zu führen."


Ein Mundwinkel unter dem Kaiser-Alrik-Schnauzer des Marschalls zuckte. Weniger ob der alten Feindschaft der Harmamunds und der da Vanyas, denn ob der Vorstellung, dass der Condottiere es tatsächlich gewagt hatte, die Ragatische Furie gefangen setzen zu lassen. Das dürfte aufregend gewesen sein. Doch machte dieser auch schon weiter: "Schließlich kam mir der Gedanke, wie ich mehrere Fliegen mit einer Klappe würde schlagen können. Der schriftliche Befehl Eurer Exzellenz, überbracht von Eurer Nichte, sollte mir Einlass zum Castillo der da Vanyas verschaffen, welches, wie Euer Exzellenz wissen, zu nämlichem Zeitpunkte in der Hand der Elenterin war. Einmal eingelassen, wollte ich den Spieß umdrehen und meinerseits die Besatzung überraschen um mich des Castillos zu bemächtigen."


Die Falten auf der Stirn des Harmamunders vertieften sich, doch hob der Baron und Junker beschwichtigend die Hände. "Ich wollte das Castillo sodann an Domna Richeza übergeben. Wären die da Vanyas nur wieder im Besitze ihres Castillos, so wäre zumindest ein Grund zur Fortführung der Kampfhandlungen von deren Seite zwar nicht hinfällig, aber doch hinsichtlich der allgemeinen Lage nicht mehr ganz so drängend. Solange ihre Stammburg aber in der Hand ihrer Feindin war, dies war gewiss, würden sie nicht ruhen. Domna Richezas verbliebene Kräfte wären auch zu gering gewesen, um ihrerseits etwas gegen Praiosmin von Elenta zu unternehmen. Diese wiederum hatte sich auf Albacim verkrochen und konnte kaum hoffen, das Castillo ein weiteres Mal durch eine List in ihre Hände bringen zu können. Eine Belagerung freilich konnte sie sich kaum erlauben. Das Castillo ist fest und trutzig, und die Ferkinas hätten das enge Tal für jeden Angreifer zur Todesfalle machen können. Weiterhin hätten sich die Talbewohner, welchen man die Sicherheit der Mauern verwehrte, und welche die Untertanen der da Vanyas wie Seiner Majestät sind, Schutz vor den Wilden suchen können, und schlussendlich hatte ich darauf gehofft, dass Domna Richeza aus Pflichtgefühl heraus das Castillo nicht verlassen hätte, bevor nicht Domna Rifada oder jemand der ihren vor Ort gewesen wäre. Mit etwas Glück hätte ich somit genug Zeit gewinnen können, bis Eure Exzellenz vor Ort eintreffen."


"Was ist schief gelaufen?"


Hernán von Aranjuez verzog das Gesicht. Er hasste es, wenn seine Pläne keine Früchte trugen. Noch dazu wenn er – in seinen Augen – eigentlich alles richtig gemacht hatte. "Man verweigerte uns den Einlass. Und nicht nur das, Eurer Exzellenz schriftlicher Befehl wurde vernichtet. Uns blieb nichts anderes übrig als abzuziehen."


Gwain von Harmamund nickte verstehend. Einen Befehl des Kaisers – denn mit dessen Stimme sprach Seiner Majestät Marschall – zu ignorieren und zu vernichten war keine Kleinigkeit. Mit auf dem Rücken verschränkten Armen durchmaß er das Zelt mehrere Male.


"Hernach blieb mir mit den wenigen verbliebenen Leuten nichts anderes übrig, als mich selbst zu verschanzen. Mir fehlten die Kräfte, um eine der beiden Parteiungen zu irgendetwas zu zwingen, zumal dann auch noch eine Ogerhorde über uns hergefallen ist. Glücklicherweise gelang es in der Zwischenzeit Dom Gendahar und einem meiner Untergebenen, das Castillo da Vanya im Handstreich zu nehmen. Nun ja, den Rest der Geschichte kennen Eure Exzellenz."


"Hab Dank, Dom Hernán", klopfte Gwain von Harmamund seinem alten Untergebenen auf die Schulter. "Gewiss werdet Ihr Euch nun ausruhen wollen."


