Chronik.Ereignis1044 Selkethaler Pferderennen zu Ehren der schönen Göttin 1044 BF 39

Aus Almada Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Edlengut Selkethal, 03. Rahja 1044 BF, spät abends

Autoren: Eliane & BBB


Fabiola schreckte auf. Jemand näherte sich. Sie hatte die Festlichkeiten nur für einen kurzen Moment verlassen, um sich die Beine zu vertreten, die Erschöpfung abzuschütteln, die sie am späteren Abend ergriffen hatte. Sie hatte sich geweigert, dieser Schwäche am letzten Abend nachzugeben. Schließlich hatte sie die letzten, aufregenden Tage, das Festmahl und den anschließenden Tanz gut überstanden. Die Blöße, jetzt Schwäche zu zeigen, hatte sie sich nicht geben wollen. Ein wenig frische Luft würde reichen, sich wieder in den Griff zu bekommen. Das hatte sie gedacht. Sich eine ruhige Ecke gesucht, ganz in der Nähe, im Schatten eines Gebäudes. Und dann musste sie eingenickt sein.

Nun war es spät, die Musik verstummt, nur wenige Stimmen klangen noch durch die sternenklare Nacht. Phexens Schätze am Firmament strahlten wie die Auslage eines Diamantenhändlers, der seine Auswahl der Kaiserin präsentierte.

Sie erkannte die Silhouette, die in ihre Richtung kam. Rasch richtet sie sich auf, kontrolliert unbewusst Kleid und Frisur. Dann räusperte sie sich dezent, trat aus den Schatten, um Dom Algerio nicht zu erschrecken.

“Domna Selea”, begrüßte Algerio sie mit einem Kopfnicken, “wie ich sehe, seid Ihr noch auf. Sucht Ihr die Ruhe und Abgeschiedenheit abseits der Gesellschaft, oder darf sich ein nächtlicher Wanderer noch für einen Augenblick zu Euch gesellen?”

„Bitte, ich freue mich über Gesellschaft. Besonders, wenn es die eines ortskundigen Wanderers ist, der eine Ortsfremde bei nächtlichen Streifzügen unter Feqzens Sternenzelt sicher geleitet. Heute leider nur noch zu ihrem Quartier, fürchte ich. Auch wenn ich einem kleineren Umweg nicht abgeneigt wäre.“

Algerio grinste, reichte der jungen Frau die Hand. “Na, wenn das so ist, ist es mir eine Ehre und, wenn ich das sagen darf, Freude, Euch zu Eurem Quartier zu geleiten”, grinste er augenzwinkernd ob des zweideutigen Angebots.

Dann wurde er wieder etwas ernster. “Wenn Ihr mögt… nachdem ich Euch meinen bevorzugten Platz in Punin gezeigt habe, mein bevorzugter Platz hier im Tal liegt beinahe auf dem Weg zu Eurem Lager.” Er hielt kurz inne, ergänzte dann: “Zwei meiner bevorzugten Plätze, wenn ich es recht bedenke. Wollen wir?”

Er hielt ihr auffordernd den Arm hin, als Angebot sich einzuhaken, dann machte er sich auf den Weg, nicht direkt zu den Zeltlagern, die sich vom Dorf- und Festplatz aus gesehen Efferdwärts befanden, sondern gen Praios, in Richtung der Stallungen.

„Mit Vergnügen. Ich bin gespannt, auf beide.“ Fabiola legte ihre Hand auf den angebotenen Arm, die Form wahrend. Nur für den Fall, dass sie andere Gäste trafen. Sie merkte, wie ihre Erschöpfung in den Hintergrund trat. Mit gesenkter Stimme erkundigte sie sich: „Erwarten mich Obsis oder Algerios bevorzugte Plätze?“

“Hm…”, überlegte Algerio kurz. “Das ist in diesem Falle gar nicht so leicht zu trennen. Ein wenig von beidem, würde ich sagen”, erklärte er augenzwinkernd.

„Dann genieße ich einfach die Gesellschaft beider.“, schmunzelte Fabiola.

„Wie es scheint, gestaltet sich die Etablierung neuer Traditionen recht erfolgreich. Die Teilnehmerzahlen steigen, und es muss nicht länger die Ausrichterin den Ritt im Rahjengewandt übernehmen.“

Algerio lachte herzhaft, schüttelte dann in gespielter Verzweiflung den Kopf. “Als mir Fanyas… Verzeihung, als mir Farfanyas Auftritt letztes Jahr zu Ohren kam, hielt ich es für einen dummen Zufall, der vielleicht eine schöne Geschichte abgibt und in ein paar Götterläufen wieder vergessen ist. Als ich dann vorgestern hörte, dass wieder eine junge Frau ohne Kleidung über mein Lehen geritten ist…” Er seufzte, ehe er fortfuhr: “Sagen wir so, ich schließe eine göttlichen Plan dahinter nicht aus. Aber wenn es einer sein sollte, erschließt er sich mir nicht”, lachte er.

„Ginge es um Personen mit weniger einwandfreiem Leumund, man könnte vermuten, sie suchen Aufmerksamkeit. Aber so… vielleicht solltest du auch die jährliche Frau ohne Kleider mit einem Preis würdigen. Ich sehe eine qualvolle Entscheidung vor mir, wenn du als Ausrichter zwischen mehreren Kandidatinnen entscheiden musst, weil sich rumgesprochen hat, dass es einen neuen Gewinn gibt.” Sie lachte leise. „Bleibt die Frage, sind auch Männer zugelassen?”

“Nein, nein”, lachte Algerio amüsiert, “damit fangen wir gar nicht erst an. Wir organisieren Pferderennen… damit hab wir genug zu tun.” Allerdings bekam er nun das Schmunzeln nicht mehr aus dem Gesicht, das offenlegte, wie sehr er dieses Gespräch genoss.

“Aber ich sehe schon, nicht die Erfolge unserer Rennteilnehmer machen die Runde.”

Mittlerweile hatten sie die Stallungen erreicht.

Algerio wandte sich vom Haupteingang ab, passierte das Gebäude rechter Hand, wo es ein paar Nebeneingänge gab.

„Ich bin sicher, die Platzierungen sind unter den richtigen Leuten durchaus Thema. Aber Klatsch und Tratsch erfordern einfach weniger Expertise. Und nach allem was ich hörte, ließen beide Fälle mehr Zeit zum Zusehen als die Rennen, bei denen Schnelligkeit das Ziel ist.“

“Wenn dem so ist, vielleicht sollte ich dann doch bisweilen etwas weniger darauf achten dem Bild eines professionellen und höchst ehrenwerten Ausrichters zu entsprechen und den Tratsch gezielt befeuern”, scherzte Algerio augenzwinkernd. “Wir sind gleich da”, erklärte er.

Fabiola musterte die Gebäude. „Ich bin sehr gespannt auf unser Ziel.“

Am letzten Seiteneingang angekommen, öffnete Algerio eine kleine Tür zu den Stallungen. Er hielt sie offen, damit sein Gast passieren konnte, schloss dann wieder zu ihr auf.

Dieser Teil der Stallungen war überaus beschaulich. Acht, vielleicht zehn Pferdeboxen waren hier untergebracht. In der Dunkelheit war es schwer auszumachen, wie viele der Boxen belegt waren, aber der Geruch legte nahe, dass sie zumindest nicht leer waren.

