Chronik.Ereignis1046 Der Lindwurmjäger 02

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Baronie Taubental, 15. Rondra im Jahre 1046 BF

Auf Castillo Chellara (nach Sonnenuntergang)

Autor: BBB

Es war schon spät – die Praiosscheibe hatte sich vor mehr als dem Ablauf eines Stundenglases hinter die Bergkuppen des Tosch Mur verzogen und Dunkelheit hatte sich ausgebreitet. Kein Madamal und keine Sterne waren am wolkenverhangenen Himmel zu entdecken. Stattdessen regnete es in Strömen, und das Rauschen des Windes zusammen mit dem Rauschen des Wasserfalls war so laut, dass man gezwungen war laut zu rufen, wollte man sicherstellen gehört zu werden.

Es war zu diesem Zeitpunkt, dass drei dunkle und vom Regen durchnässte Gestalten den steilen Serpentinenweg zum Castillo Chellara hinauf zogen, um noch zu später Stunde eine Audienz bei Seiner Hochgeboren, dem Baron im Taubental, León de Vivar zu erbitten. Mit sich führten sie einen von einem alten Klepper gezogenen Wagen, dessen Ladung unter einer dunklen Plane verborgen war. Einzig der bestialische Gestank nach Fäulnis und geronnenem Blut verriet, dass es keine gewöhnliche Ladung war.

„‘S is da vorn“, sagte der alte Mann, welcher die kleine Gruppe zu führen und den Weg zu kennen schien, auf das Castillo deutend. „Glaub ab'r nicht, dass wir um diese Zeit noch empfang'n werd'n.“

„Ah, mein Freund, ich bin sicher, die Herrschaften werden uns freudig und gebührend empfangen, egal zu welcher Stund, wenn sie erfahren, was wir mit uns führen“, erwiderte der größte der Drei, sein Garethi im melodischen Singsang des Tulamidya gesprochen.

Der dritte, offenkundig ein Zwerg, grunzte nur zustimmend und sagte nichts.


Autor: vivar

Der Alte zuckte mit den Schultern und wies mit seiner Sturmlaterne nach vorne, als wolle er stumm bedeuten, nun müsse man erst mal am Tor ankommen und dann werde man schon sehen, wer Recht behalte. An der Abbruchkante des Hochplateaus angekommen, wurde der Weg eben und teilte sich. "Recht'rhand geht's über's Ximesín in d'Nordmarken. Link'rhand nach Chellara." Sie wandten sich nach links und überquerten über eine heruntergelassene Zugbrücke über eine natürliche Kluft, die nicht anders entstanden sein konnte, als dass eine Gigantenhand den über dem tief unter ihnen liegenden Örtchen Kellfall dräuenden Felssporn des Castillo vom Rest der Hochebene abgerissen hatte, und standen nun vor dem Tor der Vorburg. Der Lichtkegel der Sturmlaterne reichte nicht weit, so dass die beiden massigen basaltenen Tortürme mit den nadelspitz zulaufenden Kupferdächern in der Dunkelheit nur zu erahnen waren.

Ein Fallgatter war aus schweren Eichenbohlen gezimmert und mit Metallplatten verstärkt. Zu dieser Stunde war es freilich herabgelassen. Der Alte hob suchend die Laterne, bis ihr Licht auf eine Kordel fiel, die rechts neben dem Tor herabhing. Mit einem kurzen Blick zu seinem Begleiter sich vergewissernd, dass dies auch tatsächlich dessen Wille sei, zog er an der Schnur, worauf über ihnen ein heller Glockenschlag ertönte. Gleich darauf hob eine Meute Hunde irgendwo in der Vorburg zu bellen an.

Etwas länger dauerte es, bis in der Dunkelheit über ihnen, wohl aus einem der Türme, eine weibliche Stimme ertönte: "In der Götter Namen! Wer seid Ihr, woher kommt Ihr und was ist Euer Begehr?"