Nicht ganz ohne Mühen erhob sich der Condottiere, sich auf seinen Stock stützend. Dennoch gelang ihm ein halbwegs zackiger Gruß mit der Faust auf der Brust. "Erlaube mir, Euer Exzellenz eine gute Nacht zu wünschen." Damit wandte er sich um, und humpelte in Richtung des Ausganges.


"Ach ja, eine Sache noch", hielten ihn die Worte des Marschalls zurück. Dieser hatte sich mittlerweile wieder über den Kartentisch gebeugt, und sah seinen Gast nicht an. "Ihr vergaßt zu erwähnen, wie Ihr in Alina Quartier bezogen habt", erinnerte ihn Gwain von Harmamund sanft.


Ach ja, Alina. Das Gut dieses Handlangers der Elenterin hatte Hernán von Aranjuez auf dem Weg niederbrennen lassen. Er straffte sich, holte Luft und antwortete dann: "Ich habe die Untertanen Seiner Majestät geschont. Ja, wahrscheinlich habe ich sie sogar gerettet, haben wir in dieser Nacht doch dort einen Überfall der Wilden abgewehrt. Zweifellos wären sie massakriert worden, und mit dem Gut wäre genau dasselbe geschehen. Ich bereue nur, dass ich nicht mehr Zeit hatte. Dann hätte ich alles umpflügen lassen und Salz in die Furchen gestreut, auf dass dort niemals wieder etwas wächst oder gedeiht."


Gwain von Harmamund schwieg dazu. Die Annalen des Hauses Aranjuez waren reich an Blut und Fehden, und während der Answinkrise hatte sich die halbe Familia gegenseitig ausgemordet. Zu jeder Zeit war man rasch bei der Hand gewesen, wenn es irgendwo Blut zu vergießen gab, sei es wegen Ländereien, Titel oder der Ehre. Nun ja, es war nicht an ihm, darüber zu richten. "Gute Nacht, Hernán."





Aktuelle Version vom 23. Dezember 2012, 17:22 Uhr

In der Grafschaft Yaquirtal, 16. Rondra 1033 BF

Heerlager des Marschalls auf der Schwanenhöhe nahe Punin


16. Rondra, morgens

Autor: Ancuiras



Gwain rannte, so schnell er konnte, doch er schien nicht vom Fleck zu kommen. Er wusste, dass die Bestien hinter ihm her waren, doch er rannte immer geradeaus auf der Straße weiter. Aus irgendeinem Grund kam er nicht auf die Idee, die Straße zu verlassen und sich zu verstecken. Er war nicht allein. Neben ihm lief Kaiser Reto, wie Gwain ihn noch als junger Knappe kannte: Ein kräftiger Mann im besten Alter, ebenso alt wie Gwain zu Zeiten der Ogerschlacht, mit rotem Haar und Bart. Auch der Kaiser floh, doch sie konnten noch so schnell rennen, das Grunzen und Stampfen der Oger kam immer näher. Gwain wusste, wie furchtbar diese Ungeheuer aussahen, doch als sie sich umdrehten, erstarrte er trotzdem vor Schreck: Die Oger war nicht zwei oder drei, sondern fünf Schritt groß und hatten die Körper muskelbepackter Krieger! Doch am fürchterlichsten war ihr Antlitz: Reto und Gwain blickten in ihre eigenen, zu Fratzen entstellten Gesichter, die voller Zorn auf sie herab blickten. Fast waren da die Ungeheuer, die Riesenmenschen heran, schon konnte er ihren Atem in seinem Nacken spüren...

In diesem Augenblick erschollen Fanfaren. War das die Rettung, war das Reichsheer schon heran?

Langsam wachte Marschall Gwain von Harmamund auf, noch langsamer kam die Erkenntnis, dass er nur die Fanfaren zur sechsten Stunde hörte, die ihn jeden Morgen weckten.

Er fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und versuchte die Bilder zu vertreiben, die in all der Zeit nichts von ihrem Schrecken verloren hatten. Wie ein Gemälde hatten sie sich in seiner Erinnerung eingegraben. Oger, die aussahen wie menschlicher Krieger, was für ein Unsinn! Er hatte diesen Traum schon oft gehabt, das erste Mal in den Tagen vor der Ogerschlacht vor mittlerweile... verdammter Satinav, vor dreißig Jahren! Und er war schon damals nicht mehr ganz jung gewesen.