“Komm, hier entlang”, sagte Algerio leise und führte seinen Gast weg von der Stallgasse, hin zu einer schmalen Leiter, die in der hintersten Ecke stand und offenkundig zum Heuboden führte. “Nach dir”, bot er an, “aber pass auf wo du hintrittst.”

Auf dem Heuboden angekommen war deutlich ein kleiner, häufiger genutzter, weil bereits ausgetretener Weg im Heu zu erkennen, an dessen Ende auch der Heuboden endete. Algerio schob einen der Heuballen etwas zur Seite, sodass er als Lehne taugte. Dann setzte er sich, die Beine frei in der Luft über den Pferden baumelnd, und bedeutete seinem Gast es ihm gleich zu tun.

“Hier komme ich her, wenn ich nicht gestört werden will. Meine Fellachen kennen diese Stelle natürlich… aber sie respektieren meinen Wunsch nach Ruhe. Naja, meistens jedenfalls. Nur die Pferde und ich.” Er deutete nach unten und Fabiola erkannte, dass jede einzelne Box belegt war.

Mit Mühe ihre Ungelenkheit verbergend, ließ Fabiola sich zu Boden sinken, lehnte sich nur leicht gegen den Heuballen. „Ein friedlicher Ort. Danke, dass du ihn teilst.” Ihr Blick glitt über die Tiere, die Boxen. „Warm, abgeschieden, ruhig. Sind das die Tiere deiner Zucht?” Sie spürte, wie sich Ruhe über sie legte, ohne dass die Erschöpfung zurückkehrte.

“Naja… Zucht.” Algerio lachte kurz, weil dieser Begriff in seinen Augen so deplatziert wirkte. “Es sind die Pferde, die ich erworben habe und die ich nicht als reine Arbeitstiere nutze. Zu wirklichem Züchten fehlt mir die Zeit. Vielleicht eines Tages wieder.” Er zuckte mit den Schultern.

“Aber ja, es ist ein friedlicher Ort. All meine Lieblingsorte sind solche, an denen ich zur Ruhe kommen kann.” Er lehnte den Kopf zurück, atmete tief ein und wieder aus.

“Ich bin viel zu selten hier”, lachte er dann.

„Wenn nicht zur Zucht - nach welchen Kriterien erwirbst du die Tiere? Zehn Tiere zum Vergnügen - das ist schon beeindruckend.” Fabiola musterte die Pferde, versuchte einzuschätzen, welche Werte dort unten standen.

“Danke. Wenn ich ehrlich bin… ich erwerbe sie, weil sie mir gefallen. Weil sie schnell sind. Oder stark. Sanft. Oder weil sie stolz sind. Im Hinterkopf ist immer der Gedanke an Zucht. Mir wurde gesagt, das wird einem in Ragath antrainiert.” Er zuckte wieder mit den Schultern.

Fabiola lachte. „Also ein bisschen planlos. Beeindruckend, dass du dir das leisten kannst. Gibt es viele so abgelegene Orte im Selkethal? An denen du zur Ruhe kommen kannst? An denen man ungestört ist?”

“Wofür soll ich das Geld sonst ausgeben? Sonst liegt es ja nur herum”, erklärte Algerio augenzwinkernd.

“Und was die Orte der Ruhe angeht… zwei der drei lernst du heute kennen.”

„Hm, zu schade, dass ich ganz und gar unvorbereitet bin, nichts zu trinken mitgebracht habe. Andererseits hatte ich genug. Stell dir vor, man sähe uns gemeinsam auf den Heuboden klettern und nicht mehr herunterkommen. Weil ich zu betrunken für die Leiter wäre. Die Gerüchte!” Sie schmunzelte. „Obwohl es dem Anlass angemessen wäre. Wie viele Paare sich wohl ein ruhiges Plätzchen gesucht haben… Du hast doch Erfahrung mit der Ausrichtung dieser famosen Rennen: wie viele Ehen und Kinder sind aus dem letzten entstanden? Und wie viele Skandale?”

Wieder musste Algerio lachen. “Dass diese Idee von dir kommt, macht sie extra charmant…”, grinste er. Einerseits, weil er sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass Domna Selea sehr auf ihren Ruf bedacht war, aber auch - und vor allem? - weil ihm der Gedanke gefiel. Eine weitere Nacht zu verbringen, mit dieser Frau, allein auf dem Heuboden? Wie hätte er das ablehnen können?

Sein Blick glitt ganz instinktiv zu ihren Augen, die beim schwachen Licht kaum zu erkennen waren - aber das war auch gar nicht notwendig. Ihr Blick hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt.

“Ich muss gestehen”, sagte er schließlich, nach einer viel zu langen Pause, “ich weiß es nicht. Ein… paar? Vielleicht? Zumindest Kinder. Ehen noch keine, von denen ich wüsste.” Ohne den Blick abzuwenden, grinste er. “Aber was nicht ist… ich jedenfalls bräuchte kein weiteres Getränk, um einfach hier zu bleiben.”

Gespielt schockiert schlug Fabiola die Hand vor den Mund. „Aber Dom Algerio, ist das etwa ein Antrag?” Sie lachte. „Ich auch nicht. Leider hast du meine Neugier auf den zweiten Ort vorher geweckt, und du weißt ja, die ist ziemlich stark. Also müssen wir das für ein andermal aufheben. Was die Skandale angeht: Respekt, wenn du es geschafft hast, diese von deinem Rennen fernzuhalten. Bei so spannenden Wettkämpfen, so vielen Feiernden, heißblütigen Almadanern und erstaunlich emotionalen Horasiern. Ich werde mich zur Sicherheit trotzdem erkundigen, um zu wissen, was ich in Bezug auf dieses Jahr erwarten muss.”

Algerio hatte Mühe, sich wieder zu beruhigen - auch er hatte herzhaft lachen müssen. “Ich hoffe, wenn ich eines Tages um jemandes Hand anhalte, dann wird es etwas…”, sein Blick schweifte einmal über den Heuboden, den Staub, das Heu, die Spinnenweben im Gebälk. “Dem Anlass etwas angemessener”, beendete er den Satz.

Dann wurde er wieder etwas ernster. “Achja, Skandale… die Frage hatte ich schon wieder vergessen. Nun, da ist zum einen eine nackte Reiterin zu nennen, die für viel Aufsehen gesorgt hat.” Er schmunzelte. Fabiola winkte ab. „Das scheint eher der Beginn einer Tradition gewesen zu sein, schließlich gab es die dieses Jahr auch. Das ist eher ausgesprochen passend als skandalös. War es nicht sogar die Ausrichterin? Dann zählt es wirklich nicht.“

Algerio grinste. “Einige Diskussion gab es auch darum, dass eine Nordmärkerin ein Almadaner Pferderennen gewonnen hat. Bis klar wurde, dass Domna Verema Almadanerin durch und durch ist, nur eben mit einer Anstellung in den Nordmarken.“

„Wie typisch für unsere Landsleute. Möge der beste Reiter zu Ehren der Schönen Göttin gewinnen. Solange er oder sie zu uns gehört. Nun, dieses Jahr ist ja alles gut gegangen. Mal sehen, wie es in Zukunft aussieht. Wenn weiterhin so viele aus der Fremde dabei sind, wird es irgendwann eng werden.“

Sie schlug die Beine unter, suchte eine bequeme Position, wandte sich Algerio zu, während dieser fortfuhr: „Und seit der Beisetzung Dom Amandos vermute ich, dass sich auch Dom Leóns augenscheinlich überhastete Abreise noch zu so etwas wie einem Skandal entwickeln könnte. Reicht das, um die Neugier nach Skandalen und Klatsch zu befriedigen?”, fragte er schelmisch.

