Chronik.Ereignis1046 In die Wüste 05

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In die Wüste - Audienz beim Grafen

Castillo Ragath, Ragath im Hesinde 1046 BF

Autor: De Verlez, Der Sinnreiche Junker von Aranjuez

Ragath, die Wehrhafte, geprägt durch die hohe Stadtmauer von außen und der militärischen Präsenz von innen. Überragt durch den Castillo Ragath, Sitz Seiner Hochwohlgeboren Brandil von Ehrenstein ä. H., des Grafen von Ragath, das Ziel der beiden Frauen und ihres kleinen Gefolges. Niope und Demeya Lacara von Dubios hatten keine Kosten und Mühen gescheut, um vor der Audienz bei Graf Brandil in der Reichsstadt für Gesprächsstoff zu sorgen. Zusammen mit Tiako von Rosenteich und seiner Frau Alisea, dem bandagierten Diener der Lacara von Dubios, sowie die neun angeworben Söldnerinnen der Tulamidischen Reiter sorgte die prachtvoll anzuschauende Reisegruppe für einiges an Aufsehen bei ihrem Weg durch die Stadt.

Langsam ritt die Delegation den Weg den mächtigen Felsenberg hinauf. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Niope Lacara von Dubios rechnete nicht mit einem großen Erfolg, aber ihre Anwesenheit vor dem Grafen würde für genug Gesprächsstoff in der Baronie sorgen. Mehr als dem Baron von Aranjuez lieb wäre. Nach der Audienz würden sie auch bei den da Vanyas vorstellig werden, um an die frühere Gemeinschaft der Loyalistisch Almadischen Wehr zu erinnern. Aber erst einmal musste dieser Pfad bewältigt werden. Demeya Lacara von Dubios ritt Seite an Seite mit dem bandagierten Diener. Kurz gab ihm Demeya einige Handzeichen, die dieser mit weiteren Zeichen beantwortete. Demeya schmunzelte. Hatte sie ihr Gefühl doch nicht betrogen. Es war ihr klar, dass der Baron sie unter Beobachtung hielt. Sie machten es schließlich nicht anders. Zu gegebener Zeit wird der kleine verfolgende Schatten verschwinden, aber noch wäre es zu auffällig und sie verhielten sich ja auch unauffällig. Noch.

Während die beiden Damen und ein Großteil der Gesellschaft edle tulamidische Kleidung trug, bevorzugte Tiako von Rosenteich Kleidung im almadanischen Stil. Der Moha und zukünftige Erbe der Baronie Rosenteich, handelte hier im Auftrag seines Vaters Gona. Seiner alten Verbündeten zur Seite zu stehen, sah dieser als seine Pflicht an. Da sein Sohn sich besser angepasst hatte, sollte dieser in Begleitung seiner Frau die Baronie Rosenteich vertreten. Alisea von Lindholz wartete schon lange auf eine solche Gelegenheit. Hatte sie ihre Jugend an Adelshöfen im Mittelreich und im Lieblichen Feld genossen, war das Leben in der Baronie Rosenteich langweilig und eintönig. Sie hatte vor, diese Audienz am Grafenhof für sich und ihre Zwecke zu nutzen, um sich einen Namen zu machen. Sie schaute noch einmal nach dem richtigen Sitz ihrer Kleidung und lächelte ihrem Gatten aufmunternd zu.

Oben angekommen, fand die Gruppe die gewaltigen Torflügel aus andergaster Steineiche, verstärkt mit eisernen Streben aus der Waldwacht, geöffnet vor, wenngleich erwartungsgemäß nicht unbewacht. Der Weibel prüfte das gereichte Schreiben, derweil die Wachen die Hellebarden gekreuzt hatten. Wie versprochen hatte Hernán von Aranjuez ihnen ein Empfehlungsschreiben zukommen lassen, ausgestellt und unterzeichnet von Rondrigo vom Eisenwalde, dem Castellan Seiner Hochwohlgeboren. Ein skeptischer Blick wanderte über die tulamidischen Söldnerinnen im Hintergrund, doch schien der Unteroffizier auch beim zweiten Lesen nichts zu finden, was er hätte beanstanden können. So reichte er das Schreiben zurück und wies in Richtung des Palas auf der gegenüberliegenden Seite des geräumigen Burghofes: „Eine Wache wird Euch zu Dom Rondrigo bringen.“ Er gab das Schreiben zurück und rief dann lauter über die Schulter in Richtung der Wachtstube zu rufen: „Marbodan?“

Augenblicke später erschien von dort ein Gardist in den Farben der Grafschaft, salutierte vor seinem Weibel und neigte das Haupt vor den Gästen. Der Kies des Burghofes knirschte unter ihren Sohlen, als sie in Richtung des Palas schritten. Erwartungsgemäß ging es auf einer so großen Anlage durchaus geschäftig zu, Bedienstete gingen zügigen Schrittes zwischen den Gebäuden umher und unterhalb der Treppe des Palas übten sich einige gräfliche Caballeros und Escuderos im Waffenhandwerk – die Ritter mit, wie der stumpfe Klang verriet, Übungsschwertern, die Knappen mit hölzernen Klingen. Und zwar unter dem gestrengen Auge des alten Waldwachters, wie sie beim Näherkommen feststellten. Bei allen war der warme Atem in der kalten Winterluft zu sehen. Der gerüstete Graubart stand auf dem Treppenpodest im ersten Obergeschoss, welches man über eine ausladende, mehrläufige Freitreppe erreichte und überwachte von dort mit auf dem Rücken verschränkten Händen die Übungen. Kurz warf der alte Castellan ihnen beim Näherkommen einen Blick zu, dann wandte er sich wieder seinen Schützlingen zu.

