Die Geschichte Leuendâls
Der Blitz-Baron und die Valcur-Schwestern[Quelltext bearbeiten]
Nur wenige Jahre nach dem Tod seines Großvaters beerbte der junge Eglamor Cavandrago von Raschtulsrück seinen Vater nach dessen kurzer Regierungszeit und wurde 515 BF vierundzwanzigjährig zum Baron. Eglamor galt als heiterer und sinnenfroher Mann, der es liebte, Feste zu feiern, Turneien zu veranstalten und auf die Jagd zu gehen.
Wenige Monate nach seinem Amtsantritt aber veränderte ein Unglück sein Leben. Während eines Jagdausfluges zog ein Unwetter herauf, und die Gesellschaft drängte darauf, den Wald so rasch wie möglich zu verlassen und auf einem Gutshof Unterschlupf zu suchen. Eglamor aber wollte die Jagd nicht verloren geben, obwohl der Himmel sich zuzog und ein heftiges Gewitter sich über dem Wald entlud. Endlich gelang es ihm, den stattlichen Zwanzigender zu stellen, auf den er es abgesehen hatte, doch gerade war er vom Pferd gestiegen, um seinen Speer aus dem verendeten Hirsch zu ziehen, da schlug ein Blitz ein in den Baum, neben dem Eglamor das Tier erlegt hatte. Die entsetzte Jagdgesellschaft gewahrte ein helles Licht um den Baron, und sogleich wurde er, den Speer in der Hand, in einen Busch geworfen, während den Jägern die Rinde des berstenden Stamms entgegen geschleudert wurde.
Als Bruder und Freunde des Barons zu Hilfe eilten, fanden sie Eglamor ohne Besinnung sich in Krämpfen auf dem Boden windend, von seinem Kopf zog sich gleich einer vielverzweigten Wurzel ein roter Streifen über seinen Körper, doch sonst zeigte er sich nicht verändert.
Rasch von einem Heilkundigen betreut, erwachte der Baron schon bald zum Leben, doch war er noch Tage schwach und zittrig und klagte über Schmerzen am ganzen Leib. Er war übellaunig und leicht zu ermüden, aber nach kurzer Zeit zeigte sich, dass man es nicht allein dem Schmerz zuschreiben konnte, dass er seine Diener anfuhr und seine Vasallen hart bestrafte, wann immer sie ihm bei falscher Laune begegneten. Von einem Tag auf den anderen hatte Eglamor sich verändert.
Aus dem lebensfrohen Mann war ein Tyrann geworden, jähzornig, unberechenbar und gewalttätig. Manche seiner Freunde betrachteten ihn als Auserwählten, den Rondra berührt habe, und der nun dieselben Launen zeige wie die Donnernde. Andere aber sprachen hinter vorgehaltener Hand vom Zorn der Göttin, welcher den Baron getroffen habe, und manch einer spielte im Stillen mit dem Gedanken, sich Eglamors zu entledigen. Bevor aber einer der Edlen Blutschuld auf sich zu laden vermochte, setzte der Baron seinem Leben selbst ein Ende: 522, etwa sechs Jahre nach der unglücklichen Jagd, fand man ihn im Thronsaal von Tolaks Turm, wo er sich in sein eigenes Schwert gestürzt hatte.
Da er noch unvermählt gewesen war und keine Kinder hatte, trat sein Bruder Escalio sein Erbe an, ein besonnener und götterfürchtiger Mann, der als erste Tat seiner Regentschaft der Herrin Rondra einen Schrein errichten ließ, just unter dem Baum, den der Blitz getroffen hatte, der seinen Bruder so sehr verändert hatte. In jedem Jahr, bis zu seinem eigenen Tode, kehrte Escalio zum Jahrestag des Jagdunglücks in den Wald zurück, um Rondra ein Opfer zu bringen und sie um Gnade zu bitten für seine und seines Bruders Seele.
Escalio führte ein zurückgezogenes und doch glückliches Leben, heiratete eine Edle aus dem Yaquirtal, die er sehr liebte, und führte die Baronie erstmals zu gewissem Wohlstand. Ein Kummer aber blieb ihm, denn er wurde immer älter und seine Frau ebenso, aber Tsa versagte ihnen ihren Segen und schenkte ihnen kein Kind.
Ein weiteres Unglück brach über die Baronie herein, als immer öfter Vieh und später auch Menschen in den Bergen verschwanden, bis nach einigen Jahren ein Hirte bei dem Baron vorstellig wurde und sagte, er habe einen Drachen gesichtet, der ihm bald seine gesamte Herde gerissen habe. Immer häufiger wurden diese Vorfälle, und bald berichteten die Menschen, dass der Drache ihre Verwandten geraubt habe und nur herausgebe, wenn sie eine stattliche Summe an Gold aufbrächten, die sie nicht zu zahlen vermochten. Der Baron erbarmte sich ihrer und kaufte die armen Leute frei. Das aber machte den Drachen nur noch gieriger, und er entführte weitere Menschen, und bald war Escalio nicht mehr willens, für sie zu zahlen, sondern schickte Soldaten, den Drachen zu erlegen. Dieser erwies sich jedoch als zu mächtig und verwüstete in seinem Zorn mehrere Weiler in den Bergen.
Da aber begab es sich, dass zwei reisende Schwestern nach Raschtulsrück kamen, die auf den Namen Valcur hörten und die dem Baron gelobten, sich um den Drachen zu kümmern. Escalio zweifelte daran, dass sie Erfolg haben würden, aber er versprach ihnen Land, Gold oder gar seine besten Rösser, was immer sie begehrten, wenn sie ihm nur den Drachen vom Halse schüfen. So jung sie waren, so hübsch und lebensfroh, so sehr dienten sie doch Phex und Rondra mit Witz und Schwert, und sie zogen in die Berge und töteten den Drachen, ohne je einem Menschen zu verraten, wie ihnen dies gelang. Einen Teil des Hortes beanspruchten sie für sich, den Rest überließen sie dem Baron, nicht aber, ohne ihm das Versprechen abzunehmen, das Gold für jene aufzuwenden, die ihre Brüder und Schwestern an den Drachen verloren hatten. Die ältere der Schwestern, Maldonara Valcur, erhielt ein Lehen beim heutigen Leuendâl, die jüngere, Talandrea, zog weiter, und es heißt, sie sei später Junkerin in Imrah geworden.
Maldonara wurde eine loyale Vasallin des Barons, die tapfer gegen Bären und Wölfe, Räuber und Ferkinas kämpfte und dem Volk bald als Heldin galt. Als die Frau des Barons verstarb und Escalio seine Trauer überwunden hatte, bat er Maldonara um ihre Hand, und diese willigte ein, den fast dreißig Jahre älteren Mann zu heiraten, doch stellte sie zur Bedingung, dass er niemals danach fragen dürfe, wie sie und ihre Schwester einst den Drachen getötet hatten. Dom Escalio erklärte sich frohen Herzens dazu bereit und schon ein Jahr später gebar Maldonara ihm eine Tochter. Ihre Ehe währte noch einige Jahre, ehe Escalio starb und Maldonara zur ersten Baronin von Raschtulsrück wurde.
Den Leichnam ihres Gemahls begrub sie auf jener Lichtung nahe ihres Lehens, auf der sein Bruder vom Blitz getroffen worden war, und auf seinem Grab errichtete sie Rondra einen Tempel, der den schlichten Schrein ersetzte, der bislang an dieser Stelle gestanden hatte.
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