„Natürlich nicht. War er gut? Oder sah er nur gut aus? Ich habe ihn, glaube ich, nie getroffen, aber schon vor meiner… Abreise hatte er einen gewissen Ruf. Wie war er im Umgang? Vielleicht hat er die Aufmerksamkeit der Patronin deines Rennens auf sich gezogen, und sie hat ihn zu sich gerufen. Das Selkethal, der Ort der Entrückung des Schönen Barons - stell dir die Pilgerschaaren vor.“ Sie grinste, wurde dann wieder ernst. „Weißt du, was damals passiert ist? Hat er sich dir erklärt, bevor er abreiste?“ Den Kopf leicht schräg gelegt sah sie Algerio an.

Algerio verdrehte gespielt die Augen, seufzte. “Die Frage, die alle als erstes stellen… natürlich.” Wie oft hatte er die Frage schon gehört. Schon damals, als in seinem Umfeld bekannt wurde, dass Dom León sich für die Rennen angemeldet hatte. Anfangs hatte es ihn noch genervt, aber mittlerweile amüsierte es ihn nur noch. Daher fuhr er lachend fort: “Er war… sagen wir, seine Reitkunst blieb hinter dem, was ich erwartet hatte, zurück. Einzig bei der Fuchsjagd tat er sich hervor. Den Umgang kann ich kaum beurteilen, wir hatten kaum miteinander zu tun. Ich war die meiste Zeit damit beschäftigt dafür zu sorgen, dass die Rennen halbwegs reibungslos laufen.” Bei dem Gedanken daran, wie viel Schweiß und Nerven ihn die ersten Rennen gekostet hatten, musste er sich ein weiteres Mal ein Lachen verkneifen. Wie weit sie doch schon gekommen waren, wie viele Fehler sie diesmal vermieden hatten, bei ihrem zweiten Versuch. “Und ob er gut aussieht, sollen andere beurteilen. Ich habe mein Auge dafür offenbar verloren, wenn ich es denn je gehabt habe. Zumindest in Bezug auf mein eigenes Geschlecht.” Er deutete auf die Augenklappe, fuhr dann augenzwinkernd fort: “Aber es würde mir gefallen, hätte Rahja ihn zu sich geholt. Dann könnten wir die Teilnahmegebühr wahrscheinlich deutlich erhöhen.”

Etwas ernster fügte er nach einer kurzen Pause hinzu: “Aber um auf den Kern deiner Frage zu einzugehen…” Er überlegte einen Augenblick, wieviel er sagen, wie viel er offenlegen wollte. Oder konnte. Immerhin war er wirklich nicht beteiligt. Wie schon vor ein paar Monden, bei ihrem ersten Treffen, merkte Algerio, dass er dieser Vertrauen, sie nicht belügen wollte. Aber anders als letzte mal, konnte er zwar ehrlich, aber nicht vollkommen offen sein. Es ging nicht um seine Entscheidungen. Es war nicht an ihm, die Wahrheit, die komplette Wahrheit zu offenbaren. Also sagte er: “Ich weiß nicht genau, was damals passiert ist, nein. Ich weiß, dass alle Gerüchte dazu, die ich bisher gehört habe, nicht stimmen. Und nein, er hat sich mir nicht erklärt. Ich habe von seiner Abreise erst spät am nächsten Tag erfahren, von einem meiner Fellachen, der mich fragte, wie mit seinen Habseligkeiten zu verfahren sei. Diese hatte er auf seinem Zimmer zurückgelassen. Sein Pferd, sein Hausdiener und er selbst waren weg.”

Er zuckte erneut mit den Schultern.

Fabiola sah Algerio an, in seine Richtung gelehnt, das Kinn auf einem vor sich aufgestellten Knie. Er schien aufrichtig, auch wenn sie das Gefühl hatte, dass da noch mehr war. „Hm, also hatte er wirklich schlechte Manieren, oder einen plötzlichen, sehr dringenden Grund zu verschwinden. Dass er seine Sachen zurückließ, spricht dafür. Aber warum nicht den Hausdiener? Bei seinem Ruf wäre ein empörter Ehemann, Verlobter oder Vater naheliegend. Weißt du, mit wem er auf dem Rennen das Bett geteilt hat?” Ihr Blick wanderte umher. „Oder natürlich das Heu? Sollten die Teilnehmerzahlen die nächsten Jahre nicht länger zufriedenstellend sein, kannst du ja das Rätsel um den verlorenen Schönling in die Ankündigung mit aufnehmen - wer ihn findet, darf ihn behalten. Der Anteil kreischender Teilnehmerinnen wird rasant steigen.” Die Vorstellung war fürchterlich. „Ich revidiere - eine unschöne Aussicht.”

“Woher sollte ich wissen, mit wem er hier das Heu geteilt hat?” Wieder musste Algerio amüsiert und lauthals lachen. Die Zeit mit dieser Frau war wie stets geprägt von einer Leichtigkeit, die ihm gefiel.

Und guttat.

Es dauerte einen Moment, ehe er wieder zu Atem kam. Noch immer breit grinsend erklärte er: “Immerhin hast du ziemlich treffsicher eine der Theorien über seinen Verbleib aufgedeckt. Es war ja nicht nur er hier, sondern auch Domna Romina. Und einige weitere, durchaus nett anzuschauende Damen von Stand. Mir wurde zugetragen, dass man Domna Romina und Dom León eine langjährige Schwärmerei, wenn nicht sogar Liebelei nachsagt. Eines der Gerüchte besagt, dass ihre Hochgeboren von Streitzig eine Tändelei oder einen flüchtigen Blick zu viel gesehen und ihn heißblütig verjagt haben könnte.” Er zuckte mit den Schultern, noch immer breit grinsend. “Aber wie gesagt: Es ist ein Gerücht ohne Wahrheitsgehalt, soweit ich weiß.”

„Domna Romina hat einen Sohn. Wusstest du das? Vielleicht ist der verschwundene Baron der Vater. Dann würde es passen. Aber warum ist auch der Diener verschwunden? Wie lauten die anderen Theorien? Und welche ist deine liebste?”

“Nein, das war mir nicht bekannt. Aber normalerweise interessiere ich mich auch nicht für eheliche oder außereheliche Aktivitäten anderer.” Er grinste, in dem Wissen, dass es ihn wahrscheinlich interessieren sollte - zumal wenn es eine Familia betraf, die mit der seinen seit vielen Götterläufen in Streit lag. “Wie alt ist der Kleine denn? Möglich wäre es in jedem Fall, und wahrscheinlich wäre es nicht sein erstes außereheliches Kind.” Algerio vermied bewusst die manchmal abschätzig konnotierten Begriffe Bastard oder Bankert… denn auch wenn rahjagefällige Freuden außerhalb der eigene Ehe, sofern denn eine bestand, nicht mit seinen Werten in Einklang zu bringen waren, war er sich sehr bewusst, dass er damit in Almada in der Minderheit war. Aber für ihn war eine Ehe ein exklusives Bündnis - ganz gleich ob vor Travia oder Rahja geschlossen. Und der sogenannte schöne Baron war ganz offensichtlich verheiratet. Wie jeder von Culming wusste.