Erst als sie den Fuß der Treppe erreicht hatten, schritt er gemessen zum Treppenabsatz und musterte die zu ihm herauf Steigenden aus seinen eisgrauen Augen. Über 70 Götterläufe hatten ihre Spuren in seinem Antlitz hinterlassen, nicht jedoch in der kerzengeraden Haltung seines Körpers. Mehr als das andeutungsweise Neigen des Hauptes war von Rondrigo vom Eisenwalde nicht zu erwarten gewesen, denn so einflussreich die Graue Eminenz am Ragather Grafenhofe sein mochte: ein Höfling war noch nie an ihm verloren gegangen, wie sich Domna Niope womöglich erinnerte. Dieser Einfluss hatte freilich zuletzt gelitten, seit der Castellan nicht nur den Traum der tausend Seelen träumte und sich daher sehr viel deutlicher hinter die seiner Überzeugung nach borongewollte Herrschaft Selindian Hals gestellt hatte, als sein Graf dies getan hatte – sondern auch, weil ihm mit der Hochzeit der Comtessa Rahjada mit Hernán von Aranjuez die eine oder andere Kompetenz verlustig gegangen war. Hatte er zuvor als rechte Hand Graf Brandils die Aufgaben und Vorrechte mehrerer Ämter in seiner Person vereinigt, war es Rafik von Aranjuez gewesen, welcher den Ehekontrakt Comtessa Concabellas mit den Nordmarken ausgehandelt und diverse Absprachen zwischen Graf und Fürst bzw. zwischen Dom Brandil und Stordan von Culming vorbereitet hatte. Und schlimmer noch, heute führte in der Regel Hernán von Aranjuez in gräflichem Namen Heerbann und Kriegszüge und hatte mitunter dafür gesorgt, dass Dom Rondrigos Getreue und Vertraute ohne nennenswerte Absprachen und bevorzugt in seiner Abwesenheit in den Ruhestand verabschiedet worden waren. So blieb ihm neben seinem ganzen Stolz, der Ausbildung der gräflichen Caballeros, vor allem das Erbsenzählen, wie er seine verbliebenen Pflichten mitunter abschätzig nannte.

Trotz der kühlen Begrüßung – der greise Waldwachter hatte sich in seiner Rüstung so am Treppenabsatz aufgebaut, dass es unhöflich gewesen wäre sich an ihm vorbeizudrücken, sodass die Neuankömmlinge zwangsläufig eine oder mehrere Stufen unter ihm innehalten und zu ihm heraufsehen mussten – mochte der Castellan somit ein durchaus willkommener Anblick sein. Denn am Grafenhofe würde sich kaum ein größerer Rivale des Aranjuezers finden lassen. Ein Fehler Dom Hernáns, dieses Zusammentreffen vor der Audienz nicht irgendwie verhindert zu haben? Oder hatte er es versucht, aber Rondrigo vom Eisenwalde hatte sich nicht beiseiteschieben lassen, ganz so, wie er nun ehern den Zugang zum Palas einnahm? Wie stets kam er gleich zur Sache: "Im Namen Graf Brandil von Ehrensteins begrüße ich Euch auf Castillo Ragath. Für Euren Aufenthalt ist eine Zimmerflucht vorbereitet. Seine Hochwohlgeboren empfängt morgen zur Audienz." Sein Adlerblick wanderte über ihre Bedeckung. "Wenn Ihr es wünscht, können Eure Kriegerinnen sich in der Küche stärken." Erwartungsgemäß würden ihre Bewaffneten keinen Zutritt zum Palas erhalten, denn der Rauchentwicklung über mehreren Schornsteinen nach zu urteilen, befand sich die Burgküche in einem anderen Gebäude. Wie auch die Quartiere des Gesindes.

Niope Lacara von Dubios verbeugte sich. "Seid gegrüßt Dom Rondrigo vom Eisenwalde, gräflicher Castellan in Diensten des ehrenwerten Grafen Brandil und habt Dank für Eure Gastfreundschaft. Auch in Namen meiner Begleiter. Mit Freude sehen wir Euch, nach so langer Zeit, bei bester Gesundheit." Sie richtete sich wieder auf. "Ich hoffe, dies trifft auch auf Eure Tochter zu." Sie schaute auf die Caballeros, welche vor den Stufen ihre Übungen abhielten. "Es wäre uns eine Ehre, wenn Ihr uns am heutigen Abend etwas von Eurer kostbaren Zeit schenken würdet. Gerne würde ich Euch zu einem Umtrunk einladen, der alten Zeiten wegen und um Neuigkeiten zu erfahren. Es wird sich einiges geändert haben in den letzten Götterläufen. Viele neue Gesichter ergeben neue Machtgefüge."

Im Rittersaal von Castillo Ragath, am nächsten Morgen

Der eindrucksvolle Rittersaal von Castillo Ragath war, wie zu erwarten stand, gut gefüllt, wenn Graf Brandil seine regelmäßigen Audienzen abhielt. Zum Auftakt hieb der Majordomus seinen Stab drei Mal vernehmlich auf den Marmorboden, sodass die Gespräche im Saal rasch verstummten. „Seine Hochwohlgeboren, Graf Brandil von Ehrenstein“, verkündete er mit weithin tragender Stimme und gleich darauf betrat der Graf von Ragath, seine Gemahlin, Rohalija von Streitzig ä. H. am Arme und sein Gefolge hinter sich, die Versammlung. Wie es sich geziemte, teilte sich die Menge vor dem Hausherrn und gruppierte auf beiden Seiten des Raumes – und wo Cortezia nicht geholfen hätte, wären es gewisslich die wie stets finsteren Blicke des dahinter schreitenden Rondrigo vom Eisenwaldes gewesen, welche seinem Lehnsherrn Raum geschaffen hätten. Mit mildem Lächeln nickte dagegen Dom Brandil beim Durchschreiten der Gästeschar mal in diese, mal in jene Richtung und murmelte Begrüßungs- und Willkommensformeln genau so undeutlich genug vor sich hin, dass sich ein jeder angesprochen und niemand vergessen fühlen durfte. Während das Grafenpaar die Stufen des Marmorthrones hinauf schritt, baute sich Dom Rondrigo an dessen Fuße auf, derweil Partisanieri und gräfliche Caballeros beidseits davon an der Stirnseite des Saales Aufstellung nahmen.

