Chronik.Ereignis1044 Selkethaler Pferderennen zu Ehren der schönen Göttin 1044 BF 38
Edlengut Selkethal, 03. Rahja 1044 BF, abends
Die Preisverleihung und das abschließende Festmahl waren beendet. Musik hatte eingesetzt, erste Paare wandten sich der Tanzfläche zu.
„Rondralia, erkundige dich bitte, ob die Musiker den Tourdion beherrschen. Wenn ja, dann sollen sie ihn anstimmen, wenn ich es dir bedeute. Danach hast du den Rest des Abends frei. Du auch, Ordonya. Ich erwarte euch beide morgen früh pünktlich bei Sonnenaufgang zu unseren Übungen. Feiern sind kein Grund, sich dem Schlendrian hinzugeben.“ Domna Luciana wirkte ungewohnt gelöst, zumindest für ihre Verhältnisse. Allein die vertrauliche Anrede in der Öffentlichkeit war bemerkenswert.
Die Knappin nickte, ebenso ihre Freundin. „Ich komme mit. Sarkya und Nando sind sowieso beschäftigt.“, erklärte Ordonya und erhob sich.
Domna Luciana beobachtete einen Moment ihre beiden Schützlinge. Bevor sie sich erhob, ermahnte sie Sarkoyoza und Nandorito: „Ihr repräsentiert die Familia, denkt daran. Und auch für euch gilt: ihr habt den Abend zur freien Verfügung. Seid pünktlich bei den Übungen morgen früh.“ Sie sah ihren jungen Schwager ernst an.
Dann ging sie hinüber zu Cavaliere Dareius. Ihn und Signore Silem mit einer angedeuteten Verbeugung grüßend erkundigte sie sich lächelnd: „Was haltet Ihr von einem Tanz zum Aufwärmen, bevor wir uns dem Tourdion widmen, Dom Dareius?“ Die hochgewachsene Knappin sah sich unauffällig nach ihren neuen Freundinnen um.
Dareius Amarinto ließ seinen Blick für einen Moment über die Tanzfläche gleiten. Schon jetzt bewegten sich einige Paare in eleganten Mustern zur Musik, und der süße Duft von Wein und Parfüm lag in der Luft. Dann kehrte sein Blick zu Luciana zurück, die ihn mit einem erwartungsvollen Lächeln betrachtete. Ein Tanz zum Aufwärmen? Er konnte den Vorschlag kaum ablehnen.
Mit einer geschmeidigen Verbeugung erwiderte er: „Eine hervorragende Idee, Domna Luciana.“ Während sie gemeinsam die Tanzfläche betraten, spürte Dareius die gespannte Erwartung der Eingeweihten, zumindest seine Knappin Skrayana, sein Wagenlenker Silem und seine frühere Knappin Nandura beobachteten die beiden aufmerksam – ein Duell, nicht mit Klingen, sondern mit Schritten und Gesten. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, als er Lucianas Hand sanft in seine nahm. Der erste Tanz war eine Gallarda, ein formeller und doch verspielter Auftakt, der es ihm erlaubte, ihre Bewegungen zu studieren und sich auf den kommenden Tourdion vorzubereiten.
Sie bewegten sich mit einer Ernsthaftigkeit, wie sie für zwei erfahrene Turnierstreiter angemessen war. Lucianas Haltung war tadellos, ihr Ausdruck konzentriert. Er führte zuerst mit sicherer Hand, ließ kleine Variationen in die Schritte einfließen, um ihre Reaktionen zu testen – ein Spiel, ein leises Kräftemessen. Dann überließ er ihr die Führung.
Domna Luciana schmunzelte innerlich, als sie die Gallarda erkannte. Ein guter Einstieg, um sich auf ihren Tanzpartner einzustellen. Zu ihrer Erleichterung erinnerte sich ihr Körper an die Bewegungen, obwohl ihr im letzten Götterlauf so gar nicht nach Tanzen zu Mute gewesen war. Als Dom Dareius begann, im Kleinen zu variieren, ließ sie zu, dass ihre Reaktionen ganz von selbst erfolgten, wie ihr Schwager es sie gelehrt hatte. Sie spürte, wie ihre innere Anspannung ein winziges bisschen nachließ. Dann hörte ihr Gegenüber auf zu führen. Ein, zwei Augenblicke lang folgte das Paar gemeinsam den klassischen Schritten der Gallarda, bevor Luciana mit einem Lächeln übernahm. Dom Dareius konnte erahnen, dass ihre Haltung sich veränderte. Kaum merklich entspannte sie sich, ohne an aufrechter Haltung zu verlieren. Ihre Bewegungen wurden fließender, während auch sie begann, im Kleinen zu variieren. Teilweise nahm sie Dareius Variationen auf, nur um sie dann geschickt zu verändern, fortzuführen.
Schließlich überließ sie Dareius wieder die Führung. Ihr Blick suchte und fand Rondralia. Mit einem leichten Nicken gab sie ihrer Knappin das Zeichen für den Tourdion.
Als die Gallarda endete, verneigten sich Luciana und Dareius. Er war zufrieden, sie tanzte sehr gut und ihre Haltung verkörperte den Stolz und das Selbstbewusstsein einer Ritterin, so wie es in den Minneliedern besungen wurde. Er hatte sich also nicht in ihr getäuscht. Der Tourdion würde eine Herausforderung werden und er würde alles geben. Sollte sie sich als die bessere Tänzerin erweisen, würde er gegen eine ebenbürtige Kontrahentin verlieren. Er entspannte sich und begann den Tanz zu genießen.