„Er ist Page am Hofe Dom Gendahars. Vielleicht acht Götterläufe, ein hübsches Kerlchen mit seinen dunklen Locken. Und er weiß das.” Sie zuckte mit den Schultern. „Es könnte also stimmen, oder auch nicht. Bei Dom Léons Ruf kommt aber vermutlich auch jede andere Frau in Frage. Ich hörte, die Selkethalerinnen können ebenfalls recht nachtragend und eifersüchtig sein.”

Algerio hob eine Augenbraue. “Hörtest du das? Also, nicht dass es nicht stimmt. Aber offenbar muss ich überdenken, wo ich mich in Zukunft informiere, denn dass das eifersüchtige Wesen der Hiesigen bereits allgemein bekannt ist, ist mir neu”, fügte er wieder grinsend hinzu.

„Eine andere Frau mit der Mitgabel wegen eines Mannes nackt vom Hof zu jagen ist ein recht eindeutiges Indiz, zumindest für Eifersucht. Und dass es auf deinen Rennen traditionell nackte Reiterinnen gibt, ist dir ja bekannt.“, grinste Fabiola spöttisch zurück. „Hm, wenn ich es mir recht überlege, scheint der Betroffene Dom Léon Beispiel gefolgt zu sein. Zumindest habe ich nichts mehr von ihm gehört.“

Die Vorstellung, seinen Stallknecht bei Dom León vorzufinden, ließ Algerio erneut herzhaft lachen. “Das würde zumindest erklären, warum wir dieses Jahr mehr Schwierigkeiten bei der Versorgung der Pferde haben als letztes… und ich dachte, das läge an den gestiegenen Teilnehmerzahlen.” Er schmunzelte.

“Jedenfalls”, fuhr Algerio fort, “war eines der Gerüchte, dass er vor einer solchen Dame geflüchtet sei. Nach allem, was ich hörte, befand sich ein uneheliches Kind Dom Leóns unter den Rennteilnehmern, das auch Kontakt zu ihm suchte und mehr oder weniger von ihm abgewiesen wurde. Das Gerücht dazu besagt, dass es dort zu Streit oder gar einer Erpressung gekommen sei, welcher der Baron entging, indem er abreiste. Naja. Wie gesagt, auch da ist nichts dran. Und schließlich…”, kam Algerio zu dem Punkt, der ihn am meisten nervte, “scheint die Familia de Vivar davon auszugehen, dass ich irgendetwas damit zu tun haben könnte. Immerhin ist er ja auf meinem Lehen verschwunden, und die von Culmings und die Vivars haben eine gewisse… Historie.” Er zuckte erneut mit den Schultern, eine Geste der Ratlosigkeit. “Ich habe ihnen versichert, dass dem nicht so ist. Ich glaube aber nicht, dass sie meinen Worten glauben. Mittlerweile scheint sogar eine Reporterin des Yaquirblicks über das Verschwinden des Barons zu schreiben, jedenfalls hat sie mich dazu befragt… übrigens unmittelbar bevor wir zwei uns im Schwarzen Schwan getroffen haben. Das ist das dritte Gerücht. Und wie bei den beiden anderen auch, ist da meines Wissens nichts dran.” Er grinste.

„Wieso herrscht Streit zwischen den Vivar und den von Culming?”, erkundigte sich Fabiola. „Ich bin wirklich nicht auf dem Laufdenden, was diese ganzen Geschichten angeht.”

“Ich auch nicht”, lachte Algerio, und es war die volle ehrliche Wahrheit. “Ich glaube, zu einem Teil geht es darauf zurück, dass die Vivar die von Bergs unterstützen, die wiederum genau wie meine Familia Anspruch auf die Südpforte erheben. Aber wahrscheinlich gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Übeltaten der Vivar, die ich jetzt aufzählen können sollte und die meine Familia als die strahlenden Helden im Dienste der gerechten Sache erscheinen lassen. Leider sind sie mir allesamt entfallen”, scherzte er augenzwinkernd in Anspielung auf seinen Gedächtnisverlust.

„Wie ausgesprochen praktisch. Sollte ich mehr erfahren, soll ich es dir verraten, oder interessiert es dich nicht?“

“Gern”, grinste Algerio… auch wenn ihm bewusst war, dass er nur Madalena oder seinen Vater, Dom Ramon, fragen musste, würde es ihn wirklich interessieren.

Ein wenig nachdenklich musterte Fabiola erst ihre Umgebung, dann ihr Gegenüber.

„Welches Gerücht, ob bekannt oder nicht, sich am Ende bewahrheitet. Sollte er wirklich einfach nur geflohen sein, hoffe ich, dass er wenigstens seinen Lieben Nachricht schickt. Die Ungewissheit über den Verbleib eines geliebten Menschen, nicht einer Bettbekanntschaft, muss schlimm sein.“ Die Sache machte einfach keinen Sinn.

Agerio nickte zustimmend. Er konnte sich nicht daran erinnern, je einen geliebten Menschen verloren zu haben. Das spurlose Verschwinden seiner Verlobten lag vor seinem Gedächtnisverlust, und der Tod seiner Mutter auf dem Schlachtfeld - mutmaßlich nur wenige hundert Schritt von ihm selbst entfernt - fiel in eine Zeit, in der er nicht einmal gewusst hatte, wer er war und dass er überhaupt noch eine Mutter hatte. Es war für ihn wie Geschichten, die man sich über eine fremde Person erzählte. Emotional hatten sie keinen großen Einfluss auf ihn.

Dennoch konnte er sich vorstellen, dass der Verlust eines geliebten Menschen schmerzen musste.

Dass Dom León seiner Familia eine Nachricht hatte zukommen lassen, bezweifelte er stark. Andererseits war der schöne Baron an seinem Schicksal nicht unschuldig… nicht einmal näherungsweise. Jeder Schmerz, den Algerio auf einer Seite lindern konnte, würde auf einer anderen Seite zu einem Mehr an Schmerz führen.

Also hielt er sich heraus.

Es war nicht an ihm, hier zu urteilen.

“Ich hoffe jedenfalls, dass, was auch immer sich zugetragen hat, letztlich jeder, der unter dieser Situation zu unrecht und unbeteiligt zu leiden hat, eines Tages Wiedergutmachung erfährt”, sagte er schließlich.

Solch eine diplomatische Antwort. Fabiola schmunzelte. Sie war sicher, dass ihr Gegenüber ihr etwas vorenthielt. Mehr wusste, oder zumindest ahnte, als er preisgab. Dass er mit dem Verschwinden Dom Léons nicht direkt etwas zu tun hatte. Und, dass sie sich in ihm nicht getäuscht hatte.

Einen kurzen Moment spielte sie mit dem Gedanken, weiter nachzuforschen. Aber wofür? Sie kannte den schönen Baron nicht, und hatte keine besonders hohe Meinung von ihm, nach allem, was sie gehört hatte. Domna Romina war im letzten Jahr anwesend gewesen, und hatte den Abend offensichtlich nicht mit dem Vater ihres Sohnes verbracht, schien die Situation also akzeptiert zu haben. Domna Delilah tat ihr leid, doch sah sie wenig Sinn darin, Porzellan zu zerschlagen ohne eine gewisse Sicherheit, dass es den Preis wert war. Vielleicht würde sie ihr raten, noch einmal unvoreingenommen das Gespräch mit Algerio zu suchen. Mestera würde neutralen Boden und einen entspannten Rahmen dafür bieten. Stellte sich die Frage, wie sie ihre eigene elende Neugier in den Griff bekommen sollte.