Er verspürte keine Lust aufzustehen, dabei war heute doch der große Tag. Vielleicht wirst du zu alt? fragte eine garstige Stimme in seinem Kopf, und du hast gerade deshalb keine Lust dich zu erheben, eben weil heute der große Tag ist?

Stöhnend setzte er sich auf. Seine Schulter schmerzte, seit dieser unsägliche Vesijo ihn dort beim Übungskampf getroffen hatte. Trotz Rüstung, wohlgemerkt! Früher hätte er mit eben jener Schulter gezuckt und gelacht, aber heute? So sollte er sich den Ogern zum Kampf stellen? Er würde Jüngere in die erste Reihe lassen müssen, dafür war er ja nun der Marschall, aber trotzdem...

Während er sich ankleidete, ging er noch einmal alles in seinem Kopf durch und bald kehrte auch die Zuversicht zurück. Endlich konnte er handeln, endlich hatte der Kaiser die Erlaubnis erteilt, gegen die Oger und die Wilden vorzurücken. Es war eine Schande, dass er so lange hatte warten müssen, den bedrängten Baronien entlang des Raschtulswalls zur Hilfe zu eilen, aber der Kaiser musste ja zunächst gebührend seine Heirat feiern, seine Heirat mit einer Ungläubigen!

Aber immerhin hatte ihm dies genug Zeit gegeben, ein angemessenes Heer zu sammeln und auszurüsten. Mit Ferkinas hatte er genug Erfahrung, auch wenn sie sich diesmal in ungeahnter Zahl und Wildheit in die Ebene hinab gewagt hatten. Einem wohl gerüsteten kaiserlichen Heer indes hatten sie im Tal, fernab der zerklüfteten Hänge des Raschtulswalls, nur wenig entgegen zu setzen. Die Oger waren indes die schrecklicheren Gegner, das hatte er vor drei Jahrzehnten selbst am eigenen Leib miterlebt. Ihre Kraft wurde nur noch durch ihre Fressgier überboten und sie konnten zwei, drei Reiter mit einem einzigen Hieb ihrer baumstarken Keulen zu Boron schicken. Die Kunst war, es gar nicht so weit kommen zu lassen und sie bereits mit Lanzen, Piken und Geschossen zu schwächen, bevor sie heran waren. Am Ende kam man um einen Nahkampf mit alle seinen Gefahren nicht herum, wenn man ein solches Ungetüm endgültig zur Strecke bringen wollte. Es bedurfte vieler Schwest- oder Axthiebe, bis man einen ausgewachsenen Menschenfresser zur Strecke gebracht hatte. Aber ihm standen genug Soldaten zur Verfügung und im Gegensatz zur Ogerschlacht war es kein tausendköpfiges, durch eine höhere Macht gesteuertes Heer, das sich ihnen entgegen stellte, sondern einige lose zusammenhängende Sippen. Mit überlegener Taktik und Disziplin würde man wie gegen die Ferkinas die Verluste in den eigenen Reihen in Grenzen halten können.

Es klopfte an die Tür und Gwain bat seinen Adjutanten herein.

„Geht es Euch wohl, Euer Exzellenz?“

„Mir ging es nie besser! Heute geht es gegen den Feind.“ Er blickte seinen Untergebenen streng an. „Wieso glaubt Ihr, Euch nach meinem Befinden erkundigen zu müssen?“

Der junge Leutnant rief rot an. „Verzeiht, aus keinem besonderen Grund. Ich hörte Euch nur im Schlaf ausrufen. Ich glaube, Ihr nanntet den Namen Kaiser Retos.“

„Reto? Was redet Ihr für ein Zeug, Mann? Ihr solltet Euch lieber in Rhetonik üben und den Mund halten, wenn Ihr nichts zu sagen habt.“ Sein Lächeln strafte seine harschen Worte Lügen. Als er heraus ging, klopfte er dem jungen Mann auf die Schulter. „Gebt den Obristen Bescheid. Die Regimenter sollen wie besprochen zur zehnten Stunde aufmarschieren.“


Zur befohlenen Stunde stand das Heer des Kaisers, das sich den Gefahren im Osten des Königreichs entgegen stellen sollte, auf der Schwanenhöh vor Punin bereit. Gwain saß auf seinem Rappen, in vollem Plattenharnisch und dem Wappenrock des Kaiserlichen Marschalls. Beim Anblick der mehrhundertköpfigen Armee, die er in den nächsten Wochen befehligen würde, und deren Schicksal in seinen Händen lag, wusste er wieder, weshalb er über Jahre und Jahrzehnte diese Position angestrebt hatte. Vergessen waren die Zweifel der Nacht, des Alters, vergessen, dass er einem Kaiser diente, der sich mit den Erbfeinden südlich des Yaquir verbündet und mit ihm angebandelt hatte. Die Zeit der Politiker, Intriganten und Ränkeschmiede war vorbei. Jetzt war die Stunde des Marschalls.