Autor: BBB

Der offenkundige Anführer der kleinen Gruppe blickte auf und bemühte sich auszumachen, woher die Stimme genau gekommen war, was bei der Dunkelheit und dem Regen nicht ganz einfach war. Als er glaubte, die Stelle gefunden zu haben, verneigte er sich tief und in weit ausladender Geste.

"Verzeiht die Störung zu so später, dem Herrn Boron gefälliger Stunde", erklärte er entschuldigend und in aller Ruhe in seinem leicht tulamidischen Singsang, als wäre es helllichter Tag und Sonnenschein. "Erlaubt mir mich vorzustellen, mein Name ist Alev ibn Hamar. Ich komme in Begleitung meines guten Freundes, Ertax, Gillgeschs Sohn", stellte er in Richtung des Zwerges deutend vor, "und dies", er deutete auf den Alten mit der Laterne, "ist der Euch eventuell bereits bekannte Adoncio Olivarez, aus dem Drachental, aus dem wir auch gerade kommen. Ich bitte erneut untertänigst um Verzeihung für die späte Störung, doch war es mir ein persönliches Anliegen den hohen Herrschaften mitzuteilen, dass die vor vielen Götterläufen ausgerufene Drachenhatz und die Terrorherrschaft der Schlange endlich ihr verdientes Ende gefunden hat."

Während er diese Worte sprach, griff er in eine Umhängetasche und holte einen etwa faustgroßen, leicht gekrümmten Zahn hervor. Er nahm dem Alten die Laterne aus der Hand, hielt sie hoch, und den Zahn davor, sodass er trotz der Dunkelheit gut sichtbar war. "Wir sind hier, um zu verkünden, dass das Drachental befreit wurde und die versprochene Belohnung zu beanspruchen."


Autor: vivar

Überraschtes Schweigen war die Antwort aus der Dunkelheit über ihnen. Es dauerte eine Weile, doch dann war das Kratzen von Metall auf Holz und das Rattern einer gut geölten Kette zu vernehmen. Stiefelgeklapper erscholl und wurde, sich über irgendwelche Wehrgänge oder Treppen entfernend, leiser. Das Gebell der Hunde dagegen wurde lauter.

Schließlich wurde das Fallgatter hochgezogen, verschwand im Dunkel und gab den Weg ins lichtlose Innere des Torhauses frei, in das der alte Olivarez den Klepper - zögernd und immer mit dem Blick zu seinem tulamidischen Wortführer - hineinführte. Am anderen Ende öffnete sich hinter einem weiteren Fallgatter gleicher Bauart ein doppelflügeliges Tor aus festen Bohlen und ließ Licht in die Finsternis. Eine Hellebardierin mittleren Alters, angetan mit blinkendem Kürass und Morionhelm, stand im Licht einer Blendlaterne - offenbar die Nachtwächterin, die sie von oben herab angerufen hatte. Sie winkte Alev näher und beleuchtete mit einem Blick, der gleichermaßen Misstrauen und Erstaunen barg, den in die Höhe gehaltenen Zahn. Dann pfiff sie durch die Zähne und auch das zweite Fallgatter ward hochgezogen.

“Folgt mir.”

Dies taten die regennassen Besucher und betraten solcherart mit ihrem stinkend beladenen Gefährt den Äußeren Hof. Hinter der mächtigen Pforte mit Zugbrücke, gleich zwei Fallgattern und Eichentor erschien ihnen dieser in der schwachen Beleuchtung einiger soeben entzündeter Fackeln als wenig mehr denn eine beengte, beinahe gedrungene Hohlgasse. Im Schatten der acht Schritt hohen Mauern kauerten linkerhand der Hundezwinger und ein Wachhaus samt Pferdestall. Es wäre kaum Platz gewesen, den Karren zu wenden.