„Ich hoffe, dass jene Unbeteiligten, die Unrecht erfahren haben, nicht nur Wiedergutmachung, sondern auch Linderung erfahren.” Dann schob sie hinterher: „Solltest du jemals diesem Rätsel im Herzen deines Landes auf den Grund gehen wollen, und dabei Gesellschaft haben wollen - ich bin nicht nur neugierig, sondern habe auch ausgesprochen viel Spaß an Rätseln. Kann sehr hartnäckig sein, wenn es um das Finden von Lösungen geht. Und ich biete dir eine neue Sicht auf die Dinge, das schadet nie.” Sie lächelte ihn an, lehnte sich ein bisschen zurück, unbewusst mit einigen Halmen Heu spielend.

“Eine neue Sicht der Dinge, hm?” Algerio musterte die Frau, die ihm so viele Rätsel aufgab. Da war es wieder, dieses schwer zu greifende, mysteriöse Etwas, das ihn schon im Fuchsbau so fasziniert hatte. Dieser Teil ihrer Persönlichkeit, der ihn so fasziniert hatte.

Für einen kurzen Moment horchte er einfach nur in sich hinein, ließ all die Gedanken und Gefühle zu, die ihn verwirrten, aber gleichzeitig so gut taten. Wann, wenn nicht jetzt? Wo, wenn nicht hier, an diesem, seinem Ort der Ruhe und Wahrhaftigkeit?

Unwillkürlich stahl sich ein zufriedenes Lächeln auf sein Gesicht.

“Danke für das Angebot”, sagte er schließlich, vollkommen aufrichtig. “Ich werde beizeiten darauf zurückkommen.” Dann lehnte auch er sich etwas zurück und ließ den Blick über seine Pferde schweifen.

‘Du bist wirklich faszinierend”, schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. Aber er äußerte ihn nicht.

Einen Moment genoss Fabiola die Ruhe, den Geruch nach Pferden, die Geborgenheit des Heubodens, die angenehme Gesellschaft, frei von Forderungen und Ansprüchen zu sein. Beobachtete ihr Gegenüber, die Tiere, den Staub in der Luft, der träge durch den Lichtschein der vereinzelten Laternen zu Boden sank. Es war so friedlich, beinahe unwirklich.

Schließlich brach sie das Schweigen, beugte sich ein bisschen vor. „Zeigst du mir irgendwann deine Tiere? Vielleicht ist eines dabei, dass ich mir für meine Zucht leihen wollen würde, solange sie bei dir nur rumstehen. Und du einverstanden bist.” Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Nicht nur in Ragath lernt man, das Thema stets im Hinterkopf zu haben.”

“Gern. Wozu sind die Rennen denn da, wenn nicht um eine Ausrede zu haben, über Pferde zu philosophieren? Wenn du willst, zeige ich sie dir morgen Abend, nehme etwas zu trinken mit und wir schaffen doch noch unseren Skandal…”

„So verlockend, aber ich fürchte, morgen Abend werde ich bereits in Arbeit versunken beweinen, deiner Einladung nicht gefolgt zu sein. So eine Amtsübernahme ist erstaunlich aufwändig, und ich habe noch einiges vorzubereiten, um diese nicht zurückziehen zu müssen.“ Sie deutete auf die Stelle, an die Algerio ihre Einladung geschoben hatte. „Also entweder morgen früh, oder ein anderes Mal.“

“Dann soll es wohl morgen in der Früh sein”, erwiderte Algerio, und auch wenn er das Angebot als Scherz gemeint hatte, merkte er doch, dass er die Zurückweisung etwas bedauerte.

“Nun denn… bereit noch einen weiteren Flecken der Ruhe aufzusuchen?” Algerio erhob sich, reichte Fabiola die Hand, um ihr aufzuhelfen.

„Mit Vergnügen.” Unauffällig drückte sie sich an dem Heuballen ab, um Algerio nicht über die Gebühr zu belasten, und folgte ihm dann die Leiter hinab.

Algerio geleitete Fabiola wieder den Weg, den sie auch gekommen waren, aus den Stallungen heraus. Auf der Schwelle des kleinen Seiteneingangs warf er noch einmal einen Blick zurück. Dann führte er seine Begleitung nicht zurück zum Dorf, sondern stattdessen weiter nach links, einen schmalen, von Büschen und Wildwuchs gesäumten Trampelpfad entlang auf den Fluss Selke zu.

Von hier aus war der Fluss allerdings nicht zu sehen. Ein kleiner Erdwall schirmte das Wasser wie ein Damm von den Gebäuden ab. Vor diesem Damm bog Algerio ab, folgte seinem Verlauf in Richtung der Wiese mit den Zelten - jedoch so, dass sie hinter den Zelten herauskommen würden.

Allerdings hörten sie den Fluss laut zu ihrer Linken rauschen.

“Wenn du morgen schon so früh abreisen musst… ich hoffe, du konntest die Rennen trotzdem genießen”, nahm Algerio das Gespräch wieder auf. “Ich kann es selbst nicht wirklich beurteilen, denn als Veranstalter ist es ja nochmal etwas anderes, aber drei Rennen an drei Tagen, gerade wenn man wie du vorne mitreitet, kann ja auch belastend sein für Reiter und Tier. Könnte ich mir zumindest vorstellen…”

„Ich denke, ich könnte meine Abreise vielleicht auf den Mittag verschieben. Mestera nach Einbruch der Dunkelheit - ein heimeliger Anblick für eine Heimkehr.“, sinnierte Fabiola. „Es wäre sehr unhöflich, sich keine ausreichende Zeit für deine Pferde zu nehmen, wo du es extra einrichtest“ ‚Und es so verlockend ist, diesen Ausflug in die Länge zu ziehen.‘ Sie verzichtete auf den Versuch, sich bei ihm unterzuhaken, der Pfad war zu schmal.

“Das heißt, ich kann dich vielleicht noch zu einem gemeinsamen Mittagessen überreden?”, fragte Algerio, betont unschuldig tuend. “Es reist sich hungrig so schlecht…”, fügte er entschuldigend hinzu.

Fabiola lachte. „Essen und Schlafen, wann immer es geht. Wie könnte ich die Einladung also ablehnen. Sofern du ein sehr frühes Mittagessen draus machst. Meine Familie reist langsam, ich denke, ich schicke sie voraus. Wenn ich mich nach dem Essen dann beeile, hole ich sie bis zum Abend ein. Ein weiterer halber Tag kostbare Freiheit.“

“Dann ist das abgemacht”, bestätigte Algerio, zufrieden ein wenig weitere Zeit mit Fabiola gewonnen zu haben. Die Aussicht, ein weiteres Mal mit ihr speisen zu können - zumal im kleineren Kreis, ohne sich um unzählige weitere Gäste kümmern zu müssen, die zum größten Teil bis zum Mittag abgereist sein sollten, gefiel ihm.