Neben den Castellan gesellte sich noch der Majordomus sowie der Hofkaplan der Praioskirche. Ersterer begrüßte die Anwesenden mit salbungsvollen Worten, während Zweiterer um den Segen des Götterfürsten bat, auf dass Gerechtigkeit und Weisheit auch heute in diesen Hallen walten mochten. Die durchaus langatmige Predigt erlaubte es den Teilnehmern der Audienz sich in dem weitläufigen Saale umzusehen. Manch fromm gen Alveran gerichteter Blick blieb an den prachtvollen Schnitzereien an den hohen Deckenbalken aus Raschtulswaller Zedernholz hängen, andere bewunderten die kostbaren Wandteppiche oder – sofern sie nicht direkt unter diesen standen – die hohen Glasfenster auf der anderen Seite, durch welche warmes Licht in beinahe tsagefällig bunten Farben fiel. So hatte sich dann auch das Publikum zahlenmäßig recht ungleich verteilt und derjenige, welcher durch die Ankunft des Grafen unter die Fenster und damit in den Schatten gedrängt ward, mochte sein Versäumnis verfluchen sich nicht rechtzeitig zur anderen Saalseite orientiert zu haben, wo die einfallenden Strahlen der Praiosscheibe zumindest etwas mehr Wärme an diesem kalten Hesindemorgen versprachen. Denn obgleich in allen Kaminen seit dem Morgengrauen Feuer prasselten und Pagen zusätzliche Kohlebecken aufgestellt hatten, vermochte dies den gewaltigen Rittersaal doch nur unzureichend zu wärmen. „Damit die Leute zur Sache kommen und nicht in Versuchung geraten die kostbare Zeit Seiner Hochwohlgeboren zu verplempern“, hätte der grimmige Castellan gewiss gebrummt.

Als der Hofkaplan geendet hatte, nahm Graf Brandil auf dem Throne Platz, das Zeichen, dass so manche ältere Edelleute dankbar zum Anlass nahmen ihrerseits auf den schweren Bänken Platz zu nehmen, welche sich jeweils an beiden Wänden fanden und auf denen Kissen von rotem Samt für ein wenig Bequemlichkeit und schlechte Sicht sorgten. Es sei denn, es gelüstete einem nach der Aussicht auf allerlei wohlgeborene Hinterteile, denn die große Mehrzahl der Anwesenden blieb stehen – sehen und gesehen werden. Denn tatsächlich hatte sich eine illustre Zuschauerschar eingefunden: die Petitenten mit mehr oder weniger viel Anhang natürlich und die üblichen Hofschranzen, Gäste der Grafenfamilia, Adelige auf der Durchreise, Abgesandte von anderen Höfen, Vasallen des Grafen von interessiert bis neugierig und viele mit je nach Stellung mehr oder weniger viel Familie und Gefolge von ausreichend Geblüt um eine Anwesenheit im gräflichen Rittersaal zu rechtfertigen. Gut sichtbar waren die Parteiungen, denn natürlich gruppierten sich eher Freunde und Verbündete zusammen, derweil man möglichst viel Abstand von Rivalen und Feinden suchte. So geiferte die alte Vettel Gujadalia di Dubiana genau von der anderen Seite des Saales in Richtung der Aranjuezer, sichtbares Zeichen, dass sie hier nicht etwas in Solidarität mit ihrem Lehnsherrn stand, sondern im Gegenteil gedachte Zeugin seiner Niederlage zu werden.

„Edelleute und Freunde von nah und fern…“, hob Dom Brandil unter dem gewaltigen Banner der Grafschaft an und begrüßte nun seinerseits die Anwesenden mit einer kurzen Rede, ehe er das Wort wieder an den Majordomus übergab, welcher für das Zeremoniell zuständig war und die Petitenten nach der Reihe aufrief. Natürlich pflegten die hochgestellten Adeligen der Grafschaft ihre Dispute nicht in der Öffentlichkeit solcher allgemeinen Audienzen bei Graf Brandil auszutragen, sodass die Liste eher aus Vasallen der dritten Reihe und Bürgerlichen bestand - umso verwunderlicher, warum Hernán von Aranjuez den beiden Lacaras einen Platz auf dieser Liste verschafft hatte, statt die mithin gegen seinen Lehnsstatus gerichtete Klage in kleinem Kreise in einem Hinterzimmer zu behandeln. Nachdem die beiden Lacaras keinen Rang in der Grafschaft bekleideten, mussten sie sich zunächst noch gedulden, doch hatte man sie in der Reihenfolge höflicherweise vor den bürgerlichen Petitenten platziert. Wie ihnen Rondrigo vom Eisenwalde bereits am Vorabend mitgeteilt hatte, sodass sie sich entsprechend vorbereiten konnten. Zur Begrüßung hatte der Waldwachter ihnen heute lediglich zugenickt und nahm ansonsten, bis zum Kinn in Eisen gewandet, ehern und regungslos seinen Platz zu Füßen des Marmorthrones ein.

Während Niope Lacara von Dubios immer ungeduldiger wurde, ließ sich ihre Tochter Demeya von ihrer Begleitung Alisea von Lindholz erklären, wer hier alles vor ihnen vorsprechen durfte und welchen Stand diese Personen hatten. Alisea blühte sichtlich auf, konnte sie doch endlich wieder ihr eingestaubtes Wissen kundtun, woran ihr Gegenüber auch aufrichtiges Interesse zeigte. Alles in allem waren es aus Demeyas Sicht nichtige Anfragen und Fürbitten, welche eher dazu neigten, den Grafen mehr und mehr zu langweilen. Und genau das war der Gedanke, den Mutter und Tochter teilten, seit sie gestern Abend erfuhren, wann sie ihr Anliegen vortragen konnten. Dem Aranjuez war wohl daran gelegen, ihnen zu zeigen, wo sie seiner Meinung nach ihren Platz in der Hierarchie der Grafschaft haben. Und dann auch noch hier, in der breiten Masse, auf das dies alles schnellstens in den Häusern und Gassen Ragaths verbreitet werden kann. Denn, dass es hier und heute keine Einigung geben wird, war beiden klar, aber für das weitere Vorgehen, war man auf mehr Unterstützung angewiesen und der Grundstein dazu, sollte hier und heute gelegt werden.