Er ritt die Reihen der Soldaten entlang und musterte sie mit wachem Blick. Er wollte sich ihre Gesichter einprägen, die Atmosphäre einfangen, die Begeisterung gar, wie es sie nur in der Stunde vor dem Aufbruch zu einem Kriegszug gab. Die Ernüchterung würde früh genug kommen, das war gewiss, doch daran verschwendete er heute keinen Gedanken. Er nickte der einen oder anderen Pikenierin, dem einen oder anderen Bogenschützen aufmunternd zu und wurde durch das Leuchten in ihren Augen belohnt.

„Ihre Majestät der Kaiser!“, erschallte ein Ruf, der sogleich von Fanfarenklang übertönt wurde. Gwain riss die Zügel seines Rosses herum. Von der Brücke her ritt die Kavalkade des kaiserlichen Gefolges heran, angeführt von der schwarz gekleideten, schlanken Gestalt Hals des Zweiten selbst. Hinter ihm kamen der Kanzler und weitere Höflinge und Magnaten, allen voran die Grafen von Ragath und Yaquirtal. Gwain ritt zurück auf die Anhöhe und erwartete den Kaiser dort.

„Euer Kaiserliche Majestät“, sprach er und senkte das Haupt, „das Heer steht bereit. Wir können noch heute Mittag aufbrechen.“

Hal II. ließ seinen Blick über die Reihen der Soldaten schweifen, ohne irgendeine Gefühlsregung erkennen zu lassen. Stille hatte sich über die Gesellschaft und das ganze Heer gelegt, nur ein gelegentliches Hufscharren und Wiehern war zu vernehmen.

Es war nicht zu erkennen, ob ihn der Anblick des Heeres mit ebensolchen Stolz erfüllt wie seinen Marschall. Er mochte die Truppen ebenso für einen jämmerlichen Haufen halten, der seiner nicht würdig war. Gwain hatte noch immer nicht gelernt, im Antlitz des Kaisers zu lesen. Er bezweifelte, dass irgendjemand bei Hofe dazu wirklich in der Lage war, seit Ihre Majestät wieder von den Toten auferstanden war und bisweilen seltsam entrückt schien. Alle bei Hofe versuchten indes, aus den Worten, der Mimik und den Gesten das heraus zu lesen, was sie hören und sehen wollten, was ihnen genehm war und ihren Absichten entsprach. Die Meisterschaft der Kunst, den Willen des Kaisers im eigenen Interesse zu deuten, hatte unzweifelhaft der Kanzler erlangt, Rafik von Taladur, der sich jetzt neben dem Kaiser positioniert hatte.

„Wollt Ihr das Wort an die Frauen und Männer richten?“, fragte der Marschall, als der Kaiser keine Anstalten machte, etwas zu sagen. „Oder soll ich das übernehmen?“, schob er hinterher, was Dom Rafik mit hochgezogenen Brauen quittierte. Im Hintergrund sah er, wie die Grafen von Ragath und Yaquirtal tuschelten. Hätte er den Kaiser das nicht fragen dürfen? Hätte er warten sollen, bis er das Wort von selbst ergriff?

Der Kaiser blickte ihn stumm an und für einen kurzen Moment erkannte Gwain, dass er trotz seiner Erhabenheit nichts anderes war als ein Jüngling, dessen bisheriger Werdegang von so vielen schicksalhaften Wendungen bestimmt worden war, wie sie die meisten Menschen ihr ganzes Leben lang nicht erlitten. Sogleich bemächtigte sich seiner aber wieder die Maske der Kaiserlichen Majestät, des Herrschers über das Neue Reich. Er nickte seinem Marschall zu.

Das hieß wohl, dass er nicht selbst sprechen wollte.