Ohnehin war es dafür nun zu spät, wie Adoncio mit leichtem Unbehagen feststellte: Das äußere Fallgatter wurde wieder herabgelassen und der Rückweg war versperrt. Doch nun ging es, der Gardistin hinterher, weiter. Über eine breite, von Statuen gesäumte gepflasterte Rampe hinauf, durch ein weiteres Tor, in ein weiteres mit Fallgatter und Schießscharten bewehrtes Torhaus hinein und durch ein erneutes Tor wieder hinaus, bis sie im verregneten Inneren Hof standen.

Dass Chellara ein zwar kleines, aber äußerst wehrhaftes Castillo war, daran bestand kein Zweifel. Er hatte es schon oft bei seinen Besuchen drunten in Kellfall weit über sich dräuen sehen, mit seinen basaltenen Mauern, von denen man sagte, ein gewaltiger Erdgeist habe sie festgefügt, und den Türmen mit ihren kupferbeschlagenen Dächern, die wirkten, als habe der selbe Geist sie einzeln mit den Fingern angespitzt und in die Höhe gezogen und die an sonnigen Tagen blendend gleißten. Doch hatte er bis zur heutigen Nacht das Castillo nie von innen gesehen. Alles schien darauf ausgerichtet, Eindringlinge bei jeder möglichen Gelegenheit aufzuhalten, ihnen jeden weiteren Schritt zu erschweren und den Blutzoll für Angreifer so weit wie möglich in die Höhe zu treiben. Und hier sollte der ’’’Schöne Baron’’’ leben, der angeblich der Göttin Rahja so hold war?

Der Alte ließ den Blick durch den Inneren Hof wandern. An allen fünf Seiten wuchsen Mauern so weit in die Höhe, dass er in der Dunkelheit ihr Ende nicht zu erahnen vermochte. An allen fünf Seiten zogen sich, eine über der anderen, von steinernen Säulen getragene Galerien hinauf, die zwar durch kunstfertige Steinmetze mit Ranken, und Ornamenten verziert waren, von denen Bogner oder Armbrustschützen den Hof aber dennoch mit tödlichen Salven bestreichen konnten. Der Hof war nicht nur ein Kerker, sondern ein steinernes Grab unter freiem Himmel.

Auf der untersten Galerie - immer noch vier Schritt über ihnen - standen zwei Gestalten. Ein gebückter, kahlköpfiger Greis in einem perfekt sitzenden blauen Rock, der einen großen Kerzenleuchter hielt, und eine Domna im schwarzen spitzenbesetzten Kleid, mit zwar grausilber glänzenden, doch vollem, ordentlich aufgesteckten Haar und einer aufrechten, vom Alter ungebeugten Haltung. “Seid in Traviens Namen willkommen auf Chellara, Doms”, rief mit brüchiger Stimme der Alte. “Seine Hochgeboren befinden sich derzeit nicht vor Ort. Halten zu Gnaden, derweil mit Domna Daria ya Cantarra, der Kanzlerin der Baronie Taubental, vorlieb zu nehmen, die befugt ist, im Namen Seiner Hochgeboren für alle Belange, welche die Administration seiner Ländereien betreffen, zu sprechen.”

“Schon gut, Gualdini.” Die Domna nickte und hob an zu sprechen: “Es ward uns berichtet, dass Ihr am Tore affirmiert hättet, den Lindwurm aus dem Drachental überwunden zu haben, auf dessen Tod oder Vertreibung Seine Hochgeboren vor nunmehr einer Dekade eine Belohnung ausgelobt hat. Falls Ihr in nomine Praiotis tatsächlich wahr gesprochen habt - auch wenn man sich verwundert, dass Ihr dann nicht im Angesichte Praiotis, sondern in boronschwarzer Nacht mit diesem Geschäft uns visitiert -, so wäre es nur angemessen, Euch für diese diffizile und honorable Tat zu felicitieren. In diesem Falle könntet Ihr aber sine dubio demonstrieren, dass es sich bei Eurer Affirmation um keine Exaggeration handelt, Herr…?”