Der Majordomus ergriff das Wort und kündigte beide Domnas an. Niope und Demeya strafften sich und schritten langsam und würdevoll an die Stelle, wo gerade noch ein Edelmann um Unterstützung in einem Familienstreit gebeten hatte. Langsam beugten sie das Knie und blickten auf. “Euer Hochwohlgeboren, Graf Brandil von Ehrenstein älteres Haus, ehedem Herr unseres Lehens und Schild unserer Familia. Es ist uns höchste Ehre und Gnade, heut vor Euch zu treten und in Eurer Gegenwart zu sprechen. Eure Zeit zu empfangen, ist mehr, denn unser Stand zu hoffen wagte und mit demütigem Herzen danken wir für die Audienz, die Ihr uns gewährt habt. So hoffen wir, Niope Lacara von Dubios und meine Tochter Demeya dass unsere Worte Gehör finden mögen.”

Graf Brandil zeigte sein Wohlwollen, indem er lächelte und mit einer Handbewegung andeutete, das Niope sich erheben und fortfahren sollte. “Vor Euch knien Demeya und Niope Lacara von Dubios..." - "Habt Ihr schon gesagt", erklang es mit ungeduldigem Spott von hinten, doch ließ sich Niope nicht verunsichern: "...Enkelin und Tochter von Siam Lacara von Dubios, ehedem Baronin von Dubios und Mitglied der Loyalistisch Almadischen Wehr.” Leises Gemurmel war zu vernehmen. Unbeirrt sprach Niope weiter. “Wir sind hier, um Gnade zu erbitten. Gnade für eine Großmutter und Mutter, auf deren Namen ein Makel haftet. Ein aus unserer Sicht unberechtigter Makel, handelte sie doch zum Wohle und Schutz der Bewohner ihrer Baronie und opferte dafür alles. Und doch bestrafte man sie in absentia mit dem Makel der Felonie, wodurch sie Lehen und Titel verlor. Daher bitten wir um die Gnade, das Schandmal der Felonie von Siam Lacara von Dubios zu nehmen, auf dass ihre Seele unter dem Zelt des einzig Wahren im Kreise ihrer Ahnen Frieden finden kann.” Das Gemurmel wurde lauter und deutlich war dazwischen das laute Lachen Gualterio Colonnas zu vernehmen, ob der Absurdität der Bitte. Energisch ließ der Majordomus seinen Stab auf den Boden fahren, um für Ruhe zu sorgen.

"Nicht ungeschickt", murmelte Hernán von Aranjuez seiner Gemahlin zu. "Tun so als ginge es lediglich um eine Frage der Ehre, dabei bedeutete die erbetene Gnade doch, dass sie plötzlich die rechtmäßigen Erben von Dubios wären." Domna Rahjada schnaubte lediglich ärgerlich: "Durchschaubar." Ihr hoher Vater hingegen war auf seinem Thron leicht nach vorne gerutscht und nickte mit mildem Lächeln: "Habt Dank, dass Ihr dies Anliegen vor den Marmorthron bringt. Doch wisst Ihr sicherlich, dass Domna Siam seinerzeit von einem ordentlichen Gericht verurteilt wurde. Auch ein Graf kann sich nicht einfach nach Gutdünken über ein einmal gesprochenes Urteil hinwegsetzen. Sagt, was sind diese Eure Gründe, dass ihr den damaligen Spruch anfechten möchtet?"

“Die falsche Darstellung meiner Mutter in das rechte Licht zu rücken, Euer Hochwohlgeboren. Seit der Ernennung durch Hal von Gareth zur Baronin von Dubios stand ihr Sinn und Streben dem Wohl ihrer Baronie. Sei es im Erstarken und Ausbau der Stadt Heldor als Handelsstützpunkt oder die militärische Verteidigung während des Aufstands unter Answin von Rabenmund.” Wieder hörte man Gemurmel hinter ihnen. Niope erhob ihre Stimme, um dies zu Übertönen. “Und wer stellte sich gegen Rakolus den Schwarzen und griff mit ihren Verbündeten der Loyalistisch Almadischen Wehr die Burg des Verräters an? Die Baronin von Dubios. Und wer war da, in ihrer größten Not und bot seine Hilfe an?” Sie wartete einen Moment ab. “Niemand. Sie war allein. Allein mit ihren Träumen, ihren Ängsten. Nur die, die zu diesen dunklen Zeiten unter dem Grauen des Dämonenmeisters gelitten haben, können auch nur ansatzweise nachvollziehen, was im Geiste meiner Mutter vorging. Ihre Flucht, ja, die könnt ihr ihr vorwerfen, aber nicht die bis dahin ungebrochene Treue zu ihrer Baronie und deren Bewohner.”

„Ah“, seufzte Gualterio abermals vernehmlich und presste die Hände auf die Brust. „Die Wendungen dieser Geschichte drohen mein junges Herz zu brechen…“ Finster funkelte Rondrigo vom Eisenwalde den jungen Caballero an und gab zwei Domestiken in gräflicher Livree einen stummen Wink den Störenfried aus dem Rittersaal zu entfernen. Dieser hatte sich aber bereits selbstständig auf den Weg nach draußen gemacht, sodass lediglich noch sein lautes Gelächter auf dem Gang draußen gedämpft durch die hinter ihm geschlossenen Türflügel zu hören war. Dom Brandil indes achtete solcherlei Ablenkungen gar nicht, sondern nickte den beiden Damen nur leicht zu. „Könnt Ihr vielleicht noch etwas Licht ins Dunkel hinsichtlich der Umstände von Domna Siams Verschwinden bringen? Immerhin war selbiges ja genau der Grund ihrer Verurteilung in absentia.“

“Dann lasst mich berichten, was meine Mutter zu der Flucht aus Dubios getrieben hat. Nach der Erstürmung des Castillo Schrotenstein begann meine Mutter sich zu verändern. Der verfluchte Dämonenbuhler hatte sein Castillo geschützt und allein die wackeren Streiter, die dabei waren und die heroischen Recken der Schlacht an der Trollpforte können ermessen, welcher Schrecken dort im Dunkel gelauert hat. Meine Mutter wurde davon in ihren Träumen verfolgt und auch das Licht des Tages schenkte ihr keinen Trost. Sie fühlte sich in ihrer eigenen Heimstatt von Wesenheiten und Unheil bedroht. Eines Nachts stand sie an meiner Schlafstatt und sagte, dass wir fliehen müssen. Ich hintnerfragte nicht und begleitete meine Mutter auf ihren weiteren Weg. Dieser führte letzten Endes nach Selem in das Kloster der Heiligen Noiona, wo sie schließlich ihren Frieden fand.”