Gwain verbeugte sich noch einmal vor seinem Kaiser und ignorierte den Rest des Hofstaats. Er wendete sein Pferd und wandte sich den Soldaten zu. Sonst war er nicht verlegen, wenn er zu seinen Männern und Frauen sprach, aber die Anwesenheit des schweigsamen Herrschers und seines Gefolges und Hofstaats irritierte ihn. Nun, er würde sich kurz fassen.

„Caballeros und Soldaten des Königreichs“, rief er, so dass man ihn bis in die hintersten Reihen hören würde.

„Des Kaiserreichs“, hörte er Dom Rafiks besserwisserische Stimme in seinem Rücken.

Der Marschall hielt inne. Konnte der Mann nicht einmal seinen Mund halten? Natürlich war Hal II. Kaiser, aber heute waren nun einmal nur die Truppen des Königreichs versammelt. Vermutlich würde der Kaiser es aber genauso sehen wie Dom Rafik.

„... und des ganzen Kaiserreichs!“, ergänzte Gwain mit einem verärgerten Seitenblick auf den Kanzler, der ihm hingegen ein aufmunterndes Lächeln schenkte. „Heute sind wir hier versammelt, um gemeinsam eine Gefahr zu bannen, wie wir sie lange nicht mehr gegenwärtigen mussten. Horden menschenfressender Ungeheuer und blutsaufender Wilder sind in das Land eingefallen und haben ganze Dörfer, ja ganze Landstriche verwüstet! Es gilt, diesem Treiben Einhalt zu gebieten und die rahjawärtige Grenze unseres geliebten Kö... Kaiserreiches zu verteidigen.“

Er machte eine weitere Pause. Hatte da hinter ihm jemand gelacht?

Gwain räusperte sich. „Ihre Kaiserliche Majestät, Hal der Zweite von Gareth und Almada, hat uns zusammen gerufen, um gegen diesen Feind zu Felde zu ziehen und ihn zu vernichten!“ Er zog sein Schwert und streckte es gen Alveran. „Mit dem Beistand Rondras und der Zwölfe werden wir siegreich sein!“

Rondra plus zwölf macht dreizehn, sagte eine innere Stimme, die sich verdächtig nach dem Kanzler anhörte. Noch ein Schnitzer. Es wurde Zeit, zum Ende zu kommen.

„Gemeinsam werden wir im Namen des Kaisers streiten und siegen.“ Weitere Male fuhr seine Klinge in die Höhe, als er rief: „Vivat Hal Secundo, Vivat Almada!“

Sein Ruf wurde von vielen hundert Kehlen aufgegriffen. Das Echo war so erhebend und wirkte so aufrichtig, dass er wieder mit Stolz und Zuversicht erfüllt wurde. Für die Männer und Frauen war es gleich, ob seine Ansprache den höfischen Gepflogenheiten entsprach. Für sie zählten nur seine Fähigkeiten als Heerführer, dass er sie mit möglichst geringen Verlusten zum Sieg führte. Noch mehrmals brandeten Jubel und Hochrufe auf und als sich Gwain zum Kaiser umdrehte, sah er, dass der Funken auf ihn übergesprungen war und seine Augen leuchteten.

Die Zeiten wohlfeiler Reden waren vorbei. Die Stunde Rondras war gekommen - die Stunde des Marschalls.


Noch eine ganze Weile hatte der Kaiser auf der Schwanenhöh ausgeharrt und seinen Truppen die Ehre seiner Anwesenheit gegeben. Nun, nachdem er und der Kanzler mit den restlichen Höflingen wieder in die Stadt aufgebrochen waren, versammelte Gwain die wichtigsten Magnaten und Offiziere in seinem Zelt, um sein Vorgehen zu erläutern. Während er bei seinen Offizieren hoch im Ansehen stand, gab es unter den Magnaten noch immer viele, die noch immer nur einen Answinisten in ihm sahen. Nun, auch sie würde sich der Befehlsgewalt beugen müssen, die ihm der Kaiser verliehen hatte.

In der Mitte des Zeltes war auf einem Tisch eine Karte der Grafschaft Ragath ausgebreitet, auf der alle wichtigen Festungen, Straßen und Ansiedlungen eingezeichnet waren.