Autor: BBB

“Alev ibn Hamar, mein Name. Ich bitte untertänigst die Störung zu solch später Stunde zu entschuldigen, hochgeborene Herrin”, erklärte sich der Anführer der Drei, in eine tiefe Verbeugung fallend. “Wir… sind einfache Leute. Reisende, auf der Suche nach dem von den Göttern für uns vorgesehenen Pfad. Nichts läge uns ferner, als den hohen Herrschaften auf dieser schönen Burg, in diesen schönen Landen Umstände zu bereiten, aber in unserer Einfalt nahmen wir an, dass Kunde wie solche, die wir bringen, am besten persönlich und unvermittelt überbracht wird, ehe sie durch fremde Zungen Dritter an eure Ohren dringt und für unglaubwürdig befunden wird. Denn hier stehe ich, Alev, Sohn des Hamar, im Angesicht solch hoher Herrschaften und der Götter selbst und kann voll Stolz verkünden, mit eigener Hand und Dank des althergebrachten Wissens der Angroschim wie meinem guten Freund Wegbegleiter Ertax hier neben mir den Lindwurm, die schwarze Schlange des Drachentals, erschlagen zu haben.”

Erneut präsentierte er den Zahn, hielt ihn für alle gut sichtbar über den eigenen Kopf.

“Ein Zahn, aus dem Maul der Schlange getrennt. Ein erster, wenn auch nicht zwingender Beweis, als Geschenk für die hohen Herrschaften zum Verbleib in der Burg, auf dass die Geschichte des Monsters noch in den folgenden Generationen erzählt werden kann.”

Er sank auf ein Knie, präsentierte den Zahn mit beiden Händen. Legte ihn dann vorsichtig vor sich ab, während der Regen darauf hernieder fiel. Dann stand er wieder auf, ohne den Blick abzuwenden.

“Zudem, die Aussage eines der Euren, Adoncio Olivarez, ein Bewohner und enge Vertrauter des Drachentals.” Bei diesen Worten deutete er auf den Alten. “Ein zweiter, ebenfalls nicht zwingender, aber vielleicht bereits überzeugender Beweis.”

Und noch bevor der Alte ansetzen konnte etwas zu sagen, fuhr Hamar mit erhobenem Zeigefinger fort: “Doch eine Belohnung, wie jene, die hier ausgelobt und versprochen ward, welche ich gedenke hier nun, nach so langer Zeit, endlich einzufordern, erfordert mehr, als Indizien und Aussagen von Zeugen, so glaubwürdig sie auch sein mögen.” Er machte eine kurze Kunstpause, eher fortfuhr: “Hohe Herrschaften, ich bitte den gar grässlichen Gestank und den abscheulichen Anblick zu verzeihen, dessen Ihr nun ansichtig werdet. Aber voller Stolz präsentiere ich…”

Er sah zum Zwerg, der in der Zwischenzeit zum Karren gegangen war, die Hand an die Plane gelegt, um auf das verabredete Zeichen zu warten. Als Hamar nickte, schlug der Zwerg mit einer kräftigen Bewegung die Plane beiseite und offenbarte:

“...den Kopf der Schlange!”


Autor: vivar

Unwillkürlich wichen die Kanzlerin und der Castellan von der Balustrade zurück. Im flackernden Lichtschein präsentierte sich ihnen auf der Ladefläche des Karrens - ähnlich der Auslage eines Marktstands - ein schwarz-brauner Klumpen, groß wie eine Wildsau, doch nicht mit Borsten, Haxen und Hauern, sondern über und über mit schwarzen Schuppen bedeckt. Augen groß wie Männerfäuste starrten tot und leer aus dem Schädel. An verschiedenen Stellen ragten schwarzglänzende Hörner und Höcker hervor, so dass die Physiognomie des Wesens schwer zu fassen war. Am hinteren Ende war der Schädel jedoch unnatürlich glatt, so als hätte ihn jemand abgeschnitten.