Die ersten Takte des Tourdion erklangen. Domna Luciana lächelte. Es war ihr Lieblingsstück, weckte Erinnerungen an unbeschwerte Zeiten. Ungewohnt graziös knickste sie. „Bereit für unseren letzten Wettstreit, Dom Dareius?”
Dareius nickte freundlich, aber konzentriert. “Natürlich, Ihr führt zuerst. Es ist Euer Tanz.”
Sie neigte den Kopf leicht und merkte, dass sie sich auf den Tanz mit ihm freute. Er tanzte gut, elegant, schien geübter als sie. Aber der Tourdion war der Tanz, der sie in allen wichtigen Momenten ihres Lebens begleitet hatte. Und heute schien es ihr beinahe, als lächele Rahja auf sie herab, erfülle ihre Bewegungen.
Kaum dass er bestätigt hatte, übernahm sie unauffällig aber bestimmt die Führung. Aufrecht, stolz folgte sie den eröffnenden Schritten. Als die ersten Sprünge folgten, zeigte sie eine unerwartete, beinahe mädchenhafte Gemscheidigkeit. Mit einem auffordernden Lächeln überließ sie ihrem Tanzpartner die Führung.
Dareius' Herz schlug im Takt der Musik, als Luciana ihm mit federndem Schritt die Führung überließ. Für einen flüchtigen Moment war da dieser Blick – offen, herausfordernd und doch… weicher als zuvor. Als ob sich hinter der Maske der disziplinierten Ritterin ein Hauch von Wärme regte, den wenige zu sehen bekamen.
Er übernahm die Führung, elegant, mit der Sicherheit eines Tänzers, der wusste, wie er sich zu bewegen hatte. Seine Schritte waren präzise, seine Haltung fehlerlos. Doch Lucianas Bewegungen standen den seinen nicht nach. Ja, sie war nicht ganz so routiniert wie er, nicht so bewandert in der Vielseitigkeit der Formen. Aber der Tourdion – das war ihr Tanz. Und das merkte man.
Sie kannte die Musik, jede Wendung, jede kleine Verzögerung, noch bevor sie kam. Ihre Füße bewegten sich in vollendeter Harmonie mit dem Takt, ihre Gesten wirkten mühelos. Dareius spürte, wie er sich mehr und mehr an ihrem Rhythmus orientierte, beinahe unbewusst, als folgte er einer Melodie, die nur sie kannte. Und dann war da dieses Lächeln, kaum merklich, ein feiner Zug ihrer Mundwinkel, als sie ihn bei einer besonders heiklen Wendung leicht übertraf. Nicht spöttisch. Nicht einmal siegessicher. Nur… ehrlich erfreut über das Spiel. Dareius erwiderte es mit einem seltenen ehrlich-erfreuten Blick. Für den Bruchteil eines Herzschlags schien der Saal stillzustehen. Sie wechselten erneut die Führung. Die Rollen verschwammen, flossen ineinander wie zwei Flüssigkeiten in einem Glas. Mal war sie die Jägerin, mal er. Ein Duell, ja – aber kein erbittertes. Eher ein freundschaftlicher Wettstreit zweier Persönlichkeiten, die sich achteten, neckten, herausforderten.
Dareius spürte die Blicke der Anwesenden, doch sie verschwammen im Hintergrund. Alles, was zählte, war die Frau vor ihm, ihre präzisen Bewegungen, der feine Glanz des Schweißes an ihrer Schläfe, der Duft ihres Parfums – mit einer Nuance, die ihn an wilde Rosen erinnerte. Als sie ein letztes Mal synchron ansetzten zu Drehung, Sprung, dann ein Hauch von Stille vor dem letzten Akkord, fühlte Dareius einen Kloß in der Kehle, der nichts mit Anstrengung zu tun hatte.
Die Musik verklang. Sie hielten inne. Und verbeugten sich – einander zugewandt, nicht dem Publikum.
„Ihr kennt diesen den Tanz wie eine enge, alte Freundin“, bemerkte Dareius leise und voller Respekt, gerade laut genug, dass sie ihn verstehen konnte. „Ich glaubte mich bereits dem Sieg nahe, aber ich muss dennoch meine Niederlage eingestehen.“ Sagte er etwas lauter und verneigte sich. „Signora, Ihr habt Euch heute als die bessere Tänzerin des Tourdion erwiesen.“
Luciana lächelte, gelöst und beinahe… glücklich. „Habt Dank, Dom Dareius. Ohne Euch, Eure Herausforderung, Euren Beitrag wäre es kein solcher Tanz geworden. Es war mein ein Vergnügen.“ ‚Das erste seit langer Zeit‘, fügte sie in Gedanken hinzu, sprach es aber nicht aus. Warum den Moment zerstören. „Ich stehe Euch jederzeit für einen weiteren Wettstreit zur Verfügung.“ Sie verneigte sich respektvoll.
“Mir war es ebenso ein Vergnügen…” Er lächelte sanft. “...und einem weiteren Wettstreit dieser Art wäre ich ebenso nicht abgeneigt.”
„Wie könnte ich das ablehnen.“
Einen Moment, kaum spürbar, verharrten beide. Und dann wendete sie sich ab, mit der Würde einer Ritterin, die selten offen zeigte, was in ihr vorgeht. Aber Dareius wusste, dass der Funke da gewesen war.