Chronik.Ereignis1044 Selkethaler Pferderennen zu Ehren der schönen Göttin 1044 BF 40
Edlengut Selkethal, 03. Rahja 1044 BF, nachts
Autor: BBB
Normalerweise dauerte es nur wenige Augenblicke, bis Dom Algerio ins Reich der Träume glitt, hatte er sich einmal hingelegt. Dies galt umso mehr an Tagen, an denen er viel erlebt, viel erreicht hatte. Während der Rennen schlief er für gewöhnlich schnell und tief. Ein Geweihter des Boron hatte ihn einst gefragt, ob er eine ‘besondere Verbindung’ zum Gott des Schlafes und des Vergessens pflegte - als Almadaner ja immerhin keine ganz abwegige Annahme. Gut, er hatte es eher darauf bezogen, dass Algerio seine Kindheit, Jugend und den Beginn seines Erwachsenenlebens komplett vergessen hatte - aber auch wenn man seinen Schlaf betrachtete, hätte dies der Annahme einer Verbindung zumindest nicht widersprochen.
Aber nicht so heute Nacht.
Er lag auf dem Rücken, ausgestreckt, den Kopf auf dem harten Kissen, und starrte an die Decke über ihm. Innerlich fand er keine Ruhe.
‘Was geschieht nur mit mir, Phex?’, sprach er in Gedanken, halb im Gebet, halb zu sich selbst. ‘Was ist dein Plan? Was übersehe ich?’
Obwohl er die Augen geöffnet, die Decke seines Schlafgemachs gut sichtbar vor sich hatte, nahm er die Holzplanken und Vertäfelungen nicht wahr. Stattdessen gingen ihm Erinnerungen durch den Kopf. Erinnerungen und verpasste Gelegenheiten der letzten Stunden.
Sie hatte so betörend ausgesehen, wie sie auf dem Stein im Wasser gesessen, fast gelegen hatte. Das Licht des Madamals hatte ihre Silhouette umspielt, ihr diese einzigartige Aura verliehen. Selbst als sie fast in den Fluss gefallen, ihr Kleid pitschnass geworden war… Algerio spürte noch immer den sanften Druck ihrer Hand auf seinem Oberarm, ihre Wärme auf seiner Haut, hatte ihren Duft in der Nase.
‘Prüfst du mich, Mungo? Willst du mich verwirren? Mir zeigen, wie es sich anfühlt, wenn der Geist vernebelt ist und man keinen klaren Gedanken fassen kann? Oder tue ich dir unrecht und das hier ist gar nicht dein Werk?’
Er seufzte, laut hörbar, auch wenn niemand da war, um es mitzubekommen. Mit Daumen und Mittelfinger der linken Hand umfasste er seinen Nasenansatz, um sich zu fokussieren, die Gedanken zu ordnen. Doch als er die Augen schloss, war sie wieder da. Hielt ihr Pferd, verabschiedete sich mit freundlichen Worten. Noch jetzt spürte Algerio das Verlangen, nach ihr zu greifen, sie zu sich zu ziehen, sie zum Abschied zu küssen.
Wie damals, im Fuchsbau.
Nur dass er dieses Mal keine Ausrede hatte.
Es war nicht der Wein, nicht der Alkohol, der seine Sinne benebelte.
Seufzend schlug Algerio die Decke beiseite, setzte sich auf. Es hatte keinen Sinn, er würde so keinen Schlaf finden können. Mit drei schnellen Schritten war er an seinem Kleiderschrank, holte die kleine Truhe heraus, die sich darin befand, und öffnete ihr Schloss mit flinken Fingern. Dann zog er die darin befindlichen Schuhe mit weicher Sohle an. Er hatte nicht vor, durch ungewollt schwere Schritte einen Bediensteten oder gar einen der Gäste zu wecken.
Aber er musste den Kopf frei bekommen.
“Ich vertrau auf dich, Listiger”, sagte er leise, ehe die Tür hinter ihm - lautlos - ins Schloss fiel.