Niope erzählte diese Geschichte mit fester Stimme, während Demeya eine vereinzelte Träne aus ihrem Auge lief. Innerlich schwor sich die junge Frau, dass dieser Colonna, denn sie hatte dieses Lachen und die Stimme wohl erkannt, für sein Verhalten büßen würde. Aber alles zu seiner Zeit. Niope ergriff wieder das Wort. “Euer Hochwohlgeboren, in unserer Begleitung befinden sich Dom Tiako von Rosenteich, Sohn seiner Hochgeboren Gona von Rosenteich und seine Gemahlin Domna Alisea von Lindholz. Er hat ein Schreiben seines Vaters dabei, welches unsere Worte bestätigt und die Geschehnisse auf Castillo Schrotenstein und deren Folgen aus seiner Sicht beschreibt. Wir würden es euch gerne überreichen.”

Graf Brandil nickte dem Rosenteicher Mundillo zu und Rondrigo vom Eisenwalde trat mit klirrender Rüstung die letzte Stufe vor dem Thron herab um das Schreiben entgegenzunehmen. Kurz überflog der alte Castellan die Zeilen und sah dann hoch zum Marmorthron: „Der Rosenteicher bestätigt die Schilderungen der Domnas bezüglich der Ereignisse auf Castillo Schrotenstein. Gegebenenfalls auch unter Eid.“ Bei seinen letzten, womöglich etwas zu laut gesprochenen Worten, warf er den Aranjuezern einen vielsagenden Blick zu. Wie als wäre dies sein Stichwort gewesen, schob sich von dort Rafik von Aranjuez nach vorne. <Tock> erklang der Gehstock, auf den der Advocatus sich stützte, auf dem Marmorboden. <Tock> <Tock> <Tock> Der Centenario von Unterfels ließ sich Zeit, um vor den Eisenwaldern zu humpeln. <Tock> <Tock> Dort angekommen vollführte er einen für sein steifes Knie überraschend eleganten Diener vor dem Grafenpaar, bei dem er seinen Caldabreser so schwungvoll vom Haupte zog, dass Dom Rondrigo vor der wippenden Pfauenfeder zurückzuckte, die seinem ungeschützten Antlitz gefährlich nahegekommen war. „Euer Hochgewohlgeboren, bitte erlaubt untertänigst ein Wort der Replik. Nun, vielleicht auch zwei…“, lächelte er entschuldigend und drehte sich, nach einem Nicken Dom Brandils, zu den beiden Damen.

„Welch anrührender Geschichte wir Zeugen werden durften: die tapfere Kriegerin, stets im Streite wider dem Bösen. Wie schade, dass Ihr mit Eurer Mutter den weiten Weg nach Selem auf Euch genommen habt, statt Euch ins Kloster La Dimenzia der Heiligen Noiona zu Ragathsquell vor den Toren der Reichsstadt Ragath zu begeben. Ein Kloster, welches die Familie unseres Fürsten, ebenso wie die ragatische Nobleza mit reichen Spenden bedenkt. Sicherlich hätten sich die Dinge seinerzeit aufklären lassen, wenn Siam Lacara…“, der Advocatus erlaubte sich eine rhetorische Pause und seine Mundwinkel zuckten spöttisch, als er überbetonte „…vormals Baronin von Dubios…zu La Dimenzia hätte befragt werden können. Wie schade auch, dass Euch auf dem weiten Weg nach Selem scheinbar das eine oder andere aus der Regentschaft von Siam Lacara…vormals Baronin von Dubios…entfallen zu sein scheint. Beispielsweise, wie sie, kaum zwei Götterläufe der Baronin erhoben, ihre Nachbarin, Domna Tora von Cres in blut’ger Fehde überfiel…“

Beide Lacara von Dubios hatten insgeheim schon mit dem Erscheinen von Dom Rafik von Aranjuez gerechnet. Innerlich freute sich Niope fast schon darüber, schien ihr Auftauchen und die Audienz die Aranjuezer doch nervöser gemacht zu haben als gedacht, dass sie jetzt schon ihre stärkste Waffe zogen. Niope und Demeya verbeugten sich, bevor Nuope weiter sprach. “Seid gegrüßt, Dom Rafik von Aranjuez. Wir hoffen euer Anreise aus Unterfels war angenehm. Entschuldigt bitte die Umstände.” Sie richteten sich wieder auf. “Und ich kann leider nicht so ganz nachvollziehen, was an dem Schicksal meiner Mutter so amüsant ist. Es reicht schon, wenn sich ein Bastardsohn lautstark darüber lustig macht. Dieses Niveau ist doch über eurer Würde.” Der Ton in Niopes Stimme wurde zunehmend härter. “La Dimenzia, das Nest der Schwarzen Witwen? Ihr meint das seinerzeit bis auf die Grundmauern abgebrannte Kloster? Vielleicht fehlte meiner Mutter dazu das Vertrauen oder sie hatte so etwas geahnt. Und Domna Tora von Cres war eine Despotin und unterjochte ihr Volk. Meine Mutter befreite die Baronie davon. Seid ihr nur hier um weiter den Namen meiner Mutter zu beschmutzen?”