Signora Daria gab sich einen Ruck, löste sich von der Galerie und verschwand im Inneren des Castillo. Kurz darauf betrat sie durch eine kleine Tür, welche die Reisenden zuvor gar nicht bemerkt hatten, den Hof. Der Greis schlurfte mühselig hinter ihr her.

Der von dem Schädel ausgehende Gestank war tatsächlich beißend und die Kanzlerin zog eilig ihr Schnupftuch hervor, um es sich vor Mund und Nase zu halten. Solcherart bewehrt, wagte sie sich auf drei Schritt an die Reisegruppe und ihre Fracht heran. Ihre Augen weiteten sich vor Furcht, als sie der bis auf einen Eckzahn vollständig gelblichen Zahnreihe im Maul des Untiers, welches im Todeskampf zu einem hämischen Grinsen verzerrt war, gewahr ward. Sie tat einen Schritt zurück, um wieder Atem schöpfen zu können.

“Der Verwesungsgeruch ist… streng”, untertrieb sie. “Wie lange ist er… ist ’’es’’ schon tot, Meister Alev?”


Autor: BBB

“Hohe Dame, wir eilten zu Euch und Eurem Herrn so schnell wir es vermochten, doch der Weg durch die Berge ist lang und beschwerlich, wie Ihr Euch vorstellen könnt, und man kommt nur sehr langsam voran, zieht man einen solch schwer beladenen Karren hinter sich”, erklärte der Gefragte entschuldigend.

“Erschlagen haben wir die Bestie am gestrigen Morgen”, erklärte der Zwerg, in Garethi in seinen Bart brummelnd. “Mussten ihn aber vorbereiten. Beine sind kurz. Menschen sind schnell erschöpft. Ist die innere Fäulnis, die aus ihm herauskriecht, hohe Dame. Besser nicht zu nahe kommen. Schwer wieder loszuwerden, der Gestank. Und noch schwerer zu vergessen.”

“Ihr seht jedoch, mit eigenen Augen, dass wir nicht übertrieben haben und lediglich bescheiden und untertänigst die Belohnung erbitten, welche Seine Hochgeboren so großzügig und voller Weisheit ausgelobt hat”, wiederholte Alev ibn Hamar sein Begehr.


Autor: vivar

Obwohl sie inzwischen wieder einige Schritt zwischen sich und den stinkenden Bestienschädel gebracht hatte, hielt sich die Kanzlerin weiterhin das Tüchlein vors Gesicht und antwortete solcherart gedämpft: “Gewiss, gewiss, Meister Alev, eine fürwahr laudable Tat und ein rondragefälliges Unternehmen! Meine Felicitation also und sine dubio ist die Belohnung redlich verdient.

Nur”, sie zögerte, “so gern man Euch auch dieselbe aushändigen wollte, ist es mir verwehrt. Wie unser guter Castellan erwähnte, weilen Seine Hochgeboren derzeit nicht auf Chellara oder im Taubental, und da es sich bei der Belohnung um den Ritterschlag und die Belehnung mit dem nunmehr befreiten Drachental handelt, können nur seine Hochgeboren in personam Euch diese zuteil werden lassen.”

Sie sah zu den drei Gestalten, zu der Trophäe und dann gen Alveran hinauf, von wo es noch immer troff. “Nun, es ist bereits spät und heute Abend wird das wohl nicht mehr geschehen. Man soll Euch ein heißes Mahl und Nachtlager bereiten. Seid unsere Gäste auf Chellara, bis Seine Hochgeboren retournieren. Vielleicht ist Phex uns ja hold und das wird schon am morgigen Tage sein - und, ich bitt’ Euch, deckt es wieder zu!”


Autor: Alberto Fredarcarno

Die Kanzlerin ließ den Blick noch einen Moment auf dem abgedeckten Schädel ruhen, während das Prasseln des Regens gegen die Fensterläden anschwoll. Für einen Augenblick schien es, als wolle sie noch etwas hinzufügen, doch sie besann sich und überließ die Gäste dem Castellan, der mit sorgsam neutralem Gesichtsausdruck diesen ihre Kammern zuwies..