„Was die Belastung für Tiere und Reiter angeht: Du bist doch selbst alle drei Rennen mitgeritten. Recht erfolgreich, wenn ich mich nicht irre. Hat dich die Organisation so in Beschlag genommen, dass dir dein Sieg entfallen ist?“, schmunzelte sie. „Aber ja, ich habe die Tage sehr genossen. Es ist viel zu lange her, dass Nuianna und ich so intensiv Zeit miteinander verbringen konnten. Diesen Hauch von Freiheit gespürt haben. Bei der langen Distanz war ich einen kurzen Moment versucht, einfach auszubrechen, alles hinter mir zu lassen.“

Sie schwieg einen Augenblick. „Auch sonst - es war entspannend, trotz der Anstrengung der Rennen selbst. Es hat der Familia gut getan. Ich hatte interessante Begegnungen. Die anderen auch. Ein bisschen Bewegung, jedenfalls mehr als sonst. Dringend benötigte Ablenkung von den Dingen, die mich im Alltag in Beschlag nehmen oder sorgen. Am liebsten würde ich noch einige Tage bleiben, um den Ausklang in Ruhe zu genießen, zu sehen, wie es hier ohne den Trubel der Veranstaltung mit ihren Gästen ist. Belastend war es nicht, nein. Es ist ja noch nicht so lange her, dass meine Tage häufig lang und anstrengend waren, am Abend ein hartes Lager oder Wachdienst warteten, statt einem üppigen Festmahl und charmanter Gesellschaft.“

“Freut mich sehr, das zu hören. Dann scheint die Idee trotz des engen Zeitplans aufzugehen.”

Mittlerweile hatten sie fast eine kleine Hütte erreicht, die etwas abseits, nahe dem Damm stand. Ohne größere Anstrengung sprang Algerio an einer freien Stelle mit zwei Sätzen auf den dahinterliegenden Damm, wodurch er Fabiola nun deutlich überragte.

“Es ist nicht mehr weit”, versichert er. “Noch ein paar Dutzend Schritt auf dem Damm entlang, dann sind wir da.” Wieder bot er ihre Hand an - auch wenn er überzeugt war, dass sie sie nicht brauchte.

Fabiola suchte nach einem sicheren Tritt, um ihm zu folgen, fand aber nur ein paar rutschige Stellen. Notgedrungen nahm sie Algerios Hand, sah zu ihm hoch. „Du weißt, dass du einer Dame in Abendkleid und Tanzschuhen gegenüber auf diesen Wegen eindeutig im Vorteil bist, hm?”

Als er sie hochzog, fand ihr Fuß doch noch eine Wurzel, die im Schatten des Damms verborgen gewesen war, so dass sie ihn nicht mit ihrem ganzen Gewicht belastete. „Aber wie du siehst, halten mich widrige Umstände genauso wenig davon ab, dir zu unbekannten Zielen zu folgen wie zwielichtige Gegenden.”

Algerio lächelte, von einer tiefen Zufriedenheit erfüllt. ‘Dir zu folgen’. Aus irgendeinem Grund berührten ihn diese Worte mehr, als er es für möglich gehalten hatte. Für einen Moment vergaß er, beiseite zu treten, um Fabiola etwas Platz zu machen, sodass sie näher an ihm zu stehen kam, als er ursprünglich beabsichtigt hatte. “Abendkleid und Tanzschuhe stehen dir aber auch in dieser Umgebung außerordentlich gut. Und ich versichere dir, dass ich mein Möglichstes tue, meine Vorteile nicht zu sehr auszuspielen.”

„So höflich und wohlerzogen“, schmunzelte Fabiola, instinktiv ihren Arm zwischen ihn und sich bringend, die Hand auf seiner Schulter, um einen gewissen Abstand zu wahren.

Algerio hatte seit seinem Entschluss, Fabiola den Heuboden zu zeigen, darüber nachgedacht, wie sie wohl die Leiter erklimmen konnten, ohne dass es allzu verfänglich war. Leider erinnerte er sich nicht daran, ob sein Benimm Unterricht, den er ohne jeden Zweifel in seiner Jugend genossen hatte, etwas dazu zu sagen gehabt hatte. Wie er seit seinem Gedächtnisverlust alles aus seiner Jugend vergessen hatte. Ließ man der Dame den Vortritt, war man zwar in der Position, sie auffangen zu können, für den unwahrscheinlichen Fall eines Malheurs. Andererseits trug die Dame eben ein Kleid, und so ermöglichte das Warten am unteren Ende eventuell Einblicke, die sich nicht geziemten. Wartete Mann hingegen am oberen Ende, eröffnete sich ein ziemlich direkter und, wenn Algerio ehrlich war, vorteilhafter Blick in das Rahjafenster des Kleides. So oder so… verfänglich.

Er war bis jetzt nicht sicher, ob seine Lösung den Regeln der Cortezza entsprach - aber er hatte das getan, was er für am angemessensten hielt. Und nun, da sie den Stall hinter sich gelassen und der Verfänglichkeit der Situation entgangen waren, standen sie hier, auf einem Damm, abseits von allen Besuchern des Festes… dicht an dicht.

Für einen Augenblick sah Algerio Fabiola tief in die Augen. “Wir… sind gleich da”, riss er sich schließlich zusammen, machte einen Schritt zur Seite. “Pass auf wo du hintrittst. Am besten folge einfach genau meinen Schritten. Es ist nicht mehr weit.”

Sie nickte, ließ seine Schulter los, strich über ihr Kleid. Wie gut, dass sie sich nicht länger mit der Reinigung ihrer Kleidung rumschlagen musste.


Vorsichtig, stets darauf bedacht möglichst festen Untergrund zu betreten, führte Algerio Fabiola den Damm entlang. Wo notwendig trat er einzelne Pflanzen zur Seite, bog überhängende Äste zurück. Fabiola kommentierte seine Fürsorge wortlos mit dem ein oder anderen angedeuteten, leicht spöttischen Knicks. Sie folgte seinen Schritten, darüber sinnierend, ob sie für das nächste Mal wohl Stiefel mit dem Kleid kombinieren konnte.

Sie folgten dem Damm, die Selke entlang, bis sie die Zelte auf der Wiese hinter sich gelassen hatten.

Hier weitete sich das Flussbett ein wenig und gab den Blick frei auf einen kleinen, wenn auch felsigen Strand. Vom Damm aus führte ein schmaler, offenbar regelmäßig genutzter Weg hinunter zum Fluss. Algerio nahm den Abstieg, blieb aber auf halber Strecke stehen und bot - erneut - seine Hand an. “Vorsicht, hier ist es bisweilen etwas rutschig… und wenn du hier fällst, ruinierst du dir dein Kleid”, grinste er.

„Ich bin versucht, zu sehen, ob du mich auffängst. Die Spekulationen unter der Dienerschaft, wenn ich mitten in der Nacht völlig derangiert, schlammverschmiert mit Heu und Stroh im Haar zurückkomme…“ Sie lachte leise, legte ihre Hand leicht in seine. Doch dieses Mal brauchte sie seine Unterstützung nicht.

Um sie herum rauschte das Wasser, silbrig schimmernd im Licht des Madamals. Vorsichtig darauf achtend, nicht nass zu werden, die Röcke gerafft, balancierte Fabiola auf einen größeren flachen Felsen zu, der beinahe bis über die Mitte des Flüsschens ragte. „Ein magischer Ort. Weniger zurückgezogen als der Heuboden, dem Pfad nach zu urteilen, und trotzdem abseits des Trubels. Wann zieht es dich hierher?“

“Wenn ich nachdenken muss. Bei wichtigen oder weitreichenden Entscheidungen. Der Stall ist für mich ein Ort der Ruhe, wo ich ganz bei mir sein kann. Hier… entziehe ich mich all der Ablenkungen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Mich auf das Wichtige zu fokussieren.”