Der Advocatus lächelte zufrieden, als seine Gegenüber in die Falle getappt war. In dem Versuch die Entscheidung ihrer Mutter zu rechtfertigen, sich seinerzeit nicht nach La Dimenzia zu begeben, hatte die Lacara jene Institution mit Dreck bewerfen müssen, die der ragatische Adel, in dessen Kreis sie zurückzukehren wünschte, seit Jahr und Tag großzügig alimentierte. „Domna Tora von Cres eine Despotin?”, hob Rafik von Aranjuez mit hörbar gespielter Überraschung, ja Entsetzen in der Stimme eine Augenbraue und widmete sich gleich dem nächsten Punkt. „Das mag eine Mutter ihrer jungen Tochter erzählt haben, doch ist das auch die Wahrheit? Tatsache ist doch, dass Siam Lacara, vormals Baronin von Dubios, mit allen ihren Nachbarn in stetem Streite lag. Waren das auch alles Despoten? Oder liegt nicht vielmehr der Schluss nahe, dass es Eure Mutter war, die von Anfang an jede Eignung zur Herrin eines Lehens vermissen ließ?“ Einen Augenblick ließ er seine Worte wirken und wartete genau jenen Moment ab, als die Aramya vielleicht schon zur Gegenrede ansetzen wollte. „Immerhin…“, fuhr er laut fort, diese sogleich zu unterdrücken „…wollen wir nicht vergessen, dass sie von ihrem eigenen Gönner, Seiner Allergöttlichste Magnifizenz Kaiser Hal, verurteilt wurde. Unter anderem dazu verurteilt wurde die Baronie Cres zu räumen.“

Er machte einen Schritt auf Niope Lacara zu, begleitet von dem <Tock> seines Gehstockes. „Denn mitnichten ging es Siam Lacara, vormals Baronin von Dubios, darum die Baronie Cres von einer wie auch immer gearteten Tyrannei zu befreien, sondern vielmehr hielt sie die Lande so lange besetzt, bis sogar der Kaiser zu Gareth sich gezwungen sah einzugreifen. Und nicht nur das…“, abermals machte er einen Schritt und ein neuerliches <Tock> hallte bedrohlich durch seine rhetorische Pause „…sondern vielmehr usurpierte sie seinerzeit sogar den Titel Baronin von Cres. Sind das die Handlungen einer Befreierin?“ Er wandte sich kurz bestätigungsheischend an sein Publikum und entfernte sich einen Schritt. <Tock> „Doch damit nicht genug, ihr wurde ebenfalls durch kaiserlichen Befehl auferlegt ihre Bewaffneten zu entlassen, eine Beschränkung auferlegt, wie viele Reisigen sie künftig unter Waffen halten durfte. Klingt das nach einer Befreierung? Oder war nicht vielmehr Seine Allergöttlichste Magnifizenz ganz offensichtlich nicht der Meinung, dass Siam Lacara, vormals Baronin von Dubios, von Despoten umringt war. Sondern vielmehr, dass sie selbst eine notorische Unruhestifterin war, der es die Waffen aus der Hand zu schlagen galt. Wobei…“

Er lächelte süffisant, so als sei ihm gerade eine Idee gekommen: „Vielleicht haben ja die…Träume…“, abermals bediente er sich einer Betonung, welche jeden Zuhörer wissen ließ, was er von dieser Geschichte hielt, senkte seine Stimme herab, sodass ein Ruck durch die Anwesenden ging, als der eine oder andere in dem Versuch nach vorne drängte die Distanz zum Sprecher zu verringern, der mit einem weiteren <Tock> wieder auf die beiden Domnas zugetreten war „…Eurer Mutter bereits viel früher begonnen? Vielleicht fühlte sie sich ja von Anfang an von Feinden umringt? Vielleicht litt sie ja schon immer unter…“ <Tock> „…Verfolgungswahn? Vielleicht schlug Eure Mutter deswegen die naheliegende Lösung La Dimenzia aus…“ <Tock> „…und machte sich daher lieber auf den Weg nach…“ <Tock> „…Selem?“ <Tock> "Oder fürchtete sie bereits die nächste Anklage?" <Tock> „Ihr mögt es so empfinden, dass ich den Namen Eurer Mutter beschmutze.“ <Tock> "Ich sage, dass Ihr – vielleicht ohne Vorsatz! – ein völlig falsches Bild Eurer Mutter und der damaligen Geschehnisse zeichnet.“

Unruhe brach im Saal aus. Offenbar wie vom Centenario gewünscht, denn er war während seiner Rede nahe genug herangetreten, um den beiden zuzuraunen: „Lasst es gut sein. Geht nicht weiter. Widerruft Eure Ansprüche und verlasst diese Lande für immer. Bevor der Name Eurer Mutter, der Euch so teuer zu sein scheint, auf ewig im Königreich vernichtet ist…“ Der Majordomus hieb das Ende seines Stabes auf den Marmorboden, um die Anwesenden zur Ordnung zu gemahnen, derweil der Advocatus Niope aus seinen grauen Augen herausfordernd anfunkelte. Dann wandte er sich um und entfernte sich wieder einige Schritte, ohne dass dabei der Gehstock zu hören gewesen wäre. Offenbar erwartete er eine öffentliche Antwort, welche möglich wurde, da schließlich Rondrigo vom Eisenwalde mit einem donnernden „Ruhe im Saal!“ auch die kühnsten Stimmen verstummen ließ.

Aber Niope dachte nicht im geringsten daran, das Ausgesprochene einfach so stehen zu lassen. “Wenn meine Mutter, eurer Meinung nach durch ihr Verhalten nicht dazu geeignet war, eine Baronie zu führen, warum hat ihre Allgöttlichste Magnifizenz sie nicht genauso schnell entmachtet, wie sie zur Baronin ernannt wurde? Anscheinend hat sie doch nicht alles so falsch gemacht, wie ihr es hier darzustellen versucht.” Barsch winkte Niope ab. “Und eure Behauptung, das die, wie ihr es so theatralisch betont, vormalige Baronin von Dubios, schon vorher erkrankt war, ist eine Unverschämtheit sondergleichen. Und….” Bevor sich Niope noch mehr in Rage reden konnte, legte ihr ihre Tochter Demeya ihre Hand auf die Schulter. Beide Frauen schauten sich tief in die Augen. Schließlich nickte die Ältere und kurz lächelte Demeya, bevor sie wieder ernst wurde. Sie trat einige Schritte vor bis sie zwischen ihrer Mutter und Don Rafik stand. Zum Grafen gewandt, beugte sie ihr Knie und sprach. “Euer Hochwohlgeboren, wie Don Rafik uns geraten hat, widerrufen wir unsere Ansprüche. Aber wir werden dieses Land nicht verlassen, wie man uns ebenfalls nahegelegt hat, ist es doch das Geburtsland meiner Mutter..” Sie warf Dom Rafik einen kurzen Blick zu. “Es ist müßig weiter darüber zu diskutieren und es werden bestimmt noch genug weitere Gründe auftauchen, um unser Anliegen abzuweisen. Beginnend bei der Ernennung einer nicht-almadanischen Adeligen zur Baronin von Dubios bis hin zu unserem Glauben. Dom Rafik würde bestimmt noch einiges einfallen. Es ist schade, erhoben wir weder Anspruch auf die Baronie noch auf den Alcazar von Heldor, erbaut von den Geldern meiner Großmutter.” Und wieder ging ein Raunen durch die Menge. “Wir entschuldigen uns dafür, eure kostbare Zeit verschwendet zu haben, eurer Hochwohlgeboren. Und auch bei Euch entschuldigen wir uns Don Rafik, wart ihr doch wegen uns dazu gezwungen worden nach Ragath zu kommen um eurem Haus den Rücken zu stärken.” Wieder machte sie eine kurze Pause. “Euer Hochwohlgeboren, wir bitten um die Erlaubnis uns zu empfehlen.’

