Chronik.Ereignis1046 Die Rochade 07

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Baronie Taubental, 14. Rondra 1046 BF

In der Kanzleistube des Castillo Chellara (nachmittags)

Autor: León de Vivar

Signora Daria ya Cantarra drehte den Brief aus der Puniner Hofkanzlei unschlüssig in ihrer rechten Hand hin und her. Als Kanzlerin der Baronie Taubental gehörte es zu ihren Aufgaben, die Korrespondenz Seiner Hochgeboren zu sichten, ihre Bedeutung zu beurteilen - das hieß, Bedeutendes von Unbedeutendem zu scheiden - und Bedeutendes zusammen mit einem Verfahrensvorschlag ihrem Herrn, dem Baron, zur Entscheidung vorzulegen, während sie Unbedeutendes im Rahmen ihrer amtlichen Befugnisse selbst entscheiden konnte.

Dieser Brief, mit offiziellem Zeichen und Siegel Seiner Excellencia, des almadanischen Landeskanzlers, war ohne Zweifel von hoher Bedeutung. Der Cronrat und die Landstände sollten im kommenden Mond in Punin zusammentreten und die Zusammenkunft sollte mit einem großen Banquet in der Hofkanzlei eröffnet werden. Die Horasierin stellte das Schreiben jedoch vor nicht ein, sondern gleich zwei Dilemmata. Der Kanzler - offenbar ein Mann von allerfeinster Naschsucht - forderte Seine Hochgeboren auf, eine Süßspeise "aus Euren jeweiligen Dominien" als Beitrag zum abschließenden Tee zu kredenzen. Der Unterfelser Juristin war praiosmalklar, dass dieser Aufruf an alle Lehnsträger Almadas ergangen war und nun unter dem Adel des mittäglichen Königreichs ein rechtes Wettrüsten der Confiserien, eine wahre Armería der Delicatessen ausbrechen würde, auf dass man dem Kanzler und dem Königreich seinen Erfindungsgeist, seinen Witz und seine kulinarische Überlegenheit präsentieren könne - alles, um siegreich aus der heißen Schlacht am kalten Buffet hervorzugehen.

Zum Leidwesen Signora Darias war ihr das Taubental bisher als ein Ort bar jeder gezuckerten Köstlichkeiten begegnet. Zwar vermochten die Einheimischen durchaus sättigende und schmackhafte Speisen und Getränke herzustellen. Zartes Lammfleisch, ein Gemüseauflauf namens Orondinische Ohnmacht - angeblich so benannt, weil bei seinem Genuss ein Perainepfaff aus Orondo die Besinnung verloren habe -, mit Äpfeln gefüllter Wildschweinbraten, Rehragout a las Dardas, Ziegenkäse in verschiedensten Stufen der Cremigkeit, dazu das dunkle Tosch Murer Walnussbrot, in der Regel begleitet von Marmelonen- oder Haselbrannt, kamen hier auf den Tisch. Doch all das waren eher rustikale Freuden. Die Kunst der Zuckerbäckerei war im Taubental dagegen in einem beklagenswerten Zustand. Es gab die allgegenwärtigen Schmalzkringel - so genannte Cressos - die wahlweise mit Honig gesüßt oder mit brauner Zwiebeltunke benetzt wurden, aber die waren keine Erfindung des Taubentals, sondern kamen, wie der Name verriet, aus dem ragatischen Cres. Und es gab einfaches Kompott aus Marmeladen, Äpfeln, Birnen, Pflaumen und anderem Obst, das die gute Frau Peraine auch in den mittleren Gebirgslagen Tosch Murs gedeihen ließ. Nichts, was der dem Ondit nach verfeinerten Zunge des Reichsbarons Rafik von Taladur ä. H. auch nur ein Kitzeln entlockt hätte.

Freilich könnte sie den Küchenmeister, immerhin Liebfelder wie sie selbst, anweisen, Ifirnskugeln an Mandelpflaumen aus ihrer velirischen Heimat zuzubereiten. Das für die Zubereitung notwendige Eis lagerte, auch jetzt im Hochsommer, in der unterirdischen Nevería des Castillo. Aber wie sollten die zarten Kügelchen aus Eis, Milch und Zucker den Transport aus dem Taubental ins ferne Punin überstehen? Sie musste mit dem Küchenmeister und mit Magistra Lariana sprechen - vielleicht fiel denen etwas ein. Obschon sie nicht daran zweifelte, dass sie damit so manche almadanische Nachspeise ausstechen würde, wäre es kein Zeichen von Heimattreue, wenn der Baron im Taubental und Gemahl der Gräfin von der Südpforte liebfeldische Süßspeisen zur Tafel des Kanzlers brächte. Es musste eine ganz neue, eine Waldwachter Rezeptur sein. Vielleicht mit einheimischen Früchten und Ziegenmilch?

Und das war Signora Darias zweites Dilemma. Ihr Herr, Seine Hochgeboren León Dhachmani de Vivar, der sechste seines Namens, machte keine Anstalten, sich in seinen Lehnslanden blicken zu lassen. Nun war es nicht ungewöhnlich, dass der Baron über Monate andernorts seiner Angelegenheiten und Vergnügungen frönte, doch nun war es über zwei Jahre her, dass er ins Selkethal im Taladurer Umland ausgeritten und von dem dortigen Reitturnier nicht mehr wieder gekehrt war. Alle Nachforschungen seiner Gemahlin, Ihrer Hochwohlgeboren Gerone vom Berg, seiner Schwester Delilah Dhachmani de Vivar und auch ihrer selbst waren bisher vergeblich gewesen. Die Kanzlerin hatte, so gut sie es eben vermochte, in seiner Abwesenheit die Geschäfte der Baronie Taubental fortgeführt, doch alle bedeutenden Entscheidungen hatte sie aufschieben müssen. Es gab also weder Süßspeisen im Taubental, die der Bezeichnung "Süßspeise" zur Ehre gereichten, noch einen Baron, der diese in Punin präsentieren konnte. Signora Daria entschloss sich, ein Schreiben an den Bruder ihres Herrn, Cronrat Amando Dhachmani de Vivar, aufzusetzen, um diesen um Rat zu ersuchen.