Er hatte noch nie darüber nachgedacht, aber es stimmte. Beide Orte erfüllten sehr unterschiedliche Funktionen in seinem Leben - und es war bezeichnend, dass er so viel öfter am Fluss war als im Stall.

Fabiola balancierte über ein paar Steine, raffte die Röcke, machte einige große Schritte über Kies und durch flaches, bei dem Licht nicht zu erkennendes Wasser.

Schließlich ließ sie sich, beinahe trocken, auf dem flachen Felsen nieder. Im heute Nacht außergewöhnlich hellen Licht der Mada konnte sie erahnen, dass ihre Schuhe vermutlich ruiniert waren. Sie seufzte leise. Sie würde also schnellstens neue brauchen.

Das eine Knie angezogen, das andere Bein ausgestreckt, dass der Fuß über dem Wasser baumelte, sah sie zu Algerio. „Über welche wichtigen, weitreichenden Entscheidungen hast du hier sinniert? Welche hast du getroffen?“

Algerio, nachdem er sicher war, dass seine Begleitung einen sicheren Platz gefunden hatte, zog mit zwei schnellen Handbewegungen seine Stiefel aus, stellte sie am Ufer beiseite und watete dann durch das nicht allzu tiefe Wasser. Als seine Füße erstmalig in das eisig kalte Wasser eintauchten, zog er laut hörbar die Luft ein. Aber er gewöhnte sich schnell daran. Mit drei vorsichtigen Schritten, denn auch wenn die Strömung nicht sehr stark, der Fluss um diese Jahreszeit stets relativ flach war, so waren die Steine im Flussbett doch recht rutschig, war er bei Fabiola und setzte sich auf einen großen Stein, ihr gegenüber.

“Du hast Recht”, sagte er dann, eine frühere Aussage von ihr wieder aufgreifend: “Du bist sehr neugierig.” Er konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. ‘Aber das mag ich an dir’, fügte er in Gedanken hinzu.

Einen Moment überlegte er, dann bot er an: “Eine Wahrheit für eine Wahrheit?”

„Einverstanden. Du fängst an.“

“Selbstverständlich”, bestätigte er zufrieden. Dann blickte er an Fabiola vorbei, den Fluss hinauf, in dem Versuch, sich zu erinnern.

“Das erste Mal saß ich hier vor zwei Götterläufen, als frisch ernannter Edler. Ich hatte mir das Lehen angesehen und musste entscheiden, was ich nun damit tun, in welche Richtung ich es entwickeln wollte. Es hieß, einst wurde hier viel Eisenerz abgebaut, aber schon seit einigen Götterläufen geben die Minen nichts mehr her. Ich selbst verstehe nichts von Bergbau. Also entschied ich, meine Fellachen für andere Aufgaben zu nutzen und den Bergbau erstmal ruhen zu lassen. Ich habe mich hier sitzend dagegen entschieden, unser Modell des Fernhandels zu ändern, darauf verzichtet, Kontore zu kaufen. Und ich habe ein paar Stundengläser lang hier gesessen um abzuwägen, ob Farfanyas Idee eines im Selkethal veranstalteten Pferderennens überhaupt umsetzbar ist. Mit bekanntem Ergebnis”, fügte er grinsend hinzu.

“Das dürften so die größeren Entscheidungen gewesen sein.”

„Ich dachte, die Erkenntnis, keine Kontore zu brauchen, sei dir gekommen, als du den Fuchsbau kennenlerntest.“, meinte Fabiola, mehr zu sich selbst. Sie beobachtete das zwischen ihnen dahinströmende Wasser.

Schließlich drehte sie sich halb auf die Seite, achtete darauf, nicht ganz auf dem Bauch zu liegen. Das Kinn mit der einen Hand gestützt sah sie Algerio an, während sie die andere mit den Fingerspitzen ins Wasser tauchte. Es war kühl und frisch.

“Ja, stimmt”, bestätigte Algerio. Sein Gast war offensichtlich eine sehr aufmerksame Zuhörerin und mit einem sehr guten Gedächtnis gesegnet. Wahrhaftig eine neugierige und wissbegierige Person. Das imponierte Algerio - allerdings fiel es ihm auch zunehmend schwerer, sich zu konzentrieren. Statt sich weiter zu erklären, bewunderte er lieber einen Moment lang den Anblick, der sich ihm bot. Wie sein Täubch… nein, wie Fabiola im Schein des Madamals seitlich auf dem Felsen lag, mit dem Wasser spielte. Wie sie ihn ansah. Sie sah einfach… umwerfend aus.

Was machte diese Frau nur mit ihm? Schon im Fuchsbau, und auch jetzt wieder…

Sich mühsam zusammenreißend, blinzelte er zweimal unter angehaltenem Atem, um seine Gedanken zu klären. Dann erklärte er: “Ich bin beeindruckt, dass du dir dieses unbedeutende Detail gemerkt hast. Vollkommen richtig, beim Fuchsbau hatte ich erstmalig den Einfall, auf Kontore komplett zu verzichten. So haben wir unsere Handelscompanie dann auch aufgebaut. Aber als ich hier belehnt wurde, hatte ich auf einmal Land im Überfluss, Gebäude, die sich leicht als Lagerräume hätten umgestalten lassen. Und ein kleines Lager haben wir mittlerweile ja auch hier eingerichtet, mit allen Vorteilen, die das mit sich bringt. Das führte mich in Versuchung, unser Modell doch noch einmal zu überdenken - auch wenn es bis dato erfolgreich war.”

Er beugte sich leicht nach vorn, stützte seine Ellbogen auf die Knie. “Ich fürchte, nach unserem Ausflug hierher schulde ich dir ein neues Kleid”, sagte er leise. “Und Schuhe. Ich hätte bedenken sollen, dass ein solcher Ausflug sich mit Tanzkleidung nur schlecht verträgt.” Dann fügte er, noch leiser, augenzwinkernd hinzu: “Bin gespannt, was deine Bediensteten spekulieren werden.”

„Die Herkunft von etwas oder jemand ist nie unbedeutend. Was meine Begleiter angeht: wenn wir so weiter machen, vermutlich, dass ich nach dem Fest betrunken in die falsche Richtung geschwankt und am Ende in den Fluss gefallen bin“, grinste Fabiola und tauchte die Hand tiefer ins Wasser, versuchte den Grund zu erreichen, ohne vorn überzukippen. „Wenn ich mich hingegen nach dem Fest erst umgezogen hätte, um dann zu nachtschlafender Zeit wieder zu verschwinden… Keine Sorge, du schuldest mir weder Kleid noch Schuhe, wenn du nicht möchtest.“

Dank ausgesprochen geschickter Näherinnen, dem Einfallsreichtum und Modegeschmack ihrer halbelfischen Gefährtin hatte sie mehr als ausreichend Auswahl an modischen Kleidern. Der Nachlass ihrer Mutter und Yessaminas hatte genug in den Farben der Familia enthalten, um als Grundlage für umfangreiche neue Garderobe zu dienen, der ihre Herkunft nicht anzusehen war. Schuhe hingegen…

‘Bring mich nicht auf Ideen’, dachte Algerio und musste unwillkürlich grinsen.

„Und was werden deine Leute spekulieren?“

Algerio überlegte einen kurzen Moment, ehe er antwortete: “Es kommt nicht selten vor, dass ich über das Lehen spaziere oder bei den Pferden aushelfe. Wahrscheinlich würden sie annehmen, dass ich auf der Koppel geholfen habe und dabei zu Boden gegangen bin.” Er lachte bei der Vorstellung. “Oder dass sich während der Rennen irgendetwas ereignet hat und ich genau hierher gekommen bin, um nachzudenken”, fügte er hinzu.