Rafik von Aranjuez blickte kurz zu seinem Sippgesellen, dem Baron von Dubios, ob er die Angelegenheit damit auf sich beruhen lassen sollte. Doch was Hernán von Aranjuez auf den Schlachtfeldern zwischen Wehrheim und Loch Harodrol gelernt hatte, war, dass man sich nicht mit halben Siegen zufrieden gab. Wenn der Gegner wich, so ging man nicht nach Hause, sondern man setzte nach. Man vernichtete ihn. Ein sachtes Nicken bedeutete dem Centenario von Unterfels, dass, nachdem Niope Lacara das Angebot ausgeschlagen hatte, nunmehr keine Gefangenen mehr gemacht, dass von dem bisschen Reputation, welches Siam Lacara bei dem einen oder anderen Neuadeligen vielleicht noch genossen haben mochte, nicht der kleinste Skrupel mehr übrig bleiben sollte. „Eine weitere, dieses Mal gewisslich nicht ohne Vorsatz vorgebrachte Falschaussage!“, rief Rafik von Aranjuez in den Saal. Rondrigo vom Eisenwalde blickte hoch zum Grafen, ob er dessen Replik unterbinden sollte. Dieser aber zuckte nur mit den Schultern. Die Domnas hatten die Konfrontation gesucht und hatten sie nun gefunden. Der Centenario von Unterfels winkte in den Hintergrund und ein in gräflichen Farben livrierter Lakai trat nach vorne, in den Händen ein Tablett voller Schriftrollen. Gefolgt von einer greisen Frau.

„Kostbare Zeit wurde nicht nur hier verschwendet, sondern auch in den Archiven der Grafschaft Ragath. Hier…“, er griff sich eine der Schriftrollen und warf sie den beiden Damen achtlos vor die Füße „…sind alle Bitten Siam Lacaras, vormals Baronin von Dubios, um Stundung und/oder Aussetzung des Zehnts. Hier…“, eine weitere Schriftrolle folgte hingeworfen „…sind aus den Archiven der Baronie von Dubios die Abrechnungen der barönlichen Hofhaltung aus nämlichen Jahren. Wollt Ihr die Zahlen vorlesen, oder wollen wir uns damit bescheiden, dass die Kosten der Hofhaltung zu Heldor die Kosten der gräflichen Hofhaltung zu Ragath deutlich überstiegen? Wollt Ihr die Zahlen vorlesen, oder wollen wir uns damit bescheiden, dass der Alcazar von Heldor mit Silber errichtet wurde, welches Siam Lacara, vormals Baronin von Dubios der gräflichen Kasse vorenthielt? Wollen wir…“, er deutete auf die Greisin „…Maestra Praiana Molina, seinerzeit gräfliche Kämmerin, zu den Zahlen befragen?“ Nach jenem verbalen Geschosshagel mit immer lauterer Stimme und immer nachdrücklicherer Betonung legte Rafik von Aranjuez eine kurze Pause ein, um dann ungleich leiser und mit gefährlichem Unterton fortzufahren: „Oder wollen wir uns lieber der Frage widmen, warum Ihr, Niope Lacara, als Mundilla der Baronie Dubios seinerzeit Hals über Kopf das Land verließet? Denn was auch immer auf Castillo Schrotenstein geschah: Ihr könnt für jene Nacht vor nunmehr 24 Götterläufen keine geistige Umnachtung geltend machen. Denn Ihr wart nicht dort, auf Castillo Schrotenstein.“

Der Advocatus lächelte wölfisch – nur um dann von einem Moment auf den anderen bar jeglicher Emotion in den Zügen fortzufahren. Lauter, mit einer Stimme, die auch den letzten Winkel des Rittersaales erfüllte, fuhr er fort: „Niope Lacara, vormals von Dubios, so zeihe ich Euch, als im Jahre 1022 BF de-facto Erbin Eurer Mutter Titel der Felonie, des gemeinen Verrats und der schändlichen Treulosigkeit gegenüber Eurem Lehnsherrn wie auch gegenüber Euren Lehnsleuten! Ich klage Euch an der Ehrlosigkeit und verbrecherischen Pflichtvergessenheit, als Ihr aus selbstischem Eigennutz Euer Wohl und das Wohl Eurer Mutter über das ihrer geschworenen Schutzbefohlenen stelltet! Ich beschuldige Euch und Eure Tochter Demeya der niederträchtigen Täuschung, der Aufwiegelung der Fellachen und Störung der praiosgefälligen Ordnung und – nachdem Eure Tochter diese Lande soeben als Eure Heimat bezeichnet – der arglistigen Verschwörung zum Schaden Eures Lehnsherrn!“ Rahjada von Ehrenstein-Streitzig lächelte einige Schritte weiter zufrieden und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihrem Gatten einen Kuss auf die unrasierte Wange zu hauchen. Es war vollbracht.