Während sie in ihre Amtsstube zurückkehrte, ging sie im Stillen die Angaben der Ankömmlinge noch einmal durch. Nach eigenem Bekunden hatten sie die Bestie am gestrigen Morgen erschlagen, doch der beschwerliche Weg durch die Berge und der Transport der Trophäe hätten die Verzögerung verursacht. Die Entfernung zwischen Drachental und Chellara war tatsächlich beträchtlich, könnte jedoch für einen schwer beladenen Karren und erschöpfte Begleiter trotz der witterungsbedingten Unbilden der vergangenen Tage durchaus möglich sein. Ein erfahrender Wanderer mochte die Strecke mit schwerem Gepäck sicher innerhalb einer halben Tagesreise bewerkstelligen.

Auch der Zustand der Trophäe war auffällig: Trotz der angeblichen „inneren Fäulnis“ und des Gestanks wirkte der Schädel erstaunlich intakt. Hätte er nicht deutlichere Kampfspuren zeigen müssen? Wieso konnte das Untier innerlich am Verfaulen sein, nicht jedoch an der schuppigen Haut? Vielleicht wurde die Kanzlerin jedoch auch von dem spärlichen Licht getäuscht. In jedem Fall sollte sie sich das Drachenhaupt bei Tageslicht noch einmal genauer ansehen. Sie musste sich eingestehen, dass sie keine Ahnung davon hatte, wie ein toter Drachenleib oder -kopf nach wenigen Stunden oder Tagen auszusehen hatte.

Außerdem notierte sie bei sich, dass es ratsam wäre, den Bericht des Angroscho mit dem der lokalen Jäger abzugleichen. Vielleicht war der Wurm anderweitig verstorben und von den drei Gestalten lediglich aufgefunden und dann entsprechend präpariert worden.

Nicht zuletzt warf sie einen Blick auf die Gäste selbst: Ihre Kleidung zeigte Spuren der Reise, doch keine der tiefen Schlammspritzer, wie sie nach stundenlanger Fahrt durch aufgeweichte Pfade zu erwarten gewesen wären. War es bloß Zufall, oder hatte man unterwegs Halt gemacht – vielleicht sogar länger als angegeben?

Wie konnte es sein, dass Drachenjäger, die nach eigenem Bekunden derart erfolgreich gewesen seien, so spärlich bewaffnet gewesen seien? Hatten sie ihre Waffen etwa zurückgelassen, verborgen oder hatte es nie eine hinreichende Bewaffnung für eine erfolgreiche Lindwurmjagd gegeben?

Wieso führten die drei Fremden keine Schätze mit sich? Hätte nicht der Hort eines erschlagenen Drachens ebenfalls Erwähnung finden müssen? Hätte nicht ein kluger Lindwurmjäger alles dafür getan, möglichst unverzüglich den Hort unter seine Kontrolle zu bringen und diesen vor zufälligen Wanderern zu verbergen oder ihn für sich zu bergen? Die Gedanken der Kanzlerin suchten nach weiteren Unstimmigkeiten.

Die Kanzlerin vermerkte ihre Zweifel nur für sich. Offenkundig war die Heldentat, wie auch die Belohnung, ein Politikum. Sie würde die Zahori Nuerta anweisen, diskret Nachforschungen anzustellen. Am Ort eines von angeblicher Heldenhand erschlagenen Drachens sollte es sicher deutliche Kampfspuren und wohl auch Drachenblut geben. Vielleicht konnte auch dieser Dracologe Dom Rahjindan von Lûr etwas dazu beitragen? Immerhin hatte er die Bestie damals leibhaftig gesehen. In Almada war es klug, nie alles für bare Münze zu nehmen – und stets zu prüfen, ob hinter einer Trophäe nicht doch ein anderes Spiel verborgen lag.