„Die Hauptmacht wird sich auf der Reichsstraße II nach Norden bewegen, etwa bis zur Quelle des Yaquir, damit wir keine Zeit verlieren. Falls sie früher dort eintreffen als ich, werden sie dort auf mich warten. In Caldaia ist der Ansturm am stärksten, so dass der größte Teil der Truppen möglichst schnell dorthin gelangen sollte. Vor allem die schwer gerüsteten Pikeniere und Hellebardiere müssen sich ohne Umschweife dorthin auf den Weg machen. In Ragath werden die Truppen noch durch schwere Gardereiter ergänzt.“

Er blickte in die Runde, aber soweit schienen keine Fragen zu bestehen.

„Den kleineren Teil des Heeres, vor allem aus leichter Reiter und Infanterie und Bogenschützen bestehend, werde ich zunächst nach Selaque führen, um mit den dortigen Ogern und Ferkinas aufzuräumen. Dreihundert Männer und Frauen sollten dafür ausreichen; zusammen mit den Soldaten und der Landwehr des Barons von Schrotenstein und der Vogtin von Selaque.“

„Verzeiht, Exzellenz“, meldete sich Graf Brandil zu Wort. „Nach meinen Erkenntnissen werden sich die letztgenannten Truppen eher gegeneinander an die Gurgel gehen, als gemeinsam gegen den Feind zu streiten...“

„Das sollen sie wagen!“ Gwain musterte den als wenig durchsetzungsstark bekannten Grafen abschätzig. „Wenn ein Machtwort von Euch sie bislang nicht zur Räson brachte, hat ein Machwort des Kaisers, vorgetragen durch seinen Marschall, hoffentlich mehr Gewicht. Außerdem habe ich noch einen Mann vor Ort, Dom Hernán.“

Brandil von Ehrenstein und Streitzig setzte seine sauertöpfische Miene auf. „Auf ihn solltet Ihr auch nicht allzu viel Hoffnung setzen. Auch er scheint mehr damit beschäftigt zu sein, eigene Fehden auszufechten. Nach allem, was man weiß, hat er das Junkergut Alina niederbrennen lassen.“

„Das wird zu einem späteren Zeitpunkt zu besprechen sein“, beschied er dem Grafen. „Aber Ihr habt Recht. Ich werde mich nicht nur auf Dom Hernán verlassen. Ich bedarf auch den Rat weiterer, welche die jüngsten Geschehnisse dort miterlebt haben.“ Er suchte den Blick eines großgewachsenen blonden Mannes, der sich bislang eher desinteressiert im Hintergrund gehalten hatte. „Streitzig, auch Ihr werdet mich nach Selaque begleiten.“

Bevor der Thangolforster antworten konnte, trat sein Vater vor, Graf Praiodar von Streitzig. „Exzellenz, das wird leider nicht möglich sein. Wie vereinbart, wird das Yaquirtaler Kontingent mit dem Hauptheer nach Norden ziehen, und ich habe meinem Sohn das Kommando über die Soldaten übertragen.“ Er breitete die Arme aus. „Es tut mir leid, dass es sich nicht anders einrichten lässt, aber mit den Ereignissen in Selaque hat mein Sohn ohnehin nichts zu schaffen.“

„Das habt Ihr mir schon bei unserer letzten Unterredung gesagt, aber nach allem, was ich weiß, dürfte er doch das eine oder andere mitbekommen haben.“

„Mag sein, aber wie gesagt befehligt er die gräflichen und Soldaten und...“

„Seid unbesorgt“, ergriff Dom Gendahar das Wort und legte seinem Vater begütigend die Hand auf die Schulter. „Ich habe in Ahumeda von Lindholz eine fähige Capitana, die unsere Soldaten an meiner Stelle anführen kann, bis wir wieder zum Hauptheer stoßen. Da ich ja nicht mehr Banus der Grafschaft bin, werden die Männer und Frauen es verkraften, mich eine Zeit lang nicht an ihrer Seite zu wissen.“ Er blickte zum Marschall. „Euer Exzellenz, ich stehe zu Eurer vollsten Verfügung.“

„Sehr gut“, sprach Gwain und verkniff sich ein Grinsen angesichts des Blicks, den der Vater seinem Sohne zuwarf. „Wir brechen in zwei Stunden auf. Rondra sei mit uns!“

„Rondra sei mit uns“, wiederholten fast alle Magnaten und Offizieren wie aus einem Mund und unterbanden damit jeglichen weiteren Disput.








Chronik:1033
Der Ferkina-Feldzug
Teil 03