Stoisch ließen beide Lacara von Dubios die Rede von Rafik von Aranjuez über sich ergehen. Demeya di Lacara von Dubios erhob ein letztes Mal die Stimme. “Dom Rafik, mit dem Urteilsspruch der Felonie verlor meine Großmutter ihr Lehen, dem stimmt ihr mir doch zu. Also verlor dadurch auch meine Mutter den Anspruch der Erbfolge. Das Lehen wurde, wie ihr wisst, neu vergeben. Zuerst an Dom Lacorion Eslam von Dubios, danach an Dom Banilo di Vascara wohl nur als gräflicher Vogt und zu guter Letzt an Dom Hernán von Aranjuez, Euer Familienoberhaupt.” Langsam schritt Demeya auf Dom Rafik zu. “Denn wie hieß es in dem Urteilsspruch: Und damit die Untreue nicht Frucht trage, seien auch die Erben und Nachkommen aller Rechte und Erbschaften verlustig, ausgeschlossen vom Lehen, entehrt vor Adel und Freien, dass kein Kind und Kindeskind je wieder Anspruch erhebe auf das, was durch Felonie verwirkt ward. Daher spart euch diese Anklage, denn das Urteil ist schon längst gesprochen." Sie blieb vor Dom Rafik stehen und hielt ihm ihre Arme über Kreuz hin. “Und was die weiteren Anklagen uns gegenüber angeht, haben durch dieses Urteil weder meine Mutter noch ich einen Lehnsherrn, dem wir die Vorwürfe der niederträchtigen Täuschung, der Aufwiegelung und was ihr uns noch alles vorwerft angetan haben. Nun gut, dann lasst uns festnehmen und wir stellen uns der weltlichen Gerichtsbarkeit.”

Der Advocatus grinste belustigt, als die junge Aramya ihn in Rechtsangelegenheiten zu belehren versuchte. „Das Verbrechen der Felonie zog den Urteilsspruch nach sich. Dessen Rechtsfolgen können das zuvor begangene Verbrechen nicht negieren. Wenn Siam Lacara, vormals Baronin von Dubios, in jener Nacht nicht mehr Herrin ihrer Sinne war, so war Eure Mutter zu jenem Zeitpunkt Erbin der Baronie Dubios. Und wie sie selbst vor allen Anwesenden zugegeben hat, hat sie sich bei Nacht und Nebel selbstisch von Ihren Pflichten absentiert. Erst hernach folgten Prozess und Urteil, welcher Euch Lacaras Titel und Lehen absprach. Zu glauben, dies exkulpiere von vorherigen Pflichten wie Verbrechen ist gänzlich lachhaft.“ Von hinten räusperte sich Hernán von Aranjuez und trat an die Seite seines Vetters, das Haupt vor Graf Brandil neigend. „Ich glaube wir können diese Farce an dieser Stelle beenden. Da das Verbrechen der Felonie durch öffentlich' Geständnis als erwiesen gelten muss, ersuche ich Euer Hochwohlgeboren untertänigst, dass die übrigen Anklagen in Dubios verhandelt werden, trugen sich die verbrecherischen Handlungen doch überwiegend dort zu und waren zum dortigen Schaden von Menschen und Lehen.“ Brandil von Ehrenstein nickte, vermutlich froh, dass dieser Kelch an ihm vorüber ging. So hob abermals der Baron und Junker an: „Ein letztes Mal: verlasst diese Lande auf ewig und kehrt niemals wieder zurück. Dies oder ich lad‘ Euch zu Gericht zu Heldor, in einem Mond von heute an.“

Die beiden Domnas wussten, dass sie verloren hatten. Diejenigen Aramyas, welche ein Interesse an einer rechtgläubigen Baronin von Dubios hatten, waren entweder voller Glaubenseifer in die Wüste gezogen, oder in der Zwischenzeit von Hernán von Aranjuez mit mehr oder weniger subtilen Drohungen dorthin gedrängt worden. Die Gemäßigten hingegen, allen voran die Abencerragen, würden ihre Umtriebe nicht schützen. Nun galt es wenigstens das Leben zu retten. "Exil", schluckte Niope Lacara. Ihr Rivale nickte und hob dann die Stimme: "Niope und Demenya Lacara, ich schlage Euch in Acht und Bann. Binnen dreier Tage habt Ihr dies Land zu verlassen für alle Zeit. Landflüchtig sollt Ihr sein, echtlos, ehrlos, rechtlos. Soweit Docenyos zu Tempeln gehen und Aramyas zu Bethäusern, soweit Feuer brennt und Erde grünet. Soweit Schiff schreitet und Schild scheinet, soweit Himmel sich höht und Dere sich weitet. Versagt soll Euch sein Speis und Trunk und jede Erquickung, Halle und Haus und guter Leute Gemeinschaft und alle Wohnung und Stärkung. Euer Erb und Eigen teil' ich zu den Dubianern, gegen welche Ihr Euch verbrecherisch versündigt. Und wer Euch je zurückgekehrt findet, in Halle und Hof, in Haus oder Heerstraße, der soll Euch erschlagen, ungestraft und soll's bedankt sein dazu von Göttern und den guten Dubianern gleich."

Später, als die Audienz vorbei war und sich das Publikum auflöste, suchte Hernán von Aranjuez noch seine Vasallin auf, Gujadalia di Dubiana. Die geifernde Alte tat so, als sehe sie ihren Lehnsherrn nicht und versuchte den Rittersaal rechtzeitig zu verlassen. Doch kam das Klirren der Silbersporen des Condottieres mit jedem Schritt näher. "Domna Gujadalia, auf ein Wort." Die Angesprochene atmete tief durch und hielt inne. Immerhin musste sie nicht befürchten, dass im Zuge eines Prozesses gegen die beiden Aramyas ihr Name fiel. "Dom Hernán?", lächelte sie eisig. "Die Cortezia gebietet es Euch darüber zu informieren, dass ich Eure Schuldscheine aufgekauft habe." Also stimmten die Gerüchte, dass jemand ihre Schulden für Silbertaler auf den Dukaten aufgekauft hatte. "Eure Familia ist im Zahlungsverzug. Ich bitte Euch, Eure Außenstände bis zum Ende des Firunmondes zu begleichen. Andernfalls sehe ich mich gezwungen Eure Schuld zu vollstrecken." Die Beleihung von Castillo Dubiahöh...