„Mitten in der Nacht?“, erkundigte sich Fabiola spöttisch. „Ist das deine bevorzugte Zeit? Weil schlafende Pferde so pflegeleicht sind? Deine Leute müssen ob solchen Einsatzes vor Ehrfurcht erstarren.“

“Guter Punkt”, lachte Algerio. “Vielleicht unterschätze ich gerade die Klugheit meiner Fellachen.”

Ein ungewohnter Druck auf seine Brust erinnerte ihn erneut an die Einladung zu Fabiolas Ernennungsfeier, die er unter sein Wams geschoben hatte.

“Bei dem Gedanken: Hat sich deine Sicht auf die Übernahme des Junkerguts und die damit einhergehenden Pflichten geändert? Jetzt, da es immer näher rückt…”

„Nein. Die Bedingungen sind so, dass es keinen akzeptablen Grund gibt, es nicht zu tun. Wäre es anders, hätte ich keine Einladungen ausgesprochen. Wenn ich ganz ehrlich bin: ich freue mich inzwischen sogar auf dieses neue Abenteuer.“

Algerio grinste wissend. “Alles andere hätte mich auch gewundert”, gestand er. “War bei mir damals nicht anders. Und ich habe es nie bereut.”

„Ja, den Eindruck machst du.“

Fabiola, die während des Gespräches weiter mit dem Wasser gespielt hatte, verstummte. War da etwas im Kies, nicht weit von ihrer Hand? Neugierig beugte sie sich noch ein wenig weiter vor, reckte sich, streckte den Arm aus, soweit sie konnte. Ihre Finger, schon ein wenig taub von der Kühle des Wasser, berührten den Kies auf dem Grund des Flüsschens.

Algerio sah, dass Fabiola ins Rutschen geriet, noch bevor sie es selbst bemerkte.

“Vorsicht!”, rief er aus, während er, ohne Rücksicht auf sich oder seine Kleidung, von seinem Stein nach vorn eilte und auf ein Knie sank, in dem Versuch Fabiola von unten zu stützen oder zumindest vor einer Landung im Wasser, bzw. dem darunter liegenden harten Stein zu bewahren.

Einen Moment schien es, als komme sein Einsatz zu spät. Die Flechten, von den aufsteigenden Nebeln der letzten Nachtstunden glatt geworden, boten Fabiola kaum Halt. Sie versuchte, sich abzustoßen, zu drehen, um ihre Bewegung zu kontrollieren. Und stürzte halb ins Wasser, halb auf Algerio. Ihre eine Hand grub sich in den Kies des Flussbettes, während ihre andere Algerios Oberarm umklammerte, der zugehörige Fuß seinen Oberschenkel traf. Mit dem anderen Fuß fand sie im letzten Moment halt zwischen den Steinen im Wasser. Nasse Kälte kroch ihre Beine entlang, während sich ihre Röcke vollsogen. „Sieht so aus, als sei es doch beinahe der betrunkene Sturz in Wasser geworden.”

Einen Moment tastete ihre Hand an dem nun bis zur Schulter nassen Arm unter Wasser umher, bis sie fand, was ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Dann richtete sie sich vorsichtig auf, raffte den bis zu den Knien schon klitschnassen Rock, und versuchte, ihr Gleichgewicht zu finden.

„Ich fürchte, sehr lang werde ich unseren Ausflug jetzt nicht mehr genießen können. Trotzdem, vielen Dank für die selbstlose, galante Rettung”, lächelte sie Algerio an, bevor sie mit einem Zwinkern und gespielt gezierter Sorge hinzufügte: „Sitzt meine Frisur?”

Algerio musste herzhaft lachen. Selbst in einer solchen Situation verlor Fabiola nicht ihren Humor… das imponierte ihm. Vorsichtig half er ihr auf, sehr darauf bedacht, dass sie sich verletzt haben konnte.

“Ich weiß nicht, ob es so etwas geben kann, aber du siehst… derangiert und trotzdem sehr gut aus”, erklärte er dann, noch immer lachend. “Deine Frisur jedenfalls sitzt noch immer.” Als er sicher war, dass Fabiola sich nichts getan und ihren sicheren Stand wiedergefunden hatte, zog er die Einladung aus dem Wams, klemmte sich zwischen die Lippen, zog dann das Wams aus und reichte es ihr. “Damit du dich zumindest ein bisschen abtrocknen kannst”, erklärte er mit Blick auf ihren triefend nassen Arm, nachdem er die Einladung wieder aus dem Mund genommen hatte. “Oder um die Gerüchte weiter anzufachen”, fügte er scherzend hinzu.

„Charmant und zuvorkommend wie immer, vielen Dank.“ Eher der Form halber tupfte sie Arm, Schulter und einen Teil ihres Dekolletes ab. Dann faltete sie das Wams zusammen, machte aber keine Anstalten, es zurück zu geben.

„Ich bin gespannt, wer aus meiner Familie mich drängen wird etwas zurückzugeben, das kein Dom von Welt einfach irgendwo vergessen würde.“ Sie lachte. „Hast du was dagegen, wenn wir die Selke verlassen?“

“Nein, nicht im geringsten.”

Gemeinsam tasteten sie sich über schlüpfrige Steine zum Ufer vor, in Fabiolas Fall mit notdürftig gerafften Röcken, und stiegen die Böschung hinauf. Fabiola, noch immer das Wams über dem Arm, streckte Algerio etwas entgegen. Ein Beutel, nass, Details in dem Licht schlecht zu erkennen. „Hattest du das alles geplant? War das eine Überraschung, ein Test für mich? Oder ist es ein Zufallsfund, ein Wink des Mungo?“

Algerio nahm den unerwartet schweren Beutel entgegen, blickte etwas verwundert drein. “Die Truhe mit Gold im Stall hast du ja offenbar übersehen”, scherzte er, ehe er dann ernster hinzufügte: “Nein, du überschätzt mich. Was immer das ist, ich habe damit nichts zu tun.”

Er hielt Fabiola den Beutel wieder hin. “Ich schätze, der Mungo wollte, dass du das bekommst.”

Schulterzuckend steckte Fabiola ihn ein. „Dann werde ich ihn bei Gelegenheit in Ruhe inspizieren.“ “Verrat mir was drin ist”, bat Algerio.

„Natürlich, versprochen. Bei Gelegenheit.” Ein Zittern durchlief sie. Trotz der Jahreszeit war ihr in den nassen Kleidern kalt.

Als Algerio dies bemerkte, bot er ihr den Arm. „Möchtest du Begleitung zurück zu den Zelten?“ „Gern“, hakte sie sich unter. Sich leise unterhaltend folgte sie dem Zufluss zu Selke, an dem die Zelte ihrer Familia in der Nähe einiger Bäume standen. Als sie sich den Pferden näherten, trottete Nuianna aus der Dunkelheit herbei.

„Da ist meine Eskorte für den restlichen Weg. Vielen Dank für den wieder einmal sehr angenehmen Abend. Wir sehen uns morgen bei den Ställen, sobald meine Familia aufgebrochen ist?“

Algerio nickte. Mit gegenseitigen Wünschen für eine gesegnete Nachtruhe verabschiedeten sich die beiden voneinander.